Homophobie-Debatten, Pyrotechnik-Verbote und Proteste gegen Investoren: Warum es keinen Fußball ohne Politik gibt.

Es ist eine beliebte Parole im Fußball: „Ultras No Politica“. Übersetzt: Die Ultra-Szene – und letztlich der gesamte Fußball – sollten immer unpolitisch bleiben. Parteipolitik und politische Aktionen hätten in der Kurve nichts verloren, stattdessen solle nur der eigene Verein zählen. Doch geht das überhaupt?

Homophobe und sexistische Parolen von Spielern und einem Trainer des SK Rapid führen im Frühjahr 2024 zu einem Skandal in Fußball-Österreich. Erstmals gab es empfindliche Strafen. Auch ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick reagierte. Die betreffenden Spieler wurden nicht nur nicht einberufen. Der Teamchef gab auch ein sehr klares Statement ab.

Trainer und Spieler gegen Rechts

„Wir werden im Nationalteam keine Diskriminierung und Respektlosigkeit tolerieren. Wir stehen für ein wertschätzendes Miteinander“, so der Teamchef im Standard-Interview. Und der Trainer forderte auch offen zu Aktionen gegen die extreme Rechte auf: „jeder“ könne „in seinem persönlichen Bereich etwas tun“. Denn es sei „gut, dass es Massendemonstrationen gegen rechts gibt, die schweigende Mehrheit nicht mehr länger bereit ist, den Mund zu halten. Wir können nicht sagen, wir sind Sport, wir halten uns komplett aus allem raus. Wir stehen alle in der Verantwortung.“

So klar hatte das im österreichischen Fußball bisher kaum jemand ausgesprochen. Als einer der wenigen hat sich der heutige Austria-Sportdirektor Manuel Ortlechner immer klar deklariert. Bereits 2014 sagte er mir in einem Interview: „Wir müssen gegen die Nazis auftreten, ob am Sportplatz oder außerhalb.“ Und auch zur Homophobie äußerte sich der frühere Austria-Spieler schon damals eindeutig: Es gäbe „ein großes Problem mit homophoben Gesängen“ und „noch sehr viel Aufholbedarf“.

Das Problem geht viel tiefer

Ortlechner spricht hier einen wichtigen Punkt an: Trotz der großen medialen Aufmerksamkeit kratzt die aktuelle Rapid-Debatte letztlich nur an der Oberfläche. Denn die Rapid-Spieler hatten genau jene Parolen angestimmt, die seit Jahr und Tag in der Kurve der Hütteldorfer gesungen werden. Und dieses Problem betrifft keineswegs nur den Anhang von Rapid.

Die homophobe Parole vom „oarschwarmen“ Verein XY zieht sich quer durch viele Vereine des Landes. Für deutsche Leser:innen: „Arschwarm“ ist eine üble homophobe Beschimpfung gegen schwule Männer. Wer solche Parolen brüllt, diskriminiert damit andere Menschen. Und für die Betroffenen ist es völlig egal, ob die Diskriminierung wissentlich passiert oder angeblich „eh nicht so gemeint“ gewesen wäre.

Es ist eine bewusste und politische Entscheidung, homophobe Parolen zu brüllen. Genauso wie es eine bewusste und politische Entscheidung ist, solche Slogans nicht mehr anzustimmen. Das gleiche gilt für sexistische Sprechchöre, die in beiden Wiener Kurven weiterhin gebrüllt werden. Oder für Rassismus und Antisemitismus. Es gibt keine Rangordnung oder Abstufung der Diskriminierung.

„Unpolitisch“ bedeutete: „Nazis raus!“

Auch bei Rapids Lokalrivalen Austria Wien wurden bis vor rund einem Jahr homophobe Parolen vom Vorsängerpult gebrüllt. Das hat die neue Führungsgruppe KAI2000 nun abgestellt. Davor war speziell bei der Austria die Forderung nach einer unpolitischen Kurve immer wieder laut geworden. Es war ein verständlicher Hilferuf.

Denn rund zehn Jahre lang hatten extrem rechte Fankreise rund um die Gruppen „Fanatics“ und „Unsterblich“ die violette Kurve in Geiselhaft genommen. Immer wieder gab es neue Nazi-Skandale, ich habe regelmäßig berichtet. Nun ist die Austria-Szene mit der neuen Führungsgruppe auf einem vielversprechenden Weg.

Davor war der Wunsch der Fans nach einer „unpolitischen Kurve“ nicht nur verständlich, sondern tatsächlich bereits selbst politisch. Denn letztlich hieß das nichts anderes als: „Nazis raus!“

Die aktiven Fanszenen treffen laufend politische Entscheidungen

Probleme mit Rechtsaußen gab es in der Vergangenheit auch in anderen österreichischen Kurven. Etwa beim LASK oder beim GAK. Die Szene des LASK dürfte die Nazi-Problematik inzwischen weitgehend unter Kontrolle gebracht haben.

Nazis zurückzudrängen, sich zu Homophobie und Sexismus positionieren: Das alles sind hochpolitische Entscheidungen. Egal, ob das die jeweilige Szene so sehen will oder nicht.

Links und rechts im Stadion

Auch die Linke ist in Österreich Stadien durchaus präsent. So gelten etwa die Kurven von Sturm Graz oder Wacker Innsbruck als eher linksoffen. Ganz offen links positioniert sind die Kurven der beiden kleineren Wiener Vereine Sportclub und Vienna. Deklarierte Linke gibt es klarerweise ebenso bei Austria und Rapid.

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Auch international gibt es viele Kurven, die politisch eindeutig verortet sind. So ist in Deutschland etwa nicht nur der FC St. Pauli aus Hamburg als klar links bekannt. Auch die Kurven von Bayern München und Werder Bremen präsentieren regelmäßig linke Botschaften. In Frankreich zeigt die Kurve von Olympique Marseille schon mal eine riesige Che Guevara-Choreografie.

Das gleiche gilt für die Kurve von Standard Lüttich aus Belgien. Und in Athen präsentiert die Fanszene von AEK ein riesiges Banner mit der Aufschrift: „AEK ist die Mutter aller Flüchtlinge“.

Problematische Freundschaften

Auf der anderen Seite gibt es international auch eindeutig rechts dominierte Kurven: Besonders berüchtigt ist Lazio Rom, wo sogar der Spieler Paolo Di Canio immer wieder im Stadion öffentlich den Hitlergruß zeigte. Bei Chelsea London und Real Madrid gibt es ebenfalls immer wieder Probleme mit Rechtsaußen. Und dann sind da noch zahlreiche osteuropäische Kurven, die sich ganz offen rechts, faschistisch und antisemitisch präsentieren. Darunter sind übrigens auch zwei Fanszenen, die mit den beiden Wiener Großklubs befreundet sind bzw. waren.

Bei der Austria hielten rechte Kreise über Jahre enge Verbindungen zu den Nazis von Slovan Bratislava sowie dem FC Brno. Beide Freundschaften sind dem Vernehmen nach inzwischen beendet. Bei Rapid gibt es weiterhin freundschaftliche Beziehungen zur einschlägigen Kurve von Ferencváros Budapest.

Weltpolitik im Fußballstadion

Manchmal kommt sogar die Weltpolitik direkt ins Stadion. Das zeigte sich etwa bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2022 an Katar. Die reaktionäre Diktatur wollte und will offensichtlich mit Sportsponsoring von ihren permanenten Menschenrechtsverletzungen ablenken. Während des absurden Baus zahlreicher Stadien in der Wüste sind vermutlich tausende Arbeiter:innen ums Leben gekommen – verlässliche Zahlen gibt es bis heute nicht.

Für die WM in Katar musste sogar der gesamte internationale Spielkalender auf den Kopf gestellt werden. Weil es im Sommer viel zu heiß zum Spielen gewesen wäre. Zahlreiche Fans protestierten mit guten Gründen gegen diese WM der Schande. Die Szene von Rapid etwa präsentierte ein großes Banner mit der Forderung „Boykott Katar 2022“ und zahlreichen aufgemalten Totenköpfen. Eine ebenso nachvollziehbare wie offensichtlich politische Forderung.

Gegen den modernen Fußball!

Und Fußballfans haben noch viele weitere Anliegen und Sorgen. Etwa die Gefahr einer neuen europaweiten Superliga, wo es überhaupt keine Auf- und Absteiger mehr geben könnte. In Österreich und Deutschland der Kampf um die Erhaltung der 50+1-Regel, wonach Investoren keine Mehrheit an einem Verein halten dürfen. Hohe Eintrittspreise, vor allem bei Auswärtsspielen. Anpfiffzeiten, die primär der Logik von TV-Übertragungen folgen. Fußball nur noch im teuren Pay TV.

Und schließlich ist da der repressive Umgang von Staat und Polizei. Ein zentrales Thema ist dabei der Kampf um die Pyrotechnik, die der Ultra-Szene enorm wichtig ist. Wie gefährlich Pyro wirklich ist und was ein vernünftiger Umgang sein könnte, habe ich hier für euch aufgeschrieben.

Der Fußballplatz als Experimentierfeld für Repression

Dazu fällt auf, dass repressive Einschränkungen des Staates gern zuerst an Fußballfans getestet werden. Wenn es dort ohne Widerstand klappt, werden solche Maßnahmen auch für politische Proteste ausgerollt. Das betrifft etwa Meldeauflagen für Fans. Die müssen sich dann während der Spiele ihres Lieblingsvereins vorbeugend bei der örtlichen Polizei einfinden.

In Nordrhein-Westfalen wurde deshalb der Widerstand gegen das neue Polizeigesetz von einem gemeinsamen Bündnis aus linken Organisationen und Fangruppen organisiert. Fans kritisieren all diese Entwicklung unter dem Schlagwort „Gegen den modernen Fußball“. Und ob sie es wollen oder nicht: Dieser Protest ist hochpolitisch.

Wie die Ultra-Bewegung die Politik kopiert hat

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Die wirkmächtigste Fan-Bewegung des Planeten ist heute die Ultra-Bewegung. Während beim sogenannten „britischen Support“ alle mehr oder weniger tun, was sie wollen, folgt Ultra klaren Regeln. Die klassischen Merkmale: 90-minütiger-Dauersupport für die eigene Mannschaft, aufwändige Choreografien, Pyrotechnik, Fahnen, Trommeln. Dazu kommt meist ein Vorsänger mit Megaphon oder Mikro, der die Kurve koordiniert.

Entstanden ist die Bewegung in Italien in den 1950er Jahren – in einem enorm politischen Klima. Viele Elemente der Ultra-Bewegung kommen daher auch direkt aus der Politik: Fahnen, Trommeln, Parolen und auch der sogenannte „Corteo“. Dabei marschieren Fans geschlossen zu einem Auswärtsspiel. Es hat Sicherheitsgründe, ist aber auch ein Signal von Stärke und Zusammenhalt. Der Ablauf: Gleicht einer politischen Demo.

Die Kurven sind schon jetzt politisch

Wenn Fans ihre Stimme gegen Missstände im modernen Fußball erheben, werden sie auch politisch. Was nicht klappen wird: Sich dabei die Rosinen heraus zu picken. So ist der Widerspruch offensichtlich, wenn Kurven einerseits gegen dubiose Turnier-Vergaben oder Polizei-Repression protestieren, bei der Homophobie dann aber auf die angeblich „unpolitische Kurve“ verweisen. Die einzig glaubwürdige Alternative: Überhaupt nie wieder gegen Missstände protestieren. Doch das wiederum stünde im klaren Gegensatz zur Tradition der Ultra-Bewegung.

Es gibt das geflügelte Wort vom „Fußball als Spiegel der Gesellschaft“. Im Stadion würde sich die Gesellschaft abbilden, deshalb wären gesellschaftliche Themen eben auch im Stadion präsent. Darin liegt viel Wahrheit. Mit der wichtigen Einschränkung, dass in den meisten Stadien Männer und Menschen ohne Migrationshintergrund eindeutig überrepräsentiert sind.

Wer schweigt, stimmt zu

Doch im Satz vom Fußball als Spiegel der Gesellschaft verbirgt sich noch eine zweite Wahrheit: Es ist offensichtlich, dass so gut wie alle Menschen von steigenden Preisen für Wohnen, Energie und Lebensmittel betroffen sind. Vollkommen unabhängig davon, ob sie sich für Politik interessieren oder nicht. Die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen fallen, auch wenn diese Menschen sich nicht dazu äußern. Und genauso ist es auch im Fußball.

Auch rund um die Stadien gibt es laufend politische Diskussionen, Entscheidungen und Veränderungen. Wenn sich Fans dazu äußern, beziehen sie politisch Stellung. Doch auch das Schweigen kann bereits enorm politisch sein – etwa, wenn es um menschenverachtende Parolen geht. Denn manchmal ist es eben notwendig, Stellung zu beziehen. Im Fußball genauso wie in der Gesellschaft.

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