Trotzdem hat die Wiener Polizei für die extremen Rechten und Dragqueen-Hasser:innen den Weg mit Pfefferspray freigeräumt. Exklusiv.
„Wir brauchen Wasser!“ Es ist eine kritische Situation am Sonntag, dem 16. April, auf der Wiener Ringstraße. Mehrere Menschen müssen erstversorgt werden, sie sehen nichts mehr. Wasser ist nötig, um zumindest die Augen auszuspülen. Auch einer meiner Securities ist betroffen, mein Team versucht, ihn zu versorgen. Kurz davor hatte die Polizei Pfefferspray eingesetzt und mitten in Demonstrant:innen und Journalist:innen gesprüht.
Doch jetzt kommt raus: Der rechte Marsch auf der Wienzeile und der Ringstraße war polizeilich nicht einmal angezeigt. Das bestätigt mir gegenüber die Landespolizeidirektion Wien. Dennoch hat die Polizei mit Gewalt den Weg für die extremen Rechten frei gemacht.
Die versammelte extreme Rechte
Mit dem Einsatz von Pfefferspray wollte die Polizei am 16. April Menschen zurücktreiben, die gegen einen Aufmarsch von extremen Rechten auf der Ringstraße protestierten. Kurz davor war diese rechte Truppe direkt vor der Türkis-Rosa-Lila-Villa gegen eine Kinderbuchlesung aufmarschiert. „Die Villa“ ist das Zentrum der LGBTI-Bewegung in Wien. (Ich hatte über den Aufmarsch und die Proteste umfangreich berichtet.) Aufgerufen hatten etwa Teile der FPÖ, katholische Fundamentalist:innen, neofaschistische Identitäre, Austrofaschist:innen sowie die einschlägige Corona-Szene. Kurz: Die versammelte extreme Rechte.
Im Anschluss an den Aufmarsch vor der Villa marschierte der rechte Pulk von rund 100 bis 150 Personen über die Rechte Wienzeile, die Oper und die Ringstraße bis zum Heldenplatz. Linke und queere Proteste gegen diesen Aufmarsch wurden von der Polizei mit Gewalt und Pfefferspray geräumt. Ein erster Blockade-Versuch auf Höhe Kettenbrückengasse wurde von den Polizist:innen unter Anwendung körperlicher Gewalt zur Seite gedrängt.
Erste Blockade wird von der Polizei geräumt.#w1604 pic.twitter.com/jLI33i4IS3
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Am Ring, etwa auf Höhe Babenbergerstraße, eskalierte die Polizei dann komplett. Rund 20 bis 30 vorwiegend junge Menschen standen am Straßenrand und auf den seitlichen Straßenbahngleisen und konfrontierten den rechten Aufmarsch mit Parolen (die Straßenbahn fuhr wegen des Aufmarschs nicht). Obwohl die queeren und linken Demonstrant:innen nicht einmal die Straße blockierten, rückte die Polizei sofort vor. Dann eskalierte die Situation.
Eine Person ist bereits bewusstlos, die Polizei rückt dennoch weiter vor
Aus der Gruppe der Linken wurde plötzlich eine Person bewusstlos herausgetragen und etwas weiter vorne in Fahrtrichtung auf einem Grünstreifen an der Ringstraße erstversorgt. Warum die Person bewusstlos wurde und ob hier die Polizei verantwortlich ist, ist unklar. Doch statt nun stehenzubleiben, rückte die Polizei weiter vor – und drückte die Menschen auf und über die bewusstlose Person und ihre Ersthelfer:innen. Proteste, Rufe nach Sanitäter:innen und Schreie, dass hier gerade ein Mensch am Boden liegt, wurden seitens der Polizei komplett ignoriert. Und dann setzte die Polizei auch noch mehrmals Pfefferspray ein. All das konnte ich als Augenzeuge aus unmittelbarer Nähe beobachten – und habe auch selbst einiges an Pfefferspray abbekommen.
So geht die Wiener Polizei gegen Antifaschist:innen vor, die gegen einen rechten Aufmarsch protestieren. Eine Person liegt schon bewusstlos am Boden und wird erstversorgt. Dennoch rückt Polizei weiter Richtung der Person vor und sprüht noch Pfefferspray. Unverantwortlich! #w1604 pic.twitter.com/lOTMo9wl1e
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Doch mit welcher rechtlichen Grundlage hat die Polizei für den rechten Aufmarsch so brutal den Weg frei gemacht? Und jetzt wird es spannend. Erstmals hatte die Behörde mir gegenüber am Freitag, dem 14. April, bekannt gegeben, welche Versammlungen am Sonntag jeweils „angezeigt“ wären. Das ist übrigens die korrekte Formulierung, nicht das meist verwendete „angemeldet“. Klingt irrelevant, hat aber seine Begründung in der Versammlungsfreiheit: Die Behörde wird nur informiert, es wird also angezeigt. Es braucht keine Erlaubnis seitens der Behörde, wie durch das Wort „Anmeldung“ suggeriert würde. Wenn die Polizei sich nicht meldet, gilt die Versammlung als nicht untersagt und kann somit stattfinden. Auch ich verwende in der Berichterstattung dennoch immer wieder das Wort „Anmeldung“ (auch hier in der Überschrift), weil es wesentlich mehr Leute kennen und damit verstehen.
Da stimmt doch was nicht
Doch weiter im Ablauf. Zwei Tage vor der Versammlung teilte mir die Polizei also mit, welche Versammlungen angezeigt worden waren. Das waren einerseits mehrere rechte Kundgebungen in der direkten Umgebung der Villa, andererseits linke und queere Solidaritätskundgebungen, ebenfalls im Nahbereich der Villa. Hier hatte ich die verschiedenen Pläne dann aufgeschrieben. Ebenfalls angezeigt laut Polizei: Ein rechter Marsch ab Heldenplatz einmal in Fahrtrichtung um den Ring, Endpunkt wieder Heldenplatz. Schon damit hätte es allerdings keinerlei Anzeige für den dann erfolgten Marsch auf der Rechten Wienzeile gegeben. Diese fehlende Anzeige für einen Marsch hatte ich auch schon in meinem Vorab-Artikel und meiner Live-Berichterstattung thematisiert. Doch dadurch wurde ich hellhörig und wollte mehr wissen.
Der Aufmarsch der extremen Rechten geht los. Doch überall auf der Seite lautstarke Proteste.#w1604 pic.twitter.com/rDbJRyI0Xc
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Jetzt gibt es lautstarke linke Proteste gegen den rechten Aufmarsch auf der Ringstraße!#w1604 pic.twitter.com/CEhHeiROjf
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Nach dem Aufmarsch wollte ich also am 19. April von der Landespolizeidirektion Wien wissen: „Gab es eine Anzeige bei der Behörde für die Marschroute, die dann gegangen wurde? Falls ja, wann war diese eingetroffen und warum wurde sie aufgrund der Frist unter 48h nicht untersagt?“ [Anmerkung: Eine Anzeige für eine Versammlung muss laut Versammlungsgesetz im Regelfall 48 Stunden zuvor bei der Behörde eintreffen. Eine nicht zeitgerechte Anzeige ist zwar an sich noch kein Auflösungs- oder Untersagungsgrund, aber üblicherweise handhabt die Behörde es in vielen Fällen so.] Weiter wollte ich von der Behörde wissen: Falls es keine Anzeige gab, „warum wurden Gegendemonstrant:innen unter Einsatz von Körperkraft seitens der Exekutive von der Straße abgedrängt, etwa auf Höhe Kettenbrückengasse?“
Behörde informiert falsch
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Antwort der Landespolizeidirektion Wien zwei Tage später: „Ein Marsch vom Heldenplatz entlang des Rings war angezeigt, allerdings nicht wie von uns fälschlicherweise kommuniziert, ab der Wienzeile.“ Es folgten weitere Mails und Nachfragen meinerseits. Am 24. April präzisierte die Polizei schließlich: „Angezeigt war: Heldenplatz – Ring in Fahrtrichtung – Heldenplatz“. Eine Anzeige gab es also zwar für einen rechten Marsch ab Heldenplatz, der nach einer Ringrunde kurz vor der Rückkehr zum Heldenplatz auch den Abschnitt Ring/Babenbergerstraße passiert hätte. Aber eben nicht für die Route ab der Villa, die marschiert wurde. Und das ist sehr brisant. Denn es bedeutet: Dass es für den extrem rechten Aufmarsch von der Villa bis zum Heldenplatz keine polizeiliche Anzeige gab. Dass die Polizei offenbar die Öffentlichkeit im Vorfeld falsch informiert hatte. Und dass es auch für den Abschnitt Ring/Babenbergerstraße, wo die Polizei Pfefferspray eingesetzt hatte, keine zeitlich nachvollziehbare Anzeige gab.
Die solidarische Kundgebung vor der Villa: Liebe ist stärker als Hass: "I will survive!"#w1604 pic.twitter.com/5YpiLgBHER
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Damit stand die Wiener Polizei also am 16. April faktisch vor folgender Situation: Es gab zwei nicht angezeigte Versammlungen. Einerseits den rechten Aufmarsch. Andererseits den Protest gegen den rechten Aufmarsch. Rechtlich wären beide Versammlungen somit gleichgestellt gewesen. Wie begründet die Wiener Polizei also, dass die eine Versammlung mit Gewalt gegen die andere durchgesetzt wurde? Antwort der Landespolizeidirektion Wien: „Da keine Auflösungsgründe vorlagen, wurde diese Versammlung und der Marsch als Spontankundgebung eingeordnet.“ Da geht es also um den rechten Aufmarsch. Die Polizei weiter: „Spontankundgebungen sind von der Polizei zu begleiten und zu schützen. Die polizeilichen Maßnahmen im gesamten Einsatz waren notwendig, da Störaktionen gegen diese spontane Kundgebung stattfanden.“ Und hier wird es eindeutig politisch.
Es ist ein Skandal
Denn die Proteste gegen den rechten Aufmarsch hatten natürlich genauso einen Kundgebungscharakter. Warum also wurden diese nicht „als Spontankundgebung eingeordnet“ und von der Polizei begleitet und beschützt? Warum räumte die Polizei stattdessen für die Rechten den Weg frei? Antwort der Landespolizeidirektion Wien: Über das Vorliegen einer Versammlung im Sinne des Gesetzes würde „vor Ort“ durch den Behördenvertreter entschieden.
Wir können also zusammenfassen: Die Wiener Polizei hat sich bewusst dazu entschieden, einen extrem rechten Aufmarsch mit Gewalt und unter Einsatz von Pfefferspray durchzusetzen. Obwohl dieser rechte Aufmarsch nicht einmal bei der Behörde angezeigt wurde. Die linken Proteste dagegen, die genauso den Schutz des Versammlungsrechts genießen hätten können, wurden mit Gewalt abgeräumt. Die Wiener Polizei hat damit eindeutig politisch Stellung bezogen. Und das ist ein Skandal.
Update 26.04.: Präzisierungen im Artikel, dass es bei den thematisierten fehlenden Anzeigen nicht um die rechten Kundgebungen direkt vor der Villa geht, sondern ausschließlich um den anschließenden Marsch sowie zur Anzeige beim Marsch um den Ring.
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