Warum gerade Taiwan für China so wichtig ist. Wie ernst die Kriegsgefahr wirklich ist. Und was die Ukraine damit zu tun hat.
Schon jetzt dringen chinesische Kampfflugzeuge laufend in den Luftraum von Taiwan ein. Die Auseinandersetzungen zwischen China und Taiwan nehmen zunehmend an Schärfe auf – im Schatten der Kriege in der Ukraine und in Gaza. China würde mit einer Übernahme der Insel offensichtlich gerne Fakten schaffen. Und damit auch das neue imperialistische Selbstbewusstsein des „Reichs der Mitte“ unterstreichen. Die USA behaupten, dass China sich bereits für 2027 auf eine Invasion der Insel vorbereiten würde.
Ein großer Krieg scheint heute dennoch für viele Menschen undenkbar – doch das haben viele vor dem Februar 2022 auch über die Lage in der Ukraine gedacht. Und wenn es in Taiwan zum Krieg kommt, könnte daraus sehr schnell ein globaler Krieg werden. Doch warum ist China so verrückt nach dieser Insel, die nicht einmal halb so groß ist wie Österreich?
Diese ausführliche Recherche wurde durch die Unterstützer:innen von standpunkt.press möglich.
„Da sind eine Menge Kriegsschiffe in den Gewässern rund um Taiwan unterwegs.“ Das sagt Huang Wen-chi vom taiwanischen Verteidigungsministerium im September 2023 bei einer Pressekonferenz in Taiwans Hauptstadt Taipeh. China führe zwar jedes Jahr von Juli bis September umfangreiche Militärmanöver rund um die Insel durch. Doch in diesem Jahr seien die Drohgebärden besonders stark, so der Ministeriumssprecher.
Die Einschätzung wirkt nicht unbegründet: Im August 2023 übte China bei einem Manöver gar die „Einkreisung Taiwans“. Und nur etwas mehr als ein Jahr später, im Oktober 2024, schreibt die deutsche Zeit dann bereits, dass chinesische Schiffe inzwischen in den Gewässern um Taiwan „nahezu ständig präsent“ seien. Parallel dazu fordert Chinas Diktator Xi Jinping die Armee auf, die Kampffähigkeiten sowie die „Vorbereitung auf den Krieg“ nun „umfassend“ zu verstärken.
Nur wenige Kilometer trennen Taiwan vom Festland
Ich konnte Taipeh selbst einmal für einen Tag besuchen. Wer in der taiwanesischen Hauptstadt unterwegs ist, wird oberflächlich von all dem nichts bemerken. Scheinbar friedlich liegt die Metropole mit ihren hunderten Hochhäusern am Fuß einer Hügelkette.
Dort oben ist das Klima subtropisch, die Blätter der Pflanzen sind riesig, das Tempelareal am Gipfel ist beeindruckend. Doch hinter der hügeligen Idylle verbergen sich die Schatten des Krieges.
Gerade einmal rund 160 km sind es von Taiwan nach China. Die beiden Länder sind nur durch eine schmale Meerenge getrennt, die sogenannte Formosastraße. Die taiwanesische Insel Kinmen liegt überhaupt nur rund zwei Kilometer vom chinesischen Festland entfernt. Ein Versuch der Volksrepublik China, die Insel kurz nach der Revolution im Oktober 1949 zu erobern, schlug fehl.
Via Lautsprecher richteten sich danach Taiwan und China lange Zeit über die Meerenge hinweg Freundlichkeiten aus. Genau gegenüber von Taiwan liegt auch die chinesische Stadt Guangzhou, früher bekannt als Kanton.
Intensive Vorbereitung auf den Krieg
Die Hauptstadt der Provinz Guangdong ist mit rund 19 Millionen Einwohner:innen eine der größeren Städte der Volksrepublik. Zum Vergleich: In ganz Taiwan leben knapp 24 Millionen Menschen. Die militärische und politische Führung der Provinz Guangdong soll sich sogar bereits auf die Invasion Taiwans vorbereiten.
Das geht aus einem Audio-File hervor, das im Mai 2022 geleakt wurde. Auf der Aufnahme soll eine geheime Sitzung der Führungsspitze der Provinz Guangdong zu hören sein.
Jetzt Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!
Unter anderem die „Times of India“ hat darüber berichtet. Und bei dieser Diskussion soll bereits sehr detailliert darüber gesprochen worden sein, welche militärischen Ressourcen für eine Invasion Taiwans nötig wären.
Blutstationen und Öldepots werden vorbereitet
Dazu würden Soldat:innen, Schiffe und Flughäfen ebenso zählen wie „Getreidedepots, Krankenhäuser, Blutstationen, Öldepots, Tankstellen, usw.“. Ebenfalls Thema sei gewesen, wie China während eines Angriffs auf Taiwan die Region rund um das Perlflussdelta schützen könne, die zur Provinz Guangdong gehört.
Dieses Delta ist mit über 100 Millionen Einwohner:innen eine der Schlagadern der chinesischen wie der globalen Wirtschaft. Am Perlfluss liegen Millionenstädte wie Hongkong, Shenzhen oder Dongguan. Nicht ohne Grund gilt das Perlflussdelta heute als „Werkbank der Welt“.
Die ideologische Bedeutung Taiwans
Doch warum ist gerade Taiwan für China so wichtig? Die Volksrepublik China propagiert eine „Ein-China-Politik“, es könne also nur einen chinesischen Staat geben. Doch auch Taiwan heißt bis heute offiziell „Republik China“. Das Land versteht sich also als legitime Nachfolge des chinesischen Staates vor der Revolution von 1949 – und stellt damit gleichzeitig die Legitimität der KP-Diktatur im Rest Chinas in Frage. Auch die Fahne und das Wappen Taiwans sind noch heute ident mit den Symbolen Chinas vor 1949. Allein das ist bereits eine Herausforderung für die Führung in Beijing.
Gleichzeitig wird Taiwan von der Volksrepublik seit Jahrzehnten – durchaus zu Recht – als verlängerter Arm der USA vor der eigenen Haustür gesehen. Das Thema „Taiwan“ ist für Beijing damit auch eine Möglichkeit zur nationalistischen Mobilisierung. Mit diesem Nationalismus können dann innere Widersprüche überlagert werden – wir kennen das aus Europa. Und Taiwan ist für China dazu aus historischen Gründen besonders gut geeignet.
Denn als die Kommunistische Partei im Jahr 1949 in fast ganz China die Macht eroberte und ein stalinistisches Regime errichtete, floh die vorherige Regierung auf die Insel Taiwan. Dort errichtete die bisher in China herrschende rechte „Nationale Volkspartei“ (Kuomintang, KMT) die Republik China. Es war ein Konkurrenz-Regime zu Beijing, angeführt vom vormaligen chinesischen Staatschef Chiang Kai-shek. Unumstritten war das nicht.
Beijing versuchte nach 1949 weitgehend erfolglos, Inseln einzunehmen, die unter der Kontrolle der KMT standen. Und auch in Taiwan selbst war die KMT vielen verhasst. Dort hatten ihre Funktionär:innen schon vor 1949 blutig gewütet.
Die Nationalist:innen ermorden tausende Menschen
Denn als Teile der Bevölkerung im Februar 1947 einen Aufstand gegen die KMT begannen, ließ die Regierung tausende Menschen ermorden. Dieser Massenmord ist bis heute als „28. Februar Massaker“ bekannt. Die genaue Zahl der Opfer dieses „Weißen Terrors“ ist immer noch unklar. Heute wird von 18.000 bis 28.000 ermordeten Menschen ausgegangen.
Nach 1949 errichtete die KMT dann auf Taiwan eine von den USA gestützte Diktatur, die die Insel über Jahrzehnte blutig beherrschte. Erst 1992 gab es in Taiwan erstmals weitgehend freie Wahlen. Gegenwärtig ist die KMT in Opposition – doch sie hat gute Chancen, die kommenden Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Die Partei hat immer noch sehr starke Strukturen und in Taiwan werden Präsident:innen mit einfacher Mehrheit gewählt. Eine Stichwahl ist nicht erforderlich, das könnte die KMT begünstigen. Paradoxerweise steht die KMT heute innerhalb des taiwanesischen Parteienspektrums übrigens eher auf der Pro-Beijing-Seite.
China will den Zugang zum Pazifik
Vor allem aber hat Taiwan für China eine enorme strategische Bedeutung. Wer heute eine Karte von Ostasien betrachtet, wird vor der Küste Chinas im Süden die Philippinen sehen, etwas weiter nördlich Taiwan und ganz im Norden die japanischen Inseln. Zwischen diesen Inseln liegen bei oberflächlicher Betrachtung jeweils viele hundert Kilometer freier Seewege.
Doch wer genauer hineinzoomt, wird etwas ganz anderes sehen. Denn tatsächlich gibt es in dieser Region auch viele kleinere Inseln. Und die zeigen die strategische Situation in einem gänzlich anderen Licht.
Die USA sind fast überall
Denn hier ist es verdammt eng. Mehrere Inseln unter Kontrolle Taiwans liegen gar nur wenige Kilometer vor der chinesischen Festlandküste. Auch die Philippinen sind nicht weit: Die nördlichste Insel des Landes ist gerade einmal rund 150 Kilometer südlich von Taiwan.
Die Philippinen waren bis zum Zweiten Weltkrieg de facto eine Kolonie der USA. Bis heute gibt es zwischenstaatliche Militärabkommen zwischen den beiden Staaten. Und im Norden und Osten von Taiwan liegen dann sehr schnell die ersten japanischen Inseln: Yonaguni ist nicht einmal hundert Kilometer östlich von Taiwan. Diese Insel gehört zur japanischen Provinz Okinawa – die bis 1972 sogar offiziell von den USA besetzt war.
Bis heute unterhalten die USA auf Okinawa eine riesige Militärbasis – gerade einmal rund 650 Kilometer vor der Küste Chinas. Wie brenzlig das alles ist, zeigt ein einfaches Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, was in den USA los wäre, wenn China auf Kuba 30.000 Soldat:innen stationieren würde.
Rund 30.000 US-Soldat:innen stehen direkt vor der Küste Chinas
Du kannst das folgende Banner einfach mit einem Klick auf das X wegdrücken und danach weiterlesen! Oder Du kannst davor noch Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!
Rund 30.000 US-Soldat:innen sind heute laut dem staatlichen US-Sender „Voice of America“ allein auf Okinawa stationiert. Dazu rüstet auch Japan selbst enorm auf, das ZDF schreibt, es sei der „radikalste Kurswechsel seit dem 2. Weltkrieg“.
Im benachbarten Südkorea soll bald ein Atom-U-Boot der USA andocken, erstmals seit 40 Jahren. Das haben US-Präsident Joe Biden und sein südkoreanischer Amtskollege Yoon Suk Yeol im April 2023 bekannt gegeben. Die Halbinsel Korea grenzt im Nordosten Chinas an das chinesische Festland. Und auch Taiwan selbst wird von den USA laufend mit Waffen ausgerüstet. Der offene Zugang zum Pazifik ist damit für China grundsätzlich gefährdet.
Und das gilt nicht nur für potentielle militärische Auseinandersetzungen. Auch Seeblockaden für den Handel wären fatal. Die Dimensionen schildert Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in einem ZDF-Interview: „Durch die Straße von Taiwan wird etwa ein Drittel bis die Hälfte des globalen Warenhandels verschifft.“
Und deshalb ist Taiwan für China auch strategisch so bedeutend: Eine Übernahme oder Eroberung der Insel würde für China einen wesentlich unbeschränkteren Zugang zum Pazifik bedeuten. Die daraus resultierende Machtprojektion würde eine völlig neue strategische Lage in der gesamten Region schaffen. Das könnte auch die engen US-Verbündeten im Pazifik, Australien und Neuseeland, direkt betreffen. Und China hat offensichtlich zunehmend imperialistische Interessen.
Der „Schwenk nach Asien“
Doch sollten die Handlungen Beijings nicht nur pro-aktiv verstanden werden: Das US-Militär ist inzwischen mit zahlreichen Militärbasen vor der chinesischen Küste stationiert: Neben Japan auch in Südkorea und auf den Philippinen. Und die USA bauen ihre Militärpräsenz in der Region immer weiter aus. So haben Washington und die Philippinen erst im Februar 2023 bekannt gegeben, dass auf dem Inselstaat weitere vier US-Stützpunkte errichtet werden sollen.
Nur einen Monat davor, im Jänner 2023, haben die US-Streitkräfte auf der Insel Guam eine zusätzliche Basis eröffnet. Bereits jetzt ist die US-Kolonie im Pazifik eine große US-Basis, nun sollen dort weitere 5000 Marines stationiert werden. Auf den rund 200 Kilometer entfernten Marianen-Inseln, ebenfalls einer US-Kolonie, wird ein früherer US-Militärflughafen reaktiviert.
Es ist ein Teil der aggressiven „Schwenk nach Asien“-Strategie, aufgesetzt unter Ex-Präsident Barack Obama. Der Ausbau des chinesischen Militärs in der Region sollte also – neben eigenen imperialistischen Bestrebungen – auch als Reaktion auf die Politik der USA verstanden werden. Gleichzeitig zeigt sich hier die klassische und höchst gefährliche Aufrüstungsspirale militärischer Rivalen: China rüstet auf, die USA rüsten auf, China rüstet erneut auf, die USA … bis zum möglichen großen Knall.
Die neue Seidenstraße … und Chinas großes Problem
China hat allerdings nicht nur Taiwan im Visier. Das Land will seine Position in ganz Asien und Afrika verbessern. Die Ziele: Zusätzliche Ressourcen, militärische und politische Verbündete, neue Absatzmärkte sowie alternative Routen für den Warenverkehr. Ganz klar: China hat offensichtliche imperialistische Interessen
Mit der sogenannten „Neue-Seidenstraßen-Initiative“ treibt Beijing hier viele verschiedene Projekte voran. Eines davon: Der neue Tiefseehafen in der pakistanischen Hafenstadt Gwadar. Pakistan gilt seit vielen Jahren als strategischer Verbündeter Chinas.
Etliche Milliarden Euro sollen investiert werden, um Gwadar mit China zu verbinden. Auf der gesamten Strecke entsteht ein Netz aus Autobahnen und Zugstrecken, zusätzlich gibt es enorme Investitionen in die Energieversorgung. Eine Reportage der Schweizer Zeitschrift Republik vom Dezember 2022 zeigt zwar, dass in Gwadar selbst aktuell noch recht wenig passiert.
Dort gäbe es zwar viele chinesische Flaggen, doch gleichzeitig würde ein „gespenstischer Mangel an wirtschaftlicher Aktivität“ herrschen. Das könnte sich aber schon bald ändern. Denn China hat neben Taiwan noch ein zweites strategisches Problem: Die Straße von Malakka.
„Durch diese hohle Gasse muss er kommen“ (Schiller: Wilhelm Tell)
Diese schmale Seestraße ist in Europa in der Öffentlichkeit kaum bekannt, doch sie ist eine der wichtigsten Meeresverbindungen der Welt. Rund ein Viertel aller Waren, die weltweit auf See transportiert werden, geht durch die Straße von Malakka. Es sind vor allem Waren, die zwischen China und dem Rest der Welt gehandelt werden. Mit einem Satz: Diese Seestraße ist für China aktuell lebenswichtig.
Die Straße von Malakka verläuft dabei genau zwischen der indonesischen Insel Sumatra sowie Malaysia auf dem Festland. Am östlichen Eingang zur Straße liegt auch noch der diktatorisch regierte Stadtstaat Singapur. Indonesien und die USA haben traditionell gute wirtschaftliche und militärische Beziehungen.
Säbelrasseln in der gesamten Region
Auch Malaysia und Singapur sind mit den USA zumindest indirekt ebenfalls eng verbunden: Beide Staaten sind Mitglied der sogenannten „5-Mächte-Verteidigungs-Vereinbarung“ mit Australien, Großbritannien und Neuseeland. Also mit drei engen Verbündeten der USA.
Noch 2016 bekräftigte etwa Neuseeland als „langjähriges Mitglied“ der 5-Mächte-Vereinbarung seinen Beistand, „falls Malaysia oder Singapur einem militärischen Angriff ausgesetzt sein sollten“. Die Straße von Malakka ist eben nicht nur wirtschaftlich bedeutend, sondern auch militärisch.
Auch China setzt deshalb seit Jahren darauf, mehr Einfluss über die Straße von Malakka zu bekommen. Das betrifft vor allem Singapur sowie Malaysia mit ihren großen chinesischen Bevölkerungsgruppen (in Singapur ist sogar der Großteil der Bevölkerung chinesisch). Gleichzeitig hat China aber mit vielen Staaten der Region auch Konflikte rund um die Kontrolle des Südchinesischen Meers.
China beansprucht mit der sogenannten „Neun-Striche-Linie“ einen Großteil dieses Seegebiets – was von den anderen Anrainerstaaten mit nachvollziehbaren Gründen bestritten wird. Und damit gibt es natürlich auch gegensätzliche Interessen rund um die Malakka-Straße.
Ein Blick auf die Karte macht damit auch schnell klar, warum der Hafen im pakistanischen Gwadar für China künftig noch sehr bedeutend werden könnte: Mit diesem Tiefseehafen hätte China künftig einen direkten Zugang zum Indischen Ozean, nach Afrika und nach Europa. Es müssten also nicht mehr alle Schiffe durch die Straße von Malakka.
China setzt auf Militärbasen im Ausland
Wirtschaftlich wird das wohl nur für den Westen Chinas bedeutend werden. Vom Perlflussdelta dagegen wären es über 5000 Kilometer nach Gwadar. Chinesische Waren müssten also zuerst mit enormen Kosten tausende Kilometer über Land transportiert werden, bevor sie in Pakistan verschifft werden können. Dast ist nicht sehr rentabel.
Doch als ergänzende Transportroute und auch bei Seeblockaden vor der chinesischen Küste könnte der Hafen Gwadar für China sehr interessant werden. Dazu ist es wahrscheinlich, dass China die Basis langfristig auch militärisch nutzen wird.
Eine erste Militärbasis im Ausland unterhält die Chinesische „Volksbefreiungsarmee“ bereits jetzt in Djibouti – also am Horn von Afrika und damit am Eingang zum Roten Meer. Doch auch das muss eingeordnet werden. Zum Vergleich: Laut dem Fachportal „Overseas Base“ unterhalten die USA aktuell rund 800 Stützpunkte im Ausland.
Alleine in Japan sind 119 US-Basen vermerkt. Auch in Djibouti unterhalten die US-Streitkräfte übrigens eine Basis. China wird also noch sehr lange brauchen, falls es hier auch nur ein wenig aufholen will.
Die neue Weltordnung und der Krieg in der Ukraine
An einer ganz anderen Front versucht Russland seit Februar 2022, die Ukraine zu erobern. Der russische Überfall hängt dabei enger mit der Lage in China zusammen, als viele denken. Denn Russland ist militärisch zwar weiterhin eine Weltmacht, wirtschaftlich sieht die Lage allerdings deutlich anders aus.
Das Bruttoinlandprodukt von Russland – also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen – ist inzwischen niedriger als jenes von Italien. Die Umstellung der russischen Wirtschaft auf Kriegsproduktion kann dieses Dilemma zwar zahlenmäßig noch kaschieren. Mit den westlichen Sanktionen würde es dennoch wirtschaftlich bald sehr knapp werden, wenn der Krieg noch länger dauert. Doch hier kommt vor allem China ins Spiel.
China ist der Gewinner des Ukraine-Kriegs
Denn chinesische Konzerne füllen in Russland immer häufiger jene Lücken, die der Abzug von US- und EU-Konzernen hinterlassen hat. So hatten etwa chinesische Autobauer im ersten Quartal 2023 in Russland bereits einen Marktanteil von 42 Prozent. Auch darüberhinaus importiert Russland aus China vor allem hochwertige Industriegüter, etwa Maschinen.
Russland dagegen liefert nach China inzwischen primär Rohstoffe – allen voran Öl. So sagt der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Nowak Ende Dezember 2023, dass Russland inzwischen bereits 45 bis 50 Prozent seines Erdöls nach China liefern würde (weitere bedeutende Lieferungen gehen nach Indien). Russland könnte damit langfristig gegenüber China auf einen ähnlichen Status zurückfallen wie heutige Erdöl-Staaten gegenüber dem „Westen“.
„Für Russland überlebenswichtig“
Waffen liefert China heute übrigens noch nicht an Russland – zumindest offiziell. Denn das „Reich der Mitte“ liefert stattdessen viele sogenannte „Dual-Use-Güter“. Das sind Güter, die sich sowohl zivil wie militärisch verwenden lassen, etwa Maschinen oder Halbleiter. Auch hier entstehen Abhängigkeiten.
Und es ist eine Tendenz, die sich ohne Zweifel fortsetzen und vertiefen wird. Der deutsche Wirtschaftswissenschafter Janis Kluge fasst die Lage in einer Studie vom Dezember 2023 eindeutig zusammen: „Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China ist für Russland überlebenswichtig geworden.“
Denn egal, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht: Am Ende wird Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit enorm abhängig von China sein. Auch der russische Angriff auf die Ukraine wäre wohl gar nicht erst erfolgt, wenn Moskau keine wirtschaftlichen Alternativen zum „Westen“ gehabt hätte.
Aktuell sind die USA und die EU vor allem mit der Ukraine und Israel/Palästina beschäftigt. Dorthin werden große Mengen an Waffen geliefert – was die militärischen Kapazitäten zunehmend ausreizt. China wird es sehr interessiert beobachten. Im Schatten dieser Kriege stellt sich nun die Frage, ob China in Versuchung geraten könnte, Taiwan militärisch anzugreifen.
Wie realistisch ist ein Krieg?
Michael Paul forscht an der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Berlin über den Pazifik. Sein brutaler Befund in der rechts-drehenden Zeitschrift „Pragmaticus“: „Es herrscht Kriegsgefahr im Pazifik“. Letztlich aber ist die Frage wohl, ob China tatsächlich einen Krieg riskieren will, der sehr schnell außer Kontrolle geraten könnte. Momentan wirkt das nicht sehr realistisch: Die Weltwirtschaft ist eng verzahnt, die chinesische Wirtschaft ist auf Absatzmärkte in der EU und den USA angewiesen.
Im Gegenzug beziehen die EU und die USA einen großen Teil ihrer Waren aus China. Es scheint unwahrscheinlich, dass eine der beiden Seiten diese Situation ernsthaft gefährden will. Dazu gibt es auch wirtschaftliche Interessen zwischen China und Taiwan: So hat etwa der taiwanesische Konzern Foxconn in China riesige Fabriken. Foxconn gilt weltweit als größter Hersteller von Elektronik- und Computerteilen und produziert unter anderem für Apple, Intel, Sony oder Microsoft.
Doch gleichzeitig versucht China zunehmend, sich wirtschaftlich breiter aufzustellen. Das Land hat in den letzten Jahren seine Absatzmärkte stark erweitert: Der globale Süden, der arabische Raum und auch Russland werden für die chinesische Wirtschaft zusehends wichtiger.
Dazu kann China auch den Heimmarkt immer besser bespielen, etwa mit eigenen Autos. Die lösen internationale Konzerne wie VW bei chinesischen Käufer:innen zunehmend ab. Im Gegenzug sind die USA und die EU zwar weiter sehr stark auf Produkte aus China angewiesen – versuchen aber zunehmend, gewisse strategische Güter wieder vermehrt auf den Heimmärkten zu produzieren.
Dennoch wäre ein Krieg für die chinesische Führung rund um Xi Jinping sehr riskant. Auch Xi Jinping selbst könnte wackeln, wenn eine militärische Invasion auf der Insel scheitert. Wesentlich attraktiver für Beijing wäre damit eine Übernahme Taiwans durch eine friedliche Wiedervereinigung. Also einen „Regime Change“
China tickende demografische Zeitbombe
Gleichzeitig tickt für China aber auch die Uhr. Denn Beijing hat ein enormes demografisches Problem: Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird die Einwohner:innenzahl Chinas wegen fehlender Geburten drastisch sinken. Eine besonders radikale Schätzung hat der Geburtshilfe-Forscher Yi Fuxian.
Er meint, dass China im Jahr 2100 gerade noch 310 Millionen Einwohner:innen haben werde – heute sind es nach offiziellen Angaben rund 1,4 Milliarden. Das bedeutet: Deutlich weniger Soldat:innen und Arbeitskräfte. Und im Gegenzug weit höhere Sozial- und Gesundheitsausgaben für eine durchschnittlich älter werdende Bevölkerung. China könnte also die Zeit davon laufen.
Die USA werden wohl nicht kampflos abtreten
Doch die wirklich große Frage ist: Die USA sind als Welthegemon offensichtlich am absteigenden Ast, die Welt wird multipolar. China und Indien werden politisch wie militärisch stärker. Vor dem Ukraine-Krieg waren auch gegensätzliche wirtschaftliche Interessen von USA und EU zunehmend deutlich geworden. Die sind zwar jetzt in den Hintergrund getreten – doch nicht verschwunden.
Imperien aber neigen eher nicht dazu, kampflos aufzugeben. Und China stellt heute zunehmend eigene imperialistische Ansprüche. Damit wird die US-Dominanz herausgefordert – was dort nicht gerne gesehen wird.
So sagte etwa US-Außenminister Antony Blinken im Mai 2022 in einer Rede: „China ist das einzige Land, das sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung neu zu gestalten, als auch in zunehmendem Maße über die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht verfügt, dies zu tun.“ Daher würden die USA das „strategische Umfeld Beijings“ so gestalten, dass die Visionen der USA gefördert würden. Eine kaum verhohlene Drohung.
Ein neuer Kalter Krieg
Ein drohender Weltkrieg müsste dabei nicht gleich „heiß“ werden, also militärisch. Ein weiteres und sehr realistisches Szenario: Ein neuer Kalter Krieg. Die Welt wäre dabei in verschiedene Einflusssphären eingeteilt, die sich wirtschaftlich voneinander abkoppeln. Im Jänner 2024 sagt auch Ralph Ossa, Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO) gegenüber der dpa: „Wir sehen erste Anzeichen dafür, dass es eine Reorientierung des Handels anhand geopolitischer Einflusssphären gibt.“
Die künftigen Blöcke wären einerseits China, dazu im Schlepptau Russland, der Iran, das ölreiche Venezuela und weitere Länder. So könnten sich etwa Indien, Brasilien, Südafrika oder der heutige NATO-Staat Türkei anschließen. Auf der anderen Seite stünde ein Block mit den USA und vermutlich der EU im Zentrum. Dabei darf allerdings, wie erwähnt, nicht vergessen werden: Auch USA und EU haben unterschiedliche Interessen.
Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 bezeichnete der spätere US-Präsident Donald Trump die NATO als „obsolet“. Das war damals nicht nur eine Spinnerei, viele Beobachter:innen in den USA und der EU teilten diese Einschätzung. Als Präsident wollte Trump dann 2018 einen NATO-Austritt der USA durchsetzen, berichtete die New York Times. (€ Paywall) Die Lage hat sich erst mit dem russischen Angriff auf die Ukraine deutlich verändert, wo USA und EU gemeinsame Interessen haben.
Das zeigt: Prognosen für die Zukunft sind bekanntlich immer unsicher. Machtwechsel in einzelnen Ländern, etwa durch Wahlen, Revolutionen oder einen Putsch, können die Lage genauso verändern wie geopolitische Ereignisse. Doch was sicher ist: Sowohl China wie die USA rüsten auf und bereiten sich auf einen Krieg vor.
Droht der Krieg schon 2025?
Die USA gehen inzwischen nach eigenen Angaben davon aus, dass China bis 2027 dazu in der Lage wäre, Taiwan anzugreifen. Die entsprechenden Vorbereitungen hätte Xi Jinping angeordnet, verlautbarten US-Geheimdienstkreise im Frühjahr 2023. Andere Quellen sprechen davon, dass eine Invasion im Jahr 2035 drohen würde.
Der US-General Mike Minihan geht laut einem geleakten Memo sogar davon aus, dass der Krieg bereits 2025 beginnen würde: „Das Team von Xi, seine Motive und die Möglichkeiten sind alle für 2025 aufeinander abgestimmt.“ Das alles kann stimmen und die US-Geheimdienstberichte können akkurat sein.
Solche Aussagen oder „geleakten“ Infos können aber auch eine bewusst platzierte Drohung darstellen. Die chinesiche Führung jedenfalls dementiert. Bei einem Treffen mit US-Präsident Biden im November 2023 sagte Xi Jinping laut einem US-Offiziellen, China hätte keine Pläne für eine Invasion in Taiwan.
Die EU-Marine könnte bald im Südchinesischen Meer kämpfen
Taiwan würde sich „wünschen, dass Deutschland bereit ist, seine Kriegsschiffe im asiatisch-pazifischen Raum einzusetzen und Militärübungen im indo-pazifischen Raum durchzuführen“. Das sagt Wellington Koo, Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats, gegenüber dem ZDF.
Und die EU bereitet sich tatsächlich schon länger auf militärische Auseinandersetzungen in der Region vor. Laut der „EU Global Strategy“ aus dem Jahr 2016 könnte die EU mit Marineeinheiten sogar bis zum „Südchinesischen Meer und der Straße von Malakka“ eingreifen. Das Ziel: Rohstoffe und Energie für die EU-Staaten sichern. Auf einer Karte des EU-nahen Think Tanks „Egmont Institut“ wird dazu gar ein neuer „Großraum“ der EU definiert.
Innerhalb dieses gedachten EU-„Großraums“ liegen etwa die Straße von Malakka sowie Teile des Südchinesischen Meers. In Singapur soll dazu sogar ein neuer Militärstützpunkt der EU entstehen. Es ist eine eindeutige Neuauflage der imperialistischen Kanonenboot-Politik des 19. Jahrhunderts. Und damit könnte die Gefahr eines Krieges weiter steigen.
Kurz- und mittelfristig scheint die Lage in Ostasien kontrollierbar. Für China wäre ein Angriff auf Taiwan immerhin mit enormen wirtschaftlichen und politischen Risiken verbunden. Das hatten allerdings die meisten Menschen vor dem Februar 2022 auch für die Lage in der Ukraine gedacht. Doch langfristig ist die Lage vor der chinesischen Küste wohl wesentlich brisanter, als es viele Menschen in Europa wahrnehmen. Denn Taiwan ist einer der Orte, wo der nächste globale Krieg beginnen könnte.
Die Leidtragenden werden alle Menschen sein, die von diesem Krieg betroffen sind.
Aktualisiert am 20. Oktober 2024 um neue chinesische Manöver sowie Aussagen von Xi Jinping.
Hast Du diese Recherche gut gefunden? Deine Unterstützung macht guten Journalismus möglich!
Standpunkt.press wird ausschließlich über Deine Spenden finanziert. Schon ab fünf Euro kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten. Und wenn Du standpunkt.press künftig monatlich unterstützt, können in Zukunft noch viel mehr Recherchen erscheinen. Vielen Dank!
• Spendenkonto – monatlich/einmalig:
IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)
• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:
• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]
• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]
Vielen Dank für Deine Unterstützung!