Adolf Eichmann war einer der zentralen Massenmörder des NS-Regimes. Doch was kaum bekannt ist: Eichmann war faktisch Österreicher. Zum Nazi wurde er in Linz.
Was haben Adolf Eichmann, Adolf Hitler und Ernst Kaltenbrunner gemeinsam? Neben dem offensichtlichen Umstand sticht noch etwas ins Auge: Alle drei späteren Nazigrößen gingen in die gleiche Schule. In das Realgymnasium in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz.
Was aus den drei Männern wurde, ist bekannt: Adolf Eichmann, ein zentraler Organisator des Holocaust, wurde am 1. Juni 1962 im Ajalon-Gefängnis südlich von Tel Aviv gehängt. Der Braunauer Adolf Hitler exekutierte sich selbst am 30. April 1945 in Berlin. Und Ernst Kaltenbrunner, geboren im Oktober 1903 in Ried im Innkreis, wurde 1946 in den Nürnberger Prozessen als einer von 24 Hauptkriegsverbrechern des Nazi-Regimes hingerichtet. Doch wie wurden sie zu Nazis?
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Die Lüge vom „ersten Opfer“
In Österreich wurden die „eigenen“ Nazis jahrzehntelang totgeschwiegen. Stattdessen wurden bis vor wenigen Jahren alle Besucher:innen des Konzentrationslager Auschwitz in der österreichischen Ausstellung von einem riesigen Plakat „begrüßt“. Die Aufschrift: „Österreich – Erstes Opfer des Nationalsozialismus“. Es ist die zentrale Lebenslüge der Republik nach 1945.
Denn tatsächlich waren zahlreiche bekannte Nazi-Führer Österreicher. Da ist natürlich zuallererst der Oberösterreicher Adolf Hitler. Er wurde in Braunau am Inn geboren, er ging in Linz und Steyr zur Schule, er wurde in Wien weiter politisch geprägt. Weit weniger bekannt: Auch Adolf Eichmann war faktisch Oberösterreicher.
Nazis wurden sie alle in Linz
Die Schule der drei Nazis in der Linzer Altstadt gibt es übrigens bis heute, inzwischen heißt sie Bundesrealgymnasium Fadingerstraße. Hitler ging noch in das alte Schulgebäude in der Steingasse, Eichmann und Kaltenbrunner besuchten dann bereits die Fadingerstraße.
Es ist ein mächtiger Bau, der zumindest von außen nicht sehr einladend wirkt. Die Fenster im Erdgeschoss sind vergittert, ein Graben trennt die Schule von der Straße. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte diese Schule einen ganz besonderen Ruf: Sie galt als deutschnationale Hochburg. Manche Schüler wurden vermutlich von den Eltern genau deshalb in diese Schule geschickt – auch bei Eichmann junior dürfte die Schulentscheidung sehr bewusst gefallen sein.
Bereits Eichmanns Vater sei ein „strenger Patriarch“ gewesen, der „tief im deutschnationalen und rechtsradikalen Milieu“ verankert gewesen sei, schreibt der oberösterreichische Historiker Roman Sandgruber [€ Paywall]. In der Schule ging die Politisierung dann entsprechend weiter. Dafür bürgte schon die Lehrerschaft: Der erste Direktor der Schule etwa, Eduard Huemer, war auch Hitlers Klassenvorstand und Deutschprofessor – später wurde er auch zum Anhänger des „Führers“. Hitler schildert in „Mein Kampf“, dass er bereits in Linz zum fanatischen Deutschnationalen wurde.
In der Schule wird „Deutschland, Deutschland über alles“ gesungen
Das Realgymnasium in Linz besucht Hitler zwischen 1900 und 1904, Eichmann folgt dann zwischen 1917 und 1921 – er beendet die Schule im gleichen Jahr wie Nazi-Kriegsverbrecher Ernst Kaltenbrunner. Laut Hitler seien in der Linzer Schule die „deutschen“ Farben Schwarz-Rot-Gold präsentiert worden, der „Heilgruß“ sei gezeigt worden und zur Melodie der Kaiserhymne wäre „Deutschland, Deutschland über alles“ gesungen worden. Der „Heilsgruß“ und das „Deutschland-Lied“ sind grundlegende Elemente der späteren Nazi-Propaganda.
In der NS-Propaganda nimmt Oberösterreich dann ebenfalls eine besondere Stellung ein: Es ist immerhin der „Heimatgau des Führers“. Die Landeshauptstadt Linz wird zur „Führerstadt“ aufgewertet, Hitler nennt Linz in seinem Testament im April 1945 dann auch explizit seine „Heimatstadt“. Doch Hitlers Verbundenheit umfasst auch Wien: Den antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger (Christlichsoziale, heute ÖVP) etwa lobt er in „Mein Kampf“ als den „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“. Es gibt keinen Zweifel, dass Hitler Österreicher war. Doch das offizielle Österreich hatte da immer ein Schlupfloch.
Die praktischen Deutschen
Denn mit Beginn des Ersten Weltkriegs übersiedelte Hitler nach Deutschland und erwarb 1932 auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Praktisch für die österreichische Lebenslüge: Damit konnte Hitler für die Welt fälschlich zum Deutschen umgedeutet werden. Und genau das passierte nach 1945 auch mit vielen anderen österreichischen Nazis: Gern wird noch heute der Eindruck erweckt, dass sich all diese Personen einfach irgendwann einer „deutschen“ Partei angeschlossen hätten.
Quasi ein politischer Verkehrsunfall, der nichts mit Österreich zu tun hatte. Doch tatsächlich wurden all diese Personen in Österreich zu Faschist:innen und Antisemit:innen, sie wurden in Österreich zu Nazis. Unter ihnen auch jener Mann, der die gleiche Linzer Schule besuchte wie Hitler: Der Massenmörder Adolf Eichmann.
Die Familie Eichmann kommt nach Linz – und wird österreichisch
Die allerersten Jahre seines Lebens verbringt der 1906 geborene Adolf Eichmann noch in der deutschen Industriestadt Solingen in Nordrhein-Westfalen – formell ist er damit deutscher Staatsbürger. Und so wird dann auch Eichmann bis heute in der Welt gesehen: Als Deutscher. Doch bereits wenige Jahre nach Eichmanns Geburt findet sein Vater Karl Adolf einen neuen Job im damaligen Österreich-Ungarn: Ab 1914 arbeitet er bei der Linzer Straßenbahngesellschaft.
Die Familie begleitet den Vater und übersiedelt ebenfalls in die oberösterreichische Landeshauptstadt. Vater Eichmann wird dann sogar ganz offiziell österreichischer Staatsbürger, ebenso wie die anderen Kinder des Mannes. Doch nachdem der älteste Sohn Adolf zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig ist, bleibt er formell Deutscher. Ein Umstand, der sogar noch beim Prozess gegen den Massenmörder in Jerusalem für Debatten sorgen wird, doch dazu später mehr!
Ein Klima der Hetze
Dass Vater Eichmann gerade in Linz einen Posten bei der Straßenbahn bekommt, ist sicherlich kein Zufall. Die Stadt ist damals deutschnational dominiert, vor allem die Hetze gegen tschechische Bürger:innen der Monarchie ist an der Tagesordnung. Diese antislawische Propaganda ist dabei das klassische Beispiel einer Hetze gegen Minderheiten ohne eine Minderheit.
Denn der deutsche Historiker Peter Longerich weist darauf hin, dass 1910 in ganz Oberösterreich gerade einmal knapp 2000 Menschen aus dem tschechisch-slowakischen Sprachraum leben – ein Bevölkerungsanteil von lächerlichen rund 0,2 %. Doch das kümmert die Rassist:innen wenig.
Vom Antisemitismus über die Nazis bis zur FPÖ
Dazu werden in vielen Linzer Vereinen auch „Arierparagrafen“ eingeführt, Jüdinnen und Juden werden von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Im Linzer Gemeinderat stellt die damalige deutschnationale Mehrheit unter Bürgermeister Franz Dinghofer sogar wiederholt klar, dass ausschließlich „Deutsche“ für städtische Posten in Frage kommen sollten. Im damaligen Sprachgebrauch sind damit nicht-jüdische Menschen mit deutscher Muttersprache gemeint. Diese deutschnationale Stimmung wird wohl auch für die Jobaussichten von Eichmann senior in Linz von Vorteil gewesen sein.
Der deutschnationale Bürgermeister Dinghofer wird in der Ersten Republik als Mitbegründer der „Großdeutschen Volkspartei“ dann sogar Justizminister und Vizekanzler. 1940 tritt Dinghofer schließlich der NSDAP bei – seine „Großdeutschen“ waren schon lange davor in der Nazi-Partei aufgegangen. Ein eigenes „Dinghofer-Institut“ gibt es in Österreich übrigens bis heute. Es steht, erraten, der FPÖ nahe.
Präsident ist der FPÖ-Abgeordnete Martin Graf, er ist gleichzeitig „Alter Herr“ der einschlägig berüchtigten Wiener Burschenschaft Olympia. Bei einem „Dinghofer-Symposium“ im November 2023 im österreichischen Parlament sprechen unter anderem FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sowie der ehemalige FPÖ-Obmann Norbert Hofer.
Die Familie Eichmann profitiert vom Deutschnationalismus
Doch zurück nach Linz! Bald wird Eichmann senior sogar stellvertretender Direktor der Linzer Straßenbahngesellschaft. Dazu wird er auch Aufsichtsrat der oberösterreichischen Elektro-Baugesellschaft, wie die Linzer Tagespost im Mai 1924 vermerkt. Doch privat gibt es einen Einschnitt: Bereits zwei Jahre nach der Übersiedlung nach Oberösterreich stirbt seine Frau Maria, also Adolfs Eichmanns leibliche Mutter.
Eichmann senior heiratet bald danach ein zweites Mal: Im August 1918 vermählt er sich mit Maria Zawrzel, sie wird die neue Stiefmutter des damals 12-jährigen Adolf Eichmann. Über Zawrzel ist in den Quellen kaum etwas zu finden. Doch in einem Eintrag der „Deutschen Biografie“ habe ich einen sehr interessanten Hinweis gefunden: Eichmanns neue Stiefmutter ist Wienerin. In den wenigen anderen Quellen wird das nicht erwähnt.
Eichmanns neue Wiener Stiefmutter
Mehrmals ist dagegen die Rede davon, dass Zawrzel überzeugte Protestantin gewesen wäre. Auch Eichmanns Vater ist Protestant. Und das könnte politisch relevant sein. Denn besonders viele Protestant:innen in Österreich sind damals deutschnational – sie sehen das als Gegensatz zum katholischen Herrscherhaus Habsburg. Historisch geht diese Tradition zurück bis auf die Bauernkriege, wo die katholische Gegenreformation mit Feuer und Schwert gegen die rebellischen Bäuer:innen wütete, die sich dem Protestantismus zugewendet hatten. Doch es gibt noch eine zweite Komponente.
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts treten in der „Los von Rom“-Bewegung viele Deutschnationale in Österreich von der katholischen Kirche zum Protestantismus über, sie wollen ein „Deutsch-Christentum“. Spätestens in den 1930er Jahren sind viele protestantische Pfarren in Österreich dann real gleichzeitig Zellen der NSDAP – der Protestantismus gilt als „Nazikirche“. Auch das könnte also eine Quelle der Politisierung für den jungen Adolf Eichmann gewesen sein.
Der braune Matura-Jahrgang
Es ist also ein deutschnationales, antislawisches, antisemitisches und protestantisches Milieu, in dem der junge Adolf Eichmann in Linz aufwächst. Und dort formt er auch seine politischen Gedanken. Eichmann beendet seine Schullaufbahn im Jahr 1921 ohne Abschluss, im gleichen Jahr macht Ernst Kaltenbrunner an der Schule die Matura. Im Maturajahrgang 1921 sind laut Historiker Sandgruber noch weitere Figuren, die später eine wichtige Rolle im NS-Regime spielen werden.
Da ist etwa Karl Zechenter, der letzte Leiter der Wiener Kriminalpolizei im NS-Regime. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Wien wird er in Linz noch der letzte Chef der Linzer Gestapo. Für seine weitere Karriere ist das kein Problem: Er wird in der Zweiten Republik zuerst Chef der Linzer Kriminalpolizei und ab 1966 sogar Sicherheitsdirektor von Oberösterreich. Da zählte offenbar die Arbeitserfahrung.
Ebenfalls im Maturajahrgang 1921: Der Nazi-Topjurist Walter Kastner, er wird später für das NS-Regime zahlreiche Arisierungen abwickeln. Auch er kann nach dem Zweiten Weltkrieg seine Karriere als Jurist und Universitätsprofessor ungebrochen fortsetzen. Bei seiner Ansprache zum 50-jährigen Maturajubiläum an 25. Juni 1971 wird Kastner übrigens ernsthaft behaupten: „Aber wir dürfen ehrlich sagen, jeder hat etwas Tüchtiges geleistet, wir können mit uns zufrieden sein.“
Eichmann wird in Oberösterreich politisch aktiv
Bald wird der junge Adolf Eichmann auch politisch aktiv. Über den Prozess gegen den Nazi-Mörder hat Hannah Arendt ihr berühmtes Buch „Eichmann in Jerusalem“ geschrieben. Es enthält auch einige interessante biografische Informationen über den Oberösterreicher: Bereits als Kind wird er Mitglied im „Wandervogel“ – einer „bündischen“ Jugendorganisation, deren österreichischer Ableger eine eindeutige politische Schlagseite hat.
Denn der österreichische Wandelvogel verbietet bereits 1913 den Beitritt für „Slaven“, „Welschen“ (also Italiener:innen und Französ:innen) sowie Jüdinnen und Juden. Und noch während seiner Schulzeit, also irgendwann vor 1921, tritt Eichmann dann der Jugendsektion des „Frontkämpferverbands“ bei. Er ist damit endgültig im Faschismus angekommen.
Gegründet wird der Frontkämpferverband unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1918. Ursprünglich unter dem Namen „Bund für Ordnung und Wirtschaftsschutz“ – es ist eine reaktionäre Truppe, die einen Gegenpol zur revolutionären Stimmung in großen Teilen der österreichischen Bevölkerung bilden soll. Auch mit Waffengewalt und „weißem Terror“.
Eichmann und die seltsamen Mützen
Die politischen Ziele der rechten Paramilitärs sind eindeutig: Sie wollen eine „Vereinigung aller arischen Frontkämpfer“ schaffen. Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten dürfen der Organisation nicht beitreten. Bei ihrer Generalversammlung im Juni 1920 gelingt es den Frontkämpfern, immerhin 60.000 Sympathisant:innen zu einer Großkundgebung auf dem Wiener Rathausplatz zu versammeln. Anschließend folgt der organisatorische Aufbau in Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark.
Die Organisation, bekannt für ihre seltsamen Mützen, übernimmt nun Ordnungsdienste für rechte Parteien, hält Waffenübungen ab und überfällt linke Veranstaltungen. Sehr schnell werden auch Kontakte zu den Nazis geknüpft. Führer der Truppe ist der ehemalige k.u.k. Oberst Hermann Ritter von Hiltl, der sich 1929 auch mit Hitler persönlich treffen wird. Die Frontkämpfer werden danach eine der zahlreichen faschistischen Organisationen in Österreich, die in der NSDAP aufgehen.
Die Frontkämpfer morden in Schattendorf
Eichmann tritt den Frontkämpfern laut seinem handgeschriebenen Lebenslauf irgendwann im Jahr 1927 bei, nachdem er zuvor ja schon in der Jugendorganisation der Paramilitärs aktiv gewesen war. Und gerade in diesem Jahr werden die Frontkämpfer eine enorm wichtige Rolle für die weitere politische Entwicklung in Österreich spielen: Als am 30. Jänner 1927 im burgenländischen Schattendorf eine sozialdemokratische Veranstaltung angekündigt ist, versammeln sich auch die lokalen Frontkämpfer. Aus einem Gasthaus schießen sie dann auf sozialdemokratische Schutzbündler.
Der Bauarbeiter Matthias Csmarits wird von einem Kopfschuss getroffen, er ist sofort tot. Er war Schwerinvalide, hatte im Weltkrieg ein Auge verloren und ist Vater eines vierjährigen Kindes, wie der Journalist Hugo Portisch in seinem Buch „Österreich I“ notiert. Das zweite Todesopfer ist der achtjährige Bub Josef Grössing, Kind einer Eisenbahnerfamilie aus Schattendorf.
Der Justizpalast brennt!
Nachdem die Täter im Juli 1927 in Wien freigesprochen werden, brechen Unruhen aus. In Wien treten die Arbeiter:innen des E-Werks in den Streik, sie geben damit das Zeichen zum Generalstreik. Vor dem Justizpalast neben der Wiener Ringstraße beginnen Kämpfe mit der Polizei. Die Polizei reitet bewaffnete Kavallerieattacken gegen die Demonstrant:innen und schießt in die Menge. 84 Demonstrant:innen und fünf Polizisten sterben, der Justizpalast brennt. Die Polizei steht dabei unter dem Befehl von Polizeipräsident Johann Schober – einem deutschnationalen Burschenschafter und zweimaligen Bundeskanzler der ersten Republik.
Doch die sozialdemokratische Führung setzt dem Morden durch die Polizei nichts entgegen – obwohl sie mit dem Schutzbund über eine damals noch gut bewaffnete militärische Formation verfügt. Der Juli 1927 wird damit ein wichtiger Zwischenschritt zum Faschismus in Österreich. Eichmann erlebt all das als Aktivist der faschistischen Frontkämpfer. In Österreich zieht er seine politischen Schlüsse aus dem Sieg der Reaktion und dem Zurückweichen der Arbeiter:innenbewegung
Eichmann tritt der NSDAP und der SS
Beruflich baut sich Eichmann in dieser Zeit langsam eine Karriere auf. Zuerst arbeitet er für die österreichische „Elektrobau“, ab 1927 wird er Repräsentant der US-amerikanischen „Vacuum Oil Company“ für Oberösterreich. Zuerst lebt er weiter bei seinen Eltern in Linz, doch dann wird er gegen seinen Willen nach Salzburg versetzt. Und auch politisch verändert er nun seinen Schwerpunkt. Auf Einladung seines alten Schulfreundes Ernst Kaltenbrunner, damals ein junger Anwalt in Linz, wird er 1932 Mitglied der NSDAP und der SS.
Das kommt nicht zufällig: Laut Hannah Arendt sind bereits die Väter der beiden Männer gut miteinander befreundet. Kaltenbrunner wird später als Chef des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin einer der wichtigsten Täter des NS-Regimes.
Der SS-Brigadegeneral gründet die FPÖ
Doch zuvor wird Kaltenbrunner noch der persönliche Sekretär von Anton Reinthaller. Dieser Mann, ebenfalls Oberösterreicher, war der erste Vorsitzende der antisemitischen Landbund-Partei gewesen, bevor er zu den Nazis übertritt. Dort macht er ebenfalls schnell Karriere: Reinthaller wird SS-Brigadegeneral und sogar Unterstaatssekretär in Berlin. Formell ist er damit in Berlin der ranghöchste österreichische Nazi nach Hitler. Mit Reinthaller sind wir übrigens auch schon mitten in der österreichischen Geschichte der Gegenwart.
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Denn nach 1945 wird SS-Brigadegeneral Reinthaller der erste Parteiobmann der FPÖ. Gegründet wurde die Partei übrigens am Küchentisch der Eltern des späteren FPÖ-Chefs Jörg Haider im oberösterreichischen Bad Goisern. So zumindest beschreibt es Haiders Mutter Dorothea in ihren Erinnerungen – sie und ihr Mann Robert waren ebenfalls NS-Funktionär:innen gewesen. Es ist sehr gut möglich, dass sich Reinthaller und Eichmann auch persönlich kannten. Immerhin waren beide führende Nazis aus Oberösterreich, die zeitweise in Berlin stationiert waren.
Eichmanns Aufstieg in der Nazi-Hierarchie
Doch im Juni 1933 folgt für die österreichischen Nazis erst mal ein Einschnitt: Die Austrofaschist:innen verbieten die faschistische Konkurrenzpartei NSDAP. Eichmann übersiedelt bald danach nach Bayern – ob das allerdings politisch motiviert war, ist unklar. Denn im bayerischen Passau, also direkt an der österreichischen Grenze, arbeitet Eichmann erstmal als Vertreter. Doch dann bekommt er den Vorschlag für ein militärisches Training bei der SS.
Eichmann stimmt zu und wird Mitglied der paramilitärischen Nazi-Formation „Österreichische Legion“. Doch der militärische Drill nervt ihn, wie er später notieren wird. Also meldet er sich freiwillig zum Sicherheitsdienst (SD) in Berlin, dem Geheimdienst der SS. Sein oberster Vorgesetzter: Der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler. Kurz davor hatten die Nazis in Deutschland mit parlamentarischer Unterstützung der konservativen Parteien die Macht übernommen.
Görings Arsch und die strahlende Freude
Eichmann ist damit bereits im Zentrum der Macht angekommen. In seinen Aufzeichnungen wird er später schreiben: „An einen anderen prominenten Besuch entsinne ich mich noch; es war der Reichsmarschall Goering. Ebenfalls geführt von Himmler oder Heydrich. Erst saß er mit einer Gesäßhälfte auf einem Eck meines Schreibtisches, sodann legte er seine Zigarre in meinen Aschenbecher und begab sich auf den Stuhl hinter dem Tisch, nahm den Hammer und schlug einige Male laut und mächtig damit auf den Tisch. Er war fröhlicher Laune, und seine hohe Umgebung strahlte ebenfalls nur Freude und Sonnenschein aus.“
In der SD-Zentrale in Berlin trifft Eichmann auch andere Österreicher, wie er schreibt: „Meinen damaligen Chef, SS-Stubaf. [Anm: Sturmbannführer] Brand, sah ich einige Jahre später, anlässlich des Besuches des Reichssicherheitshauptamtes (…) wieder. Er war inzwischen zum Polizeipräsidenten von Graz bestallt, sowie der ehemalige Gauleiter von Oberösterreich, (Andreas) Bolek, Polizeipräsident von Magdeburg wurde.“
Eine altösterreichische Ehe
Auch privat gibt es Veränderungen bei Eichmann: 1935 heiratet er in Passau, seine Frau wird Veronika Katharina Liebl, eine sogenannte „Altösterreicherin“. Geboren wurde sie 1909 in Mladé bei Budweis/České Budějovice, das damals Teil der k. und k. Monarchie war. Mit ihr wird Eichmann später auch in Argentinien leben.
Aus der Ehe stammen vier Kinder, deren Geburtssorte gleichzeitig wichtige Stationen im Leben des Mörders zeigen: Klaus wird 1936 in Berlin geboren, Horst Adolf 1940 in Wien, Dieter Helmut 1942 in Prag und Ricardo Francisco schließlich 1955 im argentinischen Buenos Aires.
Eichmann ist einer der Verantwortlichen für die Novemberpogrome in Wien
Nachdem die Nazis schließlich im März 1938 auch in Österreich die Macht übernehmen, schickt Berlin verlässliche einheimische Nazis zum Aufbau der neuen „Ostmark“. Einer von ihnen ist Adolf Eichmann, er wird SD-Führer beim SS-„Oberabschnitt Donau“, also dem Gebiet des ehemaligen Österreichs. Während des Novemberpogroms 1938 kommandiert er dann in Wien bereits eine eigene Zerstörungseinheit.
Benjamin Murmelstein, damals Rabbiner und Funktionär der Israelitischen Kultusgemeinde, berichtet im sehenswerten Film „Der Letzte der Ungerechten“ von Claude Lanzmann über seine Begegnungen mit Eichmann. Über den November 1938 erzählt Murmelstein: „Ich habe Eichmann gesehen am 10. November [1938]. Er ist in mein Büro eingebrochen mit dem Revolver in der Hand. (…) [Ich] wurde schon auf der Straße verhaftet und in den Tempel Seitenstettengasse [in der Wiener Innenstadt] geführt, wo ich eine Truppe vorfand, die mit einem Eifer dabei war, alles zu zerstören.
Mit Hämmern und Äxten haben sie auf die Einrichtungsgegenstände losgeschlagen. Und kommandiert das Ganze hat gerade Herr Eichmann. Er war dort. (…) Das war SS-Verfügungstruppe. (…) Mit einem Schlageisen hat er zerhaut die Einrichtungsgegenstände im Tempel, Eichmann selbst.“ Der Tempel in der Wiener Seitenstettengasse war und ist die Zentrale der Kultusgemeinde. Dorthin schickte die SS-Führung naturgemäß nur einen besonders verlässlichen Nazi mit guten Kenntnissen der örtlichen Lage – wie Adolf Eichmann einer war.
Die erste Deportation beginnt in Wien
Nach dem Novemberpogrom organisiert Eichmann in Wien dann die organisierte Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Er wird Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, einer Dienststelle der SS. „Die erste Deportation von Juden in der Geschichte der Shoah geht von Österreich aus. In Berlin laufen die Transporte erst zwei Jahre später an“, heißt es in der sehenswerten Arte-Doku „Nazis, Made in Austria“.
Die „Umsiedlungsaktion nach Polen“ beginnt im Oktober 1939 mit einem Transport von 1000 „arbeitsfähigen“ Juden vom damaligen Aspangbahnhof in Wien-Landstraße. Das zeigt ein Akt, der in der Doku präsentiert wird. Und auch österreichische Roma und Sinti werden offenbar ab 1939 vom Aspangbahnhof aus in den Tod geschickt. Sie sollen „in Sonderwaggon“ deportiert werden. Ein Aktenvermerk zeigt: Empfänger der Information ist Adolf Eichmann.
An der Gedenkstätte am ehemaligen Aspangbahnhof werden die Roma und Sinti übrigens bis heute nicht erwähnt. Dieses Schweigen über den „Porajmos“, das Verschlingen – wie die Vernichtung der Roma im Holocaust heißt – zeigt sich beim Gedenken an den Holocaust immer wieder. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer wenigen überlebenden Nachfahren. (Hier habe ich für euch Bilder der Gedenkstätte Aspangbahnhof veröffentlicht).
Ein Massenmörder aus dem Burgenland kommt ungestraft davon
Eichmanns engster Mitarbeiter in der Zentralstelle ist übrigens ebenfalls ein Österreicher: Alois Brunner, geboren in Rohrbrunn/Nádkút im damals zur ungarischen k. und k. Reichshälfte gehörenden Burgenland. Ab 1941 wird Brunner dann selbst zum Leiter der „Zentralstelle“, bis Wien schließlich offiziell „judenfrei“ ist. Das bedeutet: Die jüdische Bevölkerung war entweder vertrieben oder in die Vernichtungslager der Nazis geschickt worden.
Der Burgenländer Brunner wird für seine Massenmorde nie zur Verantwortung gezogen werden. Nach dem Krieg versteckt er sich zuerst in Oberösterreich und dann in Deutschland. Später flüchtet er nach Syrien, wo er vermutlich irgendwann zwischen 2001 und 2010 stirbt. Brunner hatte auch noch von Syrien aus beste Kontakte in die deutschsprachige Naziszene. Und auch der deutsche Verfassungsschutz weiß bereits im Jahr 1960, wo sich Brunner aufhält. Das zeigen Akten, die der Geheimdienst 2022 nach einer Anfrage veröffentlichen musste.
Ein Auslieferungsersuchen wird dennoch nicht gestellt. Stattdessen sei Brunner laut einer Aktennotiz „aufgrund seiner Tätigkeit für den [syrischen] Geheimdienst auch mit Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes in Verbindung“. Voll Bedauern heißt es im Akt zu diesen Mitarbeitern übrigens wörtlich: „Dabei handele es sich vorwiegend um jüngere Leute, die nicht mehr die Erfahrung des alten Wehrmachtnachrichtendienstes besäßen.“
Eichmann und die „Endlösung der Judenfrage“
Eichmanns brutale Maßnahmen in Wien bleiben bei der NS-Spitze nicht unbemerkt. Bald wird er nach Prag und später nach Berlin geschickt, um dort die „Wiener Erfolge“ zu wiederholen. Doch dann ändern die Nazis ihre Politik. Jüdinnen und Juden sollen nun nicht mehr zur Vertreibung gezwungen werden, jetzt sollen sie ermordet werden. Und Eichmann wird als Leiter des Referats IV B 4 in Reichssicherheitshauptamt zum zentralen Organisator der Shoah. Was er umsetzen soll: Die „Endlösung der Judenfrage“.
Eichmann ist auch einer der Teilnehmer der berüchtigten Berliner Wannseekonferenz im Jänner 1942. Insgesamt 15 hochrangige Nazis organisieren dort die Shoah, Eichmann ist für das Protokoll zuständig. Ein weiterer Teilnehmer der Vernichtungskonferenz stammt übrigens ebenfalls aus Österreich: Der Innsbrucker SS-General Otto Hofmann. Auch ihm passiert nach dem Zweiten Weltkrieg verhältnismäßig wenig: 1948 wird er zwar zu 25 Jahren Haft verurteilt, doch bereits 1954 begnadigt.
Die österreichischen Eichmann-Männer organisieren die Shoah
Schnell wird Eichmanns Referat als „Eichmannreferat“ oder „Judenreferat“ berüchtigt. In seiner Berliner Dienststelle versammelt er nun zahlreiche „verlässliche“ Ostmärker, die bereits in der Wiener „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ ihr blutiges Werk verrichtet hatten. Sie gelten als die „Eichmann-Männer“. Jetzt organisieren sie den millionenfachen Massenmord. Im Klartext: Es sind zu einem guten Teil und an führenden Stellen Österreicher:innen, die die Shoah planen und umsetzen.
Unter ihnen ist etwa SS-Hauptsturmführer Franz Novak aus Wolfsberg in Kärnten. Novak ist für die Deportation und die anschließende Ermordung von hunderttausenden Menschen im KZ Auschwitz verantwortlich. Oder SS-Obersturmführer Franz Stuschka, geboren 1910 im heutigen Wiener Bezirk Liesing. Stuschka übernimmt bald eine leitende Funktion im Getto Theresienstadt und gilt dort als besonders brutaler Sadist. Ein weiterer Wiener Eichmann-Mann, SS-Oberscharführer Alfred Slawik, folgt seinem Chef nicht in die Berliner Zentrale. Er organisiert stattdessen die Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden aus der Slowakei, Griechenland und Ungarn.
„Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof“
Dennoch passiert den drei österreichischen Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg relativ wenig. Der Liesinger Franz Stuschka muss nach einer Verurteilung im Dezember 1949 in Wien gerade einmal für sieben Jahre ins Gefängnis. Der Wiener Alfred Slawik wird nach nur vier Jahren Haft im Mai 1950 aus dem Gefängnis entlassen. Und der Kärntner Franz Novak muss sich überhaupt erst sehr spät verantworten. In seinem ersten Prozess im Jahr 1964 in Wien hatte sich Novak noch mit den Worten verteidigt: „Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof“.
Erst 1972 wird Novak zu sieben Jahren Haft verurteilt. Doch nicht etwa wegen Mordes: Davon wird der frühere SS-Hauptsturmführer in Wien freigesprochen, wie der Historiker Stephan D. Yada-Mc Neal für seine Studie „Heim ins Reich – Hitlers wichtigste Österreicher“ recherchiert hat. Sondern nach einem Paragrafen, der es unter Strafe stellt, die Unversehrtheit von Passagieren bei einem Eisenbahntransport vorsätzlich zu gefährden. Doch sogar diese Strafe wird ihm im Gnadenweg vom damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger (SPÖ) erlassen.
Der Kärntner SS-Massenmörder war damit gerade einmal fünf Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal berechnet später, dass Novak für jedes einzelne Opfer, das er nach Auschwitz zur Ermordung gebracht hatte, nur 3 Minuten und 20 Sekunden Haftzeit verbüßen musste.
Am Ende des Krieges taucht Eichmann in Österreich unter
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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs will Eichmann zunächst in Österreich untertauchen: In Altaussee im steirischen Salzkammergut. Auch das zeigt, wo sich Eichmann zu Hause fühlte. An seiner Seite: Mehrere österreichische Kameraden – unter ihnen die bereits genannten Alfred Slawik und Franz Novak. Dazu kommen weitere Österreicher, etwa der niederösterreichische SS-Obersturmführer Anton Burger, erst Mitarbeiter in der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien, dann Lagerkommandant im Getto Theresienstadt. Oder der Wiener SS-Untersturmführer Richard Hartenberger, Mitarbeiter im „Eichmannreferat“.
„Anfang Mai 1945 versteckten sie dort Kisten unbekannten Inhalts – wahrscheinlich Raubgold und andere Vermögenswerte –, und tauchten unter“, schreibt Historiker Yada-Mc Neal. Eichmann selbst kann sich nach einer kurzen Inhaftierung, wo er unerkannt bleibt, nach Deutschland absetzen. Schließlich aber scheint ihm die Lage in Österreich und Deutschland doch zu unsicher. Der Nazi-Massenmörder setzt sich über Südtirol nach Argentinien ab.
Die Rattenlinie der katholischen Kirche
Organisiert wird Eichmanns Flucht nach Argentinien über die sogenannte „Rattenlinie“ der katholischen Kirche. Sie unterstützt hochrangige Nazis, die dann in Südamerika untertauchen können. Federführend dabei ist der Grazer Bischof Alois Hudal, der eine wichtige Position im Vatikan hat.
Bereits in der ersten Republik war Hudal Mitglied des in Wien gegründeten antisemitischen Geheimbundes „Deutsche Gemeinschaft“ geworden war. In diesem Geheimbund trafen sich zahlreiche spätere Nazis und Austrofaschist:innen, die Folgen zeigen sich bis heute. Hier findet ihr meine Recherche über die Nazi-Wurzeln der ÖVP.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt sich der Grazer Bischof dann für hohe NS-Funktionäre und Kriegsverbrecher ein, um sie „mit falschen Ausweispapieren ihren Peinigern durch Flucht in glückliche Länder“ zu entreißen, wie Hudal selbst später schreibt. Auch Adolf Eichmann kann so mit dem Decknamen Riccardo Klement nach Argentinien flüchten. Aus Dank über die Fluchthilfe des Vatikans tritt der Protestant Eichmann laut „Deutsche Welle“ sogar in die katholische Kirche über.
Deutschland und Österreich haben kein Interesse an Eichmann
Erst 1960 wird Eichmann schließlich in Argentinien geschnappt. Nicht aber von den Behörden, sondern von einer Gruppe des israelischen Geheimdienstes Mossad. Sie nimmt Eichmann konspirativ gefangen nimmt und bringt ihn nach Israel. Die deutschen und österreichischen Behörden zeigen davor wenig Interesse am Fall Eichmann.
Der deutsche Generalstaatsanwaltschaft Fritz Bauer sagt damals über die Atmosphäre für einen Antifaschisten in der damaligen Justiz: „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“ Bauer hatte sich vergeblich darum bemüht, Eichmann in Deutschland vor Gericht zu bringen. Denn eigentlich war dessen Aufenthaltsort den deutschen Behörden wohl bereits seit 1952 bekannt gewesen.
Braune Kontinuitäten
Doch der deutsche Nachkriegsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND), ist damals ein Sammelbecken ehemaliger SS-, Gestapo und Wehrmachtsmänner. Da gibt es also sicherlich ideologische Übereinstimmungen. Dazu hätte der hochrangige Nazi Eichmann wohl auch viele der Männer wiedererkannt.
Der deutsche Generalstaatsanwalt gibt also stattdessen dem Mossad den wohl entscheidenden Tipp. Dass Eichmann letztlich in Israel und nicht in Deutschland vor Gericht gestellt wurde, nennt Bauer im Film “ Der Staat gegen Fritz Bauer“ seine „größte Niederlage“.
Parallel dazu hatte auch Nazijäger Wiesenthal nach Eichmann gesucht. In seinem Bericht über diese Jagd aus dem Jahr 1967 beschreibt er die Suche nach Eichmann als „langes, ermüdende Geduldsspiel“, das ihn schließlich auf Eichmanns Fährte in Buenos Aires führt.
Österreich und Deutschland streiten um Eichmanns Staatsbürgerschaft
Als der Prozess gegen Eichmann schließlich im April 1961 in Jerusalem beginnt, sorgt das auch in Österreich und Deutschland für Unruhe. Denn nun streiten die beiden Länder, welche Staatsbürgerschaft der Nazi denn hätte.
Zu Beginn des Prozesses ist für die breitere Öffentlichkeit noch recht eindeutig, dass Eichmann als Österreicher zu sehen wäre. Das zeigen zeitgenössische Medienberichte. Zitiert wird etwa der Vorsitzende des Gerichts. Der hätte darauf hingewiesen, „dass Eichmann 1933 in die Österreichische Legion in Deutschland eintrat, in der damals die Nationalsozialisten österreichischer Nationalität zusammengefasst worden seien“. Auch Hannah Arendt notiert: Durch seine Mitgliedschaft in der Legion wäre Eichmann „trotz seines deutschen Passes gewissermaßen ein Österreicher“ geworden.
Eichmanns Sprache verrät den Österreicher
Das offizielle Österreich aber ist rund um den Prozess peinlich bemüht, Eichmann zum Deutschen zu erklären. Der damalige österreichische Botschafter in Israel, Ernst Luegmayr, gibt sogar eigens eine Pressekonferenz. Dort verliest er dann eine Note des österreichischen Innenministeriums, wonach Eichmann „nie in seinem Leben österreichischer Staatsbürger“ gewesen wäre.
Formal ist das wohl richtig, doch gleichzeitig ist es ein sehr billiger Trick. Deutschland dagegen stellt sich laut Hannah Arendt auf dem ebenfalls falschen Standpunkt, dass Eichmann kein deutscher Staatsbürger gewesen wäre. Und so wird die heiße Kartoffel herumgeschoben.
Seine Sprache aber hätte Eichmanns Herkunft ohnehin jederzeit verraten. Mit einem „zarten österreichischen Akzent“ habe er gesprochen, notierte Eike Frenzel einmal im „Spiegel“. Auch Videos des Eichmann-Prozesses zeigen: Der Nazi-Massenmörder sprach mit unverkennbar österreichischer Klangfärbung. Übrigens genauso wie Hitler, wie auf den heimlich aufgenommenen Mannerheim-Bändern zu hören ist, den einzig bekannten Aufnahmen von Hitlers „normaler“ Stimme.
Eichmann war einer von vielen
Das NS-Regime war vor allem auch ein österreichisches Regime. Sogar der „Führer“ selbst war Österreicher, unter ihm dienten hunderttausende weitere österreichische Nazis. Dennoch existiert bis heute die Lebenslüge der Zweiten Republik, die vor allem „die Deutschen“ für das NS-Regime verantwortlich machen will. Genau deshalb wurde nach 1945 auch die Idee einer eigenständigen österreichischen Nation geboren. Es war die Flucht vor der Verantwortung.
Und genau deshalb weiß heute auch kaum jemand, dass der Massenmörder Adolf Eichmann tatsächlich in Österreich zum Nazi wurde. Dass er faktisch Österreicher war. Weil darüber kaum noch gesprochen wird. Doch die – auch in diesem Artikel immer wieder auftauchenden – Nachwirkungen auf die FPÖ zeigen: Das ist alles noch nicht so lange her. Und es gilt weiterhin der sehr kluge Satz: „Wer nicht aus den Fehlern der Geschichte lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.“
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