Ich hatte aufgedeckt, dass geflüchtete Menschen in Österreich zwangsweise per Video überwacht werden. Jetzt kritisiert die Volksanwaltschaft das Innenministerium. Die ebenfalls verantwortliche Stadt Wien widerspricht sich selbst.

  • Von Michael Bonvalot, Mitarbeit und Übersetzungen: Viktoria Kowalenko

„Erniedrigend.“ So beschreibt Tatjana Bondarenko* die regelmäßigen Videokontrollen in ihrer Wiener Unterkunft. „Alle drei Tage gibt es diese Anwesenheitskontrollen“, erzählt die 64-jährige Ärztin. „Es fühlt sich an wie ein Hausarrest.“

Vor zwei Jahren musste Bondarenko gemeinsam mit ihrem Ehemann Olexandr*, einem pensionierten Wissenschaftler, aus dem Osten der Ukraine flüchten. Die russischen Truppen waren immer näher gerückt. Für diesen Artikel wurden Namen und persönliche Informationen verändert, Betroffene haben Angst, ihren Wohnplatz zu verlieren. Ich kenne die echte Identität aller genannten Personen.

Sogar der Hintergrund muss gut erkennbar sein

Jetzt leben die Ärztin und ihr Mann in Wien in einer sogenannten “mobil betreuten Wohnung”, im Amtsdeutsch MoBeWo. Doch dort gibt es absurde Kontrollen. Zu einem jeweils vorgegebenen Zeitpunkt muss das Ehepaar Bondarenko im Wohnraum sitzen. Und dann wird im Auftrag des stadteigenen „Fonds Soziales Wien“ geprüft, ob die beiden auch wirklich in der Wohnung sind.

Bild: Gregden

„Sogar der Hintergrund muss für das Video gut erkennbar sein“, erzählt Tatjana Bondarenko. Und das Ehepaar ist kein Einzelfall, es gibt tausende Betroffene. Wer die Kontrollen nicht akzeptiert, dem droht der Wohnungsverlust. Erlaubt sind in diesem Zeitraum damit weder soziale Aktivitäten außer Haus noch Ausflüge mit Kindern. Auch Besuche bei Partner:innen, Freund:innen oder Familienangehörigen sind nicht gestattet.

Nicht einmal Arbeitsplatz oder Ausbildungen zählen

Besonders absurd: Nicht einmal ein Arbeitsplatz wird in den Richtlinien, die mir vorliegen, als „akzeptierte Abwesenheit“ aufgeführt. Geflüchtete Menschen aus der Ukraine gelten als „Vertriebene“, sie dürfen damit – im Gegensatz zu Asylwerber:innen – in Österreich regulär arbeiten. Doch die Verpflichtung zur Anwesenheitskontrolle in der Wohnung kann für die Betroffenen am Arbeitsplatz naturgemäß enorme Probleme bringen.

Die Vorgaben des FSW

Apropos Job: Auch Bewerbungsgespräche sind keine “akzeptierte Abwesenheit”. Was dem FSW offenbar ebenso egal ist: Ein Studium oder sonstige Ausbildungen. Auch die werden nicht in der Liste der “akzeptierten Abwesenheiten” geführt. Nicht einmal notwendige Termine beim Arzt oder im Spital gelten, außer wenn sie „dringend“ und „akut“ sind.

Keine Möglichkeit, den Partner, Vater oder Sohn zu treffen

Dazu kommt: Männer zwischen 18 und 60 dürfen die Ukraine derzeit nicht verlassen. Für viele geflüchtete Menschen gibt es damit nur eine Möglichkeit, ihre männlichen Partner, Söhne, Väter oder Verwandten zu sehen: Sie treffen sich im äußersten Westen der Ukraine, meistens in Lwiw (Lemberg). Schon von Wien aus dauert das mit dem Zug rund 14 Stunden, von Innsbruck wären es bereits über 20 Stunden. In eine Richtung. Das kann sich in dieser Zeit nicht ausgehen.

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Mir gegenüber sagt der FSW zuerst, dass es möglich wäre “sich für Urlaube in Österreich oder im Ausland beim Stützpunkt abzumelden”. Doch hier verbirgt sich wohl eine Falle: Denn in einem weiteren Mail schränkt FSW-Sprecherin Katharina Ebhart-Kubicek ein: Im Falle einer Ausreise erfolge “grundsätzlich die Abmeldung”. Nach der Rückkehr könnten die Menschen dann einen neuen Antrag stellen. So steht es auch in den internen Vorgaben: “Es besteht kein Recht darauf, den verlassenen Wohnplatz wieder zu beziehen.” Und das bedeutet im Klartext: Die Menschen können aus ihrer Wohnung fliegen.

Unmenschlich und sinnlos

Umgesetzt werden die Kontrollen von den sogenannten Trägerorganisationen. Das kann beispielsweise die SPÖ-nahe Volkshilfe sein, die katholische Caritas oder die Diakonie der evangelischen Kirche. Überwacht wird dabei sowohl in den mobil betreuten Wohnungen wie in den Großquartieren. Oft täglich. Oder im MoBeWo mindestens alle 72 Stunden. Ich habe für diese Recherche auch mit vielen Verantwortlichen von Trägerorganisationen gesprochen.

Die Innenstadt von Lwiw/Lemberg vor dem Krieg. Bild: Michael Bonvalot

Off Records heißt es durchgehend, dass diese Regelung völlig unmenschlich wäre und dazu sinnlos enorme Ressourcen verschwenden würde. Eine Mitarbeiterin der Volkshilfe, die anonym bleiben möchte, sagt: “Es gibt keinerlei rechtsstaatliches Verfahren, ich halte das für skandalös.” Namentlich will sich niemand so scharf äußern, zu groß ist die Angst vor Bestrafungen und Kürzungen.

„Im Gesetz steht dazu nichts“

Es ist eine besonders absurde Geschichte, die mich schon länger beschäftigt. Bereits im März hatte ich erstmals ausführlich darüber berichtet, hier könnt ihr meine Recherche dazu lesen. Was mir damals aufgefallen war: Ich konnte nirgends eine gesetzliche Regelung für diese massenhafte Überwachung finden. Damit habe ich das Innenministerium, den FSW und die Träger konfrontiert. Bis der FSW schließlich bestätigen musste: “Im Gesetz steht dazu nichts”.

Doch FSW-Sprecherin Ebhart-Kubicek behauptet gleichzeitig, es würde sich um eine „Vorgabe“ des Innenministeriums handeln. Genauso steht es übrigens auch in den internen Vorgaben des FSW, der den Trägern ausgehändigt wird und die mir vorliegen. Die Videoüberwachung der Menschen im 72-Stunden-Takt sei “notwendig”, es sei eine “verrechnungssrelevante Vorgabe” des Innenministeriums.

Doch das Innenministerium stellt das ganz anders dar. Bezüglich der “Regelmäßigkeit der Überprüfung” würden von Bundesseite “keine Vorgaben erteilt”, so Ministeriumssprecher Harald Noschiel. Ebenso gebe es seitens des Ministeriums “keine Vorgaben” zur Länge der Abwesenheit sowie den Entschuldigungsgründen. Das alles widerspricht offensichtlich den Aussagen des FSW.

Volksanwaltschaft kritisiert die Antworten des Innenministeriums

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Von der gesetzlich nicht gedeckten Überwachung war nicht nur ich überrascht: Auch die Volksanwaltschaft war offensichtlich sehr verwundert. Denn dort hatte ich schon für meinen ersten Artikel um ein Statement gebeten. Als Reaktion kündigte die staatliche Kontrollbehörde eine offizielle Anfrage bei Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) an. Und nun ist die Antwort des Innenministeriums eingetroffen. Bei der Volksanwaltschaft dürfte diese allerdings nicht für Zufriedenheit gesorgt haben.

Bild: Michael Bonvalot

Denn laut Volksanwaltschafts-Sprecher Christian Schmied mache die Stellungnahme des Ministeriums es „erforderlich, eine neuerliche Anfrage mit dem Ersuchen um Präzisierung der Antwort umzustellen“. Im Klartext: Die erste Antwort war offensichtlich nicht ausreichend. Eine Person, die mit solchen Vorgehensweisen vertraut ist, sagt unter Zusicherung der Anonymität, dass solche Nachbesserungsaufträge eine scharfe Kritik an der Auskunftsbereitschaft des Ministeriums wären.

Welche Stellungnahme das Innenministerium abgegeben hat, will es übrigens nicht sagen. Die Beantwortung wäre „ausschließlich an die Volksanwaltschaft adressiert“, so Ministeriumssprecherin Kerstin Mitterhuber auf meine Anfrage.

Die Stadt Wien druckst herum … und schweigt

Auffallend ist aber auch die Vorgehensweise der Stadt Wien. Für diesen Artikel habe ich das Büro des zuständigen Stadtrats Peter Hacker (SPÖ) angefragt. Bereits in meiner Anfrage habe ich darauf verwiesen, dass es laut FSW keine gesetzliche Grundlage für die Überwachungen gibt und dazu auch die entsprechenden Aussagen des Innenministeriums zitiert (und in weiterer Folge als Screenshot übermittelt). Dazu habe ich um ein Statement zur Prüfung durch die Volksanwaltschaft gebeten.

In einem ersten Statement schrieb mir Stadtrats-Sprecher Mario Dujaković, dass es eine Videoüberwachung gar nicht gäbe. Das sei nur eine freiwillige Möglichkeit. Wer die Kontrolle per Videotelefonat nicht wolle, könne die Kontrollen „persönlich abwickeln“. Dass das allerdings sogar noch aufwendiger wäre, ist offensichtlich. Weiters behauptet auch Dujaković, dass es sich bei den Kontrollen um eine „Vorgabe seitens des BMI“ handeln würde, die „niemandem in Wien einfach so eingefallen“ wäre.

Bild: Michael Bonvalot

Es folgte die logische Nachfrage meinerseits: Die Darstellungen von Innenministerium und Stadt Wien widersprechen sich offensichtlich diametral – jede Behörde schiebt der anderen den schwarzen Peter zu. Stimmen kann aber nur eine Darstellung. Außerdem bitte ich um Übermittlung der angeblich vorhandenen Vorgaben des Innenministeriums. Dazu kommt dann seitens der Stadt trotz wiederholter Nachfrage keine Antwort mehr. Ebenfalls keine Antwort kommt auf meine Frage, was die Stadt Wien zur Prüfung durch die Volksanwaltschaft sagt.

Die Stadt Wien gibt schließlich die eigene Verantwortung zu

Der stadteigene FSW eiert zuerst ebenfalls herum. Zur Sicherheit hatte ich bereits in meiner Anfrage darauf hingewiesen, dass das Innenministerium nach eigenen Angaben keine Vorgaben für die Häufigkeit der Videokontrollen macht. Dennoch behauptet eine FSW-Sprecherin in einer ersten Antwort erneut, dass „eine Überprüfung der Anwesenheit alle 72 Stunden“ vom Innenministerium „vorgegeben“ sei. Erst als Reaktion auf meine Nachfragen rudert der FSW auf einmal zurück.

Nun schreibt mir eine Sprecherin, dass es eigentlich doch „keine allgemeine Vorgabe des Bundes“ gäbe, in welchem Ausmaß die Anwesenheit der geflüchteten Menschen zu überwachen wären. Tatsächlich würde das der FSW aus den „Grundlagen zur Verrechnung zwischen Bund und Ländern“ selbst ableiten. Im Klartext: Laut FSW zwingt niemand die Stadt Wien dazu, Flüchtlinge in diesem Ausmaß zu überwachen. Es ist die Verantwortung der Wiener SPÖ-Regierung. Für dieses Eingeständnis des FSW waren übrigens insgesamt zehn Mails mit Nachfragen seit Dezember 2023 notwendig.

Sie würden gerne ihre Tochter wiedersehen!

Diese Videoüberwachung ist nicht einfach nur ein bürokratischer Formalakt. Sie hat für die Betroffenen unmittelbare und oft sehr schwerwiegende Folgen. Tatjana und Olexandr Bondarenko etwa haben eine Tochter, die bereits Jahren in Großbritannien lebt und dort knapp über die Runden kommt. Tatjana und Olexandr würden sie sehr gerne endlich einmal wieder treffen, den Flug hätte die Tochter bezahlt.

Deshalb hätten die beiden bei der Einrichtung angefragt, wo sie wohnen: Ob es möglich wäre, dass sie für eine Woche ihre Tochter besuchen? “Uns wurde gesagt, dass das nicht möglich ist”, sagt Tatjana. “Wir dürften in keinem Fall länger als drei Tage wegbleiben.” Warum Tatjana und Olexandr nicht mehr hilfsbedürftig sein sollen und ihnen der Wohnungsverlust droht, weil sie gerne ihre Tochter sehen wollen? Das kann ihnen niemand erklären.

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