Wir waren auf der Esoterik Messe Wien, damit ihr nicht hin müsst. Samt Energieberatung, Chakra-Pendel und Verschwörungserzählungen. Amelie Janitschek über ihren Versuch, mit dem Jenseits zu telefonieren.

Ich stehe vor der Wiener Stadthalle im ekligen Nieselregen eines Novembernachmittags. Es ist nicht sonderlich viel los, was mich erstaunt. Eigentlich müssten hier doch Massen Schlange stehen – und sich schon in den ersten paar Minuten mehrere Corona-Cluster gebildet haben.

Es ist schließlich die Esoterik-Messe. DAS Jahresevent für alle Corona-Leugner:innen, Rechtsradikale, Pseudohippies und Esotanten. Dachte ich jedenfalls. Na gut, vielleicht sind sie durch die sonntäglichen Schwurbler:innendemos schon ermüdet und können nicht mehr zu allen wichtigen sozialen Ereignissen kommen, überlege ich und schlendere gemütlich ins Gebäude.

Auch drinnen ist nicht viel los. Ich stelle mich an der Kassa an und bezahle den durchaus üppigen Eintrittspreis von 10 Euro (ermäßigt!). In bar. Ein Bankomat würde vermutlich zu viele negative Strahlen abgeben. 

Werde ich hier meinen Seelenpartner finden?

Im Vorraum stehen mehrere Tische mit Flyern, bei denen ich natürlich erstmal ordentlich zulange. Wer könnte bei diesen verführerischen Angeboten auch widerstehen? „Aura-Energieberatung“ steht auf dem ersten Blatt, das ich in die Hand bekomme. Darunter heißt es in kleinerer Schrift: „SET-Seelenreise, Seelenpartner, Chakra-Reading“.

Ein anderer Zettel überzeugt mit dem Angebot „Kartenlegen, Hellsehen, Channeling, Engelkontakte“. Ich schnappe mir noch ungefähr zehn andere ähnlich vielversprechende Flyer und betrete neugierig die Halle E. Was wird mich dort wohl erwarten?

Heilkarten – für nur 200 Euro

Ich schaue mich um, aber auch hier tummeln sich nur einige kleine Gruppen äußerst durchschnittlich aussehender Menschen. Ich bin etwas enttäuscht: Keine Kristallketten um den Hals, keine versteckten Hakenkreuze, keine Goa-Hosen – nicht einmal ein Aluhut ist irgendwo zu sehen. Schon beim ersten Stand bleibe ich stehen und schau mir genauer an, was hier alles angeboten wird. 

„Geistiges Heilen, Radiästhesie, Gesunder Wohnraum und Arbeitsplatz“. Ich nehme eine Preisliste für Heil- und Energiekarten in die Hand, die hier käuflich zu erwerben sind. Ich bin begeistert: Es ist ein einmaliges Angebot! Nur 200 Euro für eine Karte, die alle negativen Energien von meinem Besitz fernhalten wird. Als ich mir die Karte dann näher ansehe, bin ich allerdings doch leicht enttäuscht.

Anruf im Jenseits

Es sind stinknormale kleine bedruckte Papierzettel. Auf ihnen steht zum Beispiel „TV-Karte“ oder „Euro-Karte“ geschrieben, um zu erklären, für welche Bereiche, Geräte oder Lebenssituationen sie wirken. Dafür scheinen 200 Euro dann doch recht üppig.

Doch es geht sogar noch teurer. Ich bekomme etwa einen Flyer mit der Aufschrift „Bei Anruf Lebensaufgabe“ in die Hand gedrückt. Das Angebot: Ich könnte erfahren, was meine Talente sind. Fünf Sitzungen am Telefon für schlappe 880 Euro.

Tarot, Aura, Chakren 

Also ziehe ich weiter um die Stände. Tarotkarten werden gelegt, Aurafotos gemacht, Chakren wieder in Einklang gebracht., Sogar Kontakt mit Verstorbenen kann aufgenommen werden. Bisher war zumindest mir nicht klar, dass es sogar eine Telefonnummer gibt, mit der man das Jenseits erreichen kann.

Ich überlege kurz, ob ich mit irgendwelchen Verstorbenen reden mag. Aber wenn die nicht abheben und ich trotzdem zahlen muss? Und wer weiß, ob die was Interessantes erzählen? Oder einfach so: “Ja, bin immer noch tot.” Also weiter! 

“Your own personal Jesus!”

Auch, dass Christus wieder unter uns weilt (nun aber mit Namen Maitreya), ist mir neu. Wie hat mir das nur entgehen können? In der Ankündigung für den Vortrag steht dann verheißungsvoll: „Maitreya, und die Meister der Weisheit treten als Ratgeber für die Menschheit hervor = Christus in unserem Zeitalter! Laut Benjamin Creme hat Maitreya bereits zahlreiche TV-Interviews (inkognito) in den USA, Mexiko, Russland, China, … gegeben.”

Reizvoll. Aber da stellen sich doch einige Fragen: Warum hat Jesus Christus 2022 einen neuen Namen? Warum tingelt er inkognito durchs Fernsehen? Und wie hat er es ins chinesische Staatsfernsehen geschafft? (Fox News nimmt eh alles.)

Folgenloses Essen

Am nächsten Stand wird veganes und vegetarisches Essen angeboten. Die Verkäufer:innen sind in indische Saris gekleidet. Für mich sehen sie nicht besonders indisch aus. Mehr wie gelangweilte Mitteleuropäer:innen auf Exotik-Trip. Aber immerhin soll das Essen auch “karmafrei” sein. Also folgenlos. Ein versteckter Schlankheitstipp? Oder ein Hinweis, dass die Portionen nicht satt machen werden?

Perplex gehe ich weiter zu den Tischen, wo die aktuellsten Eso-Bestseller aufliegen. „Gespräche mit Wildtieren – Telepathische Interviews“, „Von Oben betrachtet – Ein überirdischer Dialog mit der galaktischen Bruderschaft“, „Heilen mit Sophia“, „Leben mit dem Feenvolk – Wie man gute Geister anlockt“… Wo soll ich bei so viel Spannung mit dem Lesen nur anfangen? Doch dann bleibt mein Blick an einem Buch hängen.

Jetzt kommen die Verschwörungserzählungen

“Lockdown – Es war nur der willkommene Auslöser für das größte, je gewagte Experiment am Menschen“. Da sind sie ja doch, die Corona-Leugner:innen. Direkt daneben: „Wenn das die Deutschen wüssten…“ und „Geheimsache Staatsangehörigkeit – Freiheit für die Deutschen“. Dazu etliche Schriften des bekannten antisemitischen Verschwörungsideologen Jan Udo Holey.

In der Szene nennt er sich “Jan van Helsing”, bekannt wurde er durch einschlägige Titel wie seine Reihe über angebliche „Geheimgesellschaften“, die die Welt kontrollieren würden. Ebenfalls auf dem Büchertisch: Helena Blavatsky, Begründerin der Lehre von angeblichen „Wurzelrassen“ – die Arier wären dabei die derzeit fortschrittlichste „Rasse“.

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Es hätte mich ja gewundert, wenn es hier kein einschlägiges Zeug gegeben hätte. Neben mir begutachten währenddessen zwei Frauen Bücher über Einhörner. Ein paar Bücher weiter liegt ein weiteres Werk von Jan Holey: „Bevor du Dich erschießt, lies dieses Buch“, ebenfalls von Jan Holey. Bevor mir schlecht wird, gehe ich besser mal weiter.

Die Gefahr der heißen Leber

Ein paar Meter daneben wird inzwischen ein älterer Herr gerade dazu überredet, sich auspendeln zu lassen.  Währenddessen lasse ich meine Chakren von einer sehr hilfsbereiten Frau wieder in Einklang bringen. Sie rät mir, weniger zu denken, sonst würde meine Leber zu heiß werden – alternativ könnte ich auch einen Eisbeutel auf meine Leber legen.Was mein Denkvermögen mit meiner Leber zu tun hat?

Es erschließt sich mir nicht so ganz. Am nächsten Stand gibt es dann Eso-Kosmetik. Eine Creme mit „im Wasser programmierten Schöpferinformationen“ kann ich gerade noch ablehnen, dann schleppe ich mich erschöpft zum Ausgang. Beim hinausspazieren gehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf.

Es ist ein Elend!

Ja, all meine Vorurteile wurden bestätigt. Ja, viele der Dinge, die ich dort gesehen habe, sind nicht nur schwachsinnig, sondern auch tatsächlich problematisch oder sogar gefährlich – Menschen könnten etwa glauben, dass sie hier Hilfe bekommen statt durch anerkannte medizinische Verfahren. Ja, ich kann mich ohne Probleme über die ganze Veranstaltung lustig machen und keinen weiteren Gedanken daran verschwenden. 

Aber gleichzeitig verspüre ich eigentlich vor allem Mitleid mit vielen Besucher:innen. Mit diesen Menschen, die sich, oft verärgert, verzweifelt und hoffnungslos, dem Einzigen zuwenden, was ihnen angeblich noch helfen kann: Irgendeiner Art von verkorkstem Glauben und einer Gemeinschaft von Menschen, die scheinbar in der gleichen Lage sind.

Sie werden über den Tisch gezogen

Also gehen sie zur Eso-Messe, um Antworten auf Fragen zu bekommen.. Sie gehen hin, um Hilfe zu bekommen. Etwa, weil sie es nicht ertragen können, dass geliebte Menschen wirklich tot sind. Stattdessen werden sie über den Tisch gezogen. Früher von den klassischen Weltreligionen, heute von Anrufen im Jenseits, Homöopathie oder Verschwörungserzählungen – übrigens in der Wiener Stadthalle. Also einer Halle im Eigentum der Stadt Wien.

Die Menschen, die auf so etwas reinfallen, können einem eigentlich nur leidtun. Doch  die Leute, die damit Geschäfte machen, die verachte ich.

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