Hat die Universität Wien jahrelang und systematisch die Studierendenvertretung über den Burschenschafter-Aufmarsch belogen?
Fast jede Woche marschieren extrem rechte Burschenschafter auf der Rampe der Universität Wien auf. Seit Jahren soll die Uni-Leitung behaupten, dass sie keine Handhabe hätte: Die Uni-Rampe sei öffentlicher Grund. Doch das wäre nachweislich falsch.
Es ist eigentlich ein trauriger Haufen, der sich fast jeden Mittwoch auf der Rampe der Universität Wien versammelt. Bestenfalls 20 junge Männer, sie stehen im Kreis, wirken unsicher. Manchmal wird eine kurze Rede gehalten, manchmal wird darauf verzichtet. Im Hintergrund steht oft ein alter Herr, der offenbar so manche Fäden zieht.
Rasur oder Mensur?
Gar nicht so selten trägt einer der Jünglinge einen Verband im Gesicht. Ob die Blutspuren von einem Missgeschick beim Fechten stammen oder vom Unvermögen zur Glattrasur, das kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Bekleidet sind die meisten Anwesenden mit seltsamen Mützen und Schleifen in unterschiedlichen Farben. Fast überall dabei ist eine Kombination von Schwarz, Rot und Gold, Deutschland ist hier offenbar groß in Mode.
Kein Wunder: Es sind Mitglieder verschiedener deutschnationaler Studentenverbindungen, die mit einem sogenannten „Bummel“ Präsenz vor der Universität Wien zeigen wollen. Sie sind Mitglieder extrem rechter Burschenschaften, Jägerschaften, Sängerschaften, Turnerverbindungen oder Corps. In der breiteren Öffentlichkeit werden diese schlagenden Verbindungen oft als Burschenschaften zusammengefasst.
Wiener PolizistInnen schützen …
Gesschützt wird das einschlägige Treiben auf der Uni-Rampe regelmäßig von der Wiener Polizei. Gegen JournalistInnen, die den Aufmarsch der extremen Rechten dokumentieren wollen, geht die Polizei dabei regelmäßig vor und behindert etwa die Aufnahme der Reden der Burschenschafter.
https://www.standpunkt.press/spenden/
JournalistInnen und Fotografinnen werden dabei mit angeblichen rechtlichen Folgen bedroht und sollen so offenbar eingeschüchtert und von der Arbeit abgehalten werden. Ich selbst war mehrmals Zeuge und Betroffener solcher Szenen und musste mein Recht auf Berichterstattung verteidigen.
Sind die Aufmärsche angemeldet?
Mehrmals frage ich am Rand der Aufmärsche verschiedene Einsatzleiter der Polizei, ob der Aufmarsch angemeldet wäre. (Juristisch korrekt heißt das übrigens: Ob eine Anzeige der Kundgebung erfolgt wäre. Die Anmeldung einer Demonstration ist in Österreich nicht erforderlich, sondern nur ihre Anzeige bei der Behörde). Alle befragten Einsatzleiter bejahen das Vorliegen einer Anmeldung. Das macht mich stutzig – sind wir hier nicht auf Privatgelände?
Augenscheinlich gehört die Rampe doch zum Gelände der Universität Wien. Wie können die Burschenschafter hier, also auf Privatgelände, einen Aufmarsch anmelden? Und kann die Uni wirklich nichts dagegen tun?
Antifaschistische Proteste
Zwischen antifaschistischen Studierenden und dem Rektorat tobt seit Jahrzehnten ein erbitterter Streit um die Burschenschafter-Aufmärsche in der Universität Wien. Als Aufmarschpunkt diente den extremen Rechten über viele Jahre der sogenannte „Siegfriedskopf“, ein 1923 errichtetes deutschnationales Gefallenendenkmal mitten in der Aula der Universität Wien. Erst 2006 entschloss sich die Universität – nicht zuletzt nach immer lauter werdenden antifaschistischen Protesten –, den deutschen Schädel neu zu gestalten und zu verlegen.
Als neuer Aufmarsch-Punkt dient den deutschnationalen Studentenverbindungen seither die Rampe der Universität Wien. Auch hier sind die Burschenschafter immer wieder mit antifaschistischen Protesten konfrontiert. Die Österreichische HochschülerInnenschaft an der Uni Wien protestiert als gewählte Vertretung der Studierenden regelmäßig gegenüber der Uni-Leitung und fordert Maßnahmen gegen das einschlägige Treiben.
Gefährliche Verbindungen
Das Treiben vor der Universität wirkt bestenfalls skurril. Doch tatsächlich sind die extrem rechten Strukturen, die hier zusammenkommen, äußerst einschlägig und potentiell gefährlich. Denn die deutschnationalen Verbindungen bilden seit Jahrzehnten den Kaderkern der verschiedenen Elemente der extremen Rechten.
Das reicht von der FPÖ über die neofaschistische Gruppe Identitäre bis zum militanten Neonazismus. Besonders gut sichtbar ist das am Beispiel der einschlägig bekannten Wiener Burschenschaft Olympia. In der Liste ihrer Mitglieder findet sich die gesamte Bandbreite der äußersten Rechten: Das reicht von führenden FPÖ-Funktionären wie Martin Graf, ehemals dritter Präsident des Nationalrats, über Alexander Markovics, Vorgänger von Martin Sellner als Sprecher der „Identitären Bewegung“ (auch Sellner war einst mit den Olympen verbunden) bis zum verstorbenen Norbert Burger, einst Südtirol-Terrorist, danach Obmann der später verbotenen NDP und – laut dessen Aussage – „Vaterersatz“ von Heinz-Christian Strache.
Die Buden der Verbindungen sind vertrauliche Treffpunkte für die verschiedenen Flügel der Rechten. Die Position der FPÖ im Parlament und im Staatsapparat garantiert dabei weitreichenden Schutz vor polizeilichen Untersuchungen (so wurde etwa unter Schwarz-Blau I ab dem Jahr 2002 der Rechtsextremismusbericht des Innenministeriums abgeschafft). Waffenstudenten haben damit eine kaum zu unterschätzende Scharnierfunktion für die gesamte extreme Rechte.
Aus der Geschichte lernen
Wohin es führen kann, wenn solche Gruppen stärker werden, zeigt die Geschichte der Wiener Universität in der ersten Republik. Burschenschaftliche Nazibanden dominierten – oftmals im Verbund mit katholisch-antisemitischen Verbindungen – den Campus. Immer wieder wurden jüdische und linke Studierende bewaffnet angegriffen und teils schwer verletzt.
Besonders im Zentrum der antisemitischen Angriffe stand das Anatomie-Institut in der Währinger Straße, geleitet vom sozialdemokratischen Gesundheitspolitiker Julius Tandler. Dort kam es immer wieder zu pogromartigen Angriffen der – zumeist burschenschaftlichen – Naziorganisationen an der Universität. Gedeckt wurden die NS-Studierenden von antisemitischen Elitenverbindungen, die sich in Vereinigungen wie der Geheim-Gesellschaft „Bärenhöhle“ oder dem „Deutschen Klub“ zusammengeschlossen hatten. Mit dem FPÖ-nahen „Neuen Klub“ existiert übrigens bis heute ein Nachfolger dieses Deutschen Klubs.
Öffentliches Gelände oder Uni-Gelände?
Die aktuellen Diskussionen um die Burschenschafter-Aufmärsche auf der Uni-Rampe werden stark von der Frage dominiert, wer überhaupt die rechtliche Verfügungsgewalt über die Rampe hat. Das Rektorat würde dabei gegenüber der Studierendenvertretung regelmäßig behaupten, dass die Rampe nicht zum Uni-Gelände gehören würde, so die Darstellung der Österreichischen HochschülerInnenschaft an der Uni Wien. Die Uni-Leitung würde mit diesem Argument behaupten, dass ihr schlichtweg die Hände gebunden wären.
https://www.standpunkt.press/biertonnen-terror-und-faschismus-473/
Zissi Fritsche vom Vorsitz-Team der ÖH Uni Wien etwa berichtet: „Seit Jahren wird der ÖH Uni Wien vermittelt, dass die Rampe, die zum Eingang des Hauptgebäudes der Universität Wien führt, öffentliches Gelände ist.“ Erst im August 2019 hätte Rektor Heinz Engl auf ihre Anfrage betont, dass es sich bei der Rampe „nicht um Universitätsgelände, sondern um öffentlichen Grund handelt, weshalb ihm bezüglich einer Untersagung des Aufmarschs deutschnationaler Burschenschafter die Hände gebunden seien“, so Fritsche.
Hat das Rektorat die Studierenden belogen?
Mehrere andere ÖH-Vertreterinnen bestätigen mir gegenüber gleichlautende Aussagen der Uni-Leitung aus den letzten Jahren. Der Schönheitsfehler: Die Behauptung, dass die Uni-Rampe öffentlicher Grund ist, ist nachweislich falsch. Wenn die Universität Wien das tatsächlich so behaupten würde, würde sie seit Jahren systematisch die Studierendenvertretung belügen.
Es ist gar nicht so einfach, die Besitzverhältnisse an einem bestimmten Gebäude in Wien auf den Meter genau zu bestimmen. Es sind zwar einige Pläne aufzufinden, doch die ganz genauen Besitzverhältnisse sind daraus nicht immer zweifelsfrei ableitbar. Ein wichtiger Hinweis ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofs nach einem Unfall auf der Uni-Rampe aus dem Jahr 1999. Es enthält starke Indizien, dass die Rampe Teil des Uni-Geländes wäre.
Wem gehört die Uni-Rampe?
Im Grundstückskataster der Stadt Wien findet sich schließlich ein genauer Plan des Hauptgebäudes der Universität Wien. Das Uni-Gebäude ist mit der Nummer 1522 ausgewiesen und hier gelb markiert. Und dieser Plan zeigt: Die gesamte Uni-Rampe und die Stiegen vom Ring zur Universität Wien sind eindeutig Universitätsgelände und kein öffentlicher Grund.
Auf meine Anfrage bestätigt dann die Wiener Magistratsabteilung 69, die für das Immobilienmanagement zuständig ist: „Bei der gelb markierten Fläche handelt es sich um das Privatgrundstück 1522 (Katastralgemeinde: Innere Stadt).“ Damit ist klar, dass der gesamte Bereich der Rampe und der Stiege zum Gelände der Universität zählt. Falls das Rektorat also gegenüber der Studierendenvertretung tatsächlich behaupten würde, dass die Rampe öffentlicher Grund sei, wäre das schlicht gelogen.
Das verdächtige Schweigen der Universität
Die Universität Wien will sich trotz zahlreicher Anfragen weder zum Aufmarsch der Burschenschaften noch zu diesen Vorwürfen äußern. Eine erste telefonische Anfrage an Uni-Sprecherin Cornelia Blum ergeht bereits am 22. November, unmittelbar danach sende ich ihr auf ihr Ersuchen einen umfangreichen Fragenkatalog.
Es folgen eine Vielzahl von ergebnislosen Telefonaten, Mails und SMS. Bei einer Nachfrage, wann ich mit einer Antwort rechnen könne, wird mitten im Gespräch einfach aufgelegt. Am 2. Dezember folgt schließlich das Versprechen per SMS: „Antwort kommt heute oder morgen“.
Doch trotz zahlreicher weiterer Anfragen ist auch danach bis Mitte Jänner keinerlei Stellungnahme der Universität zu erhalten. Auch Rektor Engl habe ich eine Anfrage geschickt und ihn mit der Darstellung der Studierendenvertretung konfrontiert. Auch hier keine Antwort.
Auffallend allerdings ist, dass Blum bei unserem ersten Gespräch sofort über die Eigentumsverhältnisse der Uni-Rampe Bescheid weiß. Es wirkt, als hätte sich die Universität intern bereits auf die Diskussion vorbereitet.
In diesem Gespräch gibt Blum zu, dass die Rampe Teil des Geländes der Universität Wien sei. Danach nur noch Schweigen. Offenbar sind solche Fragen der Universität Wien äußerst unangenehm. Und ein Dementi zu den erhobenen Vorwürfen sieht anders aus.
Ist der Burschenschafter-Aufmarsch dann überhaupt legal?
Egal, was die Universität Wien gegenüber der Studierendenvertretung in den letzten Jahren behauptet hat: Es ist eindeutig, dass die Rampe der Uni Wien zum Gelände der Universität zählt. Die Uni hat damit die Verfügungsgewalt über dieses Gelände. Rechtlich ist die Sache damit überraschenderweise noch nicht eindeutig geklärt.
Stefan Kittinger vom Referat für Versammlungsangelegenheiten der Landespolizeidirektion Wien bestätigt das Vorliegen einer Dauer-Kundgebungsanmeldung der Burschenschafter für die „Hauptrampe der Uni Wien inklusive Stiege“. Als Beispiel, warum das auf Privatgelände möglich wäre, nennt er den Wiener Heldenplatz: „Der ist zwar ebenfalls Privatgrund im Eigentum der Republik, vertreten durch die Burghauptmannschaft. Aber gleichzeitig ist der Platz öffentlich zugänglich. Damit ist das Anzeigen einer Kundgebung möglich.“
Die Hol-Schuld der Uni Wien
Kittinger merkt aber auch an: „Wenn die Universität Wien zu uns käme und sagt, sie will das nicht, müssten wir eine Beurteilung treffen.“ Damit gibt es also eine eindeutige Hol-Schuld der Universität Wien. Das sieht auch Verfassungsrechtlerin Brigitte Hornyik so: „Die Uni Wien müsste wohl von sich aus tätig werden“, sagt sie. „Wenn sie handeln wollen würde, könnte sie es wohl mit einer Besitzstörungsklage versuchen.“
Denn, so stellt Hornyik klar: „Das Versammlungsgesetz verbietet ja nicht, dass Grundeigentümer etwas gegen eine Kundgebung unternehmen.“ Meine Anfrage an die Universität Wien, ob das schon einmal versucht worden wäre, bleibt unbeantwortet.
Das geheime Gutachten
VertreterInnen der ÖH berichten, dass seitens der Universität Wien die Rechtmäßigkeit des Burschenschafter-Aufmarsches neuerdings mit einem Gutachten des Verfassungsjuristen Heinz Mayer gerechtfertigt würde. Was den Inhalt betrifft, soll sich die ÖH aber offenbar auf das Wort des Rektorat verlassen: Trotz Nachfragen würde eine Übergabe des Gutachtens verweigert.
Auf meine Anfrage erklärt Mayer, dass er sich dunkel erinnern könne, vor einigen Jahren ein solches Gutachten erstattet zu haben. Ohne Erlaubnis des Rektorats dürfe er es aber nicht weitergeben. Mehrere Anfragen zur Herausgabe des Gutachtens beim Rektorat verlaufen ergebnislos. Versprochene Rückrufe erfolgen nie.
Und nun?
Das hartnäckige Schweigen der Universität Wien könnte mehrere Gründe haben: Zum einen wirkt es so, als wolle die Universität Wien die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Besitzverhältnisse auf der Uni-Rampe im Unklaren halten. Und es wäre natürlich ein Skandal, wenn das Rektorat die Studierendenvertretung über Jahre systematisch belogen hätte.
Zum zweiten möchte sich die Universität offenbar nicht dazu äußern, ob sie irgendwann versucht hat, rechtlich gegen den Aufmarsch der Burschenschafter vorzugehen. Und zum dritten hätte eine Legalität des Burschenschafter-Aufmarsches auf dem Gelände der Universität potenziell weit reichende Folgen.
Denn nach der derzeitigen Rechtsauslegung können natürlich auch AntifaschistInnen und Linke Kundgebungen auf dem Gelände der Universität Wien anmelden. Das ist nicht zuletzt in Hinblick auf die aktuellen Proteste gegen die Vorlesungen des weit rechten Uni-Professors Lothar Höbelt an der Uni Wien bedeutsam.
Würden also auch AntifaschistInnen verstärkt Kundgebungen auf dem Gelände der Uni anmelden, würde sich vermutlich schnell herausstellen, ob die Universität Wien sich auch dann nobel zurückhält. Oder ob das Rektorat der Uni Wien jahrelang den Aufmarsch extrem rechter Burschenschafter auf der Uni-Rampe gedeckt hat.
_____________________
Ich hätte eine Bitte an Dich!
Die Artikel auf dieser Seite sind ohne Paywall für alle Menschen frei lesbar – und es wird hier auch niemals eine Paywall geben. Alle Menschen sollen die Inhalte auf dieser Seite lesen können, egal, wieviel Geld sie haben. Damit das möglich bleibt, brauche ich Deine Hilfe!
Wenn Du meine Projekte gut findest, wenn Dir diese Arbeit etwas wert ist – dann bitte ich Dich um Deine Unterstützung! Besonders freue ich mich, wenn Du meine Arbeit monatlich unterstützen möchtest. Nur so kann ich planen und diese Arbeit professionell fortsetzen!
Schon ab 5 Euro im Monat kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten! Damit noch mehr Menschen Journalismus mit Meinung und Haltung lesen können.
• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig: Klick auf den Button!
• Spendenkonto – monatlich/einmalig: Klick hier für ein kurzes Mail für die Kontodaten!
• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
Vielen Dank für Deine Unterstützung!