Das Innenministerium hat rund um den möglicherweise geplanten Anschlag auf das Volksstimme-Fest entweder grobe Fehler gemacht – oder es spielt ein schmutziges Spiel. Mit einer Liste der offenen Fragen an die Behörden.

Der extreme Rechte und langjährige Identitären-Anhänger Rudolf P. soll einen Anschlag auf das Wiener Volksstimme Fest geplant haben. Das geht aus dem jüngst erschienenen Verfassungsschutzbericht hervor. Nachdem ich darüber berichtet hatte, sind zahlreiche weitere Medien mit Artikeln rausgegangen und recherchieren weiter. Das ist gut. Doch gleichzeitig müssen Öffentlichkeit und Medien nun aufpassen, dass sie der Polizei nicht auf den Leim gehen. Denn der Fall ist tatsächlich ziemlich dubios.

Bei der Pressekonferenz zur Präsentation des Verfassungsschutzberichtes haben weder Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) noch der ÖVP-nahe Staatsschutz-Chef Omar Haijawi-Pirchner den geplanten Anschlag zum Thema gemacht. Insgesamt gab es bisher seitens des Innenministeriums gerade einmal eine Presseaussendung im April 2022, wo die Verurteilung von Rudolf P. am Erstgericht in Eisenstadt beiläufig in einer kurzen Notiz am Schluss abgehandelt wurde. Sonst nichts. Es passt zur Informationspolitik des Innenministeriums in der gesamten Geschichte, die extrem dubios und widersprüchlich wirkt. Ein vereitelter Anschlag wäre eigentlich eine riesige Sache. Stellen wir uns vor, es wäre ein islamischer Fundamentalist gewesen, der so etwas geplant hätte: Es gäbe vermutlich so viele Pressekonferenzen und Presseaussendungen der Behörden, dass uns beim Zählen schwindlig würde.

In diesem Fall aber kaum ein Wort. An dieser Stelle eine kurze mediale Manöverkritik: In den Medienberichten nach der Präsentation des Berichts wurden dann ausschließlich die Aussage von Karner und Haijawi-Pirchner rapportiert – kaum ein Medium machte sich die Mühe, den Bericht selbst zu studieren (Ausnahmen: Ö1 am Tag nach der Präsentation, Puls4 war nach Angaben mir gegenüber am recherchieren). Doch der Fall zeigt exemplarisch, dass es lohnt, vor der Veröffentlichung von Informationen der Behörden immer auch selbst zu recherchieren und zu hinterfragen.

Denn die Causa, um die es hier geht, wird ohne jeden weiteren Hinweis einfach auf Seite 20 im Verfassungsschutzbericht abgehandelt. Warum die Behörden diese Vorgangsweise gewählt haben, ist offen. Es könnte daran liegen, dass die möglichen Opfer Linke sind und der Täter ein extremer Rechte. Es passt nicht in die übliche Feindbild-Pflege der österreichischen Behörden. Ganz schlüssig wirkt dieses Argument allerdings auch nicht. Denn warum haben die Behörden den Fall dann überhaupt exemplarisch im Verfassungsschutzbericht erwähnt? Dazu gab es ja keine Verpflichtung.

Eine mögliche Erklärung dafür könnte der im Juli letzten Jahres erschienene Europol-Bericht sein, auf den auch Journalist Markus Sulzbacher im Standard hingewiesen hat. Da ist ab Seite 44 die Rede von einer verhinderten „rechtsterroristischen Attacke“ in Österreich im Jahr 2021. Ein Täter, der zuvor die neofaschistische Gruppe Identitäre finanziell unterstützt hatte, hätte versucht, „selbstgemachten Sprengstoff bei einer linken Veranstaltungen einzusetzen“.

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Eventuell hätte es also einfach zu viele Fragen aufgeworfen, den Fall zwar via Europol gegenüber der internationalen Polizei-Community groß zu berichten, dann aber im eigenen Verfassungsschutzbericht nicht einmal zu erwähnen.

Was wissen wir vom Prozess gegen den Täter?

Eine andere These, die jetzt kursiert: An der gesamten Geschichte wäre eigentlich gar nichts dran. Die Polizei wolle damit vor allem Gründe schaffen, um auf linken Veranstaltungen wie dem Volksstimme-Fest stärker präsent zu sein. Ein Argument jener, die diese These vertreten: Beim ersten Prozess gegen Rudolf P. am Landesgericht Eisenstadt waren auch antifaschistische Prozessbeobachter:innen vom Kollektiv „Österreich Rechtsaußen“ (ÖRA) anwesend. Das Volksstimme-Fest war beim Prozess zwar durchaus ein Thema, aber nur kurz und beiläufig, wie ÖRA mir gegenüber sagt. Im sehr informativen Bericht, den ÖRA im Anschluss veröffentlichte, war dieser mögliche Anschlag dann auch kein Thema. Inzwischen schreibt Falter-Journalist Florian Klenk, dass auch ein Anschlag auf das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ im Raum gestanden wäre.

Es zeigt das Problem: Wir haben durch die wichtige ÖRA-Beobachtung zwar einen guten Einblick, was beim Prozess selbst besprochen wurde. Doch wir kennen weder die Anklageschrift noch wissen wir, was in den Ermittlungsakten der Behörden steht. Und damit wissen wir letztlich gar nicht, was die Behörden alles wissen und wie ihr tatsächlicher Kenntnisstand ist. Was also hat Rudolf P. wirklich geplant?

Kurzfristig ist die Behörde jetzt sicherlich in der Defensive. Sie muss etwa erklären, warum sie die Veranstalter:innen des Volksstimme-Festes nicht informiert hatte. Das Innenministerium argumentiert inzwischen, dass der mögliche Täter zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft war. Doch das kann alleine nicht als Begründung zählen. Denn es wäre wohl doch zumindest geboten gewesen, die Veranstalter:innen über eine solche Gefährdung zu informieren, auch wenn sie inzwischen nach Ansicht der Behörde geklärt ist. Vor allem, wenn es sich um einen Täter handelt, der offensichtlich über seine Kontakte zur neofaschistischen Gruppe Identitäre tief ins extrem rechte Milieu in Österreich eingebunden war.

Außer natürlich, die Behörden hatten die Gefahr nach ihrem internen Wissenstand selbst gar nicht so ernst genommen. Dann aber wiederum, siehe oben, stellt sich die Frage, warum sie den Fall international über Europol präsentiert hatten und in Folge dann auch im Verfassungsschutzbericht.

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Was ist mit den Feindeslisten?

Ebenfalls in der Defensive sind die Behörden an einer weiteren Flanke, die ich bereits beschrieben hatte, die aber bisher von anderen Medien noch kaum aufgegriffen wurde: Laut Verfassungsschutzbericht hatte Rudolf P. auch Feindeslisten angelegt. Von Personen und auch von linken Organisationen, die laut Verfassungsschutzbericht „als Feinde beziehungsweise potentielle Ziele geführt“ worden waren. Ich habe bisher trotz intensiver Recherchen weder eine Organisation noch eine Person gefunden, die darüber von den Behörden informiert wurde.

Damit wiederholt sich das Debakel mit der antisemitischen Hetzseite „Judas Watch“, wo die Behörden mich erst informiert hatten, dass ich auf einer Feindesliste stehen würde, nachdem ich selbst bereits mehrmals öffentlich dazu berichtet hatte. Anderen Betroffenen erging es genauso. Warum also wurden die Betroffenen auch diesmal wieder offenbar nicht informiert? Und schließlich stellt sich noch eine weitere Frage: Laut Europol-Bericht sei der mutmaßliche Anschlag bereits 2021 verhindert worden. Warum steht er dann erst ein Jahr später im österreichischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022? Die Öffentlichkeit verdient auf alle diese offenen Fragen Antworten.

Gänzlich erfunden wird die Behörde die Geschichte eher nicht haben. Denn würde das jemals herauskommen, würde sie damit alle ihre Verfassungsschutzberichte und Europol-Berichte unglaubwürdig machen. Das wird die Polizei wohl kaum für ein paar mehr uniformierte Beamte am linken Volksstimme-Fest machen – die sie rein rechtlich schon jetzt jederzeit schicken könnte. Was aber natürlich nicht von der Hand zu weisen ist: Angst schafft immer Unsicherheit. Und Unsicherheit geht einher mit dem Ruf nach autoritären Lösungen und der Staatsgewalt. Die Polizei ist dabei kein neutraler Schiedsrichter, sondern ein eigenständiger Akteur mit eigenständigen Interessen. Und deshalb hat sie grundsätzlich auch immer ein Interesse daran, Gefahren möglichst groß zu zeichnen – und sich selbst als Lösung zu präsentieren.

Kein Grund für autoritäre Lösungen und mehr Polizei

Vollständige Sicherheit allerdings kann es niemals geben – im schlimmsten Fall fällt jemandem auf der Straße ein Blumentopf auf den Kopf. Das Volksstimme-Fest bewirbt sich selbst als „Wiens schönstes Fest“, das ist natürlich immer subjektiv. Doch sicher ist, dass es eines friedlichsten großen Feste der Hauptstadt ist, vermutlich sogar das friedlichste. Das wissen alle, die schon einmal am ersten Wochenende im September auf der Jesuitenwiese im zweiten Wiener Bezirk waren. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass es bisher auf dem Fest kaum uniformierte Polizeipräsenz gibt. Auch das schafft auf diesem linken Fest zweifellos die besondere lockere und fröhliche Atmosphäre.

Mehr Polizeipräsenz hätte im Falle eines geplanten Anschlags real rein gar nichts verhindert. Wenn jemand irgendwo Sprengmittel abstellen will, dann wird es immer möglich sein. Egal, wo in Wien. Doch andererseits würde mehr uniformierte Polizeipräsenz auf dem Volksstimme-Fest fast mit Garantie für eines sorgen: Eskalative Situationen, die es bisher nicht gegeben hat. Und das sollte niemand wollen.

Und schließlich nochmals zusammengefasst alle offenen Fragen:

  • Welche Anschläge gegen welche Ziele hat Rudolf P. geplant oder in Aussicht gestellt?
  • Warum wurden die Verantwortlichen des Volksstimme-Fests (und offenbar auch des DÖW) nicht gewarnt?
  • Waren alle geplanten Anschläge Teil des Prozesses gegen P.? Wenn nein, warum nicht? Welche geplanten Anschläge waren nicht Teil des Prozesses?
  • Wie kommen die Behörden zur Einschätzung, dass P. ein Einzeltäter war? Immerhin beschreiben sie selbst seine engen Verbindungen zur neofaschistischen Gruppe Identitäre – deren Ausmaß durch antifaschistische Recherchen umfassend bestätigt und noch erweitert wird.
  • Welche Personen lassen sich auf Basis der Aktivitäten von P. (online wie offline) seinem Netzwerk zuordnen? Können Mitwisser:innen aus diesem Milieu – insbesondere aus der Gruppe Identitäre – seitens der Behörden ausgeschlossen werden?
  • Warum wurde der Fall erst im Verfassungsschutzbericht 2022 veröffentlicht und nicht schon 2021?
  • Warum haben die Behörden den Fall bisher, außer in einer Presseaussendung in einem Absatz am Schluss, niemals öffentlich thematisiert?
  • Welche konkreten Veranstaltungen, Organisationen und Personen standen auf der Feindesliste von Rudolf P.?
  • Warum wurden die Betroffenen offenbar bis heute nicht gewarnt?

Ich habe viele dieser bis jetzt offenen Fragen bereits am Freitag, dem 12. Mai, an das Innenministerium gestellt, am Sonntag, dem 14. Mai, habe ich nochmals nachgefragt. In seiner ersten Antwort am 14. Mai ist das Innenministerium auf viele der offenen Fragen nicht eingegangen, meine Nachfragen wurden bis heute nicht beantwortet. Doch die Öffentlichkeit verdienen Antworten.

Ergänzt um weitere offene Fragen.

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