Luka Mesec, Abgeordneter der „Vereinigten Linken“, über soziale Kämpfe, jugoslawische Nostalgie und sein Mitleid mit Melania Trump.
Die Vereinigte Linke wurde 2014 erstmals ins Parlament gewählt. Welche Voraussetzungen gab es dafür?
Ausgangspunkt unserer Arbeit waren die großen sozialen Bewegungen ab dem Herbst 2012. Über Monate gab es Massendemonstrationen gegen die Austeritätspolitik der rechten Regierung. Ohne diese Bewegungen gäbe es heute keine „Vereinigte Linke“.
Die Rechte war 2011 an die Regierung gekommen und hatte einen Kulturkampf begonnen. Es wurde behauptet, dass Slowenien neben Weißrussland das letzte kommunistische Land Europas wäre. Zum besseren Verständnis: bis 1990 war in Jugoslawien und somit auch in Slowenien die KP an der Macht. Nach einer kurzen Übergangsperiode regierten bis 2004 durchgehend Koalitionen unter Einschluss der Sozialdemokratie, also der Ex-KP.
Die Rechten versuchten, die Krise gegen die Linke zu nützen. Es wurde behauptet, dass die Bourgeoisie links sei, weil die alten Eliten in der Übergangsperiode die Kontrolle behalten hätten. Teilweise stimmt das auch, doch war ihre Idee natürlich, die eigenen Eliten nach vorn zu bringen.
Sie wetterten auch gegen die „kulturelle Elite“ und versuchten, die Kontrolle über die Medien zu bekommen. Schließlich kamen noch Behauptungen über Wahlbetrug dazu. Kurz: Die Regierung war wie Trump, bevor es Trump gab. Das alles löste eine Gegenbewegung in der Gesellschaft aus.
Als die Proteste begannen, versuchte die Regierung, pro-rechte Gegendemonstrationen zu organisieren. Das ging allerdings gewaltig schief. Am Höhepunkt der Proteste demonstrierten in Maribor 25.000 Menschen gegen die Regierung, die Rechte konnte gerade einmal 5000 Personen mobilisieren.
Im März 2013 musste die Regierung schließlich zurücktreten. Nach 25 Jahren des gesellschaftlichen Dämmerzustands hatte sich ein Raum für linke Politik geöffnet.
Und wie entstand dann die Vereinigte Linke?
Gegründet wurde die VL anlässlich der EU-Wahlen 2014. Wir sind also noch ein sehr junges Bündnis, das aus drei verschiedenen Parteien besteht.
Die „Demokratische Partei der Arbeit“ entstand als Abspaltung von AktivistInnen aus der Pensionistenpartei, die nicht mehr ausschließlich zum Thema Pensionen arbeiten wollten. Die „Partei für nachhaltige Entwicklung und Ökosozialismus“ setzt sich stark für Umweltpolitik ein. Meine eigene Organisation, die „Initiative für demokratischen Sozialismus“, kommt aus der studentischen Linken. Darüber hinaus sind auch einige unabhängige AktivistInnen im Bündnis aktiv.
Zur Person:
Luka Mesec ist 29 Jahre alt. Er ist Sprecher der Initiative für demokratischen Sozialismus. Seit 2014 ist er einer der sechs Parlamentsabgeordneten der Vereinigten Linken. Das Interview fand im Rahmen eines Symposiums in Wien statt, das von Aufbruch, Europäische Linke, Transform und Wien andas ausgerichtet wurde.
Im Juli 2014 gelang uns dann mit 6 % der Einzug ins slowenische Parlament. Das war für uns alle eine große Überraschung. Noch kurz vor der Wahl hatten uns alle Umfragen bei bestenfalls 3 % gesehen. Entscheidend war dabei sicherlich eine TV-Debatte kurz vor der Wahl, wo ich in der Diskussion mit den anderen KandidatInnen unsere Positionen gegenüber einer breiten Öffentlichkeit vorstellen konnte.
Wir hatten im Vorfeld viel darüber gesprochen, was bis zum Wahltag passiert, aber überhaupt nicht darüber, was wir danach im Parlament tun wollten. Wir waren sehr unvorbereitet und mussten nun auf einmal Positionen zu verschiedensten Themen entwickeln, etwa zu Beschäftigung oder Gesundheit.
Welche politischen Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit?
Im Zentrum stehen für uns der Kampf gegen Privatisierung, gegen Austerität und für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Wir konnten dabei bereits einige Erfolge erzielen. Auf unsere Initiative wurde der Mindestlohn auf 600 Euro angehoben, nun fordern wir eine weitere Anhebung auf 700 Euro. Wir konnten in einem Kampf über mehrere Monate die Privatisierung der Telekom verhindern. Und ab dem 1. Februar haben alle Kinder aus armen Familien das Recht auf ein kostenloses Mittagessen.
Auf anderen Ebenen konnten wir Teilerfolge erzielen. Bei der vollständigen Gleichstellung von LGBT-Personen fanden wir keine gesellschaftliche Mehrheit für eine vollständige Gleichbehandlung inklusive dem Recht auf Adoption. Das Parlament stimmte zwar mehrheitlich dafür, doch die Rechte hat sich dann bei einem Referendum durchgesetzt. Zumindest die Ehe ist nun aber für alle geöffnet. Wir haben auch erreicht, dass Cannabis für medizinische Zwecke eingesetzt werden darf, aber leider keine vollständige Legalisierung.
In sozialen Fragen haben wir auch eine gute Kooperation mit den Gewerkschaften. Vor 2011 hatten wir eine sozialdemokratische Regierung, die viele neoliberale Maßnahmen umgesetzt hat. Das hat zu einem Bruch der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie geführt. Der Präsident der LehrerInnengewerkschaft war auch einer unserer Kandidaten.
Wir wollen eine Kraft sein, die Veränderungen anstößt. Wenn wir etwa nicht in der Lage gewesen wären, bei Protesten gegen Privatisierungen initiativ zu werden, gäbe es uns heute in dieser Form nicht. Unser Zugang ist dabei: ein Bein im Parlament, ein Bein auf der Straße.
Die Situation geflüchteter Menschen bestimmt die Debatte in vielen Ländern Europas. Wie ist die Lage in Slowenien, einem der Länder der sogenannten „Balkanroute“?
Wir haben gerade einmal 300 Anträge auf Asyl in Slowenien, trotzdem hetzen die rechten Medien. Teilweise werden diese Medienportale, etwa Nova24, aus Ungarn finanziert. In Umfragen sprechen sich 80% gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus. Kürzlich war es etwa ein großes Thema, dass in einer Stadt drei Kinder aus Flüchtlingsfamilien eingeschult werden sollten. Das ist völlig absurd, denn es möchte ohnehin fast niemand bleiben.
Die Rechte nützt das Thema, nachdem sie zuvor völlig diskreditiert war. Sie gewinnen aktuell leider die gesellschaftliche Debatte. Die bürgerlich-sozialdemokratische Regierung hat nun auch einige starke Repressionsmaßnahmen umgesetzt.
An der Grenze zu Kroatien wurde ein Zaun errichtet, alle Parteien außer der VL waren dafür. Das Heer wurde mit Polizeiaufgaben ausgestattet und die Polizei mit Teasern bewaffnet. Es wurde auch ein Gesetz nach ungarischem Vorbild verabschiedet: das Parlament kann nun binnen 24 Stunden die Grenzen des Landes komplett schließen.
Gibt es auch Kräfte, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen?
Es gibt Strukturen, etwa rund um die anarchistisch orientierte „Antirassistische Front“, die konkret mit Flüchtlingen arbeiten, etwa indem sie Essen oder Kinderbetreuung organisieren. Viel geht dabei von einem besetzten Haus in der Hauptstadt Ljubljana aus.
Die wichtigste Rolle in der konkreten Unterstützung nehmen also sicher die unabhängigen linken Gruppen ein. Und wir betrachten es nicht als Aufgabe einer linken Partei, autonome Gruppen durch Vereinnahmung zu ersticken.
Ein wichtiger Kampf der jüngeren Zeit in Slowenien waren die Bewegungen gegen die Privatisierung des Hafens Koper, der auch für die österreichische Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt. Wie ist da die aktuelle Lage?
Die Regierung wollte den Hafen privatisieren, um so frisches Geld für eine neue Bahnstrecke zu holen. Es hat sich dann eine Front gegen die Privatisierung gebildet, die von der Gewerkschaft der HafenarbeiterInnen ausging. Diese Basisgewerkschaft ist links und syndikalistisch orientiert, eine wichtige Rolle spielen die KranführerInnen im Hafen.
Es gab mehrere Proteste mit jeweils rund 5000 DemonstrantInnen, wo wir ebenfalls teilgenommen haben. Die Gewerkschaft ist sehr selbstbewusst und hat bereits in der Vergangenheit wichtige Kämpfe für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gewonnen. Auch die Pläne zur Privatisierung konnten durch die Kämpfe gestoppt werden.
Österreichisches und deutsches Kapital spielen eine wichtige Rolle in Slowenien. Wie stellt sich das für Sie dar?
Die internationalen Konzerne übernehmen vor allem strategische Bereiche, etwa Telekom, Häfen, Infrastruktur oder Industrie. Es wird aber kaum neu investiert. Eine Ausnahme ist nun der Magna Konzern, der in der slowenischen Steiermark ein neues Autowerk bauen möchte.
Das ist allerdings nicht unproblematisch: die halbe Region rund um Maribor arbeitet in der österreichischen Steiermark, oft sogar im Magna Steyr Werk in Graz. Jetzt bekommen die Leute österreichische Mindestlöhne, es könnte passieren, dass sie danach die gleiche Arbeit für den halben Lohn machen müssen.
Die Regierung ist Magna auch extrem entgegengekommen. Erst hieß es, es würden 3000 Arbeitsplätze geschaffen. Die Regierung hat daraufhin fast alle regulierenden Gesetze zurückgenommen. Dann waren es auf einmal nur noch 2000 Arbeitsplätze, aktuell stehen wir bei gerade einmal 400, die kommen sollen.
Seit 2004 ist Slowenien Mitglied der EU und der NATO. Welche Position nehmen Sie dazu ein?
Wir sind für den Austritt aus der NATO und wollen dazu ein Referendum. Zur EU gibt es unterschiedliche Positionen, aber die Mehrheitsposition ist, dass wir die EU und den Euro reformieren wollen.
Erst vor kurzem flammte in Österreich die Debatte um die Rechte der slowenischen Minderheit neu auf, nachdem die ÖVP die Volksgruppe nicht gleichberechtig in der neuen Kärntner Landesverfassung erwähnen wollte. Wird das in Slowenien wahrgenommen?
Das ist ein riesiges Thema in unseren Medien, es gab dazu jeden Tag Debatten im Fernsehen. Ich war extrem überrascht, dass das in Österreich kaum thematisiert wird. Wir unterstützen natürlich die Minderheit in der Verteidigung ihrer Rechte.
Übrigens liefen auch unsere Kontakte in die Europäische Linke (EL) stark über die österreichische KPÖ, die ja auch Mitglieder aus der slowenischen Minderheit in Kärnten hat.
Slowenien war bis 1991 ein Teil Jugoslawiens. Spielt das heute noch eine Rolle?
Es gibt in Slowenien eine große jugoslawische Nostalgie, Marschall Tito ist für 80% eine positive historische Figur. Auch die Jugoslawien-Kriege waren hier nicht so bestimmend, weil der Sezessionskrieg in Slowenien 1991 ja nur zehn Tage dauerte.
Meine Organisation, die Initiative für demokratischen Sozialismus, hat ihre Basis heute im ländlichen Raum. Der Grund dafür liegt in der Geschichte Jugoslawiens. Die Kommunistische Partei hatte damals entschieden, die Industrie aufs Land zu den Menschen zu bringen, Slowenien und seine Industrie wurden sehr polyzentrisch organisiert.
Es gibt heute viele kleinere Industriezentren mit 10.000 bis 50.000 EinwohnerInnen. Dort gibt es bis heute linke Strukturen, wo wir Unterstützung finden konnten.
Wie geht es nun mit der Vereinigten Linken weiter?
Gegenwärtig haben wir einige Probleme. Wir hatten ursprünglich vereinbart, dass jede Partei im Bündnis gleich viele Mandate bekommt. Dann war es aber so, dass wir bei den Wahlen in verschiedenen Wahlkreisen sehr unterschiedlich abgeschnitten haben. Die Initiative hatte dann vier Abgeordnete, die Partei für nachhaltige Entwicklung und die Demokratische Partei der Arbeit je eine/n. Das setzte eine Debatte in Gang, ob Qualifikation oder die interne Quotierung nach Organisation gelten sollten.
De facto wurde das Bündnis dann beendet. In allen Organisationen gab es unterschiedliche Positionen, auch darüber, ob wir unser Bündnis formal aufkündigen sollen. Die Demokratische Partei der Arbeit haben wir verloren. Aber die Initiative und die Partei für nachhaltige Entwicklung wollen Richtung gemeinsame Partei gehen.
Wir hatten auch unterschiedliche Positionen in verschiedenen Fragen. Es gibt etwa eine Gruppe, die eine Reform der EU will, eine andere will den Austritt. Wir waren uns auch uneinig, ob wir beim Referendum zum Thema LGBT eine wichtige Rolle spielen wollen oder nicht. So etwas führt zu Problemen.
Wir lernen daraus, dass es sehr wichtig ist, sich so schnell wie möglich auf eine gemeinsame Vision und Erzählung zu einigen. Und wir müssen im Auge haben, welche Gefahren mit der Arbeit in den Institutionen verbunden ist.
Privilegien von PolitikerInnen sind immer wieder ein wichtiges Thema. Welches Gehalt beziehen Sie als Abgeordneter und wie hoch sind die Durchschnittslöhne?
In Slowenien bekommen Abgeordnete 3000 Euro. Ich behalte 2000, davon sind 500 der Basisarbeit gewidmet. Ein Durchschnittslohn liegt bei rund 1000 Euro.
Würden Sie auch in eine Regierung gehen?
Wir wollen einige Minimumkriterien. Wenn wir da eine Lösung finden, habe ich kein Problem, Teil einer Regierung zu sein. Am Ende wird die Mitgliedschaft entscheiden.
Was sind Ihre langfristigen politischen Zielvorstellungen?
Meine Vision heißt demokratischer Sozialismus. Ich glaube, dass der reformistische Weg besser ist als der revolutionäre. Wenn wir eine Situation hätten wie in Schweden unter Olof Palme, dann wäre das für mich schon ein großer Fortschritt.
Ich glaube, dass es notwendig ist, dass die Linke und das Zentrum in Europa Koalitionen bilden. Wir müssen die Linke aufbauen und mit der Sozialdemokratie in den Institutionen zusammenarbeiten. Wenn die Linke sagt, dass alle Bürgerlichen korrupt sind, wäre das destruktiv. Wir müssen mit jenen in bürgerlichen Parteien arbeiten, die uns nahe stehen.
Ökonomisch möchte ich öffentliches Eigentum der Infrastruktur und der großen Industrien. Wirtschaftsdemokratie ist mir sehr wichtig.
Das wäre dann aber immer noch Kapitalismus?
Wenn die Telekom staatlich ist, aber Profit und internationales Wachstum ins Zentrum stellt, dann ist das nicht gut. Wenn die Regierung sagt, dass jeder in Slowenien Zugang zu Internet und einem leistbaren nachhaltigen Smartphone hat, dann ist das für mich ein Beispiel für Ökosozialismus.
Die Frage ist also, was die Regierung mit dem Staatseigentum tut. Das sollen ArbeiterInnen und Stadtteilversammlungen entscheiden. Wir brauchen Prosperität, aber nicht unbedingt Wachstum. Die Frage von Kapitalismus oder Sozialismus stellt sich für mich heute über ökonomisches Wachstum. Vor allem sollen Mensch und Umwelt nicht missbraucht werden.
Ich möchte jedenfalls eine Rückkehr zum System von Bretton Woods [Anmerkung: ein System fixer Wechselkurse der „westlich“ orientieren Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Ankerwährung war der US-Dollar.]
Abschließend: Melania Trump, die neue First Lady der USA, stammt aus Slowenien. Wird darüber gesprochen?
Es gab Versuche, Melania Trump zur neuen Trademark des Landes zu machen. Das war teilweise richtig absurd, sogar der Weihnachtsbaum in Ljubljana wurde nach ihr benannt.
Eigentlich stammt sie aber aus einer sehr ländlichen Gegend, aus einer Stadt, wo nie jemand hinkommt. Und wenn ich mir ihr jetziges Leben ansehe: Offen gesagt, mir persönlich tut sie leid.
Vielen Dank für das Gespräch!
Eine Kurzfassung dieses Interviews erschien am 24.02.2017 in der Tageszeitung „Neues Deutschland“