Die österreichische Regierung wollte nicht, dass gegen das iranische Regime demonstriert wird – und hat die Polizei losgeschickt und die Demo untersagen lassen. Das Landesverwaltungsgericht Wien sagt jetzt: Das geht so nicht.
„Freiheit für alle politischen Gefangenen“, hätten sie gerufen und Parolen gegen die Dikatur im Iran. „Wir hatten auch Transparente und Fotos von politischen Gefangenen und Menschenrechtsaktivisten im Iran dabei“, erzählt Sholeh Zamini. Die Wienerin mit iranischen Wurzeln ist eine engagierte Aktivistin. Sie musste vor dem iranischen Regime flüchten – und genau, weil sie dieses Regime sehr gut kennt, geht sie auf die Straße, wenn iranische Regierungsdelegierte auftreten.
In Wien finden seit einiger Zeit die sogenannten „Atomgespräche“ statt, verhandelt wird über das iranische Atomprogramm. Am Verhandlungstisch sitzen neben dem Iran die USA, China, Russland, die EU-Staaten Deutschland und Frankreich sowie Großbritannien. Auch im Juni 2021 fanden solche Gespräche statt, im noblen Grand Hotel auf der Wiener Ringstraße. Sholeh Zamini und ihre Freund*innen waren ebenfalls vor Ort. Der iranischen Regierung, der österreichischen Bundesregierung und der EU passte das allerdings offenbar gar nicht.
Die Regierung interveniert für den Iran
Insgesamt drei Kundgebungen von verschiedenen exil-iranischen Organisationen waren es am 11. Juni. Die Kundgebungen bewegten sich im üblichen Rahmen, wie Beamte der Landespolizeidirektion Wien in ihren Berichten feststellten. Es sei „das ortsübliche Straßenbild“ mit Parolen, Transparente, Fahnen und politischer Musik. Die Berichte liegen mir vor. Doch dann tritt die österreichische Bundesregierung auf den Plan.
Am 11. Juni schreibt Peter Launsky-Tieffenthal per Mail an den Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl. Launsky-Tieffenthal war ab Dezember 2017 Regierungsprecher der türkis-blauen Koalition. Wenige Tage vor dem Mail an den Polizeipräsidenten verliert er diese Funktion zwar im Zuge des Zusammenbruchs der Regierung nach Ibiza. Doch er fällt nicht tief: Später wird Launsky-Tieffenthal zum Generalsekretär im Außenministerium bestellt. Unter dem Betreff „Neubewertung des Sicherheitsparameters“ gibt Launsky-Tieffenthal der Wiener Polizei dann seine Wünsche vor. Das Mail liegt mir vor.
Die „Lärmbeeinträchtigung“ würde „sowohl von der iranischen auch auch von der EU-Seite als große Belastung“ empfunden, behauptet Launsky-Tieffenthal. Vor allem die iranische Delegation hätte die Demonstrationen „fortlaufend“ gegenüber der EU wie gegenüber der österreichischen Regierung „zur Sprache gebracht“. Die iranische Delegation hätte gar bereits Beschwerde eingebracht.
Außenministerium will Maßnahmen gegen Kundgebungen …
Deshalb hätte der stellvertretende EU-Versammlungsleiter „das dringende Ersuchen“ an die österreichische Seite gestellt, „die Rahmenbedingungen zu verbessern“. Launsky-Tieffenthal verweist dann allerdings nicht etwa auf die Versammlungsfreiheit in Österreich. Sondern er führt aus, dass die Demonstranten „mit ihrem Verhalten stören“ würden. Aufzufallen und laut zu sein ist allerdings naturgemäß genau der Zweck einer politischen Demonstration.
Schließlich gibt Launsky-Tieffenthal vor: Den Verhandlungsteilnehmer*innen wäre „mit einem größeren Abstand zwischen Demonstrationen und Tagungsort“ gedient. Der Verhandlungsleiter der EU schickt ein Mail mit ähnlichem Inhalt an das Außenministerium, das mir ebenfalls vorliegt. Darin heißt es, dass es „Beschwerden der iranischen Delegation“ gegeben hätte. Dieses Mail schickt Launsky-Tieffenthal an die Polizei weiter.
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Polizeipräsident Pürstl reagiert unmittelbar. Mit Priorität „Hoch“ schickt er das Mail von Launsky-Tieffenthal an die zuständige Abteilung für Versammlungsangelegenheiten innerhalb der Wiener Polizei weiter. Dazu Pürstl als Anmerkung wörtlich: „(…) hier nun das Ersuchen des Generalsekretärs des BMEIA [Anm.: des Außenministeriums]. Bitte um dringende Prüfung und allfällige Veranlassung, da bereits für morgen laut Veranstaltungskalender weitere Demonstrationen vor dem Hotel angezeigt sind.“
Mit diesen Vorgaben ausgestattet werden dann Beamte der Wiener Polizei losgeschickt. Am 11. Juni 2021 wird ein Bericht mit dem Betreff „Lärmbelästigung im Rahmen von Manifestationen gegen den Konferenzteilnehmerstaat Iran“ erstellt. Und der Bericht zeigt schlichtweg das übliche Bild einer Demonstration mit Parolen und Transparenten. Es würden „handelsübliche Lautsprecherboxen verwendet“ und die Demonstrant*innen seien sogar enorm entgegenkommend: Dem Ersuchen, die Lautstärke zu reduzieren, sei „immer Rechnung getragen“ worden.
… und die Polizei folgt
In einem weiteren Polizei-Bericht vom 13. Juni heißt es, dass die Kundgebung „kaum Aufmerksamkeit bei den Passanten“ erzeugt hätte. Doch dann am 14. Juni die Überraschung: Die Polizei untersagt weitere geplante Kundgebungen vor dem Hotel. Begründung laut dem Untersagungsbescheid, der mir vorliegt: Die Verhandlungen würden „durch die von den Versammlungen ausgehenden Lärmemissionen erheblich gestört“ – und das Außenministerium hätte angegeben, dass durch den Lärm „das Konferenzgeschehen beeinträchtigt“ wäre.
Zur Erinnerung: Die Polizei selbst hatte in ihren Berichten davon geschrieben, dass handelsübliche Lautsprecherboxen verwendet würden, die Kundgebung wenig Aufmerksamkeit erzeugt hätte – und sogar dem Ersuchen, die Lautstärke zu reduzieren, immer Rechnung getragen worden wäre. Und ebenfalls zur Erinnerung: In Österreich gilt Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Im Hintergrund stehen also offensichtlich der Druck des Außenministeriums, der EU und der iranischen Regierung.
„Das war eine politische Entscheidung, damit die iranische Regierung sich nicht gestört fühlt“, kritisiert Sholeh Zamini. „Die EU wollte offensichtlich dem iranischen Regime etwas Gutes tun.“ Nicht das erste Mal, wie sie sagt. „Der Iran macht das immer wieder. Aktuell gibt es etwa in London ein Tribunal, wo Massaker bei regierungskritischen Demonstrationen im Iran im Jahr 2019 untersucht werden“, erzählt Zamini.
Zamini geht vor Gericht
„Der Iran hat bereits damit gedroht, dass die Verhandlungen in Wien gestoppt werden, wenn das Tribunal in London nicht beendet wird. Und jetzt gab es den gleichen Druck wegen der Demos in Wien.“ Doch die Entscheidung der Wiener Polizei wollte Sholeh Zamini nicht akzeptieren – und hat beim Landesverwaltungsgericht Wien Beschwerde gegen die Entscheidung der Wiener Polizei eingelegt.
Bei der Verhandlung am 12. November unter dem Vorsitz von Richter Erich Frank dann gleich zu Beginn die erste Überraschung: Die Landespolizeidirektion Wien hat nicht einmal eine Vertretung zur Verhandlung geschickt. Offenbar glaubt die Behörde selbst nicht, dass sie bei diesem Fall viel gewinnen kann. Neben einigen anderen Zeuginnen und Zeugen wird auch die Beschwerdeführerin Sholeh Zamini gehört – die als technische Physikerin auch fachlich einiges zur Aufklärung der Lage beitragen kann.
Rechtswidrig!
Zamini erklärt dem Gericht, dass Lärmbelastung proportional zur Entfernung abnehmen würde. Vor dem Hotel, das ungefähr 50 Meter entfernt vom Kundgebungsort gewesen sei, hätte es eine Lärmbelästigung von höchstens 67 Dezibel durch die Kundgebung gegeben. Sie hätte dann als Vergleichswert die Lautstärke der (mehrspurigen) Ringstraße geprüft: „Den Lärm der Straße habe ich selbst gemessen, der ist 80 Dezibel.“ Die Lärmmessungen legt sie dem Gericht vor. Der Straßenlärm wäre also wesentlich lauter gewesen als die Kundgebung. Und die Gebäude am Kärntner Ring müssten – aufgrund der laufenden Belästigung durch den Straßenlärm – ohnehin schallgeschützt sein.
Das Urteil verkündet Richter Frank dann sofort mündlich, zu eindeutig ist offensichtlich die Sachlage: Die Untersagung ist rechtswidrig. Das Landesverwaltungsgericht Wien ist die letzte ordentliche Instanz. Die Landespolizeidirektion Wien könnte einzig eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einlegen. Davon ist aber wohl eher nicht auszugehen.
Effektiver Rechtsschutz gefordert
Über den Erfolg vor Gericht zeigt sich auch Amnesty International (AI) erfreut. Die Menschenrechtsorganisation hatte den Fall der untersagten Kundgebungen bereits im Juni erstmals aufgegriffen. Bereits damals sagte Amnesty, dass die Untersagung von Versammlungen immer ultima ratio sei und dass eine Lärmstörung an sich kein ausreichender Grund für eine Untersagung sei. Nun kritisiert Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich: „Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist erfreulich, aber leider zu spät. Die Versammlungen konnten im Juni nicht stattfinden, damals hätten wir Rechtssicherheit gebraucht.“
Amnesty fordert jetzt dringend einen raschen und effektiven Rechtsschutz bei kurzfristiger Untersagung von Demonstrationen, damit eine Entscheidung der Gerichte rechtzeitig erfolgen kann. Sholeh Zamini hält die Untersagung der Kundgebungen weiterhin für einen Skandal.
Doch über das Urteil zeigt sie sich erfreut: „Wir werden auch beim nächsten Mal vor Ort sein, wenn die iranische Delegation auftaucht“, sagt Zamini. „Die EU redet bei den Verhandlungen nicht einmal über die Menschenrechtsverletzungen im Iran. Doch wir werden es tun und weiterhin auf die Straße gehen.“
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