Der einschlägige Verschwörungsideologe Daniele Ganser soll in Graz und Salzburg auftreten – in städtischen Hallen. Die Verantwortlichen schweigen. Oder verteidigen den Auftritt sogar.
Der Schweizer Daniele Ganser ist in seinem Element. Die „Spaltung zwischen Geimpft und Ungeimpft“ wäre genauso „Wahnsinn“ gewesen wie die Shoah – also der millionenfache Massenmord der Nazis an Jüdinnen und Juden.
Doch die Shoah hätte nur „lokal“ stattgefunden, die angebliche Corona-„Spaltung“ dagegen wäre „weltweit Wahnsinn“. So tönt Ganser in einem Interview für das Video „Pandamned„, einem einschlägigen Filmchen aus der Verschwörungsszene. Ob solche Aussagen in Österreich strafrechtlich relevant sind, das müssten Gerichte entscheiden (es gilt die Unschuldsvermutung). Doch widerlich sind sie allemal.
Und nun will genau dieser Mann im Jänner auch in Österreich auftreten. Unter anderem am 25. Jänner in der Stadthalle Graz und am 27. Jänner im Congress in Salzburg. Beide Hallen gehören den jeweiligen Städten, sie sind also in öffentlichem Eigentum. Und trotzdem soll Ganser dort seine einschlägigen Thesen verbreiten dürfen – und damit mutmaßlich auch noch richtig viel Geld verdienen. Alle Verantwortlichen schweigen.
Wer ist Daniele Ganser?
In der internationalen Verschwörungsszene ist Daniele Ganser seit vielen Jahren eine große Nummer. Ursprünglich hatte er in Zürich akademische Karriere gemacht, begonnen hat er mit einer Arbeit über das Netzwerk „Gladio“.
Die Geschichte dahinter kurz erzählt: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten USA und NATO in den meisten Ländern Westeuropas sogenannte „Stay-Behind-Einheiten“ aufgebaut. Diese irregulären Truppen sollten im Falle eines Krieges gegen die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts als Guerilla-Strukturen funktionieren. An der Spitze standen in vielen Fällen alte Nazis und Faschist:innen.
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Geheime Militäreinheiten
Erst Anfang der 1990er Jahre wurde die Existenz dieser Einheiten bekannt, beginnend mit der italienischen Einheit „Gladio“ (Schwert). In der Öffentlichkeit wurden danach alle weiteren aufgedeckten Einheiten in verschiedenen Ländern unter dem Begriff „Gladio“ zusammengefasst. Auch in Österreich und Deutschland gab es übrigens solche Einheiten: In Österreich wurden sie vom rechten Sozialdemokraten Franz Olah organisiert, später Innenminister und Präsident des ÖGB.
Ganser hat viel über Gladio geschrieben und sich damit erstmals einen Namen gemacht. Allerdings gibt es heute auch Kritik an dieser Arbeit. Doch dann ist Ganser immer weiter abgedriftet.
Ganser und der Terroranschlag am 11. September
Groß rausgekommen ist Ganser schließlich vor allem mit seinen Auftritten zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington. Bei diesen Anschlägen wurde das New Yorker World Trade Center zerstört, getroffen wurde auch das Pentagon, also das US-Verteidigungsministerium bei Washington. Fast 3000 Menschen sind damals gestorben, die meisten von ihnen Zivilist:innen.
Einen Anschlag dieser Dimension hatte es zuvor niemals gegeben, für viele Menschen wirkte das unwirklich und unfassbar. Die meisten Menschen, die damals bereits bewusst auf der Welt waren, werden sich vermutlich bis heute daran erinnern, wo sie waren, als sie von diesem Anschlag erfahren hatten.
Der perfekte Sturm
Dazu stellten sich auch viele technische Fragen über den Einsturz der Zwillingsstürme in New York. Es war eine perfekte Melange für zahllose Verschwörungserzählungen.
Angesprochen wurden davon übrigens immer wieder auch enttäuschte Linke. Sie fühlten sich von Gansers – scheinbar – antiimperialistischem Anti-Amerikanismus angesprochen. Doch der Großteil seiner Fans dürfte aus einem ganz anderen Ecke kommen.
Die „Wahrheitler“ verbreiten ihren Unsinn
Aktiv ist hier die sogenannte „Truther“-Szene, vielleicht am besten zu übersetzen mit „Wahrheitler“ oder „Wahrheitssucher“. Sie suchen nach alternativen Erklärungen für den Anschlag – und verdienen oft richtig viel Geld mit dem Unsinn, der dabei herauskommt.
In dieser Szene ist Ganser ein Star. Er arbeitet vor allem mit einem Trick: Er stellt vermeintlich nur Fragen, angeblich unbequeme Fragen. Er insistiert dabei immer wieder, dass er selbst nicht wisse, was am 11. September geschehen sei, das lässt ihn seriös erscheinen.
Ich habe mir einen der Vorträge von Ganser in voller Länge angesehen. Der Schweizer macht das gut, er ist humorvoll und eloquent. Gleich zu Beginn betont Ganser seine vermeintliche Expertise mit Phrasen wie „uns Wissenschaftler“ oder „wir Forscher“.
Gansers Methode
Und dann stellt er drei vermeintlich gleichberechtige Versionen von 9/11 vor: Erstens die faktisch belegten Ereignisse. Zweitens die Behauptung, dass die US-Administration im Vorfeld vom Anschlag gewusst und ihn bewusst zugelassen habe, um Kriege zu führen und die Überwachung hochzuschrauben. Und drittens, dass am 11. September „Bin Laden überhaupt nichts gemacht“ hätte und der Anschlag tatsächlich von US-Geheimdiensten „inszeniert“ worden wäre.
Ganser ist schlau, er sagt gleich darauf, er könne „nicht aufschlüsseln“, was stimmt, das wisse er nicht. Aber er „kämpfe dafür, dass man offen über diese drei Geschichten sprechen kann“.
Die Taktik ist offensichtlich
Ganser nimmt einerseits die Fakten und stellt danach seine Verschwörungsbehauptungen scheinbar gleichberechtig direkt daneben. Das Publikum lacht immer wieder gut hörbar an den „richtigen“ Stellen, versteht offensichtlich die Botschaft.
Auch gegen Kritiker:innen sichert sich Ganser ab. Der Vorwurf der Verschwörungserzählung wäre eine Technik, um die Leute mundtot zu machen.
Ganser springt auf den Pandemie-Zug auf
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Irgendwann nutzt sich allerdings auch das Thema 9/11 ab. Doch mit neuen Schwerpunkten locken neue Gewinne. Und so hat sich Ganser sehr schnell auf die Corona-Pandemie gesetzt. Auch hier gibt er sich in der Öffentlichkeit vorsichtig.
So berichtet die schweizerische NZZ etwa von einem Facebook-Posting Gansers im Jänner 2021. Es geht um einen 91-jährigen Schweizer, der fünf Tage nach der Corona-Impfung gestorben sein soll. Doch wieder relativiert Ganser sofort mit dem Satz: „Swissmedic erklärte aber, es sei ‚höchst unwahrscheinlich‘, dass die Impfung zum Tod geführt habe.“ Offensichtlich will er einerseits eine Zielgruppe bedienen, sich aber andererseits absichern.
Der Vergleich zwischen Ungeimpften und der Shoah im oben zitierten Video passt da nicht ins Bild, denn diese Aussage ist eindeutig. Vielleicht ist sie ihm im Video auch einfach rausgerutscht, weil das Interview in einem Milieu stattfand, dass ihm freundlich gesonnen ist.
Ganser und seine Fans
Auftritte von Ganser bewegen die einschlägigen Massen. So soll Ganser etwa im Congress Salzburg im „Europasaal“ auftreten. Offizielles Fassungsvermögen: 1342 Personen. In welchem Saal in der Grazer Stadthalle Gansers Auftritt geplant ist, ist unklar. Es ist jedenfalls tatsächlich nicht unrealistisch, dass Ganser große Hallen in Graz und Salzburg ausverkaufen wird.
Laut Ganser sollen allein zu einem Vortrag im Frühjahr 2023 in der Welser Stadthalle rund 800 Menschen gekommen sein – in dieser FPÖ-regierten Stadt in Oberösterreich leben gerade einmal rund 40.000 Menschen. Ein Bericht des extrem rechten Verschwörungssenders Auf1 mit Saalaufnahmen der Veranstaltung zeigt: Die Angabe dürfte nicht übertrieben sein. Im Kärntner Villach sollen es wenige Tage davor ebenfalls fast 1000 Personen gewesen sein.
Der Rubel rollt!
Für Ganser sind seine Auftritte jedenfalls vermutlich ein enorm gutes Geschäft. Um die Dimensionen deutlich zu machen: Die Karten für seine geplanten Auftritte am 25. Jänner in Graz und am 27. Jänner in Salzburg kosten jeweils € 42. Bei einer ausverkauften Halle wären das allein in Salzburg über € 56.000 Umsatz. An einem Abend. Der Verkauf von Büchern bei der Veranstaltung wird vermutlich nochmals tausende Euro bringen.
Und schließlich sind solche Auftritte auch Werbung für Gansers Workshops. So bietet er etwa im Frühjahr 2024 einen eintägigen „Achtsamkeitsworkshop“ am Attersee in Oberösterreich an. Kostenpunkt: Flockige € 198.
Was sagen die Verantwortlichen?
Ich habe für diese Recherche auch Anfragen an die Stadt Graz, die Stadt Salzburg, die Messe Congress Graz (MCG) sowie den Congress Salzburg gestellt. Aus Graz kam auf meine Anfragen keinerlei Antwort. Weder die Stadt noch die Messe Graz haben geantwortet. Auch die Stadt Salzburg schweigt. Einzig der Congress Salzburg schickt eine knappe Mail.
Besonders auffällig in Salzburg: Auf der offiziellen Seite des Congress Salzburg war Gansers Auftritt nicht einmal angeführt. Ich habe ihn erst über einschlägige Seiten gefunden. Der Congress gehört zur stadteigenen „Tourismus Salzburg GmbH“. Martina Trummer, Sprecherin von Tourismus Salzburg, bestätigt, dass die Veranstaltung im Congress „eingebucht“ wäre. Eine Stellungnahme, warum Ganser in einer stadteigenen Halle auftreten kann, gibt es nicht.
Dass es auch anders geht, zeigen die Beispiele Innsbruck und Steyr: Dort wurden geplante Auftritte im Dezember 2022 und Jänner 2023 in stadteigenen Hallen von den jeweils politisch Verantwortlichen abgesagt.
Update: Nach Erscheinen des Artikels hat sich die Stadt Graz doch noch zu Wort gemeldet. Jeder Person würde es freistehen, Räumlichkeiten in der MCG buchen, solange „die Veranstaltungen im rechtlichen Rahmen abgehalten“ würden, so Stefan Herzog, Sprecher des zuständigen Grazer Stadtrats Manfred Eber (KPÖ). Es läge „kein uns bekannter strafrechtlicher Bestand gegen Dr. Ganster [sic!] vor“, schreibt Herzog. Somit sähe „die MCG auch keinen Anlasspunkt, in diesem Fall vertragsbrüchig zu werden“.
Weitere Auftritte sind angekündigt
Die Auftritte von Ganser in Graz und Salzburg sind Teil einer größeren Tour. In Österreich sind weitere Auftritte in Freistadt (Messehalle), Gmunden (Villa Toscana), Wieselburg (Messegelände) und St. Veit an der Glan (Blumenhalle) angekündigt. Dazu kommen Auftritte in etlichen Städten in Deutschland und der Schweiz, etwa in Hamburg, Magdeburg oder Zürich.
Bei dieser Tour wird Ganser vermutlich immer „nur Fragen stellen“. Doch vor allem die Verantwortlichen in vielen Städten müssen sich eine Frage stellen lassen: Warum sie Ganser immer noch Hallen im öffentlichen Eigentum für seine einschlägigen Auftritte zur Verfügung stellen.
Ergänzt um die Stellungnahme der Stadt Graz.
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