Pyrotechnik sorgt für beeindruckende Bilder – im Stadion und auf Demos. Verbände und Staat wollen die brennenden Fackeln verbieten. Wie gefährlich sind die Bengalos wirklich?

„Oh Pyrotechnik ist kein Verbrechen! Wir werden dafür kämpfen – und lassen Emotionen freien Lauf!“ Lautstark tönt der Gesang durch das Stadion. Kurz danach folgt ein charakteristisches Knacken. Für Eingeweihte ist spätestens dann klar: In Kürze wird die gesamte Fankurve in Licht und Nebel getaucht sein. Denn das Knacken zeigt: Die Fackeln in den Vereinsfarben wurden entzündet.

Bild: Steve Bidmead

Pyrotechnik spaltet den Fußball. Für die Ultra-Bewegung gehören die „Bengalos“ genauso in jede Fußball-Kurve wie 90-minütiger-Dauersupport, wehende Fahnen und aufwändige Choreografien. Staat und Verbände dagegen wollen Pyro aus den Stadien verdrängen und verhängen immer heftigere Strafen.

Drastische Strafen

Mitte März 2024 traf es den SK Rapid aus Wien: Die Liga verkündete zwei Punkte Abzug für die nächste Saison (der Verein kann noch berufen). Die Strafe setzte es laut Liga für „Verletzung der Sicherheit bei Spielen, missbräuchliche Verwendung von Pyrotechnik und diskriminierende Fan-Sprechchöre„, dazu seien die Ereignisse bereits als „dritter schwerwiegender Vorfall“ klassifiziert worden. Der Verein war bereits im Oktober 2023 vom Senat 1 der Liga wegen missbräuchlicher Verwendung von Pyrotechnik zu einem bedingten Punkteabzug verurteilt worden. Diese Strafe wurde nun schlagend.

Auch bei politischen Demonstrationen wird immer wieder gegen Pyro vorgegangen. Der rechtliche Hintergrund: Bereits die Verwendung von Pyrotechnik der Kategorie F2 ist innerhalb von Menschenansammlungen oder direkt ringsherum verboten. F2, das sind etwa Miniraketen, Feuerwerksraketen, Knallfrösche oder Batteriefeuerwerke. Insgesamt gibt es vier Kategorieren, F1 bis F4. Es gibt zwar auch Bengalos, die nur der niedrigsten Kategorie F1 unterliegen. Doch sehr hell brennende Fackeln können auch F4 sein.

Eine Selbstermächtigung der Fans

Die Bengalos in Fußball-Kurven und auf Demos sorgen verlässlich für beeindruckende Bilder. Im Stadion ist der Rauch auch eine Selbstermächtigung der Fans: Sie können für Spielunterbrechungen sorgen. Der „moderne Fußball“ kann eben doch nicht alles bestimmen. Die „Bürotechnik“, wie Pyro gern verarschend genannt wird, macht einen Strich durch die Rechnung.

Gleichzeitig wissen alle, die schon einmal in einer verrauchten Fankurve gestanden sind: Das ist nicht nur angenehm. Da werden die Schals sofort hochgezogen, um die eigenen Atemwege zu schützen. Nicht umsonst wird der Fangesang zur Pyro auch gern so umgedichtet: „Pyrotechnik ist zum Erbrechen!“ Und vor allem ist da die enorme Hitzeentwicklung.

Wenn Pyro zur Waffe wird

Das Problem: Immer wieder werden die brennheißen Fackeln als Waffe verwendet und in die Sektoren anderer Fans geworfen. Erst jüngst wieder beim großen Wiener Derby zwischen Rapid und der Austria aus Favoriten. Und das ist tatsächlich enorm gefährlich.

Gerade im Fußballstadion, wo die Menschen meist sehr eng nebeneinanderstehen oder -sitzen, ist es oft gar nicht möglich, sofort auszuweichen. Oder die heranfliegende Fackel wird gar nicht wahrgenommen. Doch Bengalos können teils über 2000 Grad heiß werden.

Wie gefährlich ist Pyrotechnik? Das sagt der Gerichtsmediziner

Der Gerichtsmediziner Peter Hofer erklärt: „Bei solchen Temperaturen können innerhalb von Sekundenbruchteilen irreparable Hautschäden entstehen.“ Wenn das Auge getroffen wird, könnten die Betroffenen blind werden.

„Die Folgen eines Treffers können sogar lebensgefährlich sein“, so der Arzt. „Polyester ist brennbar und Plastik schmilzt.“ Das betrifft etwa viele Jacken – und auch Schals und Dressen, die im Stadion gern getragen werden. „Das Plastik verschmilzt dann mit der Haut“, erklärt Hofer. „Das ist unglaublich schmerzhaft.“

Lebensgefährliche Folgen

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Eine diplomierte Krankenpflegerin bestätigt das, aus beruflichen Gründen will sie nicht namentlich genannt werden: „Wir kennen so etwas leider aus der Praxis“, sagt sie. „Die Haare können weg sein, die Hände und das Gesicht können schwer verbrannt werden.“ Und, so Hofer: Vor allem „großflächige Verbrennungen“ wären extrem gefährdend – und sogar potentiell tödlich.

So könne etwa ein toxischer Schock die Folge sein. „Großflächig klingt erst mal nach viel“, sagt Hofer. „Doch wir sprechen da von 10 bis 15 Prozent der Haut.“ Der Arzt bringt einen Vergleich: „Ein Bein wird üblicherweise mit 18 Prozent der Haut angenommen.“ Dazu könnte bei einer großflächigen Verbrennung das gesamte Herz-Kreislauf-System in Schieflage geraten.

Die Sicht der Feuerwehr

Auch aus der Feuerwehr kommt eine deutliche Warnung. Ich habe dazu mit einem Wiener Feuerwehrmann gesprochen, auch er möchte aus beruflichen Gründen nicht namentlich genannt werden. Der Berufsfeuerwehrmann erklärt: „Wenn eine Fackel beispielsweise in eine Kapuze oder ins Genick geworfen wird, kann das für die Betroffenen irreparable Schäden bedeuten.“ Denn, so erklärt der Feuerwehrmann: „Das kannst du nicht einfach ausblasen.“

Pyrotechnik hätte beim Verbrennen eine enorme Druckkraft. Und damit wären die Verletzungen nicht nur oberflächlich. „Das geht bis ins Gewebe und ist lebensgefährlich.“ Auch er weist auf das Problem der brennbaren Kleidung hin: „Da hast du dann brennheißes und schmelzendes Plastik auf der Haut. Das sind furchtbare Schmerzen.“ Doch wie würde ein sachgemäßer Umgang aussehen?

Verantwortungsvoller Umgang

„Wasser hilft überhaupt nicht“, erklärt der Feuerwehrmann. „Bengalos brennen auch unter Wasser weiter, das ist eine Mischung aus Chemie und Metall.“ Das Problem: „Die bekommst du fast nicht gelöscht, weil sie durch den Schwefel und Co. keine Luft brauchen, um zu brennen.“ Eine gute Lösung wären Kübel mit feuchtem Sand. Das würde zumindest helfen. „Zwecks Gefahr und Abkühlung.“

Und genau das machen verantwortungsbewusste Fanszenen im Stadion auch schon seit langer Zeit. Deshalb passiert da übrigens auch kaum jemals etwas. Ganz im Gegensatz übrigens zu den zahlreichen schweren Verletzungen, die es jedes Jahr rund um Sylvester gibt. Zwischen Liga und Vereinen gibt es in Österreich auch immer wieder Vereinbarungen zu Ausnahmegenehmigungen. Da dürfen dann etwa Pyros in der ersten Reihe gezündet werden, die Kübel stehen parat.

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Im Gespräch sind auch Vereinbarungen, dass Pyro nur zu bestimmten Zeiten gezündet wird – etwa vor dem Spiel oder zu Beginn der zweiten Halbzeit. Das Problem für die Fans: Das zerstört die Spontanität, etwa, wenn ein Tor gefeiert werden soll.

Was hat der moderne Fußball damit zu tun?

Der Kampf der Liga gegen Pyro im Stadion hat vordergründig vor allem Sicherheitsaspekte. Doch nicht unterschätzt werden sollte auch die kommerzielle Logik im Hintergrund. Pyro sieht zwar einerseits auf Bildern sehr gut aus. Doch mehrminütige Spielunterbrechungen stören auch die Verwertungslogik des modernen Fußballs. Im Stadion kümmern solche Unterbrechungen zwar real so gut wie niemanden. Die TV-Stationen dagegen mit ihrem engen Zeitraster sind oft weit weniger glücklich. Und die Fernsehübertragungen bringen das Geld.

Eine mögliche Lösung für die Sicherheit, die bereits seit Längerem diskutiert wird, ist sogenannte „Kalte Pyrotechnik“. Die wurde in Dänemark entwickelt und brennt bei nur 200 Grad. Zum Vergleich: Kerzenflammen haben zwischen 600 und 1400 Grad.

Bild: Rolandhino1, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en

Erstmals wurden die kalten Bengalen 2019 bei einem Spiel des dänischen Erstligisten Brøndby IF verwendet. Ein Erfolgsmodell sind sie aber bisher nicht. Fans kritisieren unter anderem die mangelhafte Rauchentwicklung. Es würde sich zweifellos lohnen, in diese Richtung weiter zu forschen.

Wie könnte ein verantwortungsvoller Umgang aussehen?

Pyro gehört für die Ultra-Bewegung einfach dazu. Das muss niemand verstehen, doch es kann auch nicht außer Acht gelassen werden. Und durch die Repression der letzten Jahre wurde Pyro nur noch identitätsstiftender. Gleichzeitig haben die letzten Jahre auch gezeigt, dass Kriminalisierung offensichtlich keine brauchbare und effektive Antwort darstellt. Reichlich schwierig erscheinen auch Kollektivstrafen und Punkteabzüge, falls einzelne Pyro als Waffe missbrauchen.

Es scheint noch nachvollziehbar, wenn es Folgen für eine Kurve hat, falls beispielsweise vom Vorsängerpult diskriminierende Gesänge angestimmt werden oder einschlägige Banner präsentiert werden. Denn da ist tatsächlich die gesamte Szene in der Verantwortung.

Kollektivstrafen sind grundsätzlich fragwürdig – doch da folgen sie zumindest einer bestimmten Logik. Doch wenn eine gesamte Kurve oder ein ganzer Verein bestraft werden, weil einzelne sich falsch verhalten, scheint das doch deutlich überzogen

Gleichzeitig sind hier aber natürlich auch die Fan-Szenen und die führenden Fanclubs der jeweiligen Vereine in der Verantwortung: Wer nicht will, dass Pyro weiter kriminalisiert wird, wird dafür sorgen müssen, dass die Fackeln nicht mehr als Waffe missbraucht werden.

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