Die katastrophale Reaktion der Tiroler Behörden in der Corona-Krise ist kein „Versagen“. Sie ist die logische Folge der Verschmelzung von ÖVP und Tourismus-Industrie.
Als immer mehr ÄrztInnen in Tirol Alarm schlagen und dringend Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus fordern, hat Franz Hörl seinen großen Auftritt. Noch am Freitag, dem 13. März, erklärt der ÖVP-Nationalratsabgeordnete aus Tirol, dass die Schließung der Tiroler Skigebiete für viele Skigebietsbetreiber „unverständlich“ sei. Immerhin seien doch „zwei Drittel des Landes in keiner Weise derzeit vom Coronavirus berührt“, zitiert ihn der Standard.
Damit würde sich auch die Frage der ÄrztInnen nicht stellen, warum so spät reagiert würde und warum die Seilbahnen weiter geöffnet bleiben, so Hörl. Da seien auch noch Bescheide zur Schließung in Arbeit. Werner Kurz, der ÖVP-Bürgermeister des Corona-Hotspots Ischgl assistiert: „Wir haben gehandelt, wie die Behörden es uns vorgegeben haben.“ Dass Hörl und Konsorten dabei auch ureigenste wirtschaftliche Interessen im Blick haben könnten, wird kaum erwähnt.
Graue Eminenz
Doch Franz Hörl ist ein mächtiger Mann. All seine Jobs und Funktionen aufzuzählen, braucht einen eigenen Absatz. Nehmen wir uns die Zeit für diese Aufzählung:
Hörl ist Nationalratsabgeordneter für die ÖVP, Vorsitzender des Tiroler ÖVP-Wirtschaftsbundes und Ex-Tourismussprecher seiner Partei. Gleichzeitig ist er Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Obmann des Fachverbands Seilbahnen der WKO sowie WKO-Spartenvertreter für Tourismus.
Neben all diesen Tätigkeiten hat Hörl offenbar noch genügend Zeit, um als Geschäftsführer mehrerer Skilifte und Tourismus-Unternehmen in Tirol zu fungieren. Die Seite meineabgeordneten.at hat eine enorm lange Liste seiner wirtschaftlichen Verbindungen zusammengestellt.
Hörl ist damit nicht nur als Person interessant, er steht für ein System: Stellvertretend und exemplarisch zeigt Hörl die organische Verschmelzung zwischen Politik und Tourismus-Industrie in Tirol – und nur aus dieser Verschmelzung ist das vermeintliche Versagen der Tiroler Behörden in der Corona-Krise in vollem Ausmaß erklärbar.
Das Heilige Land
Seit Jahrzehnten ist das „Heilige Land Tirol“ eine Bastion der konservativen ÖVP. Nach der Revolution 1918 regierten bis 1938 durchgehend Landeshauptleute der Christlichsozialen Partei – also der Vorläuferpartei der heutigen ÖVP. Der austrofaschistische Putsch der Christlichsozialen im Februar 1934 begann sogar in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck: Bereits am 30. Jänner 1934 hatte die austrofaschistische Heimwehr die Stadt besetzt.
Die Nazi-Faschisten setzen sich in Tirol dann bereits am 11. März 1938 durch, noch einen Tag vor dem offiziellen „Anschluss“ an Nazi-Deutschland. NS-Formationen kontrollieren die Stadt, die Exekutive setzt Einheiten der SA und der SS als Hilfspolizei ein.
Nach der Niederlage der Nazi-Faschisten 1945 ging die Dominanz der Rechtskonservativen bis heute nahtlos weiter: Die Christlichsozialen nannten sich nun ÖVP, noch bei der Landtagswahl 1984 kratzte die Partei an der Zweidrittel-Mehrheit. Vor allem der langjährige Landeshauptmann Eduard Wallnöfer prägte das Land: Er regierte zwischen 1963 und 1987, also insgesamt 24 Jahre lang.
Dass Wallnöfer auch Mitglied der NSDAP gewesen war, wurde einer breiteren Öffentlichkeit erst 2005 bekannt. Seit 2013 regiert die ÖVP nun in einer Koalition mit den Grünen – die allerdings getrost als schlichtes Beiwerk zum schwarzen Bollwerk verbucht werden können (und als Regierungspartner selbstverständlich mitverantwortlich für die jetzige Krise sind).
Der Tourismus beherrscht das Land
Der Sommertourismus hätte in Tirol bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, schreibt die offizielle Seite der Tirol Werbung. Um das Jahr 1900 sei dann auch die Wintersaison für den Tourismus „entdeckt“ worden. Bereits damals hätte „ein gutes Dutzend Orte“ zu Aktivitäten wie Skilauf, Eislauf oder Rodelpartien eingeladen. Die ersten Seilbahnen werden dann bereits in den 1920er Jahren gebaut – Tirol etabliert sich endgültig als Winter-Tourismusgebiet.
Heute ist das Land Tirol weitgehend auf den Tourismus ausgerichtet. Allein die direkte Wertschöpfung des Tourismus hätte in Tirol im Jahr 2014 rund 4,5 Milliarden Euro gebracht. Fast ein Fünftel der gesamten Bruttowertschöpfung des Landes, so TirolTourismResearch.
Die „Adler Runde“
Diese Zahlen und Fakten drücken gleichzeitig handfeste wirtschaftliche Interessen aus: BesitzerInnen von Skigebieten, Seilbahnen, Hotels und Restaurants verdienen in Tirol enorme Summen am Tourismus. Und gleichzeitig sind diese UnternehmerInnen politisch bestens vernetzt – wenn es sich nicht ohnehin gleich um dieselben Personen handelt. Wir erinnern uns an Franz Hörl.
Stellvertretend für diese Verknüpfungen steht die Tiroler „Adler Runde“, laut Selbstbeschreibung eine „politisch unabhängige Plattform namhafter Unternehmerpersönlichkeiten“. Tatsächlich ist die Adler Runde eine – mindestens für Tirol – enorm einflussreiche politische Pressuregroup des Kapitals. Dass sich unter den Mitgliedern der Runde zahlreiche Hotel-BetreiberInnen und Seilbahn-Unternehmer finden, ist kein Zufall: Es drückt schlicht den Einfluss der Tourismus-Industrie in Tirol aus.
Tirol und die Corona-Krise
„Aus medizinischer Sicht“ wäre es „wenig wahrscheinlich“, dass es in Tirol zu Ansteckungen mit Corona gekommen sei, behauptet der Tiroler Landessanitätsdirektor Florian Katzgraber noch am 5. März. Das „Kitzloch“ in Ischgl gilt heute als ein europaweiter Ausbruchsherd von Corona. Doch noch am 8. März erklären die Tiroler Behörden, dass eine Übertragung des Virus auf Gäste der Bar „aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“ sei. Das entsprechende Schriftstück veröffentlicht das Lokal auf Facebook. Die Bar bleibt offen.
Der gewöhnlich sehr gut informierte Tiroler Blogger Markus Wilhelm hat auf seiner Seite eine SMS-Kommunikation veröffentlicht, die aus einem Dialog zwischen Hörl und dem Betreiber der Kitzloch-Bar vom 9. März stammen soll (Update: Hörl hat gegenüber dem Standard die Authentizität bestätigt). Hörl bittet den Betreiber, die Bar freiwillig zu sperren, „oder willst Du schuld am Ende der Saison in Ischgl u eventuell Tirol sein“, so Hörl. Was also im Mittelpunkt steht: „Die Saison“, das Geschäft. Androhung einer Zwangssperre: Nada.
https://www.youtube.com/watch?v=gXZTBTlsFHI
Auch die Skilifte laufen bis Sonntag, den 15. März, weiter. Das erbärmliche Interview des Tiroler ÖVP-Gesundheitslandesrats Bernhard Tilg („Alles richtig gemacht“) wird zu all diesen Entwicklungen wohl noch lange und gut in Erinnerung bleiben.
Interventionen der Tourismus-Industrie
Und als die Seilbahnen schließlich doch geschlossen werden, dürfte es zuvor massive Versuche der Tourismus-Industrie gegeben haben, das zu verhindern: „Natürlich hatten wir deshalb riesigen Krach mit den Seilbahnunternehmen. Viele Betroffene haben die Maßnahmen für völlig überzogen gehalten“, so Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ebenfalls ÖVP) am 16. März in einem Interview mit dem konservativen Kurier. „Betroffen“ sind hier also nicht etwa die erkrankten Menschen, sondern die Seilbahn-EigentümerInnen.
Auch hier dürfte Hörl eine entscheidende Rolle gespielt haben: Am 12. März sei es im Innsbrucker Landhaus zu einem lautstarken Showdown zwischen Landeshauptmann Günther Platter und dem mächtigen Seilbahn-Lobbyisten Hörl gekommen sein, berichtet der Standard. Der sollte die Landesregierung dazu bringen, eine weitere Woche Skizirkus abseits der bereits aufgegebenen Quarantänegebiete zuzulassen.
Update: Eine besonders zynische Wendung in diesem Zusammenhang: Am 21. März wurde bekannt, dass auch das Hotel Gaspingerhof in Tirol von Corona-Problemen betroffen ist. Alle Personen, die sich dort aufgehalten haben, werden vom Land Tirol dazu aufgefordert, speziell auf Symptome zu achten. Eigentümer des Gaspingerhof ist Franz Hörl.
Als die Kritik an den mangelnden Tiroler Maßnahmen immer lauter wird, ist dann sogar noch Georg Schärmer eingesprungen, der Landesdirektor der Katholischen Caritas. Ein „Bashing“ gegenüber der Tiroler Landesregierung fände er „ekelhaft“, KritikerInnen seien doch nur „notorische Besserwisser“.
Das ist kein Versagen, das hat System
Was in Tirol passiert ist, ist kein „Versagen“, das in einer so außergewöhnlichen Situation einfach mal vorkommen kann. Was in Tirol passiert ist, zeigt exemplarisch, was es bedeutet, wenn Politik und Industrie zu einer organischen Einheit verschmolzen sind. Wir sollten uns natürlich nicht täuschen: Es ist Regel und nicht Ausnahme in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Doch Tirol steht nun als exemplarisches und negativ herausragendes Beispiel.
Und genau deshalb ist es so wichtig, gerade jetzt über diese Verbindungen zu schreiben. Wir stehen am Anfang der Corona-Krise. Und wer nicht aus den Fehlern der Geschichte lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.
(Am 22.03. ergänzt um Informationen über die Rolle Hörls bei der Diskussion um die Schließung der Skigebiete in Tirol, am 25.03. ergänzt um den Aufruf der Behörden im Fall Gaspingerhof.)
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