Neonazismus und Wiederbetätigung sind in Österreich verboten. Eigentlich sollte das auch ein Innenminister wissen.
[Erstveröffentlichung: Vice] Herbert Kickl tut es offenbar nicht. Sonst hätte er wohl kaum Folgendes festgestellt: „Die Begriffe Rechtsextremismus, Neonazi – alles Dinge, die unsere Rechtsordnung im Übrigen in der Form nicht kennt, dass das jetzt Strafbestände wären“. Oder war das alles nur ein Missverständnis, lediglich einer von vielen „Einzelfällen“ der FPÖ?
Was Kickls Aussage sinngemäß bedeutet? Dass das österreichische Strafrecht Neonazismus nicht kennen würde. Aber von Anfang an: Vergangenen Mittwoch tagte das Parlament in einer Sondersendung zum Thema Neonazismus. Grund dafür war die Beschäftigung des Rechtsextremen Thomas K.-C. als Security im Parlament. Der ist ein Aktivist aus dem Umfeld des bekannten Neonazis Gottfried Küssel, dennoch wurde er als Sicherheitsmann im Parlament beschäftigt. Mehr zu diesem Fall könnt ihr hier lesen.
In einer Anfrage stellte die Liste „Jetzt“, so heißt die Liste Pilz seit letzter Woche, zahlreiche Fragen an Innenminister Kickl. Gefragt wurde unter anderem, wie K.-C. in diese Position kommen konnte, welche Waffen er und andere einschlägige Personen tragen dürfen und ob die Burschenschafter in den FPÖ-Ministerkabinetten sicherheitsüberprüft sind.
In seiner Rede vor dem Parlament beantwortete Kickl die Anfrage, unter anderem mit dem bereits genannten Zitat: „Die Begriffe Rechtsextremismus, Neonazi – alles Dinge, die unsere Rechtsordnung im Übrigen in der Form nicht kennt, dass das jetzt Straftatbestände wären“.
Für FPÖ-Innenminister Kickl gilt das NS-Verbotsgesetz scheinbar nicht mehr. Er behauptet im Parlament tatsächlich, dass die österreichische Rechtsordnung Neonazismus nicht als Straftatbestand kennen würde. Doch Neonazismus ist in Österreich natürlich strafbar. Absolut irrwitzig. pic.twitter.com/wKhQZQjx9P
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) November 25, 2018
Die gesamte Rede von Kickl könnt ihr euch hier ansehen, die Szene beginnt in etwa bei Minute 4:05. Die Rede ist noch bis 28. November 2018 abrufbar, der ORF muss Aufzeichnungen nach sieben Tagen vom Netz nehmen.
Weil uns diese Aussage des Innenministers – der sich in solchen Fragen ja besonders auskennen sollte – etwas verwundert, haben wir noch mal in den einschlägigen Gesetzen nachgelesen, beim Ministerium nachgefragt, ob wir uns vielleicht einfach verhört haben und eine Verfassungsrechtlerin gefragt, was sie von der Aussage hält.
Tatsächlich gibt es bereits seit 1947 ein eigenes Gesetz, das sich ausschließlich mit Nazi-Wiederbetätigung befasst: das sogenannte Verbotsgesetz. Unter diesem Link kann auch Herr Kickl es nachlesen.
In diesem Gesetz geht es um Neonazismus, also auch um Neonazis. Im Paragraf 3g steht, dass jede Betätigung „im nationalsozialistischen Sinn“ verboten ist. Im Fall von Nazi-Wiederbetätigung, also zum Beispiel, wenn jemand den Hitlergruß zeigt oder nationalsozialistische Organisationen wieder zum Leben erweckt, drohen Freiheitsstrafen von mindestens „einem bis zu zehn Jahren“, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Tat kann Neonazismus sogar mit bis zu 20 Jahren bestraft werden.
Laut diesem Gesetz ist Neonazismus in Österreich also eindeutig verboten und wird schwer bestraft. Außerdem gibt es noch ein zweites Gesetz, das neonazistische Wiederbetätigung unter Strafe stellt, das sogenannte Abzeichengesetz. Dort ist geregelt, dass Abzeichen von Organisationen, die in Österreich verboten sind, öffentlich nicht getragen oder gezeigt werden dürfen. Dieses Gesetz könnte Innenminister Kickl hier nachlesen.
Der Begriff „Neonazi“ wird im Gesetz nicht wörtlich erwähnt. Das betont auch Ministeriums-Sprecherin Isolde Seidl auf Anfrage von VICE. Dass Wiederbetätigung strafbar ist, ändere „nichts an der Richtigkeit der Aussage, dass Rechtsextremismus und Neonazitum für sich in der Rechtsordnung nicht als Straftatbestände bestehen“, verteidigt sie die Aussage des Innenministers. Die Verfassungsrechtlerin und Juristin Brigitte Hornyik kann diese Argumentation „nicht nachvollziehen“. „Worauf sollte sich der Begriff des Neonazismus sonst beziehen, wenn nicht auf das NS-Verbotsgesetz?“, fragt Hornyik. Sie wundert sich auch: „Was glaubt Kickl, was im Staatsvertrag steht? Dort ist sogar klar die Auflösung aller faschistischen Organisationen festgelegt.“
Im Ministerium scheint man die Aufregung um das Kickl-Zitat nicht zu verstehen. Sprecherin Seidl schreibt außerdem, der Begriff „‚Neonazi'“ (Anführungszeichen im Original) würde in „der polit-medialen Debatte häufig (auch) für Personen verwendet, die nicht nach dem NS-Verbotsgesetz angeklagt, geschweige denn verurteilt wurden“.
Verfassungsrechtlerin Hornyik findet diese Aussage „absurd“: „Wiederbetätigung ist in Österreich verboten und das letzte Wort darüber, was unter das Verbotsgesetz fällt, haben immer noch Gerichte.“
Es ist nicht das erste Mal, dass es zweifelhafte Aussagen aus der FPÖ zum NS-Verbotsgesetz gibt. Kickl selbst erklärte erst im Februar 2018 zum Verbotsgesetz, dass moralische Grenzen gefährlich seien, weil diese von „moralischen Instanzen“ gezogen würden, die nicht allgemeingültig, sondern „individuell“ seien.
Der heutige Verkehrsminister und Ex-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer erklärte 2013, das NS-Verbotsgesetz „spießt sich mit Meinungsfreiheit“. Und Barbara Rosenkranz, bei der Wahl 2010 Hofers Vorläuferin als FPÖ-Präsidentschaftskandidatin, trat während des Wahlkampfes ganz offen für die Abschaffung des Verbotsgesetzes ein.
Mehr als bedenklich ist auch der Rahmen, in dem Kickl behauptet, Neonazismus sei in Österreich nicht strafbar. Er lies diese mehr als brisante Aussage immerhin in einer parlamentarischen Debatte zu Neonazismus fallen, wo es um ein mögliches Sicherheitsleck durch einen Aktivisten im Umfeld von Neonazi-Kader Gottfried Küssel ging. Kickl kann sich also sicher sein, dass ihm einschlägige Neonazi-Kreise in diesem Moment zuhören. Sie könnten das als Ermunterung verstehen.
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