Ich habe den Bericht der FPÖ-Historikerkommission gelesen, damit ihr es nicht tun müsst. Eine kommentierte Analyse in 30 Punkten. Spannend ist vor allem, was die FPÖ nicht schreibt.
Rund 1000 Seiten stark soll der Endbericht der FPÖ-Historikerkommission zur Geschichte der Freiheitlichen Partei angeblich werden. Doch vorgelegt hat die FPÖ bei der Präsentation ihres ersten „Rohberichts“ gerade einmal eine 32-seitige Zusammenfassung – wobei bereits fast ein Drittel für Inhaltsverzeichnisse und Autorenbiografien drauf geht.
Reichlich dünn also. Dennoch lohnt die Lektüre. Interessant ist dabei vor allem, was die FPÖ-Historikerkommission nicht erwähnt. Sehen wir uns also an, worüber die FPÖ und ihre Autoren schreiben – und worüber sie sich ausschweigen.
Nehmen wir zu Beginn die Autoren näher unter die Lupe!
Die männliche Form beim Wort „Autoren“ ist übrigens kein Versehen, es sind ausschließlich Männer. Eine Autorin hat die FPÖ offenbar entweder nicht gesucht oder nicht gefunden.
Erstellt wurde die jetzige „Zusammenfassung des Rohberichts“ von Norbert Nemeth und Thomas Grischany. Bereits das ist bemerkenswert, denn als unabhängige oder renommierte Historiker können beide wohl kaum gelten.
Was fehlt
Nemeth ist bereits seit 2006 Direktor des Parlamentsklubs der FPÖ. Gleichzeitig ist er einschlägig burschenschaftlich organisiert. Seine Verbindung, die Wiener Olympia, gilt als eine der am weitesten rechtsaußen stehenden Burschenschaften des gesamten deutschsprachigen Raums. Die Mitgliedschaft von Nemeth bei den Olympen wird in der Biographie verschwiegen.
Grischany wird im Bericht als Historiker und „Lehrbeauftragter an der Webster Vienna Private University“ vorgestellt. Keine besonders renommierte Universität, doch darüber lässt sich natürlich streiten. „Vergessen“ werden in der Vorstellung allerdings die bisherigen Tätigkeiten von Grischany für die FPÖ.
Straches Thinktank-Chef
Bis Mai 2019 war Grischany immerhin der einzige bekannte Mitarbeiter von „Denkwerk Zukunftsreich“. Das war der mit Steuergeldern finanzierten Thinktank von Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache.
Davor war Grischany parlamentarischer Mitarbeiter des einschlägig bekannten FPÖ-Abgeordneten Martin Graf, ebenfalls ein Olympe. Recherchiert hat das die Plattform „Stoppt die Rechten„. Grischany hält unter anderem ein „Wiedererstarken des Nationalen“ für „wünschenswert“ und zeigt sich insgesamt als stramm-rechter Kamerad mit absolut FPÖ-kompatiblen politischen Positionen.
Stramme Kameraden
Ähnlich präsentieren sich weitere Autoren des Berichts. Leiter der Kommission ist Wilhelm Brauneder, ehemals dritter Nationalratspräsident für die FPÖ und ehemaliger Abgeordneter der Partei. Der ehemalige Jus-Professor und Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien sorgte sowohl an der Universität wie im Parlament aufgrund seiner einschlägigen Gesinnung immer wieder für Aufsehen.
Mit Andreas Mölzer und Lothar Höbelt stehen ihm weitere einschlägig bekannte Figuren zur Seite. Mölzer ist ein langjähriger führender Politiker der FPÖ, unter anderem war er zwischen 2004 und 2014 EU-Abgeordneter der Partei
EU-Abgeordneter, Corps-Student, Porno-Autor
Mölzers einschlägige Rechtsaußen-Auffälligkeiten aufzuzählen oder über den von ihm geschriebenen nationalen Porno zu berichten („Der Graue“), würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Kaum überraschend ist auch Mölzer Verbindungsstudent, er ist beim Corps Vandalia Graz „korporiert“.
Höbelt darf als so etwas wie der Parteihistoriker der FPÖ gelten. Wenn ein Medium – aus oft nur wenig nachvollziehbaren Gründen – einen „Experten“ mit besonders gefälligen Worten zur FPÖ sucht, ist Höbelt verlässlich zur Stelle.
Schwarz-blauer Paarlauf
So ähnlich könnte die Liste weitergeführt werden, ausnehmend viele Autoren stehen der FPÖ nahe. Sogar der Generalsekretär der FPÖ, Christian Hafenecker, darf ein eigenes Kapitel verfassen. Der Titel: „Vorwürfe“. Interessant ist aber auch die Anzahl von Autoren, die klar der ÖVP zuzuordnen sind.
Der ORF-Mitarbeiter Martin Haidinger hätte gar auf direkte „Empfehlung des Präsidenten des Nationalrats Wolfgang Sobotka“ zugesagt, also eines der wichtigsten Politiker der ÖVP. Das sagte ein Sprecher des ORF gegenüber dem Standard. Der Ethikrat des ORF hat dann allerdings entschieden, dass die Mitarbeit am Bericht nicht zulässig sei.
Es wäre keineswegs unlogisch, dass die ÖVP die FPÖ hier unterstützt hat. Es wäre schließlich auch in ihrem Interesse gewesen, wenn öffentlich der Eindruck entsteht, Regierungspartnerin FPÖ würde sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Mehr zu den ÖVP-nahen Autoren im Bericht hat die SPÖ-Seite Kontrast.at recherchiert.
Sozialdemokratischer Kronzeuge
Eine erstaunliche Ausnahme im schwarz-blauen Paarlauf ist der Sozialdemokrat und ehemalige Wiener SPÖ-Stadtschulratspräsident Kurt Scholz. Er hat den 16-seitigen Bericht „Eine Einführung. Vom VdU zu Erich Fried“ verfasst. Der Verband der Unabhängigen (VdU), das ist der 1949 gegründete Vorläufer der FPÖ. 1956 ging aus dem VdU und der noch weiter rechts stehenden Freiheitspartei (einer Abspaltung des VdU) die FPÖ hervor.
Es ist offensichtlich, dass Scholz als Kronzeuge dient. Sein Beitrag wird in der Zusammenfassung des Rohberichts gleich zu Beginn und deutlich überproportional zusammengefasst. Scholz geht nun auf Distanz zum Bericht – hätte sich aber wohl deutlich früher überlegen müssen, in welche Gesellschaft er sich begibt.
Update: Ähnliches gilt für Historiker Michael Wladika, einen weiteren Autor, der sich mittlerweile von der Zusammenfassung seines Beitrags distanziert hat. Ebenfalls bekannt wurde inzwischen, dass möglicherweise ein Mitarbeiter des FPÖ-Parlamentsklubs mit Neonazi-Vergangenheit an der Abfassung des Berichts beteiligt war. Das hat SOS Mitmensch recherchiert.
Doch nun der Inhalt: Die Zusammenfassung des Rohberichts der FPÖ-Historikerkommission mit erläuternden Kommentaren
1. Unmengen von Anführungszeichen
Der Bericht beginnt mit einer Vorbemerkung und den Worten: „Anfang 2018 wurde auf Initiative des damaligen FPÖ-Bundesparteiobmanns und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache eine Historikerkommission eingerichtet, um die angeblichen ‚braunen Flecken‘ der FPÖ zu untersuchen.“ (Seite 3)
Kommentar: Bereits hier beginnt etwas, was sich durch den gesamten Bericht zieht. Begriffe, die den Autoren offenbar unangenehm sind, werden ziemlich konsequent unter Anführungszeichen gesetzt. Das betrifft etwa „braune Flecken“ (Seite 3), „Vergangenheitsbewältigung“ (Seite 6), „rechts“ (Seite 6), „national“ (Seite 6), „rassistisch“ (Seite 7), „rechtsextrem“ (Seite 7) oder „Nazilied“ (Seite 19).
Nun werden zwar auch andere Begriffe unter Anführungszeichen gesetzt, dennoch ist die Schlagseite im gesamten Text ziemlich offensichtlich. So werden etwa angebliche „Verheißungen des Nationalsozialismus“ ebenso wenig unter Anführungszeichen gesetzt wie ein vorgeblicher „Schutz der österreichischen nationalen und kulturellen Identität gegenüber den Gefahren unkontrollierter Masseneinwanderung“.
2. Die Kommission
„Konkret ist damit gemeint, dass der FPÖ ein historisches Naheverhältnis zur NSDAP unterstellt wird (…) Für die Historikerkommission ergab sich daher der Forschungsauftrag, den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung zu überprüfen“ (Seite 3)
Kommentar: Wer nun tatsächlich aller Mitglied der Kommission ist, ist bis heute eigentlich nicht ganz klar. Die FPÖ hat um diese Frage lange ein großes Geheimnis gemacht, bei der Präsentation wurden nun insgesamt 16 Personen genannt, die am Bericht mitgearbeitet hätten.
Ob diese 16 Personen vorgeblich die Kommission bilden, bleibt unklar. Autor Kurt Scholz jedenfalls sagt, er hätte bereits seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr zu den Herausgebern. Gleichzeitig hat es in der Vergangenheit offenbar auch eine Koordinationsgruppe gegeben, deren Mitglieder im Dunkeln bleiben
3. Wurde an den richtigen Stellen nach braunen Flecken gesucht?
„(…) die Kommission hat darauf geachtet, dass bei den für die Fallstudien ausgewählten Themen die Wahrscheinlichkeit, auf angebliche ‚braune Flecken‘ zu stoßen, am größten ist.“ (Seite 3)
Kommentar: Das stimmt nicht. Insbesondere relevant für eine Aufarbeitung der Geschichte der FPÖ wären die extrem rechten waffenstudentischen Verbindungen, also Burschenschaften, pennale Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften, Sängerschaften, Turnerschaften, Jägerschaften … und vor allem in jüngerer Vergangenheit zunehmend auch die nicht-waffentragenden deutschnationalen Mädelschaften.
Die gesamte Geschichte und Politik der Korporierten kommt in der bisher vorliegenden Zusammenfassung bestenfalls am Rande vor. Die Kooperationen haben auch ihre Archive nicht geöffnet – was von der FPÖ offenbar nicht als Problem gesehen wird.
Bereits im Februar 2018 erklärte der FPÖ-Abgeordnete Harald Stefan, eine Öffnung der Archive der Burschenschaften sei nicht nötig. Stefan soll selbst in der Koordinationsgruppe für den Historikerbericht gesessen sein – und war früher führendes Mitglied der Burschenschaft Olympia. Anfang der 2000er Jahre trat er sogar öffentlich als Sprecher der Olympen auf.
Und diese Leerstelle ist beachtlich. Immerhin war der Skandal um das Liederbuch der pennalen Burschenschaft Germania Wiener Neustadt („Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“) ja der Auslöser für den gesamten Historikerbericht.
Für die Analyse der Politik der FPÖ hat Autor Thomas Grischany stattdessen die Parteiprogramme der FPÖ, alle Leitanträge des Parteitagen sowie Nationalratsdebatten zu einschlägigen Themen herangezogen. (Seite 6)
Hier fehlen aber ebenfalls entscheidende Aspekte: Etwa die internen Debatten in den Gremien der FPÖ (wozu es zweifellos Protokolle gibt) oder die verschiedensten Propaganda-Materialien der Partei in diesem Zeitraum, also Artikel aus Parteizeitungen, Flugblätter, Plakate, …
Ebenfalls vollständig fehlen Zeitungen mit Parteinähe oder von Vorfeldorganisationen der FPÖ. Hier wäre etwa die über Jahrzehnte bräunlich auffällige „Aula“ zu nennen, die Zeitung der Freiheitlichen Akademikerverbände. Die wurde zwar vor Kurzem eingestellt, doch gibt es mit „Freilich“ bereits ein einschlägiges Nachfolgemagazin.
4. Kronzeuge Kurt Scholz
„Die Arbeit der Kommission könnte auch in der gegenwärtigen Situation, welche davon geprägt ist, dass führende FPÖ-Politiker durchaus glaubwürdige und in der Vergangenheit undenkbare Erklärungen etwa hinsichtlich des Verhältnisses zu Israel abgeben – die man als klare Distanzierungen von der Zeit des Nationalsozialismus verstehen sollte die dann aber gelegentlich von verbalen Entgleisungen (oder anderen Aktionen) untergeordneter Funktionäre konterkariert werden, eine Klärung der Verhältnisse bewirken.“ (Seite 5)
Kommentar: Der Beitrag des bekannten Sozialdemokraten Kurt Scholz wird in der Zusammenfassung gleich zu Beginn und sehr prominent zitiert. Die Zusammenfassung ist dabei ausnehmend FPÖ-freundlich. Scholz selbst hat sich vom Bericht inzwischen distanziert. Der vollständige Beitrag von Scholz ist hier im Original abrufbar und damit der – meines Wissens – bisher einzige Beitrag, der vollständig verfügbar ist.
Inhaltlich widerspricht die Zusammenfassung des Beitrags von Scholz jedenfalls den Fakten und ist schlichtweg verharmlosend. Hier wird das Bild einer pro-israelischen Parteispitze gezeichnet, die damit zu schaffen hätte, dass „gelegentlich“ einige „untergeordnete Funktionäre“ ihre Bemühungen unterlaufen würden.
Tatsächlich aber finden sich einschlägige Positionen in der FPÖ genauso in der Parteispitze wie an der Basis. Und die FPÖ agiert auch oftmals mit doppelten Botschaften. So besuchte etwa Heinz-Christian Strache 2009 tatsächlich die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Allerdings trug er dabei als Kopfbedeckung die Kappe seiner Burschenschaft, der pennalen Verbindung Vandalia Wien. In Österreich sei dieser Auftritt von Burschenschaftern als „Schenkelklopfer“ gefeiert worden, berichtete damals der Standard.
Schließlich wird hier auch ein Kniff angewandt, nämlich eine unzulässige Vermischung von Antisemitismus und Positionen zu Israel. Die FPÖ unterhält seit Jahren gute Kontakte zu extrem rechten israelischen Politikern. Das ist nicht ungewöhnlich, immerhin teilen sie viele politische Positionen.
In einem Interview im Dezember 2018 erklärte Strache dann auch, er wäre bezüglich der Migrationsfrage mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu „auf einer Ebene“ – es sollte nicht verwundern, auch Netanjahu steht weit rechts. Doch das alles ist keinerlei Hinweis darauf, in welchem Ausmaß antisemitische Positionen in der FPÖ verankert sind.
5. Keine Distanzierung vom Rechtsextremismus aus Furcht vor der Basis?
„Scholz betrachtet es als vergebene Chance, dass die FPÖ auf die Veröffentlichung des ‚Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus‘ von 1993, welches auf personelle Querverbindungen zwischen FPÖ und rechtsextremen Kreisen hinwies, nicht schon damals mit klaren Distanzierungen reagierte anstatt einfach alles in Abrede zu stellen, weil sich die seinerzeitige Parteiführung vermutlich nicht sicher war, ob sie eine interne Machtprobe gewinnen könne.“ (Seite 5)
Kommentar: Für die These, dass 1993 die damalige Parteiführung unter Jörg Haider eine Distanzierung vom Rechtsextremismus nur deshalb nicht vornahm, weil sie nicht sicher war, ob sie eine interne Machtprobe gewinnen könne, fehlt schlichtweg jeder Beleg.
Diese These macht auch schlicht keinen Sinn. Noch zwei Jahre nach den angeblichen Überlegungen zur Distanzierung, im Jahr 1995, lobte Haider bei einer Rede rund um das Kärntner Ulrichsbergtreffen anwesende ehemalige SS-Männer als „anständige Menschen“, die „einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind“.
Jörg Haider war ein in der Wolle gefärbter Rechtsextremer und Deutschnationaler. Bereits Haiders Eltern waren beide überzeugte Nazi-Funktionäre, der Vater war bereits vor 1938 ein Führer der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1955, soll dann am Küchentisch der Familie Haider der Beschluss zur Gründung der FPÖ gefasst worden sein, wie die Mutter von Jörg Haider in ihrer Autobiografie schreibt.
6. Ist die FPÖ eine nationalsozialistische Partei? Wo ist Küssel?
„ kann niemand, der die Programme der FPÖ gelesen und sich wissenschaftlich mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat, ernsthaft behaupten, dass die FPÖ jemals eine nationalsozialistische Partei gewesen sei oder die FPÖ von 2019 nationalsozialistischem Gedankengut nahestehe.“ (Seite 6)
„Die FPÖ ist formell eindeutig keine Nachfolgerin der NSDAP. Die NSDAP und sämtliche Organisationen, die mit ihr zusammenhingen, wurden 1945 aufgelöst und verboten. Die FPÖ hingegen ist gemäß ihrer Satzung eine neue und von der NSDAP völlig unabhängig gegründete Partei, als deren Vorläufer allenfalls der VdU betrachtet werden kann.“ (Seite 14)
Kommentar: An mehreren Stellen betont die FPÖ, dass sie keine nationalsozialistische Partei und keine Nachfolgeorganisation der NSDAP wäre. Würde die FPÖ sich selbst als solche bezeichnen, würde sie auch sofort aufgelöst werden, insofern ist das ein wenig „no-na-ned“. Immerhin ist im NS-Verbotsgesetz von 1947 festgelegt, dass die NSDAP und alle anderen nationalsozialistischen Organisationen aufgelöst sind und ihre Neubildung verboten ist. Der österreichische Nazi-Führer Gottfried Küssel saß jahrelang im Gefängnis, weil er es versucht hat.
Was der Bericht hier also macht: Er zieht sich auf eine formelle Ebene zurück und analysiert Programme. Das beantwortet aber weder die Ideologie noch die politischen Ziele der Führer und Mitglieder der Partei bei der Gründung des VdU und danach der FPÖ.
Der Kniff wird dann ins Heute durchgezogen. So findet sich auch über Küssel kein Wort im Bericht. Dabei wäre es gerade beim Thema Neonazismus durchaus interessant gewesen, über die Verstrickungen zwischen seinen Strukturen und der FPÖ zu lesen. Immerhin haben eine ganze Reihe von Führungskadern der FPÖ an Wehrsportlagern teilgenommen und waren teils Aktivisten von Küssels „Volkstreuer außerparlamentarischer Opposition“ (VAPO) oder ähnlicher Gruppen.
So nahm etwa Strache an mindestens einem von Küssels Wehrsportlagern teil. René Schimanek, bis vor Kurzem Kabinettschef im Infrastrukturministerium, war im engsten VAPO-Milieu. Die frühere Chefsekretärin von Strache war oder ist mit Küssel so gut befreundet, dass sie ihn 2010 mitten in der Nacht als Rammbock bei einer Schlägerei im Burschenschafter-Milieu anrufen konnte.
Küssel selbst sagt 2019 im Interview mit einer Nazi-Zeitung, es hätte „einige lustige Auftritte“ mit Strache gegeben, wie das DÖW berichtet. Strache hätte “ im stillen Kämmerlein (…) den großen Nationalsozialisten gespielt“. Küssel wolle das aber nicht weiter ausführen, „vielleicht brauchen wir das noch einmal“. Ob und was Küssel über den ehemaligen Nazi Strache weiß, wird also vielleicht in der Zukunft noch relevant werden.
7. Ist die FPÖ eine rechtsextreme Partei? Wo sind die Identitären?
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„Auch die Behauptung, dass die FPÖ ‚rechtsextreme‘ Züge trage, hält einer näheren kritischen Betrachtung nicht stand. Das Bestreben, hier über die derzeit existierenden ideologischen Gräben hinweg zu einer einheitlichen Beurteilung zu kommen, scheitert in der Regel daran, dass man sich a priori nicht auf eine gemeinsame Definition von Grundbegriffen wie ‚rechts‘, ’national‘ oder ‚rassistisch‘ einigen kann. Hier muss auch der Vorwurf gemacht werden, dass bestimme Begriffe heutzutage inflationär gebraucht werden, wie z. B. die Verwendung des Terminus ‚rechts‘ in Fällen, wo eigentlich ‚rechtsextrem‘ gemeint ist. (Seite 6ff)
Kommentar: Diese Passage ist so dreist, dass sie in ihrer Unverfrorenheit fast schon wieder Bewunderung verdient. Es wird einerseits behauptet, dass es keine allgemein anerkannte Definition bestimmter Grundbegriffe geben würde. Doch gleichzeitig legt die FPÖ auch keine eigene Definition dieser Grundbegriffe vor, an der sie dann gemessen werden könnte und über die diskutiert werden könnte.
Gleichzeitig gibt es natürlich weithin anerkannte Definitionen. Für den Begriff Rechtsextremismus etwa ist in Österreich vor allem die Definition des Klagenfurter Historikers Willibald Holzer gebräuchlich, die auch das DÖW verwendet.
Das DÖW hat damit unter anderem das „Handbuch freiheitlicher Politik“ analysiert, den zentralen programmatischen Text der FPÖ mit der letzten Auflage im Jahr 2013. Verantwortlich für die inhaltliche Zusammenstellung soll Norbert Hofer gewesen sein, inzwischen Parteichef der FPÖ. Das DÖW kommt dabei zum Schluss, dass sich eine Vielzahl eindeutig rechtsextremer Positionen zu verschiedensten gesellschaftlichen Themenfeldern im Handbuch findet.
Bemerkenswert ist auch das komplette Fehlen von Hinweisen zu den Beziehungen zwischen der FPÖ und der neofaschistichen Gruppe „Identitäre Bewegung“ (IB). Die Gruppe wird nicht einmal erwähnt. Eine eindeutige Leerstelle – denn es gibt eine Vielzahl von personellen und ideologischen Querverbindungen zwischen FPÖ und der IB. Zahlreiche Funktionäre der FPÖ haben ein Naheverhältnis zu dieser Gruppe, haben sie infrastrukturell unterstützt, haben Geld gespendet oder haben sie öffentlich gelobt und in Schutz genommen. Bei mehreren aktuellen und ehemaligen parlamentarischen MitarbeiterInnen der FPÖ ist sogar Aktivismus für die IB leicht nachweisbar.
Mediale Einordnungen für die FPÖ wie „rechts“ oder „rechtspopulistisch“ sind oft der Angst von JournalistInnen vor Reaktionen und Einschüchterungen geschuldet. Doch Journalismus bedeutet, zu sagen, was ist. Die FPÖ kann und muss selbstverständlich eindeutig als rechtsextreme Partei definiert werden.
8. Die FPÖ will „nationalliberal“ genannt werden – aber was ist das?
„Die Kommission lädt sowohl den politischen Gegenspieler als auch die Zunft der Historiker dazu ein, die im Folgenden gemachte Eigendefinition zur Grundlage für den offenen Dialog in der Zukunft zu machen. Aufgrund der verschiedenen Parteiprogramme seit 1956 lässt sich die Position der FPÖ am besten als ’nationalliberal‘ umschreiben, wobei mit diesem Begriff auch auf jene Kräfte Bezug genommen wird, welche vor dem Zweiten Weltkrieg das sogenannte ‚Dritte Lager‘ abdeckten, nämlich die deutschfreiheitlichen Parteien des Kaiserreiches und die Großdeutschen der Ersten Republik. (Seite 7)
Kommentar: Auch hier schwingt eine gewisse Dreistigkeit mit. Die FPÖ würde gerne als „nationalliberal“ bezeichnet werden – in Abgrenzung zum Begriff Rechtsextremismus. Eine nachvollziehbare Definition des Begriffs wird aber auch hier nicht vorgelegt, stattdessen erfolgt ein – wie wir sehen werden, sehr zweifelhafter – Rückgriff in die Geschichte.
9. Die wirkliche Geschichte des selbsternannten „Dritten Lagers“
„(…) die Position der FPÖ am besten als ’nationalliberal‘ umschreiben, wobei mit diesem Begriff auch auf jene Kräfte Bezug genommen wird, welche vor dem Zweiten Weltkrieg das sogenannte „Dritte Lager“ abdeckten, nämlich die deutschfreiheitlichen Parteien des Kaiserreiches und die Großdeutschen der Ersten Republik. (Seite 7)
Kommentar: Der Begriff „Drittes Lager“ ist eine seit langem gebräuchliche Selbstdefinition aus dem Milieu der FPÖ. Damit will sich die FPÖ als dritte relevante politische Strömung in Österreich präsentieren. Die anderen beiden sind in dieser Lesart die Sozialdemokratie und die rechtskonservative ÖVP mit ihren austrofaschistischen Vorgängern.
Doch nun erfolgt ein Kniff: Die FPÖ stellt sich in die Traditionslinie bestimmter deutschnationaler Parteien der Monarchie und der ersten Republik. Konkret handelt es sich dabei – ohne dass die FPÖ das im Bericht ausführt – um den „Landbund“, die „Großdeutsche Volkspartei“ und Teile der Heimwehr-Bewegung (vor allem in der Steiermark). Zumeist genannt werden vor allem Landbund und Großdeutsche.
Ebenfalls erwähnt werden müsste aber natürlich auch die frühe NSDAP. Denn die NSDAP ist ja in Österreich 1938 nicht einfach aus dem Nichts entstanden, sondern hatte bereits eine lange Organisationsgeschichte. So kandidierten etwa die ÖVP-Vorläuferpartei Christlichsoziale, die Großdeutschen und eine Fraktion der damals gespaltenen NSDAP im Jahr 1927 gemeinsam als „Einheitsliste“ bei den Wahlen zum Nationalrat und zum Wiener Gemeinderat.
Gleichzeitig waren Deutschnationalismus und Antisemitismus weit über diese Kernbereiche hinaus gesellschaftlich akzeptiert. Auch der Austrofaschismus der Christlichsozialen war deutschnational und antisemitisch.
So gab sich etwa die 1930 gegründete paramilitärische faschistische Wehrformation des späteren austrofaschistischen Diktators Kurt Schuschnigg den einschlägig deutschnationalen Namen „Ostmärkische Sturmscharen“. Ein weiterer Führer der Sturmscharen war übrigens Julius Raab. Der konnte nach dem Zweiten Weltkrieg als ÖVP-Politiker zwischen 1953 und 1961 dennoch sogar Bundeskanzler werden.
Im Wesentlichen standen sich in Österreich Anfang der 1930er Jahre zwei faschistische Blöcke mit durchaus ähnlichen Ideen gegenüber. Die ideengeschichtlichen Unterschiede und unterschiedlichen Traditionen könnten zwar bis ins Jahr 1848 und noch weiter zurück bis zu den Bauernkriegen und der Gegenreformation zurückverfolgt werden.
Christlichsoziale und ein Flügel der Heimwehr waren katholische FaschistInnen und MonarchistInnen in der Tradition der Habsburger-Donau-Diktatur – auch wenn ihre Führer dann in der Praxis lieber selbst führen wollten, als die Macht dem Hause Habsburg zu überlassen. Sie orientierten auf den italienischen Faschismus.
Die traditionell deutschnationalen Parteien hingegen waren ab 1848 Vertreter einer „großdeutschen“ Lösung gewesen, also des Zusammenschlusses aller deutschsprachigen Gebiete. Das hatte insbesondere in der Revolution 1848 auch ein durchaus fortschrittliches, weil republikanisches, Moment. Darauf beziehen sich auch die Burschenschaften bis heute – zumeist allerdings ohne zu erwähnen, wie ihre Geschichte nach 1848 weiterging. Dieses traditionelle deutschnationale Lager – das oft protestantisch geprägt war – orientierte sich zunehmend an der NSDAP.
Politische Übereinstimmung zwischen den beiden Lagern herrschte im Wunsch nach einer autoritären Lösung, im Anti-Marxismus und im Antisemitismus. Uneinigkeit zwischen den Konkurrenz-Faschismen gab es darin, wer die Diktatur führen solle.
Wie sich aber jene Parteien entwickelten, die auf die NSDAP orientierten, erfahren wir im Bericht bestenfalls in verschleiernden Ansätzen.
10. Der „nationale Gedanke“. Real: Das Aufgehen der Deutschnationalen in der NSDAP
„An dieser Stelle muss festgestellt werden, dass vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts der nationale Gedanke oftmals deutlich über den liberalen gestellt wurde und auch der sogenannte ‚antisemitische Gedanke‘ in seinen verschiedenen Ausprägungen gerade im Dritten Lager große Popularität genoss. Die Überbetonung des Nationalen in diesem Zeitraum kann zum einen auf die vor allem Österreich betreffende Kette ’nationaler‘ Krisensituationen – von der Zuspitzung des Nationalitätenkonflikts in der Monarchie über die Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Frieden von St. Germain bis hin zur Instabilität der Ersten Republik – zurückgeführt werden, lässt sich aber auch mit einer generellen – teils selbst mitverursachten, teils unverschuldeten – Krise des Liberalismus erklären.“ (Seite 7)
Kommentar: Hier versucht die FPÖ, die Entwicklung des österreichischen Deutschnationalismus zu erklären. Die Rede ist dabei verharmlosend von einem „sogenannten ‚antisemitischen Gedanken'“ (wieder in Anführungszeichen) und von einer „Überbetonung des Nationalen“.
Wohlgemerkt: Die FPÖ beschreibt hier die Zeit „vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts“. Das umfasst also die gesamte Zeit des NS-Terrorregime und der Konzentrationslager. Ein „sogenannter ‚antisemitischer Gedanke'“ und die „Überbetonung des Nationalen“ sind offenbar das, was der FPÖ dazu einfällt.
Über die deutschnationalen Kern-Fraktionen in Österreich, insbesondere den „Landbund“, die „Großdeutsche Volkspartei“, der NS-Flügel der Heimwehr sowie die frühe NSDAP, erfahren wir nichts.
Wie sich diese – (proto)faschistischen – Parteien politisch verortet haben und insbesondere wie sie bereits sehr früh in der NS-Bewegung aufgegangen sind, wird im Bericht nur in Ansätzen dargelegt. Holen wir das hier kurz nach.
Der Landbund war die Partei der (groß-)bäuerlichen ProtestantInnen, eindeutig deutschnational und stramm antisemitisch. Von 1927 bis 1933 war der Landbund an fast allen Bundesregierungen beteiligt, in Kärnten und im Burgenland stellte er sogar die Landeshauptmänner.
In Kärnten war die Partei ab 1923 durchgehende die stärkste Kraft auf der Rechten. Ihre Basis waren Großbauern, die sogenannten Sterzgrafen und die Holzindustrie (was sich teilweise bis heute in der Landes-FPÖ widerspiegelt).
Auch die Großdeutschen waren in vielen Regierungen der ersten Republik vertreten und stellten zeitweise die Vizekanzler. Sie waren ebenfalls strikt antisemitisch, im Salzburger Programm der Partei von 1920 heißt es unter anderem: “ Der Jude betont, seiner Rassenveranlagung entsprechend, stets das Gegensätzliche, er findet überall das Trennende heraus, nicht das Verbindende.“ Ab Anfang der 1930er Jahre allerdings begann bei allen deutschnationalen Parteien ein massiver Ausdünnungsprozess.
Denn die NSDAP vertrat weitgehend idente politische Ziele. Doch durch ihre Stärke in Deutschland – insbesondere nach der Machtübernahme 1933 – wirkte sie deutlich attraktiver als die kleineren österreichischen faschistischen Parteien mit deutschnationaler Ausrichtung. Schließlich gingen Landbund, Großdeutsche sowie die steirische Heimwehr-Bewegung de facto vollständig in der NSDAP auf.
Einer der „großdeutschen“ Vizekanzler begegnet uns übrigens heute in der FPÖ wieder. Denn die Partei betreibt bis heute ein Franz-Dinghofer-Institut, Präsident war mindestens bis Jänner 2019 Ex-Nationalratspräsident und Olympe Martin Graf. Politisch ist das durchaus bemerkenswert.
Noch im Mai 2019 rückte Graf zu einer Verteidigung aus: „Franz Dinghofer in Nähe des Nationalsozialismus zu rücken ist völlig absurd“, heißt es in einer Aussendung. Doch die Fakten sind eindeutig.
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Dinghofer war ein wüster Antisemit, Mitglied der Burschenschaft Ostmark Graz und wurde 1940 Mitglied der NSDAP. Seine Partei, die Großdeutschen, hatte sich den Nazis bereits 1933 in einer Kampfgemeinschaft angeschlossen. Dinghofer ist damit ein klassischer Fall für die Entwicklung des Deutschnationalismus in der Ersten Republik.
Eine massive Abwanderung zur NSDAP gab es übrigens auch von der später austrofaschistischen ÖVP-Vorläuferpartei Christlichsoziale (CS). Das zeigen etwa die Wahlen in Wien. 1923 bekam die CS allein 33 % der Stimmen. 1927 hatte die Einheitsliste von CS, Großdeutschen und einem Flügel der NSDAP dann 36,5 % der Stimmen, 1932 waren es für die CS allein nur noch 20,2 %.
Die neu antretende NSDAP hatte mit 17,4 % die CS fast halbiert. Die Stimmenanteile von Sozialdemokratie und KPÖ blieben hingegen komplett gleich, mit einer deutlichen Verschiebung hin zur KPÖ. Ähnliche Ergebnisse zeigen übrigens auch bundesweite Wahlen in Österreich und Deutschland.
Diese Stabilität der Parteien der ArbeiterInnenbewegung beim gleichzeitigen Ausrinnen der rechten und bürgerlichen Parteien Richtung NSDAP ist nicht zuletzt im Hinblick auf Theorien einer angeblichen Kollektivschuld aller Deutschen oder ÖsterreicherInnen relevant. Eine solche Theorie verschleiert politische Verhältnisse ebenso wie Klassenverhältnisse.
Doch zurück zum Landbund. Gerade seine weitere Entwicklung ist spannend. Denn ging der Landbund vor 1938 real in der NSDAP auf, wurde er nach 1945 von der ÖVP aufgesogen. Ganz zu Beginn nannte sich die ÖVP im Untertitel laut mehreren Quellen sogar „Christlichsoziale und Landbund“. Die Integration ehemaliger NSDAP-Mitglieder in die ÖVP würde allerdings genug Fülle für einen eigenen Artikel geben. Kommen wir also wieder zur FPÖ.
11. Die Leere von 1934 bis 1945 oder: Der große Taschenspielertrick
„Die Situation des Dritten Lagers nach 1945 lässt sich daher am besten als eine Wiederbelebung der nationalliberalen Grundhaltung verstehen.“ (Seite 8).
„Jedoch sollte sich der Nationalsozialismus durch sein Scheitern und insbesondere wegen seiner verbrecherischen Natur so schnell und gründlich diskreditieren, dass der Nationalliberalismus die Chance für einen Neustart erhielt.“ (Seite 8)
Kommentar: Das ist ein beachtlicher Taschenspielertrick im Bericht der FPÖ. Die FPÖ bezieht sich auf Strukturen, die im Lauf der 1930er Jahre de facto vollständig in der NSDAP aufgegangen sind. Doch nach 1945 sollen diese Parteien, Strömungen und Personen auf einmal – schwuppsdiwupps – als „nationalliberal“ verstanden werden. Weg ist der, der böse Nationalsozialismus. Der hätte sich diskreditiert, also ist niemand mehr Nazi.
Dass es da irgendwas mit Nationalsozialismus gab, wird im Bericht zwar erwähnt. Doch die Analysen sind, gelinde gesagt, zweifelhaft. Das „deutschfreiheitliche Lager“ hätte „während der Ersten Republik schneller und vollständiger als jedes andere mit dem Nationalsozialismus“ sympathisiert und sei „in dieser Bewegung“ aufgegangen, wird im Bericht immerhin konstatiert. (Seite 23) Welche anderen politischen Strömungen „schnell und vollständig“ im Nationalsozialismus aufgegangen sein, verrät der Bericht nicht.
Außerdem sei diese Integration in die NSDAP ohnehin „aus bestimmten zeitspezifischen Umständen heraus historisch erklärbar“ (Seite 23). Welche Umstände es sein sollen, die die Integration in die braune Terrorpartei historisch erklären, erfahren wir ebenfalls nicht.
12. Nazis als Opfer?
„Von den Verheißungen des Nationalsozialismus ließen sich viele (aber nicht ausschließlich) deutschfreiheitliche Österreicher aufgrund der tiefgreifenden Verunsicherung blenden.“ (Seite 8)
„(…) wobei den Gründern des VdU das liberale Element besonders am Herzen lag, gleichzeitig aber auch die Reintegration jener, die sich dem Nationalsozialismus verschrieben hatten beziehungsweise von diesem verführt worden waren (…)“ (Seite 8)
Kommentar: Die Verheißungen des Nationalsozialismus – diesmal auffallend ohne Anführungszeichen. Und Nazis, die schlicht geblendet oder verführt wurden, also offenbar selbst Opfer sind. Mehr an Verharmlosung ist kaum möglich.
13. Der Sprung in die rassistische Gegenwart
„An der Spitze steht immer die Betonung der Freiheit des Einzelnen und die Ablehnung jeder Form des Kollektivismus (…) Analog dazu gehört die Bewahrung der Freiheit der Nation – quasi als Summe der individuellen Freiheiten der Staatsbürger – nach außen (…) sowie im Inneren durch den Schutz der österreichischen nationalen und kulturellen Identität gegenüber den Gefahren kontrollierter Masseneinwanderung.“ (Seite 8ff)
Kommentar: Obwohl es sich um einen Historikerbericht handeln soll, kommt er nicht ohne Bezüge in die Gegenwart aus – überhaupt ist im gesamten Bericht unklar, wo er historisch beginnen soll und wo er endet.
Bei der Analyse der Parteiprogramme der FPÖ wird dann der Begriff Freiheit hervorgehoben. Dass der Begriff im Kontext der Zeit nicht zuletzt als „Freiheit“ von den alliierten Truppen verstanden werden kann, die bis 1955 in Österreich stationiert waren, wird nicht erwähnt.
Stattdessen werden die bekannten Tiraden der FPÖ herunter gebetet. Zur Erinnerung: Als „rassistisch“ will die FPÖ solche Tiraden nicht verstanden wissen.
14. Verbrechensbewusste FPÖ?
„Die Schlüsselworte ‚Vergangenheitsbewältigung‘ oder ‚Wiedergutmachung‘ selbst werden in den Programmen [Anmerkung: dem Parteiprogramm an der FPÖ] nicht expressis verbis erwähnt, aber in diesen lassen sich genügend Passagen finden, in welchen die FPÖ sich der Verbrechen der Vergangenheit bewusst zeigt und sich klar von diesen distanziert.“ (Seite 9)
Kommentar: Welche Passagen in den Programmen der FPÖ das sein sollen, bleibt die FPÖ schuldig.
15. Das Abstimmungsverhalten der FPÖ im Parlament
„Zusätzlich dazu wurde in den Redebeiträgen im Nationalrat auch die Bereitschaft zur Wiedergutmachung des begangenen Unrechts erklärt.“ Die FPÖ hätte „bei insgesamt 15 in der Studie behandelten Gesetzen zum Themenkomplex Restitution, Opferfürsorge und Kunstrückgabe trotz Vorbehalten zehn Mal für die Gesetze“ gestimmt. (Seite 9)
Kommentar: Konkrete Redebeiträge werden nicht genannt. Ebenso wird nicht erwähnt, auf welcher Basis die 15 Gesetze ausgewählt wurden und wie sich VdU/FPÖ insgesamt seit 1949 bei entsprechenden Abstimmungen verhalten haben.
16. Sogenannte Heimatvertriebene als Basis – und noch mehr arme Nazis
„Die Vorbehalte betrafen den sich aus dem Prinzip der Rechtsgleichheit ergebenden Gleichbehandlungsgrundsatz, welcher nach einem breiter definierten Opferbegriff verlangte, der auch indirekte Opfer des Nationalsozialismus – in erster Linie Vertriebene, aber auch Kriegsversehrte, -waisen und -witwen – miteinschließen sollte. In diesem Sinne lehnte die FPÖ auch sämtliche Vermögenssicherungsabkommen mit kommunistischen Staaten in Osteuropa ab, da sie darin die Interessen der Heimatvertriebenen nicht ausreichend vertreten sah.
Außerdem setzten sich VdU und FPÖ im Geiste der Gleichbehandlung für eine etwas differenziertere Behandlung der ehemaligen NSDAP-Mitglieder ein. Konkret bedeutete dies, dass echte Verbrechen selbstverständlich zu bestrafen seien (und zwar gemäß dem österreichischen Strafrecht und nicht rückwirkend per Sondergesetzgebung), aber die mit der Nationalsozialistengesetzgebung einhergehenden Sanktionen mit Bezug auf die Mitläufer wurden als zu harsch betrachtet.“ (Seite 9ff)
Kommentar: Immer wieder betont die FPÖ die „Heimatvertriebenen“ als wichtige Basis der Partei. Das stimmt zweifellos, so bringen die Biografien vieler führender FPÖ-PolitikerInnen bis heute sudetendeutsche Vorfahren ans Licht. Auch Heinz-Christian Strache hat väterlicherseits eine sudetendeutsche Familiengeschichte, wie Nina Horaczek und Claudia Reiterer für die ausgezeichnete Biographie „HC Strache“ recherchiert haben.
Nun gibt es durchaus gute Gründe, die kollektive Vertreibung aller deutschsprachigen Personen aus der Tschechoslowakei nach 1945 kritisch zu sehen. Doch in rechten Kreisen wird dabei ausschließlich auf die Vertreibung an sich Bezug zugenommen, zumeist ohne die Zeit des Nationalsozialismus mit einem Sterbenswort zu erwähnen. Auch im FPÖ-Bericht werden die „Heimatvertriebenen“ ausschließlich als Opfer dargestellt. Die Täter-Biografien werden verschwiegen.
Gleichzeitig wird eine „differenziertere Behandlung der ehemaligen NSDAP-Mitglieder“ in der Politik der FPÖ erwähnt. „Zu harsch“ sei der Umgang mit Mitgliedern der millionenfach massenmörderischen NSDAP gewesen.
17. Der Mythos vom liberalen VdU
„Am Beginn, d. h. als Gründungsväter des VdU, standen mit Herbert A. Kraus und Viktor Reimann zwei Männer, die ein kritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus signalisierten und mit dem VdU wohl in der Tat die vermeintlich ‚gottgewollten‘ (Adam Wandruszka) Lager zu transzendieren, zumindest aber das liberale Element im traditionellen Nationalliberalismus zu stärken beabsichtigten.“ (Seite 11)
Kommentar: Mit Kraus und Reimann wird immer wieder eine vermeintlich liberale Ausrichtung des VdU in seiner Gründungszeit behauptet. Doch tatsächlich wurden hier offenbar schlichtweg zwei Personen gefunden, die die Gründung eines Auffangbeckens der früheren NSDAP-Mitglieder unter den Bedingungen der alliierten Militärverwaltung möglich machten. (Unabhängig davon, dass sich auch ÖVP und SPÖ und teils sogar die KPÖ intensiv um alte Nazis bemühten.)
Ab der zweiten Reihe war die Zielgruppe klar – und spätestens mit der Gründung der FPÖ wurden dann ohnehin die liberalen Hüllen fallen gelassen. Alte Nazis benutzten die Parteiführer als Schutzschild.
Sobald die Umstände und die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ein offenes Auftreten erlaubten, sollte zur alten „deutsch-bewussten Politik“ zurückgekehrt werden, erklärte etwa der VdU-Abgeordnete Fritz Stüber. (Stüber: Ich war Abgeordneter in: Wolfram, Österreichische Geschichte, Wien 1994, Seite 150)
Ebenfalls völlig unerwähnt im Bericht bleibt die wesentliche Rolle der CIA in der Gründung des VdU und der FPÖ. Der Standard schrieb im August 2019 darüber, Profil bereits 2013. Bekannte Nazis waren den USA im antikommunistischen Kampf hoch willkommen. Für die FPÖ offenbar kein erwähnenswerter Umstand.
18. Wie die bekannten Nazis von VdU und FPÖ (nicht) beschrieben werden
„Bei ehemaligen Nationalsozialisten, die auch nach 1945 noch eine mehr oder wenige überzeugte nationalsozialistische Gesinnung zur Schau trugen, wäre vor allem an Fritz Stüber – möglicherweise auch an den ihm nahestehenden Helfried Pfeifer – zu denken, auch mit Bezug auf das oben bereits erwähnte Aussenden von „Signalen“ an Gleichgesinnte. Bezeichnenderweise war Stüber während der Anschlusszeit gar kein NSDAP-Mitglied mehr gewesen, und auch die Affäre um Gordon Gollob beweist, dass jemand nicht unbedingt aus der „Nazi-Ecke“ kommen musste, um eine betont nationale Agenda zu betreiben.
Freilich bedeutete dies auch, dass der Spagat zwischen Männern wie Kraus einerseits und Stüber, Pfeifer und Gollob andererseits nicht mehr aufrechtzuerhalten war, ohne eine Spaltung des VdU zu riskieren. Die Gründung der betont national auftretenden FPÖ war die logische Folge.“ (Seite 11)
„Der starke Mann im Hintergrund, Emil van Tongel, war zwar NSDAP-Mitglied gewesen, kann aber wohl am besten als Technokrat der Macht bezeichnet werden“ (Seite 12)
Kommentar: Ein absolut entscheidendes Gründungsmoment für die Geschichte der FPÖ wird hier in einer Form dargestellt, die einer Verschleierung nahe kommt. Real stellte sich „der Spagat“ so dar, dass die am weitesten rechtsorientierten Landesverbände des VdU, etwa die Kärntner, die Partei spalteten und die Freiheitspartei gründeten.
Auch die Landesverbände in der Steiermark und Oberösterreich wollten auf strammen Rechts-Kurs. Das sollte nicht überraschen. So wurde etwa die Landesgruppe in der Steiermark von Herbert Schweiger geleitet, ehemaliger SS-Mann der „Leibstandarte Adolf Hitler“. 1956 wurde Schweiger dann FPÖ-Spitzenkandidat in Graz, später war er Mitbegründer der neonazistischen NDP. Er galt bis zu seinem Tod im Jahr 2011 als graue Eminenz der gesamten deutschsprachigen NS-Szene. Über Schweiger allerdings ebenfalls kein Wort im FPÖ-Bericht.
1955/56 hatten sich diese Kreise aus hochrangigen Nationalsozialisten endgültig durchgesetzt, 1956 wurde die FPÖ gegründet. Auf „liberale“ Aushängeschilder wurde nun – nach dem Abzug der Alliierten – verzichtet. Der Gründungsparteitag stand unter dem Motto „Glaube – Treue – Opferbereitschaft“, ein klares Signal an die Nazibasis.
Auch die Darstellung der Personen im Bericht der FPÖ ist aufschlussreich. Welche Rolle etwa Fritz Stüber noch über Jahrzehnte für Österreichs (Neo-)Naziszene spielte, bleibt unerwähnt. So war Stüber zwischen 1956 und 1978 Schriftleiter des Eckartboten, einer der wichtigsten Rechtsaußen-Zeitschriften des Landes mit engen Verbindungen zur FPÖ.
Es ist auch kein Zufall, dass die NS-affine Gruppe „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AFP) ihr früheres Zentrum in Wien-Ottakring im ehrenden Gedenken als „Fritz-Stüber-Heim“ bezeichnete. Die AfP war über Jahrzehnte in der österreichischen Rechtsaußen-Szene enorm einflussreich und galt als zentrale Scharnierorganisation zur Vernetzung der verschiedenen einschlägigen Organisationen und von Teilen der FPÖ. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass Pfeifer immerhin noch bis 1959 Abgeordnete der FPÖ blieb.
Dass Gordon Gollob als jemand bezeichnet wird, der nicht aus der „Nazi-Ecke“ kommen würde, ist – gelinde gesagt – dreist. Der Wiener Gollob war im Dritten Reich immerhin Oberst der Luftwaffe sowie der letzte Inhaber der Dienststelle „General der Jagdflieger. Damit war er als höchstrangiger Nazi-Soldat im Generalstab der Luftwaffe angesiedelt.
Die Charakterisierung von van Tongel schließlich ist abenteuerlich. Der sei zwar Mitglied der NSDAP gewesen, aber irgendwie eh kein Nazi. Tatsächlich spielte van Tongel bereits Anfang der 1930er eine wesentliche Rolle für das Aufgehen der Großdeutschen in der NSDAP.
1932 führte van Tongel als Wiener Landesobmann der Großdeutschen Volkspartei den Übertritt eines substantiellen Flügels der Großdeutschen zur NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er dann zwischen 1964 und 1970 sogar Klubobmann der FPÖ im Parlament.
19. Der erste Parteivorsitzende der FPÖ: SS-Brigadegeneral Reinthaller
„Dass Anton Reinthaller – ein ehemaliger Nationalsozialist mit einem hohen Ehrenrang in der SS und gleichzeitig überzeugter Katholik – bei der Gründung der FPÖ 1956 als Zugpferd fungierte, bedeutete selbst für jemand wie Kraus nicht die Rückkehr des ‚Hitlertums‘, aber in jedem Fall eine äußerst ungünstige Symbolik.“ (Seite 11)
„(…) war Reinthallers SS-Rang aber praktisch bedeutungslos“ (Seite 16)
Kommentar: Tatsächlich ist es sehr lohnend, einige Worte mehr über Reinthaller zu verlieren, als es der Bericht tut. Denn der erste Vorsitzende der FPÖ ist bis heute eine zentrale Figur für die Partei.
So hielt etwa 2016 der oberösterreichische FPÖ-Landesparteiobmann und Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner eine Rede bei einer FPÖ-Ehrenfeier für Reinthaller. Im Hintergrund prangt deutlich sichtbar Reinthallers Bild. Eventuell ist genau diese bis heute andauernde Verehrung der Grund, warum der Bericht der FPÖ so wenige Worte über Reinthaller verliert.
Reinthaller ist zweifellos das Paradebeispiel für die Gründergeneration der FPÖ. Bis 1945 war er ein höchstrangiger Nazi. 1956 wurde der Oberösterreicher dann der erste Bundesparteiobmann der neugegründeten FPÖ und führte die Partei bis zu seinem Tod im Jahr 1958.
Was erfahren wir nun aus dem Bericht? Reinthaller sei einerseits zwar „ehemaliger Nationalsozialist mit einem hohen Ehrenrang in der SS und gleichzeitig überzeugter Katholik“ gewesen. Doch andererseits hätte Reinthaller immerhin „die Radikaleren erfolgreich im Zaum“ gehalten (Seite 16), heißt es unter Bezugnahme auf den FPÖ-nahen Historiker Lothar Höbelt, einen der Autoren des Berichts. Mehr über die Rolle von Reinthaller im NS-Regime ist nicht zu erfahren.
Doch welche Posten hatte dieser Anton Reinthaller, der erste Obmann der FPÖ, tatsächlich während des Nationalsozialismus?
Ein „hoher Ehrenrang“ in der SS wäre es also gewesen, heißt es verschämt. Wie hoch dieser Rang war, wird hingegen nicht erwähnt. Hier kann der FPÖ geholfen werden. Denn Reinthaller war immerhin SS-Brigadeführer, das entspricht dem Rang eines Generals. Und das ist noch lange nicht alles.
Reinthaller war vor und während des NS-Regimes einer der hochrangigsten Nazis in Österreich. Der NSDAP ist Reinthaller bereits 1928 beigetreten, wie die Zeithistorikerin Margit Reiter in ihrer Studie „Anton Reinthaler und die Anfänge der Freiheitlichen Partei Österreichs“ schreibt. (Vielen Dank an dieser Stelle an Margit Reiter, die mir die Studie zur Verfügung gestellt hat!)
Er stammte aus einem großbäuerlichen Milieu und besaß zwei Bauernhöfe. Als Student an der Hochschule für Bodenkultur in Wien wurde er Mitglied einer deutschnationalen Studentenverbindung, der Akademischen Landsmannschaft der Salzburger. Ob er auch Mitglied des Landbundes war, ist unklar. In der NSDAP jedenfalls stieg Reinthaler schnell auf und halte bald sogar einen eigenen Sekretär. Zeitweise war das Ernst Kaltenbrunner.
Sekretär Kaltenbrunner, Burschenschafter der Arminia Graz, machte ebenfalls Karriere. Im Dritten Reich stieg er bis zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD auf. Die Nazis setzten ihn auch als Ehrenpräsident der jüdisch geprägten Wiener Austria ein. 1946 wurde Kaltenbrunner als einer der Haupt-Kriegsverbrecher des NS-Regimes hingerichtet.
Die Arminia hielt das Andenken an Bundesbruder Kaltenbrunner übrigens noch in den 2000er Jahren hoch. Doch auch darüber ist im FPÖ-Bericht nichts zu erfahren. Wie bereits geschrieben, über die Burschenschaften steht im FPÖ-Bericht überhaupt wenig zu lesen.
Im März 1938 wurde der spätere FPÖ-Obmann Reinthaller dann Minister für Land- und Forstwirtschaft im sogenannten „Anschluss-Kabinett“, das die Übergabe der Regierung an Nazi-Deutschland vorbereitete. Anschließend wechselte er als Unterstaatssekretär für Ernährung und Landwirtschaft ins Reichsministerium nach Berlin. Bis 1945 war er gleichzeitig Reichstagsabgeordneter.
In Ostösterreich, im Gau „Niederdonau“, trug er als Landesbauernführer die „politische Verantwortung für die vielen, vielen Zwangsarbeiter, die gerade auch in Niederösterreich in der Landwirtschaft arbeiteten“, so Historikerin Reiter. Auch die „Entjudung“ von Forstbesitz lag in Reinthallers Verantwortung.
Und der spätere FPÖ-Chef hat auch die Gräuel der Konzentrationslager mit eigenen Augen gesehen. So hat Reinthaller im Juni 1942 gemeinsam mit 22 Kreisbauernführern das Konzentrationslager Mauthausen besucht. An dem Tag wurden laut Tätigkeitsbericht „zwei jüdische Flüchtlinge ‚auf der Flucht‘ erschossen“. Bei einem weiteren wurde vermeldet: „Tod durch Elektrozaun“. Das hat Reiter bei ihren Studien zu Reinthaller herausgefunden.
Reinthaller war also ein hochrangiger Täter. Eindeutig ist, dass er kein Karrierist der Anschlusszeit des März 1938 war, kein sogenannter „Märzgefallener“ – sondern ein früher und überzeugter Nazi. Er war es auch, der am 11. März 1938 vom Balkon des Bundeskanzleramtes am Wiener Ballhausplatz die Ovationen der begeisterten Nazis entgegennahm.
Bereut hat Reinthaller seine Rolle im NS-Regime niemals. In seinem Prozess vor dem Volksgerichtshof im Jahr 1950 erklärte er, er sei ein Idealist gewesen, der nur das Gute wollte, der an Hitler geglaubt habe. In seinen Tagebüchern nach 1945 zeigt sich das klassische antisemitische Weltbild des Nazis Reinthaller.
Er war der Meinung, das Weltjudentum hätte sich 1934 zur „kriegführenden Macht erklärt“ und „zum Kampf gegen Deutschland aufgerufen“. Deshalb sei „eine verschärfte polizeiliche Behandlung der deutschen Juden“ erfolgt ( ) und der Judenstern (angeblich) zum Schutz vor Feindpropaganda und Spionage eingeführt worden„.
20. Die angeblich „ehemaligen“ Nazis
„Reinthaller – ein ehemaliger Nationalsozialist“ (Seite 11)
„(…) die NSDAP- oder gar SS- Mitgliedschaft einzelner oder mehrerer FPÖ-Funktionäre (…). Eine solche Mitgliedschaft war für die tatsächliche Gesinnung eines Politikers nach 1945 eben auch nicht maßgeblich.“ (Seite 15)
Kommentar: Der erste FPÖ-Obmann Reinthaller ist ein fast klassischer Fall, warum der Begriff „Ehemalige“ für frühere NSDAP-Mitglieder schlicht eine Verharmlosung darstellt. Auch die FPÖ bedient sich dieses Tricks.
„Ein ehemaliger Nationalsozialist“ sei Reinthaller gewesen. Korrekt hingegen wäre: Ein ehemaliges Mitglied der NSDAP. Die NSDAP wurde zwar 1945 verboten. Doch deshalb haben diese Kreise noch lange nicht automatisch mit der Ideologie des Nationalsozialismus gebrochen.
Suggeriert wird im Bericht der FPÖ, dass eine ehemalige Mitgliedschaft in der NSDAP oder der SS für die Positionen dieser Person nach 1945 irrelevant wäre. Doch das müsste im Einzelfall überprüft werden – und ist gerade für spätere VdU/FPÖ-Kader wohl eher Ausrede als Realität.
21. Die SS-Einheit von Friedrich Peter
„Mit Friedrich Peter (Bundesparteiobmann von 1958 bis 1978) sollte ausgerechnet jemand, der als Mitglied einer SS-Einheit, die an Erschießungen hinter der Front beteiligt war, wohl die größte Nähe zu nationalsozialistischen Verbrechen aufwies, die Partei auf einen liberaleren Kurs führen, der in der Koalition mit der SPÖ 1980-83 mündete.“ (Seite 12)
Kommentar: Diese Stelle im Bericht sei sogar „besonders problematisch, weil relativierend“, sagt Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, gegenüber der APA. Im vorgelegten FPÖ-Papier werde zwar darauf hingewiesen, dass Peter einer Einheit angehört hatte, die 1941 „an Erschießungen hinter der Front beteiligt war“.
Die 1. SS Infanterie-Brigade sei aber „wesentlich mehr“ gewesen, so Rathkolb. Nämlich „eine reine Mordmaschinerie, die im Sommer 1941 17.000 Juden und Jüdinnen – Frauen, Männer, Kinder – ermordete und später noch 25.000 sowjetische Kriegsgefangene umbrachte“.
22. Wann waren wir denn in der Regierung, FPÖ?
„in der Koalition mit der SPÖ 1980-83 mündete.“ (Seite 12)
Kommentar: Tatsächlich waren SPÖ und FPÖ nicht zwischen 1980 und 1983 in einer Koalitionsregierung, sondern zwischen 1983 und 1986. Sollte die FPÖ eigentlich wissen.
23. Schuld und Sühne
„Der vierte Abschnitt zum Thema Haltungsänderungen beschreibt im Laufe der Zeit eingetretene Veränderungen der Sichtweise von Fragen nach Schuld und Sühne aufgrund neu hinzugewonnener historischer Erkenntnisse beziehungsweise aufgrund der Neuinterpretation bestimmter Sachverhalte. Dies führte einerseits zu einer Relativierung mancher den ehemaligen Nationalsozialisten vorgeworfenen Vergehen (etwa die ‚Illegalität‘ oder die Anschlussbefürwortung), andererseits wurde aber auch die Bedeutung der ‚Opfertheorie‘ einer Neubewertung, unter stärkerer Betonung der Mitschuld von Österreichern, unterzogen.“ (Seite 14)
Kommentar: Dieser Absatz kommt zwar wissenschaftlich daher, tatsächlich verbirgt sich darin eine einschlägige Neuinterpretation der Geschichte nach 1945. Behauptet wird, dass neue historische Erkenntnisse zu einer „Relativierung mancher den ehemaligen Nationalsozialisten vorgeworfenen Vergehen“ geführt hätten. Konkret angeführt wird die „Illegalität“, der Begriff wird nicht weiter ausgeführt. (Und wieder ist von „ehemaligen“ Nationalsozialisten die Rede.)
Mit der Illegalität werden üblicherweise jene Nazis bezeichnet, die bereits in der Zeit des Austrofaschismus zwischen 1934 und 1938 Mitglieder der damals illegalen NSDAP wurden. Möglicherweise, um das Ganze leichter schluckbar zu machen, wird parallel die „Mitschuld von Österreichern“ erwähnt.
Welche „Veränderungen der Sichtweise von Fragen nach Schuld und Sühne“ es gegeben hätte, die zu einer „Relativierung mancher den ehemaligen Nationalsozialisten vorgeworfenen Vergehen“ geführt hätten, welche „historischen Erkenntnisse“ neu gewonnen worden wären und welche Sachverhalte einer „Neuinterpretation“ unterworfen worden wären? Wir erfahren es nicht. Hier wird etwas als gegeben beschrieben, was tatsächlich keineswegs gegeben ist.
Das einzige, das wir erfahren: Dass der Autor dieses Abschnitts scheinbar der Meinung ist, dass es „Haltungsänderungen“ gegeben habe, die eine bereits frühzeitige Betätigung für die NSDAP in Österreich relativieren würden.
24. Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes
„Auch das Eintreten für bestimmte politische Ziele, wie die Aufhebung des Verbotsgesetzes oder die Abmilderung der Entnazifizierungsmaßnahmen, hatte – zusätzlich zu der moralischen, historischen und juristischen Begründung – den Nebeneffekt, dass diese Themen vor allem ehemalige Nationalsozialisten ansprachen.“ (Seite 14)
„Dabei geht es um die Ablehnung des Verbotsgesetzes und um die Befürwortung der Amnestie für ehemalige Nationalsozialisten. Hierbei ging es den Freiheitlichen primär – niemand stellte die Bestrafung von Verbrechern infrage – um Unverständnis für die Unverhältnismäßigkeit der Sanktionen für eine große Gruppe von Personen, die sich nichts weiter als eine Parteimitgliedschaft zuschulden hat kommen lassen. Dieses Unverständnis beruhte auf jenem radikalen Gleichheitsgedanken vor dem Recht, der in vielen anderen Haltungen der FPÖ ebenfalls zum Ausdruck kam. (Seite 24)
Kommentar: Forderungen aus der FPÖ für die Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes hätten eine „moralische, historische und juristische Begründung“ – welche Begründung das sein soll, erfahren wir nicht.
„Ehemalige“ (sic!) Nazis sollten in den Genuss einer Amnestie kommen, schließlich hätten sie sich „nichts weiter als eine Parteimitgliedschaft zuschulden“ kommen lassen. Zur Erinnerung: diese Parteimitgliedschaft bedeutete die ideologische Zustimmung zur imperialistischen Eroberung weiter Teile Europas, zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust.
Gerade die Forderung nach der Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes ist dabei keineswegs eine Frage der Vergangenheit. So hat der jetzige FPÖ-Parteichef und mögliche künftige Vizekanzler Norbert Hofer bereits des Öfteren die Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes gefordert. 2008 forderte Hofer sogar eine Volksabstimmung über die Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes.
25. Die FPÖ und die Burschenschaften
„Obwohl beide Bereiche rechtlich und institutionell völlig voneinander getrennt sind, führt die Mitgliedschaft von FPÖ-Mitarbeitern in waffenstudentischen Verbindungen wiederholt zu Vorwürfen des Rechtsextremismus, weshalb sich zwei Studien mit dem Themenschwerpunkt der auch ‚Schlagende‘ genannten Studentenverbindungen befassen.“ (Seite 17)
„Seit den 1990er Jahren kam es bei den Schlagenden (nach schwachen Reformansätzen in den 1960er Jahren) zu einer bis heute anhaltenden konservativen Renaissance, d. h. einer Stärkung der nationalen Richtung, und auch zu einer leichten Verbesserung der Nachwuchssituation.“ (Seite 19)
Kommentar: Auf gerade einmal rund zwei Seiten beschäftigt sich die Zusammenfassung des Rohberichts mit den deutschnationalen Studentenverbindungen. Gerade einmal sechs Sätze sind dabei für die Geschichte nach 1945 reserviert, bei zwei davon geht es um burschenschaftliche Rekrutierungsprobleme insbesondere nach 1968, wo es an den Universitäten „zu einer in der Hegemonie politisch linker Kräfte münden den ‚Linksverschiebung'“ gekommen sei (Seite 19).
Tatsächlich aber kann eine ernsthafte Geschichte der FPÖ schlichtweg nicht ohne die intensive Beschäftigung mit den deutschnationalen Studentenverbindungen geschrieben werden. Das umfasst das gesamte waffenstudentische Spektrum, das üblicherweise als Burschenschaften zusammengefasst wird. Darunter fallen etwa Burschenschaften, pennale Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften, Turnerschaften, Jägerschaften oder Vereine Deutscher Studenten. Auch der zunehmende Einfluss von Mädelschaften darf dabei nicht vergessen oder unterschätzt werden.
Die deutschnationalen Studentenbünde und die FPÖ als „rechtlich und institutionell völlig voneinander getrennt“ darzustellen, verschleiert schlicht die zentrale Bedeutung der Waffenstudenten für die FPÖ.
Der überwiegende Teil des Kaderkerns der FPÖ auf Bundes- und Länderebene sowie im öffentlichen Dienst rekrutiert sich aus den schlagenden Verbindungen. In diesen Verbindungen wird die ideologische Schulung für einen bedeutenden Teil des FPÖ-(Nachwuchs)-Kaders durchgeführt.
Die Burschenschaften spielen gleichzeitig eine zentrale Rolle als Scharnierorganisation zwischen dem parteiförmigen Rechtsextremismus der FPÖ, offenen Neonazi-Strukturen, extrem rechten Fußball-Milieus, deutschnationalen Traditionsvereinen oder faschistischen Gruppen wie der selbst ernannten „Identitären Bewegung“. Auf den Buden der Waffenstudenten können all diese Milieus sich jenseits der Öffentlichkeit austauschen und Verbindungen knüpfen bzw. aufrecht erhalten.
Die aktuelle politische Positionierung der österreichischen Burschenschaften bezeichnet der Bericht verharmlosend als „konservative Renaissance“ und „Stärkung der nationalen Richtung“. Tatsächlich spielen die „Ostmärker“ seit Jahren eine zentrale Rolle im gesamtdeutschen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) und bilden dabei mit der von ihnen mitdominierten „Burschenschaftlichen Gemeinschaft“ den rechtesten Flügel in diesem extrem rechten Verband.
Von diesen Rechtesten der extremen Rechten wird immer wieder unter anderem ein Ariernachweis innerhalb der DB gefordert. Für weitere Hintergründe zu den Burschenschaften darf ich auf meinen Artikel „Biertonnen, Terror und Faschismus“ verweisen.
26. „Gebt Gas“ – Die Lieder der Studentenverbindungen
„Die Studie von Mario Strigl zum Liedgut der farbentragenden Studentenverbindungen analysiert die historische Entstehung dieses Liedgutes und kommt zu dem Schluss, dass sich seit dem Mittelalter verschiedene Themenschwerpunkte entwickelt und übereinander gelegt haben: Diese Schwerpunkte reichen von Trinkliedern und den Kampfliedern der Befreiungskriege über die idealistischen sowie politischen Lieder des Vormärz und das Schwelgen im romantischen (groß-)deutschen Nationalismus bis hin zu den ’saturierten Hymnen der nationalen Einigung‘. Seit Ende des Ersten Weltkrieges hat es keine bedeutende Weiterentwicklung mehr gegeben, weshalb kein einziges dieser Lieder als ‚Nazilied‘ betrachtet werden kann. Dieser Umstand schließt freilich den Missbrauch einzelner Lieder durch die Nationalsozialisten ebenso wenig aus wie politisch eindeutig abzulehnende Umdichtungen oder Zusatzstrophen nach 1945.“ (Seite 19)
Kommentar: Hier kommen wir zum Ausgangspunkt des Historikerberichts: Den im Jänner 2018 bekannt gewordenen Skandal um die Textzeile „Gebt Gas ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ im Liederbuch der pennalen Burschenschaft Germania Wiener Neustadt.
Der gleiche Text soll sich auch im Liederbuch der Wiener Burschenschaft Bruna Sudetia befinden, wie der Falter im Februar 2018 berichtet hat. Die „Brunen“ dementierten zwar, der Artikel des Falter ist aber immer noch online, wurde also offenbar bisher nicht oder nicht erfolgreich geklagt.
Ob und welche weiteren Burschenschaften diesen Text singen, ist derzeit unbekannt. Die Liederbücher der Verbindungen stehen großteils schlicht nicht zur Verfügung. Zur Erinnerung: Die Burschenschaften haben ihre Archive für den Bericht offiziell nicht geöffnet.
Der FPÖ-Bericht distanziert sich zwar von „eindeutig abzulehnenden Umdichtungen oder Zusatzstrophen nach 1945“, doch unter den traditionellen Liedern der Burschenschaften sei kein einziges „Nazilied“ (wieder einmal in Anführungszeichen). Damit schwindelt sich die FPÖ aber um eine wichtige Frage herum – denn die entscheidende Frage ist, was 2019 als Nazilied gelten kann und muss und wo Lieder eine Bedeutungsänderung erfahren haben.
So ist etwa bei den Burschenschaften das Absingen des „Deutschlandlied“ in allen drei Strophen üblich. Also mit der Textzeile „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“. Seit 1945 ist das nur noch in der extremen Rechten üblich.
Ebenfalls in die Liste der mehr als fragwürdigen Lieder gehört „Wenn alle untreu werden“. Dieses Lied wurde zwar bereits 1814, also lange vor dem Dritten Reich komponiert, doch im Dritten Reich hatte es dann eine zentrale Bedeutung.
Im Liederbuch der SS etwa stand es nach dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied an dritter Stelle. Gesungen wird das Lied in burschenschaftlichen Kreisen bis heute. Auch beim „Freiheitskommers“ der Burschenschaften im März 2019 stand es im Programmheft. Bei der Veranstaltung war auch der damalige FPÖ-Chef Strache präsent. Ob er mitbekommen hat, ist nicht bekannt.
Von Jörg Haider existiert gar eine Videoaufnahme, wo er dieses Lied mit seinen burschenschaftlichen Kameraden singt. Haider selbst war – selbstverständlich in diesen Kreisen – natürlich ebenfalls korporiert.
Der frühere FPÖ-Vorsitzende war zuerst Mitglied der schlagenden Pennal-Verbindung Albia Bad Ischl und dann der Akademischen Jägerschaft Silvania Wien. Die Silvania teilt sich ihr Haus übrigens mit der Sängerschaft Barden, die über mehrere Jahre als informelles Zentrum der Gruppe „Identitäre“ in Wien galt.
Zusammengefasst stellen sich somit zum Liedgut der Burschenschaften zumindest drei Fragen: Zum einen, was 2019 als Nazilied gelten kann und muss. Zum zweiten, welche Lieder sich überhaupt in den Liederbüchern der Verbindungen finden würden. Und zum dritten, was tatsächlich auf den Buden gesungen wird. Denn nur, weil ein Lied nicht im Liederbuch steht, heißt es noch lange nicht, dass es nicht angestimmt wird.
27. Verbindungen zwischen FPÖ und Neonazis: Bedauerliche Einzelfälle?
„(…) Sammlung von Stellungnahmen. Diese dokumentieren den offiziellen Umgang der Partei mit Vorwürfen von Wiederbetätigung, Rechtsextremismus oder Rassismus bei einzelnen Mitarbeitern und FPÖ-Funktionären seit 2017. Aus dieser Dokumentation geht hervor, dass es sich dabei in der Regel tatsächlich um bedauerliche ‚Einzelfälle‘ handelt, die aber eher insignifikant sind. Diese Vorfälle werden zwar von Medien und Gegnern ‚aufgeblasen‘, aber sie können eben nicht auf die Haltung der gesamten FPÖ übertragen werden.“ (Seite 20)
Kommentar: Davon zu sprechen, dass es sich bei den Fällen von Wiederbetätigung, Rechtsextremismus und Rassismus innerhalb der FPÖ um „Einzelfälle“ handeln würde, dass diese „insignifikant“ seien und dass sie von „Medien und Gegnern“ schlicht „aufgeblasen“ würden, richtet sich von selbst.
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, alle angeblichen Einzelfälle der FPÖ allein in den letzten Jahren aufzuzählen. Es ist auch müßig, es ist allgemein bekannt.
28. Norbert Burger … und Heinz-Christian Strache
„andere Gruppen des ‚rechten‘ Spektrums, denen einzelne FPÖ-Funktionäre nahestanden (wie Norbert Burgers NDP oder der ‚Befreiungsausschuss Südtirol‘)“ (Seite 22)
Kommentar: Die NDP ausschließlich als „rechts“ zu bezeichnen, muss zweifellos als abstruse Verharmlosung bezeichnet werden. Immerhin wurde die Partei 1988 wegen Neonazismus verboten. Bei der NDP geht es auch nicht um reine Kontakte zur FPÖ.
Die NDP war immerhin eine Abspaltung der FPÖ. Ihr Vorsitzender, der Olympia-Burschenschafter Norbert Burger, war Bundesvorsitzender des Rings freiheitlicher Studenten gewesen, bevor er und seine braunen Kameraden sich selbstständig machten.
Burger ist aber noch aus einem anderen Grund enorm interessant, der im FPÖ-Bericht unerwähnt bleibt. Heinz-Christian Strache war jahrelang mit Burgers Tochter liiert, im Milieu der Burgers sowie als pennaler Burschenschafter der Vandalia Wien lernte der junge Strache die Crème de la Crème der österreichischen Nazi-Szene kennen und nahm in Folge an Wehrsportlagern teil. Strache bezeichnete Burger im Gespräch für die bereits erwähnte Biografie „HC Strache“ sogar als „Vaterersatz“.
29. Die „Kriegsteilnehmer“ vor „Diffamierungen“ schützen
„Im Einklang mit ihrer Grundausrichtung (…) verwahrte sich [die FPÖ] in ihren frühen Programmen (1957/58 und 1968) (…) gegen pauschale Diffamierungen der Kriegsteilnehmergeneration.“ (Seite 22)
Kommentar: Hier findet sich wieder eine klassische Erzählung der extremen Rechten und des NS-Lagers. Die Soldaten des dritten Reichs müssten gegen pauschale Diffamierungen verteidigen werden. Oft wird das verknüpft mit dem rechten Mythos einer angeblich sauberen Wehrmacht. Spätestens mit den Wehrmachtsausstellungen ab 1995 sind solche Rechtfertigungsversuche allerdings purer rechter Geschichtsrevisionismus.
Natürlich haben sich nicht alle Teilnehmer der Wehrmacht an Kriegsverbrechen beteiligt, viele waren zwangsrekrutiert, viele waren Sozialdemokraten und Kommunisten. Doch alle nahmen – teils freiwillig, teils gezwungen – am Krieg der verbrecherischen Wehrmacht teil.
Eine Entschuldigung kann es nur jene geben, die sich nicht an Verbrechen beteiligt haben, nicht freiwillig im Krieg waren und nach dem Krieg ihre eigene Rolle und die Rolle der Wehrmacht schonungslos dargelegt haben. Die späteren Kader von VdU/FPÖ und extremer Rechte werden mutmaßlich darunter nicht zu finden sein.
30. Resümee: Dieser Bericht verharmlost und reproduziert in vielen Bereichen extrem rechte Positionen
Die derzeit vorliegende Zusammenfassung des Rohberichts der FPÖ-Historikerkommission muss als ein Sammelsurium von Verharmlosungen, Leerstellen und zurechtgebogenen Fakten gesehen werden.
Im Bericht werden bereits lange vorliegende Definitionen, etwa zum Rechtsextremismus, infrage gestellt. Eigene Definitionen werden aber nirgends vorgeschlagen. Vermutlich kein Zufall. Denn diese würden dann einer kritischen Prüfung unterzogen – und die FPÖ müsste sich künftig zumindest an ihren eigenen Definitionen messen lassen.
Es ist völlig unklar, wo der Bericht historisch beginnen soll und wo er endet. So gibt es Kapitel zu den personellen Kontinuitäten zwischen NSDAP und VdU/FPÖ sowie zur Frühgeschichte der FPÖ, gleichzeitig aber auch Analysen der Parteiprogramme bis zum aktuellen Programm.
Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch die immer wieder zu findende Betonung der aktuellen Politik der FPÖ. Erinnert sei an die Passage über angebliche „Masseneinwanderung“ oder an die Klagen über die Berichterstattung über angebliche Nazi-„Einzelfälle“, die von „Medien und Gegnern ‚aufgeblasen'“ würden. Ein eigenes Kapital, geschrieben von FPÖ-Generalsekretär Hafenecker, soll sich mit „Vorwürfen“ gegen die Partei auseinandersetzen. Ein Titel, der nicht nach später Einsicht klingt.
Diese Betonung der Tagespolitik könnte im Endbericht noch deutlich mehr Gewicht bekommen. Das zeigt sich unter anderem im angekündigten Teilbereich 5 mit dem Titel „Materialien“. Die Titel lauten etwa „HC-Strache – Entschieden gegen NS-Ideologie und für Israel“ sowie „Erklärungen von HC-Strache“. Beide Texte sollen von Andreas Mölzer geschrieben werden.
Was diese beiden Texte aber im Bericht einer Historikerkommission verloren haben, bleibt völlig unklar. Ebenfalls unklar ist, ob die Betonung der Rolle von Strache der FPÖ nach Ibiza noch opportun erscheinen wird und ob diese Kapitel jemals veröffentlicht werden.
Gleichzeitig fallen die Leerstellen des Berichts auf, insbesondere wenn es doch sonst stark um aktuelle Politik geht. So wird etwa die neofaschistische Gruppe “ Identitäre Bewegung“ im Bericht kein einziges Mal erwähnt.
Die taktische Rolle, die der Bericht für die FPÖ spielt, ist klar. Sowohl die FPÖ wie ihre aktuellen oder künftigen Koalitionspartner – auf Landesebene führt die FPÖ derzeit Koalitionen sowohl mit der ÖVP wie mit der SPÖ – können und werden sich künftig verlässlich darauf ausreden, dass sich die FPÖ ja ohnehin mit ihrer NS-Vergangenheit auseinandergesetzt habe.
Genau deshalb hat vermutlich auch die ÖVP darauf gedrängt, dass dieser Bericht zustande kommt. Auch bei künftigen Berichten über Nazi-Vorfälle in der FPÖ werden wir vermutlich in den Presseaussendungen der Partei immer wieder Verweise auf den Historikerbericht lesen.
Gleichzeitig setzt die FPÖ vermutlich darauf, dass kaum jemand die Zusammenfassung oder gar den gesamten Bericht kritisch liest. Der Bericht richtet sich wohl auch gar nicht an eine breite Öffentlichkeit. Er dient als potentielle blaue Nebelmaschine. Den Wählern und Wählerinnen der FPÖ wird es ohnehin egal sein, sie wissen, was sie von ihrer Partei zu erwarten haben und warum sie sie wählen.
Und letztlich ist es mit dem Lesen allein ja auch noch nicht getan. Es benötigt auch noch das nötige Hintergrundwissen, um Namen, Fakten und historische Ereignisse kritisch einzuordnen.
Denn erst dann würde etwas klar: Dieser Bericht verharmlost und reproduziert in vielen Bereichen extrem rechte Positionen. Ob die FPÖ damit in einer breiteren Öffentlichkeit durchkommt, wird nicht zuletzt daran liegen, wie sehr sich kritische Analysen ihres Berichts verbreiten.
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