In Österreich gibt es bis heute zahlreiche Orte, wo der faschistische Diktator Dollfuß verehrt wird. Von Wien bis Vorarlberg. Eine Spurensuche!

Wer in Wien durch die Innenstadt spaziert, wird vermutlich irgendwann am Michaelerplatz vor der Hofburg landen. Genau dort steht auch eine der bedeutendsten Kirchen von Wien, die Michaelerkirche. In einem Seitentrakt dieser Kirche allerdings ist bis heute ein Relief in die Mauer gemeißelt, das vermutlich viele Menschen überraschen wird.

Es ist eine Heldendarstellung des faschistischen Diktators Engelbert Dollfuß, der sich 1933 in Österreich an die Macht geputscht hatte. Seine damalige Partei, die Christlichsozialen, sind die Vorläufer der heutigen ÖVP.

Dollfuß in der Michaelerkirche. Bild: Michael Bonvalot

Der Diktator scheint auf diesem Relief tief im Gebet versunken – die Abbildung soll offensichtlich gleichzeitig zur religiösen Verehrung von Dollfuß einladen. Und die bedeutende Kirche in der Wiener Innenstadt ist nur einer von vielen Orten in Österreich, wo Dollfuß bis heute hoch im Kurs steht.

Ein Mörder und Faschist

Bevor ich euch einige dieser Orte vorstelle, stellen wir kurz etwas klar: Engelbert Dollfuß war ein Mörder und Faschist. Der Führer der Christlichsozialen Partei hatte im März 1933 das Parlament durch einen Putsch ausgeschaltet, ab da regierte er mit einem Diktatur-Gesetz aus der Monarchie.

Zu seinem Putsch behauptete er in einer Rede zynisch, das Parlament hätte sich „selbst ausgeschaltet“ und sei „an seiner eigenen Demagogie und Formalistik zu Grunde gegangen“. In konservativen Kreisen ist es übrigens bis heute eine beliebte Verharmlosung, den christlichsozialen Putsch als „Selbstausschaltung des Parlaments“ zu bezeichnen.

Das Vorbild gaben die Nazis

Unterstützung bekam Dollfuß vom italienischen Diktator Benito Mussolini sowie dem ungarischen Diktator Miklós Horthy. Zum Putsch ermutigt wurden die österreichischen Christlichsozialen offensichtlich vom Beispiel der Nazis. Die waren im Jänner 1933, also kurz zuvor, in Deutschland ohne nennenswerten Widerstand an die Macht gekommen.

Alleine hätten die Nazis im Deutschen Reichstag übrigens keine Mehrheit für die totale Machtübernahme gehabt. Diese Mehrheit besorgten unter anderem die katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei, die den österreichischen Christlichsozialen sehr nahestanden.

Dollfuß suchte die Kooperation mit den Nazis

Dollfuß suchte in dieser Zeit noch den Ausgleich und die Kooperation mit den Nazis. Viele von ihnen kannte er ohnehin persönlich, immerhin hatte er jahrelang im Büro der einflussreichen, antisemitischen Elite-Organisation „Deutsche Gemeinschaft“ gearbeitet.

Er wäre auch bereit gewesen, die Nazis an der Regierung zu beteiligen, wie der Historiker Kurt Bauer herausgearbeitet hat. Es gab dazu bereits mehrere Verhandlungsrunden – die Gespräche scheiterten daran, dass die stärker werdenden Nazis zuerst Neuwahlen wollten, was die Christlichsozialen verweigerten.

Mit Artillerie gegen die Gemeindebauten

Im Februar 1934 schließlich versuchten Teile der Sozialdemokratie und der Arbeiter:innenbewegung rund um den Schutzbund den Aufstand gegen den Faschismus. Übrigens gegen den erklärten Willen der Parteiführung rund um Otto Bauer. Die Christlichsozialen, das Bundesheer sowie die paramilitärischen christlich-faschistischen Verbände, Heimwehr und Ostmärkische Sturmscharen, antworteten blutig.

In Wien wurden Gemeindebauten mit Artillerie beschossen, in Holzleithen in Oberösterreich wurden gefangen genommene Arbeiter:innen exekutiert, nach den Februarkämpfen ließ das Regime neun Menschen exekutieren. Der schwer verletzte Schumachergehilfe und Schutzbündler Karl Münichreiter musste extra auf einer Bahre zum Galgen getragen werden, damit die Faschist:innen ihn überhaupt hinrichten konnten.

Kämpfe zwischen den Faschist:innen

Nachdem die Christlichsozialen nun als faschistische Einheitspartei „Vaterländische Front“ die alleinige Macht übernommen hatten, sahen die Nazis offenbar keine Möglichkeit mehr zu einer Koalition mit Dollfuß. Im August 1934 versuchten sie einen fehlgeschlagenen Putsch, Dollfuß starb dabei.

Als Ersatz für Dollfuß hatten die Nazis übrigens den zeitweiligen christlichsozialen Unterrichtsminister Anton Rintelen vorgesehen, also einen Parteikollegen von Dollfuß.

Ein Täter, kein „erstes Opfer“

Die Christlichsozialen versuchten nach dessen Tod einen wahren Heldenkult rund um den angeblichen „Märtyrerkanzler“ Dollfuß aufzubauen. Es wurde sogar eine eigene Heldenhymne unters Volk gebracht. Text: „Ein Toter führt uns an“. Nach 1945 übernahm die ÖVP diese Heldenverehrung weitgehend ungebrochen.

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Zur Rechtfertigung wurde vor allem wieder behauptet, Dollfuß sei das „erste Opfer“ der Nazis in Österreich gewesen. Abgesehen davon, dass das auch historisch falsch ist: Dollfuß ist zweifellos vor allem ein Täter.

Denn die Geschichte zeigt eindeutig: Als Vorbild ist dieser Faschist sicherlich nicht geeignet. Teile der ÖVP und der katholischen Kirche sehen das allerdings bis heute anders. Auf der Hohen Wand etwa, einem beliebten Ausflugsziel im Großraum Wien, gibt es bis heute sogar eine eigene „Gedächtniskirche“ für den „Heiligen Engelbert“.

Eine Kirche für den „heiligen“ Engelbert Dollfuß

Offiziell gewidmet ist diese austrofaschistische Gedenk-Kirche dem heiligen Engelbert – einem katholischen Erzbischof, der 1225 ermordet wurde. Doch die tatsächliche Widmung der Kirche ist eindeutig. Bereits die Schutzherrschaft für den Bau einer Kapelle, die an dieser Stelle ursprünglich geplant war, wurde laut Kirchengeschichte von Alwine Dollfuß übernommen, also der Frau des Faschistenführers.

Als der austrofaschistische Diktator dann aber im August 1934 von den nationalsozialistischen Konkurrenz-Faschisten ermordet worden war, sollte auf der Hohen Wand endgültig eine Weihestätte entstehen. Forciert von der austrofaschistisch-katholischen Einheitspartei „Vaterländische Front“, wie aus der Kirchengeschichte hervorgeht.

„im frommen Gedenken an den Märtyrerkanzler“

Ein „religiöses Nationalheiligtum“ sei dann entstanden, heißt es in einer Broschüre, die in einem Schaukasten auf der Kirche angebracht ist. Und auch weitere Botschaften auf der Kirche sind bis heute mehr als eindeutig.

Bild: Michael Bonvalot

Wer sich der Kirche von der Seite nähert, wird bereits von einer großen Aufschrift mit den Zeilen „Dr. Dollfuss Gedächtnisstätte“ empfangen. Das gefällt allerdings nicht allen: Bei meinem letzten Besuch hatte jemand darunter eine rote Fahne und das Wort “Antifa” gesprayt.

„Religiöses Denkmal“ des Faschismus

An der Außenwand der Kirche folgen weitere einschlägige Botschaften. So etwa eine Tafel „im frommen Gedenken an den Märtyrerkanzler Dr. Engelbert Dollfuss“. Märtyrerkanzler, das war ein beliebter Propagandaslogan der Austrofaschist:innen. Dazu die Inschrift, dass die Kirche „das religiöse Denkmal der Vaterländischen Front“ sei. Also eine Anbetungsstätte der damaligen faschistischen Einheitspartei. Dass diese Kirche in Niederösterreich steht, ist übrigens kein Zufall: Dollfuß war Niederösterreicher, deshalb konzentrieren sich hier besonders viele Gedenkstätten.

Die Gedenkstätte für den „Heiligen Engelbert“ auf der Hohen Wand. Bild: Michael Bonvalot

Eine davon steht in der Landeshauptstadt St. Pölten. In der dortigen Prandtauerkirche war noch rund um das Jahr 2007 (!) eigens ein neues Wandbild angebracht worden. Es zeigt Dollfuß, den damaligen Bischof Michael Memelauer sowie den Austrofaschisten und späteren Bundeskanzler Julius Raab. Erst nach zahlreichen Protesten wurde angekündigt, das Wandbild zu verhängen.

Im katholischen Salzburg wird Dollfuß bis heute ebenfalls als „Märtyrer“ verehrt. In der Pfarrkirche der Gemeinde St. Koloman hat der Faschist eine eigene Tafel samt Foto bekommen. Die Widmung „Dem Märtyrer für Glaube u. Vaterland“ zeigt exemplarisch die Vermischung von religiöser und faschistischer Heldenverehrung.

Der heilige Engelbert in Graz und Amstetten

Den Trick mit dem „Heiligen Engelbert“ hat auch die Pfarrkirche St. Peter in Graz angewendet. Dort steht bis heute ein überlebensgroßes Sandsteinrelief, dass vermeintlich dem heiligen Engelbert gewidmet ist. Tatsächlich aber ist es in der Zeit des Personenkults um Diktator Dollfuß entstanden.

Wie die Kleine Zeitung berichtet (€ Paywall) hatte der damalige Pfarrer von St. Peter eigentlich ein größer angelegtes Denkmal geplant. Zur Ausführung kam dieses dann nicht mehr – doch der „heilige Engelbert“ steht weiterhin im achten Grazer Stadtbezirk. Offensichtlich wird der Trick mit dem „Heiligen Engelbert“ in der Pfarrkirche Haidershofen im niederösterreichischen Bezirk Amstetten.

Bild: Thomas Hahn, lizenzfrei

In der dortigen Kirche gibt es bis heute ein „Dollfuß-Fenster“, das auch auf der offiziellen Seite der ÖVP-regierten Gemeinde so bezeichnet wird. Dort ist dann Dollfuß direkt unter dem Heiligen abgebildet. Die Inschrift dazu: „Hl. Engelbert, bitt für uns“. Die religiöse Verehrung ist offensichtlich.

Und auch die politische Verbindung mit dem austrofaschistischen Ständestaat zeigt sich oft ganz eindeutig. Etwa in der Nikolauskirche in Pyhrafeld im niederösterreichischen Mostviertel: Dort wird auf einer „Gedenk-Schrift“ vom „christlichen, deutschen Ständestaat“ geschwärmt. Darüber prangt das faschistische Kruckenkreuz.

Eine Heldengedenkstätte, getarnt als Museum

Als der Niederösterreicher Gerhard Karner 2021 neuer Innenminister wird, bricht sehr rasch eine Diskussion auf. Einerseits wird ihm Antisemitismus vorgehalten. Er hatte einst der SPÖ Niederösterreich vorgeworfen, dass „mit Herren aus Amerika und Israel ein Schmutzkübel über das Land geworfen“ worden wäre und damit „das Klima hier bewusst vergiftet“ würde. Die „Herren aus Israel“ und die „Vergifter“. Es sind klassische und einschlägige Codes. Und andererseits gerät auch das Dollfuß-Museum in Texingtal bei Melk in den Fokus, wo Karner Bürgermeister gewesen war.

Gedenkschrift für Dollfuß in der Nikolauskirche in Pyhrafeld. Bild: ClStrauss, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Die Historikerin und Dollfuß-Expertin Lucile Dreidemy ordnete dieses „Museum“ im Standard einmal so ein: „Es ist als museale Gedenkstätte über den Umweg eines Museums gedacht gewesen. Bei der Gründung führte der damalige Bürgermeister an, es gehe um die Überwindung des bisher mangelnden Mutes, sich zu Dollfuß zu bekennen.“

Das neue Museums-Konzept wird verhindert

Im Zuge der öffentlichen Diskussion hätte das Museum nun Stück für Stück leergeräumt werden sollen, begleitet von einer Auseinandersetzung mit den Inhalten. Doch das wurde verhindert: Mitte Jänner 2024 hat ÖVP-Bürgermeister Günther Pfeiffer (ÖVP) die Ausstellung im Geburtshaus von Dollfuß bis auf wenige Objekte räumen lassen und den Landessammlungen Niederösterreich übergeben.

Märtyrergedenkstätte für Dollfuß auf der Hohen Wand bei Wien. Bild: Michael Bonvalot

Dadurch könne das auf Dialog und Geschichtsvermittlung aufgebaute Projekt „in dieser Form nicht mehr durchgeführt werden“, kritisiert der Verein “MERKwürdig. Zeithistorisches Zentrum Melk“.

Kurz vor dem Gedenkjahr wird das Dollfuß-Museum ausgeräumt

Vor der Räumung hatten mehrere Leihgeber:innen die Gemeinde Texingtal aufgefordert, die von ihnen zur Verfügung gestellten Objekte treuhändisch an das ÖVP-FPÖ-regierte Land Niederösterreich zu übergeben. Unterzeichnet worden sei das Schreiben von Verwandten von Dollfuß sowie von Institutionen, die ihm biografisch nahestehen, so der Verein. Laut Kurier (€ Paywall) waren die Leihgeber:innen die Erben von Dollfuß – sowie der niederösterreichische Bauernbund der ÖVP.

Die Objekte der unterzeichnenden Leihgeber:innen stellten zwar nur einen begrenzten Teil der Ausstellung dar. Bei der Räumung seien allerdings nur jene Objekte im Haus belassen worden, die erwiesenermaßen anderen Leihgeber:innen gehörten. Weniger höflich ausgedrückt: Kurz vor dem 90-jährigen Jahrestag des Februaraufstands im Februar 2024 wurde das Museum offenbar weitgehend ausgeräumt.

Oberndorf an der Melk, Bild: Privat, mit freundlicher Genehmigung

Apropos Heldengedenken: In Oberndorf an der Melk, ebenfalls in Niederösterreich, wurde gleich das Kriegerdenkmal für die toten Soldaten des Ersten Weltkriegs umgewandelt. Bis heute gibt es dort einen Gedenkort für Dollfuß samt Kruckenkreuz.

Anbetung gleich hinter der Wiener Stadthalle

In Wien gab es noch bis 2019 auf einer Kirche sogar ein monströses Denkmal für Dollfuß sowie dessen christlichsozialen Vorgänger Ignaz Seipel. Der hatte übrigens bei den Nationalratswahlen 1927 eine rechte „Einheitsliste“ unter Einschluss einer Fraktion der damals gespaltenen Nazis angeführt. Auf der katholischen Kirche im 15. Bezirk dagegen wurden Dollfuß und Seipel als „Erneuerer des österreichischen Vaterlandes“ verehrt.

„Große Söhne Österreichs“ seien Dollfuß und der autoritäre Seipel gewesen, lautete die Inschrift auf dem Denkmal. Ihr Leben hätten Seipel und Putschist Dollfuß „dem Ringen um Freiheit, Frieden und Glück“ geopfert.

Kurz, nachdem ich diese Tafel im Juni 2019 öffentlich zum Thema gemacht hatte, hat die Kirche die Tafel dann mit einer neuen Inschrift überdeckt. Ob es dadurch allerdings qualitativ besser geworden ist, sei dahingestellt. Die neue Tafel ist nun Hildegard Burjan gewidmet – einer führenden Politikerin der Christlichsozialen Partei von Dollfuß.

Faschistische Notkirchen

Eröffnet wurde die Kirche im 15. Bezirk im September 1934 – also nur wenige Monate, nachdem Putschist Dollfuß im Februar 1934 die Wohnungen der Arbeiter:innen mit Kanonen beschießen ließ. Kein Zufall: In vielen Arbeiter:innenvierteln in ganz Österreich ließen die katholischen Faschist:innen damals sogenannte „Notkirchen“ errichten.

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In Wien etwa wurden solche Kirchen oft neben großen Gemeindebauten errichtet, etwa im 16. Bezirk neben der Anlage Sandleiten – also dem größten Gemeindebau des „Roten Wien“. Mit diesen neuen Kirchen wollten die Faschist:innen ihre reaktionäre Propaganda in der Arbeiter:innenbewegung verbreiten. Auch über Burjans Motivation heißt es auf einer Information in der Kirche, ihr Ziel wäre gewesen, „eine Pfarrkirche in einem Arbeiterviertel Wiens zu erbauen, durch die Menschen zur Kirche zurückgeführt werden sollten“. Weil  Seipel angeblich das Ziel des „Kirchenhasses“ seiner politischen Gegner:innen gewesen wäre.

Erklärende Tafel bei der Pfarre Hildegard Burjan. Bild: Michael Bonvalot

In Niederösterreich samt faschistischem Kruckenkreuz

Eine Gedenktafel für Engelbert Dollfuß samt einem faschistischen Kruckenkreuz gibt es bis heute auch noch in der Gemeinde Heinrichs bei Weitra in Niederösterreich. Inschrift: „Dem Erneuerer Österreichs“. Bereits 2014 hatte der Standard das Thema aufgebracht, ÖVP-Bürgermeister Otmar Kowar erklärte daraufhin, das Kreuz wieder wegkommen und die Inschrift würde ersetzt.

Doch, oh Wunder, im Dezember 2023 war die Tafel noch immer da. Nun solle die Tafel aber wirklich entfernt werden, so Bürgermeister Kowar zu den Niederösterreichischen Nachrichten. Das dürfte allerdings eher mediale Gründe haben als einem tatsächlichen Verständnis geschuldet.

Bild: Privat, mit freundlicher Genehmigung

Denn Kowar sagt auch: „Das Thema Dollfuß“ könne „anlässlich des 90. Jahrestages seiner Ermordung im kommenden Jahr wieder größer aufpoppen – und wir in Kritik geraten.“ Wohlgemerkt: Nicht etwa die faschistische Machtergreifung im Februar 1934 ist hier das Thema, sondern der Todestag. Ob die Tafel nun tatsächlich entfernt wird, wird die Zukunft weisen. Einsicht ist übrigens auch bei der Kirche keine zu bemerken: Auf zwei Anfragen von mir zu dieser Tafel an die zuständige Erzdiözese St. Pölten kam im Juni 2023 keine Antwort.

„Dem Führer und Heldenkanzler“

Einschlägige Gedenktafeln gab es zumindest Ende 2021 auch noch in weiteren Gemeinden in Niederösterreich: In Nodendorf und in Geitzendorf im Bezirk Korneuburg nördlich von Wien. In Nodendorf, so berichtet die NÖN, fand sich noch 2021 an der Kapelle eine Gedenktafel für den „Führer u. Heldenkanzler Dr. Eng. Dollfuß“. Ob die vielen Abkürzungen eine geschickte Sparmaßnahme waren, wird sich heute nicht mehr klären lassen.

Im Weinviertel fand sich laut NÖN mindestens noch eine weitere Ehrung für den Diktator: An der Ortskapelle von Geitzendorf wurden vom damaligen Bürgermeister über dem Eingangstor die angeblich letzten Worte von Dollfuß angebracht: „Ich wollte ja nur den Frieden. Den anderen möge der Herrgott vergeben.“ Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Aufschrift abgedeckt, danach sei sie wieder zu sehen gewesen. Im Angesicht der Opfer des Februar 1934 ist diese Friedens-Behauptung jedenfalls ausnehmend dreist.

Auch auf zumindest einem Kriegerdenkmal in Niederösterreich findet sich bis heute eine eigene Widmung für Dollfuß. Für den „Grossen des N.Ö. Bauernstandes“ sei die Tafel, heißt es in der Gemeinde Michelhausen im Tullnerfeld, westlich von Wien. Dollfuß sei „Gefallen für´s Vaterland“. Ein Foto der Tafel findet sich auf der Seite des lokalen Kameradschaftsbundes.

Dollfuß-Ehrung in der größten Kirche des Landes

Faschist Dollfuß wird bis heute sogar in der größten Kirche des Landes geehrt: Im Mariendom in Linz. Dort gibt es weiterhin gleich im Eingangsbereich eine Tafel für Dollfuß – samt dem Wappen des Austrofaschismus darunter. 2006 hat die Kirche zwar eine erklärende Tafel angebracht – die allerdings so klein ist, dass sie kaum lesbar ist. Vor allem aber bricht diese Mini-Erklärung die Gedenklogik nicht. Stellen wir uns vor, hier wäre ein Hakenkreuz statt des Symbols des österreichischen Faschismus. Es gäbe zweifellos längst einen Aufschrei.

Bild: Methossant, lizenzfrei

Dollfuß und Jesus in Tirol

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Eine besonders absurde Dollfuß-Würdigung gibt es bis heute im Tiroler Ort Defereggen. Dort findet sich in der Kirche St. Jakob ein immenses Deckenfresko, das Dollfuß sogar direkt neben Jesus stellt. Ebenfalls auf dem Deckengemälde zu sehen sind der letzte österreichische Kaiser, Karl I., sowie katholische Missionare, die Völker in Afrika, Asien und Amerika für das Christentum rekrutieren sollen.

Und zum Drüberstreuen stehen neben Jesus am Kreuz auch noch austrofaschistische Soldaten. Apropos Tirol! Im Dezember 2021 veröffentlichte die Seite „Innsbruck News“ eine Recherche über Dollfuß-Spuren in Tirol.

„Antifa bleibt Handarbeit“

So steht über der Gemeinde Gries am Brenner auf 2.142 Meter Seehöhe ein drei Meter hohes „Dollfuß-Kreuz“ aus Holz. „Zu Ehren der beiden großen Kanzler Ignaz Seipl – Engelbert Dollfuß“ ist auf der Tafel eingraviert, dazu ein Kruckenkreuz. Ortsansässigen sei der Weg von der Talstation laut Innsbruck News als „Dollfuß-Weg“ bekannt. Auch an anderen Orten in Tirol sollen Gedenkstätten stehen, die an Dollfuß erinnern, etwa ein Wegkreuz bei der Walderalm oberhalb von Gnadenwald oder die Marienkapelle in Pettnau.

Und dann war da noch die Gedenktafel für den „Heldenkanzler“ Dollfuß am Gipfel des Tschirgant bei Imst in Tirol. Sie sei laut „Innsbruck News“ erst 1984 (!) in den Sockel eingearbeitet worden. Doch 2017 haben Unbekannte die Tafel eigenhändig entfernt, sie wurde danach nicht mehr erneuert. Offenbar ein Fall von antifaschistischer Handarbeit.

Es ist übrigens sehr gut möglich, dass es bis heute auch noch an weiteren Orten in Österreich Dollfuß-Verehrungen gibt, die überregional nur noch nicht bekannt sind. (Wenn ihr ein Beispiel kennt, schreibt mir sehr gern!)

Die ÖVP und der Führer

Noch im Dezember 2021 wehrte sich ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka auf Puls4 gegen den Begriff „Austrofaschismus“. Der würde von der „linken Reichshälfte“ benützt. Knapp davor hatte Kanzler Nehammer in der gleichen Frage herumlaviert. Im gemeinsamen Interview von ORF und Puls4 war der Bundeskanzler gefragt worden, ob Dollfuß ein Austrofaschist gewesen sei.

Schließlich brachte er heraus: „Im Kontext der Zeit ja“ – nicht ohne unmittelbar danach zu relativieren. Denn gleich im nächsten Satz sagte er dann, dass der Austromarxismus eben „eine große Bedrohung“ gewesen wäre.

Dieses Herumlavieren ist kein Zufall. Die ÖVP ist die direkte Nachfolgepartei der Faschisten in Österreich. Und hat offenbar bis heute enorme Schwierigkeiten, sich davon glaubwürdig und nachhaltig zu distanzieren. Immerhin hing noch bis 2017 sogar im Parlamentsklub der ÖVP ein Porträt von Diktator Dollfuß.

Der Dollfuß-Platz in Niederösterreich

Zumindest aus dem österreichischen Straßenbild dürfte Dollfuß heute weitgehend verschwunden sein. Eine Ausnahme: Die niederösterreichische Gemeinde Mank im Bezirk Krems, dort gibt es bis heute einen Dollfuß-Platz. Die ÖVP-Mehrheit im Gemeinderat verzögert trotz öffentlicher Diskussionen bis heute eine Umbenennung.

Hier wird es aber vermutlich irgendwann eine Änderung geben. Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass der Dollfuß-Platz gerade in Mank ist: Von Texing aus, also dem Geburtsort des Diktators, ist Mank die nächste größere Ortschaft. Da gibt es offenbar ein ganz spezielles historisches Bewusstsein.

Was sich dagegen in den Gemeindestuben hinter Österreichs Straßen tut, wäre eine ausführliche Untersuchung wert. So kann mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass Dollfuß bis heute in sehr vielen österreichischen Gemeinden als Ehrenbürger geführt wird. Doch das könnte nur lokal erforscht und dann beendet werden.

Ein Beispiel dafür ist eine Gedenktafel für Dollfuß im Großen Walsertal in Vorarlberg. Dort findet sich eine Tafel auf der Kuratienkirche in der Ortschaft Marul, darauf eine Inschrift mit Dank für die Errichtung eines Güterwegs. Der Dank geht an den „Ehrenbürger Dr. Engelbert Dollfuß“.

Es gibt kein Unrechtsbewusstsein

In den letzten Jahren werden die Bilder und Symbole des Austrofaschismus von der ÖVP und der Kirche zunehmend verräumt. Allerdings immer erst dann, wenn sich eine öffentliche Diskussion entwickelt. Das Heldenmuseum für Dollfuß in Texingtal etwa würde mit größter Wahrscheinlichkeit noch heute stehen, wenn der damals neue Innenminister Karner nicht unter öffentlichen Druck geraten wäre. Das ist kein Zufall.

In der ÖVP und der Kirche gibt es bis heute keine tiefgreifende Distanzierung von der eigenen faschistischen und antisemitischen Vergangenheit. So wurde etwa ihre Vorläuferpartei, die Christlichsoziale Partei, vom früheren Wiener Bürgermeister Karl Lueger gegründet.

Hitler bezeichnete den Antisemiten Lueger in „Mein Kampf“ nicht zufällig als „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“. In der ÖVP wird Lueger bis heute hochgehalten.

Die ÖVP-Kaderschmiede mit der faschistischen Fahne

Das beste Beispiel für all diese Traditionslinien ist der Mittelschüler-Kartell-Verband, also die Kaderschmiede der ÖVP. Bis heute verwendet der MKV als offizielle „Standarte“ die Fahne des Austrofaschismus. Hier könnt ihr meine Recherche dazu lesen! Auch Bundeskanzler Nehammer ist dort Mitglied. Und auch seine eigene Verbindung marschierte mit dieser Fahne.

Die ÖVP hat bis heute nicht mit ihrer faschistischen und autoritären Vergangenheit gebrochen. Und das ist ein Problem. Denn was bedeutet es für die Zukunft, wenn eine Partei nicht bereit ist, mit ihren faschistischen Traditionen zu brechen?

Dieser Artikel wird laufend um weitere Gedenkstätten für den Diktator ergänzt. Letzte Ergänzung am 07.09.2024. Vielen Dank für viele wichtige Hinweise!

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