Zahlreiche Nazi-Richter und -Staatsanwälte konnten nach 1945 in Österreich einfach weitermachen.
„Durch die Entnazifizierung durchgeschlüpft“ seien nach 1945 in Österreich zahlreiche Richter und Staatsanwälte. Das sagt Andreas Kranebitter vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Die ausschließlich männliche Form ist übrigens bewusst gewählt. Nun soll endlich Licht in dieses braune Dunkel gebracht werden.
Das wurde am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Justizministerium angekündigt. Vorgestellt wurde dabei eine geplante neue Pilotstudie mit dem Titel „Die Beamt:innen des Bundesministeriums für Justiz nach 1945, Kontinuitäten und Brüche.“ Und bereits die ersten Ergebnisse zeigen, wenig überraschend: Da gibt es wesentlich mehr Kontinuitäten als Brüche.
„Halbherzige Entnazifizierung“
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Justizministerin Alma Zadić erzählt Kranebitter etwa vom späteren Richter Viktor Weinzetl. Der wurde 1940 „Parteianwärter“ der NSDAP und brachte es im NS-Regime bis zum ersten Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Wien. Seine Aufgabe unter anderem: Die Rüstungsindustrie mit Häftlingen, also mit Zwangsarbeiter:innen, zu versorgen. Nach 1945 ging seine Karriere dennoch „recht nahtlos“ weiter, so Kranebitter.
Und dieser Nazi-Staatsanwalt ist kein Einzelfall. Akten würden teilweise an „Herrn Karl“ erinnern, sagt Kranebitter. Also an die berühmt-berüchtigte Figur von Helmut Qualtinger und Carl Merz, die zuerst Teil des Nazi-Regimes war. Und 1945 schnellstmöglich bei der US-Armee Unterschlupf gesucht hat.
Es sei zwar 1945 rund ein Drittel aller Beamt:innen entlassen worden, so der Leiter des DÖW. Doch im sogenannten Beamtenüberleitungsgesetz wurde gleichzeitig festgelegt, dass alle Beamt:innen übernommen werden sollten, wenn nicht explizite Gründe dagegen sprechen würden. Was dann laut Kranebitter passierte: Eine „halbherzige Entnazifizierung“.
Zahlreiche Nazis konnten einfach weiter machen
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Ein ganzes Drittel der „Übergeleiteten“ hätte tatsächlich eine Nazi-Vergangenheit gehabt – dennoch konnten sie nach 1945 weiter in der österreichischen Justiz arbeiten und diese teils noch über Jahrzehnte prägen. Eine zweifellos sehr wichtige Rolle spielten dabei übrigens die Netzwerke der Burschenschaften.
Und wenn die Nachkriegsjustiz tatsächlich einmal tätig wurde, dann sehr milde. Im sogenannten Juristenprozess, einem der Nachfolgeprozesse der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, gab es nur sehr milde Verurteilungen – viele kamen überhaupt straffrei davon. Kranebitter sagt, er würde überhaupt nur drei Fälle kennen, wo Verurteilungen nicht nachträglich aufgehoben wurden.
Verantwortung für die eigene Geschichte übernehmen
Justizministerin Zadić spricht bei der Pressekonferenz davon, Verantwortung für die eigene Geschichte zu übernehmen. Denn die Übernahme der Justiz durch die Nazis würde zeigen, „wie schnell aus einem Rechtsstaat ein Unrechtsstaat werden kann“.
Richter und Staatsanwälte hätten der Diktatur den „Stempel der Rechtmäßigkeit“ aufgedrückt, die NS-Justiz hätte damit „eine entscheidende Rolle“ im Nazi-Regime gespielt. Das betont auch Kranebitter: Die mörderische NS-Justiz sei ein „wesentliches Element“ der Nazi-Terrorherrschaft gewesen und hätte das „Grundprinzip des Unrechtsstaates“ verankert. Etwa mit ihren Todesurteilen gegen politische Gegner:innen, „Wehrkraftzersetzer“ oder angebliche „Gewohnheitshäftlinge“.
Der Zukunft des Projekts – und der fehlende Faschismus
Unklar ist allerdings, ob die aktuelle Studie unter einer künftigen Regierung weiter fortgesetzt wird. Die Pilotstudie sei zwar finanziell abgesichert, so Zadić. Doch die danach geplante umfangreiche Studie könne erst in der nächsten Legislaturperiode beauftragt werden. Kranebitter sagt dazu, dass das erste Pilotprojekt eine qualitative Studie wäre, für eine quantitative Studie mit Sichtung aller Akten bräuchte es andere Vorlaufzeiten. Deutschland hat die eigene Justizgeschichte im NS-Regime laut Zadić bereits 2016 umfassend aufgearbeitet. Bedauerlich, dass dieses wichtige Projekt vom Justizministerium erst jetzt begonnen wurde.
In der nun geplanten Aufarbeitung zeigt sich allerdings eine deutliche Leerstelle: Untersucht wird ausschließlich das NS-Regime und damit der Zeitraum ab März 1938. Doch der Justizapparat war bereits vor der Machtübernahme durch die Nazis faschistisch. Immerhin hatten die Austrofaschist:innen bereits ab 1933 die Diktatur in Österreich durchgesetzt. Es steht zu hoffen, dass auch diese Zeit der österreichischen Justizgeschichte bald aufgearbeitet wird. Und dass eine neue Regierung die geplante Studie nicht einfach einstampft. Vor allem FPÖ und ÖVP wäre das zweifellos zuzutrauen.
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