Mit einem Kanzler Kickl droht ein Generalangriff auf den Sozialstaat, auf Menschenrechte und auf die Demokratie. Warum Putin lacht. Was heute anders ist als vor Ibiza. Warum diese Regierung lange im Amt bleiben könnte. Und woran Blau-Schwarz scheitern könnte.

„Sie werden sich wundern, was alles gehen wird“ – mit diesen berühmt gewordenen Worten drohte 2016 der damalige FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer bei einer Diskussion im ORF. Nun werden wir sehen, „was alles gehen wird“.

Sozialstaat, Minderheiten, Medien

Es drohen massive Angriffe auf den Sozialstaat, auf Pensionen und auf das Gesundheitssystem. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden massiv attackiert werden. Vor allem bedroht sind Menschen mit Migrationsbiografie und geflüchtete Menschen. Hier werden FPÖ und ÖVP sich zweifellos immer neue Gemeinheiten ausdenken. Gefährdet sind damit unter anderem auch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, Syrien oder Afghanistan. Doch auch Frauen (Abtreibung!) und Menschen aus der LGBTI+-Community (Trans*rechte!) müssen besorgt sein.

Und schließlich droht ein Generalangriff auf demokratische Errungenschaften. Vor allem wird die FPÖ versuchen, den ORF und möglichst viele weitere Medien unter ihre Kontrolle zu bekommen. Damit sie dann ihre Propaganda ungestört über möglichst viele Kanäle verbreiten kann.

Die Pensionen sind in Gefahr

Die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos sind offensichtlich vor allem an der sozialen Frage gescheitert. Massive Einsparungen wurden debattiert – doch die Frage war, wo gekürzt werden solle. Ausschließlich bei der breiten Masse der Bevölkerung, oder auch bei Unternehmen, Banken und Konzernen.

Nun wäre bereits zu hinterfragen, ob dieser Sparkurs tatsächlich notwendig wäre. Länder wie die USA oder Japan haben traditionell ein weit höheres Budgetdefizit und überleben dennoch sehr gut. Doch offensichtlich wollten ÖVP und Neos das Budgetdefizit vor allem zu einem Generalangriff auf Gehälter im öffentlichen Dienst und auf die Pensionen nützen.

Doch für die meisten Menschen bedeutet ein späterer Pensionsantritt nicht, dass sie tatsächlich länger arbeiten. Sondern, dass sie vor der Pension länger arbeitslos sind. Und das wiederum bedeutet für die betroffenen Menschen enorme finanzielle Verluste: So wird beispielsweise die Pension 14-mal im Jahr ausgezahlt, das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe dagegen nur 12-mal jährlich.

Eine existenzielle Bedrohung für ältere Menschen

Bereits die schwarz-blaue Regierung zwischen 2017 und 2019 wollte dazu die Notstandshilfe abschaffen. Nur Ibiza hat das vermutlich verhindert. Wer länger arbeitslos gewesen wäre, hätte damit direkt in die Mindestsicherung wechseln müssen.

Doch in der Mindestsicherung sind nur geringe Ersparnisse erlaubt. Real würde im Zusammenspiel ein späterer Pensionsantritt also bedeuten: Menschen werden beispielsweise mit Anfang 60 arbeitslos. Dann müssen sie mehrere Jahre in die Mindestsicherung – dort verlieren sie die gesamten Ersparnisse ihres Lebens, bevor sie endlich in die Pension gehen dürfen.

Angriffe auf die Gesundheitsversorgung und die Arbeitszeit

Aktuell wissen wir natürlich nicht, welche konkreten Kürzungen FPÖ und ÖVP vereinbaren werden. Doch es hilft ein Blick in die Vergangenheit: Zur ersten schwarz-blauen Regierung ab dem Jahr 2000 sowie zum letzten schwarz-blauen Experiment zwischen 2017 und 2019.

Wir können an dieser Stelle natürlich nicht diese gesamten Regierungszeiten aufarbeiten. Daher nur zwei Beispiele: Unter Schwarz-Blau I wurde 2001 eine sogenannte Ambulanzgebühr eingeführt. Jeder Besuch in einem Spital ohne ärztliche Überweisung kostete ab da 250 Schilling, mit ärztliche Überweisung 150 Schilling. Erst 2003 wurde die Ambulanzgebühr als verfassungswidrig wieder abgeschafft. Inflationsbereinigt wären die damaligen 250 Schilling heute knapp 33 Euro. Für jeden Besuch in einem Spital.

Unter Schwarz-Blau II folgte dann ein massiver Angriff auf die Arbeitszeit: Die tägliche Höchstarbeitszeit wurde auf 12 Stunden hinaufgeschnalzt, die wöchentliche Arbeitszeit auf 60 Stunden. Damit fallen für Arbeitszeiten bis zu 12 Stunden auch keine Überstunden mehr an. Ein enormes Geschenk für Unternehmen, ein enormer Angriff auf arbeitende Menschen.

Wladimir Putin lacht

Über eine blau-schwarze Regierung wäre vermutlich auch der Kriegsverbrecher Wladimir Putin äußerst erfreut. In der Vergangenheit brauchte der Kreml noch eine Spionage-Zelle mit blauen Kontakten im österreichischen Geheimdienst. Nun könnten die Vereinbarungen gleich direkt zwischen dem österreichischen Kanzler Kickl und dem russischen Diktator Putin getroffen werden.

Zur Erinnerung: die FPÖ und die Putin-Partei „Einiges Russland“ hatten 2016 einen offiziellen Freundschaftsvertrag geschlossen. Den Vertrag will die FPÖ bis heute nicht offenlegen. Die frühere FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl lebt inzwischen in Russland und tritt als Propagandisten des Kremls auf. Die FPÖ an der Regierung wird auch auf ihre engen Verbindungen zu Ungarns Premier Viktor Orbán zurückgreifen, einem Verbündeten des Kremls.

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Schon seit der EU-Wahl 2024 bilden FPÖ und die Orbán-Partei FIDESZ auch im EU-Parlament eine gemeinsame Fraktion. Ungarn zeigt gleichzeitig, welche Belohnungen es für die Unterstützung Putins in Kriegszeiten gibt: China investiert massiv in die ungarische Wirtschaft (sowohl der Batteriehersteller CATL wie der Autokonzern BYD bauen aktuell riesige Werke in Ungarn). Und damit wird Ungarn noch mehr in den russisch-chinesischen Block integriert. Interessant wird gleichzeitig, wie viele dieser bitteren Pillen die ÖVP zu schlucken bereit ist.

Warum diese rechte Regierung lange im Amt bleiben könnte

Als die FPÖ im Dezember 2017 als Junior-Partnerin der ÖVP an die Regierung kam, ging ich davon aus, dass diese Regierung gute zehn Jahre halten würde. Ein Irrtum – nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos sprengte sich die schwarz-blaue Regierung bereits im Mai 2019 selbst in der Luft.

Die ÖVP entschied sich danach für eine Koalition mit den Grünen – die gaben es vermutlich billiger als die Sozialdemokratie, die FPÖ galt kurzfristig als unmöglich, mit dem Neos hätte es keine Mehrheit gegeben. Doch nun ist die FPÖ für die ÖVP offensichtlich wieder salonfähig geworden. Doch warum dachte ich 2017, dass diese schwarz-blaue Regierung so lange halten könne?

Weil es eine strukturelle rechte Mehrheit in Österreich gibt. Seit 1986 haben ÖVP und FPÖ (bzw. deren Spaltprodukte) bei jeder Nationalratswahl gemeinsam die absolute Mehrheit. Sogar bei der Nationalratswahl im September 2019, also knapp nach Ibiza, erhielten ÖVP und FPÖ gemeinsam weiterhin 53,6 Prozent der Stimmen.

Anderen soll es schlechter gehen

Warum diese rechte Mehrheit so stabil ist? Weil viele rechte Wähler:innen realistisch gar nicht mehr erwarten, dass es ihnen selbst oder ihren Kindern sozial besser geht. Sie wollen vor allem, dass es anderen schlechter geht – vor allem Menschen mit Migrationsbiografie soll es treffen.

Und da haben FPÖ und ÖVP mit zahlreichen Maßnahmen geliefert. Teils sogar verfassungswidrig, wie die Kürzungen bei der Familienbeihilfe. Und nun sitzt in der FPÖ nicht mehr der erratische Heinz-Christian Strache am Ruder, sondern Herbert Kickl, der weitaus berechnender und ideologischer vorgeht.

Was heute anders ist als vor Ibiza  – und warum die FPÖ von der Weltlage massiv profitiert

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Denn die Welt hat sich gedreht. Als die FPÖ im Dezember 2017 als Junior-Partnerin der ÖVP an die Regierung kam, waren die Voraussetzungen für die FPÖ noch deutlich schlechter:

  • Der älter werdende Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache stand im Schatten des jungen rechten ÖVP-Shootingstars Sebastian Kurz.
  • Die FPÖ war nur Juniorpartnerin, noch am ehesten konnte sich der heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl als Innenminister profilieren.
  • Der Ibiza-Skandal zeigte, wie unberechenbar und potentiell parteischädlich Strache oft agierte. Kickl gilt als wesentlich konsequenter und zielgerichteter.
  • Die FPÖ war 2017 auf die Teilnahme an der Regierung nicht gut vorbereitet, teils wurden hoch erratische Figuren wie Sozialministerin Beate Hartinger-Klein nach oben gespült.
  • Es gab global wesentlich weniger Erfahrungen und Verbündete für die Regierungsübernahme durch eine extrem rechte Partei, auf die die FPÖ in ihrem rechten Netzwerk zurückgreifen konnte.
  • Es gab noch keine Pandemie, die insgesamt zu einem enormen Aufschwung von Verschwörungserzählungen geführt hat: „Wahlbetrug“, wenn die eigenen Kandidat:innen nicht gewinnen, Leugnung der Klimakrise, Angriffe auf Windräder, vermeintlich dunkle Mächte, … die Liste ist endlos fortsetzbar.
  • Es gab noch keinen russischen Krieg gegen die Ukraine, der zu einer globalen Neuordnung und Polarisierung geführt hat (samt Russland-freundlichen Politiker:innen in vielen EU-Staaten und umfangreichen chinesischen Investitionen, etwa in Ungarn).
  • Trump war in den USA zwar bereits erstmals Präsident, doch auch dessen erste Amtszeit war enorm erratisch. Die neuerliche Machtübernahme von Trump wurde nun von rechten Kreisen akribisch vorbereitet, die FPÖ hat das in den vergangenen Jahren sehr genau beobachtet. Der informelle FPÖ-Außenminister und EU-Abgeordnete Harald Vilimsky und weitere hochrangige FPÖ-Politiker:innen waren in den vergangenen Jahren immer wieder in den USA.
  • Es gibt mittlerweile ein zunehmendes Verständnis in extrem rechten Kreisen, dass sie an die Regierung gekommen sind, um zu bleiben. Sowohl Trump in den USA wie Bolsonaro in Brasilien versuchten gar, ihre Macht mit einem Putsch zu halten. In Ungarn hält sich Orbán mit immer neuen Tricks an der Macht. Jüngst etwa wurde eine Wahlrechtsreform beschlossen, wonach das oppositionelle regierte Budapest zwei Abgeordnete verliert. Die zwei Mandate wurden stattdessen der rechts dominierten Region rund um die ungarische Hauptstadt zugeschlagen.
Ein böses Erwachen

Die Zeichen für die Rechten in Österreich stehen aktuell gut. Und im Umkehrschluss bedeutet das: Sie stehen richtig schlecht für alle, die die extreme Rechte nicht an der Macht sehen wollen. Doch diese Regierung muss nach ihrer eigenen Logik massive soziale Angriffe umsetzen.

Ideologisch wäre das für beide Parteien kein Problem: ÖVP und FPÖ sind eindeutig neoliberal. Ihre Ideologie ist auf einer Linie mit der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer. Doch vor allem die FPÖ hat ein Problem: Viele ihrer Wähler:innen wissen das nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Für diese Wähler:innen könnte es jetzt ein böses Erwachen geben.

Ist das alles unausweichlich?

Wenn es auf einmal nicht mehr „die Ausländer“ betrifft, sondern die eigenen Pensionen und die eigene Gesundheitsversorgung. Dann hört das rassistische Schenkelklopfen vermutlich schnell auf. Häme ist allerdings nicht angebracht: Diese sozialen Verschlechterungen treffen nicht nur die Wähler:innen von FPÖ und ÖVP, sondern alle Menschen im Land.

Doch viele Menschen diesem Land werden über die Maßnahmen der neuen Regierung auch enorm wütend sein. Welche Angriffe die blau-schwarze Regierung also tatsächlich umsetzen kann und wie stabil diese Regierung wird, das wird auch an den Menschen in Österreich liegen.

Denn es gab noch niemals ein Ende der Geschichte. Und das gilt auch für Österreich im Jahr 2025.

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