Im Februar 1934 kämpften in Österreich tausende Arbeiter:innen gegen den Faschismus. Sie haben verloren. Wie konnte es dazu kommen? Und was können wir für heute daraus lernen?
Am 12. Februar 1934 sprechen schließlich die Waffen. Richard Bernaschek, der oberösterreichische Landesparteisekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP, heute SPÖ), teilt der Parteiführung in Wien am Tag zuvor mit: Ein weiteres Zurückweichen würde nicht mehr in Frage kommen.
Bernaschek schreibt: „Wenn morgen, Montag, in einer oberösterreichischen Stadt mit einer Waffensuche begonnen wird oder wenn Vertrauensmänner der Partei beziehungsweise des Schutzbundes verhaftet werden sollten, wird gewaltsamer Widerstand geleistet und in Fortsetzung dieses Widerstandes zum Angriff übergegangen werden … Wir erwarten, dass auf unsere telephonische Mitteilung nach Wien … Du der Wiener Arbeiterschaft und darüber hinaus der gesamten Arbeiterschaft das Zeichen zum Losschlagen gibst … Wenn die Wiener Arbeiterschaft uns im Stiche lässt, Schmach und Schande über sie …“
„Schwer erkrankt“
Die Antwort der Wiener Parteiführung rund um Otto Bauer ist eindeutig: „Ernst und Otto schwer erkrankt. Unternehmung aufschieben.“ (Es gibt mehrere leicht voneinander abweichende Versionen dieses Textes.). Die Parteiführung will keinen Aufstand. Doch diesmal können Bauer, Karl Renner und die anderen sogenannten „Austromarxisten“ die oppositionellen Teile der Partei, des Schutzbundes und der Arbeiter:innenschaft nicht mehr zurückhalten. Als die Nachricht über den Beginn der Kampfhandlungen in Linz sich im Land verbreitet, beginnen an vielen Orten unkoordinierte Kampfhandlungen.
Gekämpft wird vor allem in Wien, Oberösterreich und den obersteirischen Industriegebieten. Doch ein koordinierter Angriff vor allem auf die Regierungszentren sowie die – für die Propaganda enorm wichtige – Radiozentrale in der Wiener Innenstadt unterbleibt. Dabei wäre ein solcher Angriff am Vormittag des 12. Februar wohl noch möglich gewesen. Stattdessen verschanzen sich die Kämpfer:innen passiv in Gemeindebauten und Arbeiter:innenheimen. Damit ist es den Einheiten der Regierung möglich, jeweils Truppen heranzuführen und danach die Stellungen der Arbeiter:innen eine nach der anderen einzunehmen.
Die Kämpfer:innen dagegen bleiben meist passiv und statisch, es gibt keinen zentralen Plan, keine Befehle. In Wien wird nicht einmal in allen Bezirken gekämpft: Die kampfbereiten Arbeiter:innen wissen oft einfach nicht, wo die Waffen versteckt sind. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Allein in den Tagen vor dem 12. Februar hatte die Regierung rund 200 Schutzbündler verhaftet, viele von ihnen waren verantwortlich für die Waffenverstecke. Es hätte eigentlich ein letztes Warnsignal sein müssen. Und dann gibt es auch offenen Verrat.
Chaos und Verrat
In einem zeitgenössischen Bericht wird etwa beschrieben, wie Arbeiter:innen in der Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz im Hof verzweifelt nach Waffen gegraben hätten. Es ist ein enorm bedeutender Gemeindebau: Es ist der zweitgrößte Bau des „Roten Wiens“ (der größte ist Sandleiten in Ottakring). Vor allem aber hätte von dieser Anlage an der Donau aus die strategisch enorm wichtige Floridsdorfer Brücke kontrolliert werden können. Der regionale Schutzbund-Verantwortliche soll sich zuvor freiwillig der Polizei gestellt haben.
In Oberösterreich werden die Waffen in verschiedenen Städten aufgenommen, etwa in Linz, Steyr, im „roten Ebensee“ oder im Hausruck-Kohlenrevier – auch bekannt als die „Rote Bergarbeiterrepublik“. In der Steiermark gibt es Kämpfe in Graz und an vielen Orten der Obersteiermark, etwa in Bruck an der Mur, Kapfenberg, Judenburg, Zeltweg, Fohnsdorf oder Leoben.
Die Faschist:innen hatten sich vorbereitet
In anderen Bundesländern wird nur vereinzelt gekämpft. Niederösterreich fällt fast kampflos in die Hände der Faschist:innen, verantwortlich dafür sind nicht zuletzt die zahllosen Verhaftungen in den Monaten zuvor. Auch die Eisenbahnen streiken nicht, nachdem 1933 ein großer Streik verloren ging. Das ist entscheidend. Denn damit ist es der Regierung möglich, Truppen durch Niederösterreich nach Wien zu bringen.
Einzelne Stellungen in Salzburg und Tirol können schnell vom Bundesheer und der faschistischen Heimwehr besiegt werden. In Kärnten und Vorarlberg erklärt die dortige sozialdemokratische Parteiführung gegenüber der Regierung, dass sie mit den Kämpfen nichts zu tun haben wolle. Der sozialdemokratische Landeshauptmannstellvertreter Matthias Zeinitzer und der Bürgermeister von Klagenfurt, Franz Pichler-Mandorf, treten sofort aus der Partei aus. Für Pichler-Mandorf macht sich das bezahlt: 1935 wird er „Oberbaurat“ im faschistischen Verkehrsministerium.
Der 12. Februar war letztlich ein zufälliges Datum – es hätte auch der 10. oder der 14. Februar sein können. Doch dass in diesen Wochen eine Entscheidung fallen würde, hatte sich abgezeichnet. Die Faschist:innen hatten sich Schritt für Schritt darauf vorbereitet. Bereits Anfang März 1933 lässt der christlich-soziale Regierungschef Engelbert Dollfuß mit einem Putsch das Parlament auflösen. Seine Partei, die heutige ÖVP, regiert ab diesem Zeitpunkt autoritär.
Und dieser Zeitpunkt ist kein Zufall: Im Jänner 1933 hatten die Nazis in Deutschland die Macht übernommen, am 5. März 1933 finden in Deutschland Pseudo-Wahlen statt. Aus der Arbeiter:innenbewegung gibt es keinen organisierten, bewaffneten Widerstand. Österreichs Faschist:innen beobachten das sehr genau.
Der Völkerbund-Mann will den Faschismus
Auch die wirtschaftliche Lage spielt eine wichtige Rolle. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise in Österreich war 1931 die CA zusammengekracht, die damals größte österreichische Bank. Weitere Banken waren in schwerer Schieflage. Die rechte Regierung versuchte, die Bank zu retten und internationale Kredite zu bedienen, statt die sozialen Nöte der Bevölkerung zu lindern.
Mitte 1932 folgen dann finanzielle Zusagen für Österreich bei der Völkerbundtagung in Lausanne (der Völkerbund hatte viele Ähnlichkeiten mit der UNO). Dafür verpflichtet sich Österreich zu weiterem Sozialabbau – es erinnert nicht zufällig an heutige Programm des „Internationalen Währungsfonds“ oder der EU-Troika in Griechenland.
Zur Aufsicht entsendet der Völkerbund den Niederländer Meinoud Rost van Tonningen. Der bleibt bis 1936 in dieser Funktion – danach wird er ein zentraler Kader der niederländischen Nazi-Bewegung. Unter der Nazi-Besatzung ist Rost van Tonningen dann Leiter des niederländischen Finanzsektors.
Der Völkerbund-Mann sieht in Österreich – in Übereinstimmung mit den Christlichsozialen – ein zentrales Hindernis bei der Umsetzung der wirtschaftsliberalen Kürzungspläne: Die Arbeiter:innenbewegung. Die ist 1932 zwar bereits in der Defensive, aber noch nicht geschlagen. In seinem Tagebuch notiert er: „Zusammen mit dem Kanzler [Dollfuß] und [Nationalbankpräsident] Kienböck haben wir die Ausschaltung des Parlaments für notwendig gehalten, da dieses Parlament die Rekonstruktionsarbeit sabotierte.“
Der Christlichsoziale Viktor Kienböck, den Rost van Tonningen hier erwähnt, ist ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt: Er war in den 1920ern Finanzminister, später ist er Mitglied im austrofaschistischen Staatsrat. Von 1952 bis 1956 wird er auf einem Ticket der ÖVP dann nochmals Vizepräsident der Nationalbank.
Österreich brauche – so Rost van Tonningen in seinem Tagebuch – ein neues „Regime“: „Nach meiner Vorstellung sollte das ein faschistisches Regime sein.“ Die Vorstellungen des niederländischen Nazis treffen sich damit hervorragend mit den Zielen der Austrofaschist:innen. Und im März 1933 ist es dann soweit: Die Christlichsozialen führen ihren Parlamentsputsch durch.
Der Putsch als „Erheiterung“?
Die sozialdemokratische Führung hat nach dem Putsch eine völlig falsche Einschätzung der Lage, die Arbeiterzeitung schreibt gar von „Erheiterung in diesen ernsten Zeiten“. Paula Wallisch, Frau des später hingerichteten steirischen Februarkämpfers Koloman Wallisch, schildert die Lage weit realistischer: Die kampfbereiten Arbeiter:innen und Schutzbündler hätten fast gemeutert, als der Befehl kam, nicht zur Offensive überzugehen: „Enttäuscht und entmutigt zogen sich die Schutzbündler zurück.“
Die Kampfbedingungen wären dabei nicht völlig aussichtslos gewesen: Eine noch eher vorhandene Kampfbereitschaft in der Arbeiter:innenbewegung, der Schutzbund noch weitgehend intakt und bewaffnet, die für Streiks wichtigen Eisenbahner:innen noch nicht geschlagen, der faschistische Militärapparat noch nicht voll ausgebaut.
Ein erfolgreicher Aufstand 1933 hätte dabei auch über Österreich hinaus enorme Bedeutung haben können: Das NS-Regime in Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig stabilisiert. Ein erfolgreicher Aufstand in Österreich hätte damit auch ein Fanal für Deutschland sein können. Dazu gibt es in Österreich einen besonderen Vorteil.
Die österreichische Arbeiter:innenbewegung hatte nach dem Zusammenbruch der Monarchie zahlreiche Waffen aus Militärbeständen übernehmen können – damit ist sie militärisch vergleichsweise gut aufgestellt. Allerdings ist es 1933 schon reichlich spät. Viel besser wäre die Lage für die Arbeiter:innenbewegung wohl gewesen, wenn sie bereits nach dem Ersten Weltkrieg den Aufstand begonnen hätte. Oder spätestens 1927 nach den Unruhen rund um den Justizpalastbrand mit 89 Toten.
Die Rechte in der Offensive, die Sozialdemokratie zerfällt
Doch auch 1933 verweigert die Führung der SDAP weiterhin den Aufstand. Die Parteirechte rund um Karl Renner und das „austromarxistische“ Zentrum der Partei rund um Otto Bauer lavieren oder suchen den Ausgleich mit den Faschist:innen. Dann geht es Schlag auf Schlag: Im Frühjahr 1933 wird der Schutzbund verboten, die Wehrorganisation der Sozialdemokratie. Es folgen das Verbot der Kommunistischen Partei sowie der trotzkistischen Organisationen.
Die Sozialdemokratie allerdings zieht aus dieser Bedrohung den Schluss, dass nun noch weitere Zugeständnisse nötig wären. Sie bietet sogar eine Legalisierung der Diktatur an: Für zwei Jahre sollte die Regierung außerordentliche Vollmachten bekommen und ohne Parlament regieren können. Nun zerfällt die Partei.
Allein zwischen März 1933 und 15. Jänner 1934 verliert die SDAP etwa in Wien ein Drittel ihrer Mitgliedschaft. Dabei werden sich auch so manche Glücksritter:innen von der Sozialdemokratie abgewendet haben, die zuvor in Wien wegen der Aussicht auf einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung Parteimitglied geworden sind. Doch vor allem zeigt sich hier wohl eine tief greifende politische Enttäuschung. Parallel dazu wird die linke Opposition in der SDAP immer stärker: Immer mehr Bezirksorganisationen fordern eine Offensive gegen den Faschismus und die Errichtung der proletarischen Diktatur.
Die Parteiopposition fordert den Angriff
So heißt es etwa in einer Resolution der SDAP des 20. Wiener Gemeindebezirks, Brigittenau, vom 19. September 1933: „Daher erscheint es als die nächste und einzige Aufgabe des Proletariats, den Kapitalismus zu stürzen und den Sozialismus aufzubauen. In politischer Hinsicht bedeutet dies – da die Bourgeoisie, um ihre Herrschaft zu retten, den demokratischen Kampfboden zerstört – daß die SDAP die Pflicht hat, durch ihre Taktik, Praxis und Erziehungsarbeit die Arbeiterschaft darauf einzustellen, daß die letzten Entscheidungen nicht durch den Stimmzettel fallen und daß der Kampf um die Staatsmacht gegen den Faschismus mit allen Mitteln, selbst mit den Mitteln der Diktatur, zu führen ist.“
Die Resolution endet mit einem Aufruf zur bedingungslosen Zusammenarbeit mit der kommunistischen „Dritten Internationale“ und zur Errichtung der Diktatur des Proletariats. Das ist eindeutig. Ähnliche Resolutionen kommen in Wien etwa aus den Bezirken Neubau, Alsergrund, Favoriten oder Döbling.
Im vermutlich wichtigsten Arbeiter:innenbezirk, in Favoriten, wird formuliert: „Die Arbeiterklasse kann nur mit dem Einsatz aller Mittel ihre lang erworbenen Rechte verteidigen“, die Partei dürfe „in der bisherigen Hinhaltetaktik nicht mehr fortfahren“. Stattdessen müsse „jeder neuen Aktion unserer Gegner mit schärfsten Widerstande, noch besser aber mit einem Gegenangriff begegnet werden“. (Alle Zitate aus: Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg, Wien 1989)
Die Parteiführung aber setzt weiter auf Verhandlungen. Entgegen den heutigen Mythen wird es dann am 12. Februar auch nicht die SDAP sein, die den Widerstand gegen den Faschismus anführt. Es sind die oppositionellen Teile der Partei, des Schutzbundes, der Jugendorganisationen, der Wehrturner und der anderen Organisatonen der SDAP sowie die Kommunist:innen, die den Aufstand gegen den Willen der Parteiführung beginnen.
Tage der Entscheidung
Zu Beginn des Jahres 1934 suchen die Faschist:innen schließlich die Entscheidung. Am 30. Jänner 1934 besetzen die Heimwehren Innsbruck. Am 6. Februar folgen Teile von Linz. Zahlreiche Führer des Schutzbundes werden verhaftet, ab dem 8. Februar wird dann auch das Wiener Vorwärts-Haus für zwei Tage besetzt, also die Parteizentrale der Sozialdemokratie auf der Wienzeile.
Am 9. Februar erklärt Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg: „Die Tiroler Aufstandsbewegung, die ganz Österreich erfasst hat, stellt sich das Ziel, jedweder Demokratie in Österreich ein für allemal ein Ende zu machen.“ Sollte Dollfuß dazu nicht bereit sein, werde die Heimwehr die Sache „selbst in die Hand nehmen“.
Am 11. Februar kündigt der Wiener Heimwehrführer und Vizekanzler Major Emil Fey bei einer Versammlung der Heimwehr an: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen, und wir werden ganze Arbeit leisten.“ Weit weniger bekannt: Ebenfalls am 11. Februar erscheint auch ein großes Interview mit Dollfuß in der Reichspost, die als Organ der Christlichsozialen gilt. Dort kündigt er an, dass ein „autoritär geführter Staat“ in „möglichster Raschheit“ umgesetzt werden solle. Dazu sollten „ensprechende Übergangsmaßnahmen“ durchgeführt werden.
Im Gegensatz zu manchen heutigen Verklärungen ist also allen zeitgenössischen politischen Kräften klar: Die Tage der Entscheidung sind gekommen. Umso schwerer wiegt der Beschluss der sozialdemokratischen Parteiführung, den Widerstand nicht zu organisieren.
Die Toten mahnen
Nach wenigen Tagen erbitterter Kämpfe ist die Niederlage der kämpfenden Arbeiter:innen besiegelt. Der Faschismus hat gesiegt. Mehrere hundert Tote sind die unmittelbare Folge, die genaue Opferzahl ist bis heute Gegenstand der Forschung. Viele Arbeiter:nnen werden sofort nach ihrer Gefangennahme ermordet. Neun Februar-Kämpfer werden nach der Niederlage zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Unter ihnen sind etwa der Floridsdorfer Schutzbundführer Georg Weissel sowie Koloman Wallisch, Landesparteisekretär der SDAP in der Steiermark und Abgeordneter zum Nationalrat. Wallisch hatte bereits 1919 für die ungarische Räterepublik gekämpft und stand am linken Rand der Partei. Er war der einzige hochrangige sozialdemokratische Funktionär, der sich mit der Waffe in der Hand an den Kämpfen des Februars beteiligt hatte.
Otto Bauer und Julius Deutsch versuchten zumindest noch, eine Kampfleitung in Wien aufzubauen. Doch nun zeigte sich: Es hatte zwar mächtige Aufmärsche des Schutzbunds für die Öffentlichkeit gegeben. Aber keinerlei Vorbereitungen für einen tatsächlichen Aufstand. Es gab keine strategischen Pläne und keine Kommunikation. Es waren nicht einmal Flugblätter vorbereitet worden.
Die Nazis nützen die Situation
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Es wird in wenigen Berichten über den Februar 1934 erwähnt, doch es ist sehr auffallend: Während der Februarkämpfe halten die Nazis komplett still, obwohl sie in den zwei Jahren davor Österreich mit einer Terrorwelle überzogen hatten. Die Nazis sind zu diesem Zeitpunkt bereits eine Massenpartei. Bei den Wiener Gemeinderatswahlen von 1932 etwa waren sie mit 17,4 % erstmals in den Gemeinderat eingezogen, ihre Stimmen kamen von Christlichsozialen und Deutschnationalen, die zu den Nazis übergingen.
Bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen im April 1933, den letzten freien Wahlen der ersten Republik, wurden die Nazis mit 41,2 % sogar die stärkste Partei. Das Stillhalten der Nazis in den Februarkämpfen sollte allerdings nicht verwundern: Die Austrofaschist:innen besorgten damit für die Nazi-Faschist:innen die Ausschaltung der Arbeiter:innenbewegung.
Der Nazi-Putsch gegen Dollfuß
Doch nachdem die Arbeiter:innenbewegung weitgehend zerschlagen ist, suchen die Nazis die Entscheidung. Im Juli 1934 putschen sie – erfolglos – gegen das austrofaschistische Regime. Die Nazis scheitern zwar mit ihrem Putsch, doch Diktator Dollfuß kommt dabei ums Leben. Ob Dollfuß absichtlich getötet wurde oder ob es ein Unfall war, ist bis heute unklar. Doch es scheint sehr plausibel, dass die Nazis lieber den lebenden Dollfuß als Geisel genommen und per Radiodurchsage zum Rücktritt gezwungen hätten. Klar aber ist jedenfalls: Der Tod des Diktators ist eine enorme Genugtuung für viele Arbeiter:innen – und damit ein großer Propaganda-Coup für die Nazis.
Der Putsch ist also wohl auch der Versuch, Teile der Arbeiter:innenbewegung überzugewinnen. Zu diesem Zeitpunkt ist die sozialdemokratischen Parteiführung innerhalb der Arbeiter:innenbewegung politisch weitgehend erledigt. Die große Mehrheit der Februarkämpfer:innen unterstützt die KPÖ, sie werden sogenannte „Februarkommunisten“. Andere gehen zu den gegründeten Revolutionären Sozialisten (RS), die sich aus oppositionellen Teilen der Sozialdemokratie rekrutieren.
Doch es gibt auch Übertritte zu den Nazis. Ideologische Übereinstimmungen wird es dabei nicht zuletzt im Antisemitismus gegeben haben, der auch in der Arbeiter:innenbewegung weit verbreitet ist. So treten etwa der sozialdemokratische Bürgermeister der Industriestadt Steyr, Franz Sichelrader, oder der oberösterreichische Landtagsabgeordnete Franz Schrangl zu den Nazis über. Auch der oberösterreichische Schutzbund-Führer Bernaschek schreibt: „Das Programm der Nationalsozialisten steht uns näher“ – er wird sich später wieder von den Nazis entfernen und 1945 im KZ Mauthausen ermordet werden.
Ertränkt im Blut
Nach vier Jahren setzten sich die Nazis dann endgültig durch. 1938 weicht die katholische Variante des Faschismus dem noch nochmals ungleich blutigeren NS-Konkurrenz-Faschismus. Die österreichische Arbeiter:innenbewegung zahlt einen hohen Preis für die Niederlage.
Der Austrofaschismus treibt sie in den Untergrund, im Nazi-Faschismus werden schließlich zehntausende ermordet. Als Widerstandskämpfer:innen, als Wehrkraftzersetzer, als Zwangsrekrutierte an der Front oder aufgrund ihres jüdischen Hintergrunds.
Und heute?
Es ist immer schwierig, unmittelbare Parallelen aus historischen Ereignissen zu ziehen. Eine allerdings liegt auf der Hand: Autoritäre Entwicklungen passieren nicht auf einen Schlag. Sie bauen sich auf, entwickeln sich, kündigen sich an. Schleichend werden demokratische Rechte abgebaut, gleichzeitig wird die Rechte auf den Straßen immer mutiger.
Es ist wohl kein Zufall, dass etwa ÖVP-Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka 2022 einen Gang im neu eröffneten Parlament nach Friedrich August von Hayek benannt hat – einem neoliberalen Ökonomen und erklärten Unterstützer der faschistischen Militärdiktatur in Chile. Immer mehr konservative Parteien zeigen sich offen rechtsautoritär, ebenso Multimilliardär:innen wie Elon Musk oder Peter Thiel – der neue Arbeitgeber von Sebastian Kurz. Gemeinsam haben sie Macht, Einfluss und Kapital.
Dabei kann es auch im Lager der Reaktion taktische und politische Differenzen geben, über den Weg und über das Ziel. Gemeinsam aber ist all diesen Kräften: Jedes Zurückweichen ermuntert sie noch mehr, denn es zeigt ihnen, dass ihre Strategie erfolgreich ist. Gleichzeitig führt jedes Zurückweichen auf der anderen Seite zu einem zunehmenden Gefühl des Unausweichlichen und damit zu einem Nachlassen des Widerstands.
Gleichzeitig ist klar, dass auch der mutigste Widerstand vergeblich ist, wenn er zu spät beginnt. Wenn es also eine Lehre aus dem Februar 1934 geben soll, dann lautet sie: „Wehret den Anfängen“.
- Dieser Artikel ist erstmal am 12. Februar 2017 erschienen und wurde im März 2023 umfassend erweitert.
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