Der Mittelschüler-Kartell-Verband ist die Kaderschmiede der ÖVP, sogar Bundeskanzler Nehammer ist Mitglied. Bis heute verwendet der MKV als offizielle „Standarte“ die Fahne des Austrofaschismus.
Als Sebastian Kurz im Mai 2015 beim Jahrestreffen des Mittelschüler-Kartell-Verbands für ein Foto posiert, steht genau hinter ihm eine Fahne. Oberflächlich betrachtet wirkt sie recht unverfänglich: Rot-weiß rot, dazu ein Doppeladler.
Sie sieht aus wie eine leicht veränderte österreichische Fahne. Doch tatsächlich handelt es sich hier um das Symbol des Austrofaschismus – denn bis heute verwendet die ÖVP-nahe Schülerorganisation die Fahne des Faschismus als ihre offizielle „Standarte“.
Monarchie, Heiligenschein und Faschismus
Wer genauer hinsieht, wird dann schnell die Unterschiede zur aktuellen österreichischen Fahne erkennen: Der Bundesadler hat einen zweiten Kopf bekommen und wird so zum monarchistischen Doppeladler. Dafür fehlen die Mauerkrone, Hammer und Sichel – sie sollen im österreichischen Wappen das Bürger:innentum, die Arbeiter:innen und die Bäuer:innen repräsentieren. Was ebenfalls fehlt: Die gesprengten Ketten, die die Befreiung vom Nationalsozialismus darstellen.
Dafür haben die Adlerköpfe einen Heiligenschein bekommen. Kurz: Es ist exakt das Wappen der Austrofaschist:innen, die in Österreich zwischen 1934 und 1938 eine brutale Diktatur errichtet hatten. In der Zeitschrift „Couleur“ des MKV wurde bis vor kurzem sogar regelmäßig im Shop eine „MKV-Standarte als Tischwimpel mit Messingsständer“ zum Verkauf angeboten. Samt Foto der Fahne des Austrofaschismus.
In den jüngsten „Couleur“-Ausgaben aus dem Jahr 2023 ist der Messingsständer dann zwar nicht mehr aufzufinden. Doch vielleicht ist einfach das Messing ausgegangen. Denn MKV-Kartellvorsitzender Thomas Weickenmeier bestätigt auf meine Anfrage, dass der MKV die faschistische Fahne weiterhin als offizielle MKV-Standarte verwendet.
Auch Nehammers Verbindung marschierte mit dieser Fahne
Der MKV ist gemeinsam mit dem Österreichischen Cartellverband (CV) die katholisch-konservative Kaderschmiede der ÖVP. Der MKV rekrutiert bereits Schüler, der CV ist dann für die Studenten zuständig. Die männliche Form ist dabei nicht grundlos gewählt: Frauen sind bei den beiden katholischen Verbänden unerwünscht. Erst im Mai 2022 stimmte der CV zuletzt gegen die Aufnahme von Frauen.
Zahlreiche Parteigranden der ÖVP sind Mitglied im MKV oder im CV. Unter ihnen ist auch ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer, er ist „Alter Herr“ der Mittelschüler-Kartellverbindung „Sonnberg“ in Perchtoldsdorf bei Wien. Sein „Coleurname“: Mars. Auf Facebook ist ein Foto aus dem Jahr 2016 zu finden. Darauf zu sehen: Mitglieder von Nehammers Verbindung „Sonnberg“, die mit Uniformen und Säbeln durch Baden bei Wien marschieren.
Voran tragen die Mitglieder der Sonnberg die MKV-Standarte – und damit die Fahne des Austrofaschismus. Eine Anfrage um eine Stellungnahme zu Nehammer und der MKV-Standarte wurde vom Bundeskanzleramt nicht beantwortet.
Kaderschmiede der ÖVP
In den MKV-Verbindungen wird vor allem der Nachwuchs der ÖVP ideologisch geformt und geschult. Die Verbindungen sind dabei mit ihrem „Lebensbundprinzip“ – also der lebenslangen Mitgliedschaft – nicht nur ideologische Ausbildungsstätten. Sie sind auch wesentliche Karrierenetzwerke für die Mitglieder, die dann etwa in der ÖVP oder der ÖVP-nahen Wirtschaft aufsteigen.
Dass also gerade im MKV ein zentrales Symbol des Austrofaschismus weiterhin hoch im Kurs steht, sollte enorm beunruhigen. Vielleicht handelt es sich ja nur um ein Missverständnis? Das wollte ich auch vom MKV wissen.
Der MKV bringt eine wirre Rechtfertigung
Doch als Antwort kommt vom MKV eine etwas wirre Erklärung, warum die Fahne des Autofaschismus bis heute verwendet wird. Die zeige „das offizielle Wappen des österreichischen Staates“, in dem der MKV „gegründet wurde bzw. in dem auch die erste große Verbandsversammlung (Pennälertag) stattfand „, so MKV-Vorsitzender Weickenmeier.
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Bei dieser Rechtfertigung gibt es allerdings zwei Probleme: Zum einen verwischt Weickenmeier hier verschiedene Ereignisse, vermutlich durchaus bewusst. Denn der erste Pennälertag des MKV fand zwar tatsächlich bereits im Faschismus statt. Doch die Gründung des MKV war bereits am 9. September 1933, wie schließlich auch Weickenmeier auf meine Nachfrage bestätigt.
Das austrofaschistische Regime aber wurde endgültig erst Monate später errichtet, nach dem Bürger:innenkrieg im Februar 1934. Doch vor allem ist dieser historische Ausflug offensichtlich keine wahnsinnig überzeugende Erklärung dafür, dass der MKV das faschistische Symbol noch heute verwendet.
Der MKV kennt das Problem ganz genau
Bereits 2016 erklärte der damalige MKV-Vorsitzende Walter Gröblinger gegenüber dem Falter zu dieser Fahne: „Es läuft aktuell eine Diskussion über das Symbol, das auch intern polarisiert.“ In den nächsten zwei Jahren, also bis 2018, solle die Standarte ersetzt werden.
Der damalige MKV-Vorsitzende erklärte, er hätte sich „das Ziel gesteckt, den Verband zu modernisieren und ihn ins 21. Jahrhundert zu führen“. Da scheint jetzt eher nicht so gut funktioniert zu haben.
Denn der aktuelle Vorsitzende Weickenmeier sagt zu den Aussagen seines Vorgängers: Die seien dessen „Privatmeinung“, die er nicht „kommentieren und beurteilen“ wolle. Eine Antwort auf die Frage, warum das austrofaschistische Wappen dann doch nicht abgeschafft wurde, lehnt er ab: „Interne Beratungen und Beschlüsse des Verbandes“ würden „nicht nach außen getragen“.
Nun könnte das alles als lächerlicher Streit um eine Fahne abgetan werden. Doch wer solche Symbole verwendet, zeigt damit eben auch eine ganz bestimmte ideologische Schlagseite. Und wenn eine Kaderschmiede der ÖVP das sogar in dieser ganz offenen Form tut, ist das offensichtlich ein enormes Problem.
Die austrofaschistische Tradition der ÖVP
Vermutlich ist die Beibehaltung dieses einschlägigen Symbols aber ohnehin nur konsequent. Denn die ÖVP hat letztlich bis heute nicht vollständig mit ihrer faschistischen Vergangenheit gebrochen. Ihre Vorläuferpartei, die Christlichsoziale Partei, wurde vom früheren Wiener Bürgermeister Karl Lueger gegründet. Hitler bezeichnete den Antisemiten Lueger in „Mein Kampf“ nicht zufällig als „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“.
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Im Jahr 1934 sicherten sich die Christlich-Sozialen dann durch einen faschistischen Putsch die Macht. Mit Artilleriefeuer schossen sie auf Arbeiter:innen und Gemeindebauten. Verbündet waren die österreichischen Faschist:innen zu dieser Zeit vor allem mit dem italienischen Faschismus unter Benito Mussolini. Doch Mussolini ließ sie bald fallen und bildete stattdessen eine Koalition mit Hitler. 1938 kapitulierten die österreichischen Faschist:innen dann vor den Nazis.
Faschistischer Konkurrenzkampf und die Dollfuß-Legende der Konservativen
Viele Christlich-Soziale arrangierten sich nach dem „Anschluss“ mit den Nazis. Doch andere litten unter dem NS-Faschismus und wurden teils auch ermordet. Die katholischen Verbindungen haben den Anti-NS-Teil ihrer Geschichte auf niemalswieder.at auch ausführlich dargestellt. Doch daraus eine durchgehend antifaschistische Legende zu stricken, wäre offensichtlich absurd.
Die Austrofaschist:innen hatten 1938 die Auseinandersetzung mit dem stärkeren NS-Konkurrenzfaschismus verloren. Nach 1945 kamen in der ÖVP dann auch viele Nazis unter – und trafen dort auf viele Austrofaschist:innen. Der faschistische Diktator Engelbert Dollfuß wird in rechts-konservativen Kreisen ohnehin bis heute verehrt.
Im Juli 1934 war Dollfuß von den Nazis erschossen worden, daraus wurde und wird ein Heldenmythos gestrickt: Dollfuß sei ein „Märtyrer“ gewesen. Dass der Diktator im Februar 1934, also nur wenige Monate vor seinem Tod, mit seinem faschistischen Putsch selbst für hunderte Tote verantwortlich war? Das wird dabei meist geflissentlich unter den Tisch fallen gelassen.
Die ÖVP laviert beim Austrofaschismus bis heute herum
Noch bis 2017 hing in den Räumen der ÖVP im Parlament sogar ein Porträt von Dollfuß. Der aktuelle ÖVP-Innenminister Gerhard Karner war als Bürgermeister im niederösterreichischen Texingtal auch für ein Dollfuß-Museum im Ort zuständig – Kritiker:innen betrachten es eher als „Pilgerstätte für Dollfuß-Fans“. ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärte im Dezember 2021 in einem Interview mit Puls4 dann sogar nochmals explizit, dass er schon allein den Begriff „Austrofaschismus“ ablehnen würde.
Der würde von der „linken Reichshälfte“ benutzt, so Sobotka. Knapp davor hatte Kanzler Nehammer in der gleichen Frage herumlaviert. Im gemeinsamen Interview von ORF und Puls4 war der Bundeskanzler gefragt worden, ob Dollfuß ein Austrofaschist gewesen sei. Schließlich brachte er heraus: „Im Kontext der Zeit ja“ – nicht ohne unmittelbar danach zu relativieren.
Denn gleich im nächsten Satz sagte er dann, dass der Austromarxismus eben „eine große Bedrohung“ gewesen wäre. Doch als vermutlich erster ÖVP-Bundeskanzler verwendete Nehammer den Begriff Austrofaschismus. Damit ist es allerdings umso auffälliger, dass er weiterhin Mitglied des MKV ist und das Bundeskanzleramt sich dazu auch nicht äußern will.
„Wir müssen wieder so wahrgenommen werden wie wir sind“
Im September 2022 ist der MKV-Vorsitzende Thomas Weickenmeier bei der Wiener MKV-Verbindung Kreuzenstein zu Gast. Die Kreuzensteiner titeln danach auf ihrer Homepage: „Wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Wir haben Prinzipien, die wir zu leben haben und wir haben uns zu Wort zu melden! Wir müssen wieder so wahrgenommen werden wie wir sind!“
Im Juli 2023 findet dann die jährliche „Kartellführungsschule“ des MKV statt, eine Ausbildung für die Nachwuchs-Elite der Organisation. Auf dem Abschlussfoto: Rund 70 Männer und die austrofaschistische Standarte. Fotos aus vorherigen Jahrgängen sind fast ident. Die Bildunterschrift für das Foto vom Juli 2023 auf Facebook: „Die Zukunft für uns“. Es könnte eine gefährliche Drohung sein.
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