In Fabrikshallen wird gearbeitet, Kirchen sind geöffnet, doch Demos werden untersagt. Das geht so nicht. Es muss auch jetzt möglich sein, unter Einhaltung von Distanzregeln auf die Straße zu gehen.

Die Corona-Pandemie stellt die sozialen Bewegungen vor schwierige Herausforderungen. Einerseits gibt es auch und gerade in diesen Zeiten berechtigte Anliegen, um auf die Straße zu gehen: Das Sterben im Mittelmeer, die Situation in den Abschiebe-Gefängnissen, aber auch die mangelnde Unterstützung für Menschen, die in soziale Not geraten sind.

Gleichzeitig gibt es auch eine gesundheitliche Verantwortung für das Leben der Menschen, die an Demonstrationen teilnehmen – und für das Leben derer, die mit ihnen in Kontakt kommen. Zentral für Demos in diesen Zeiten ist also zweifellos, dass alle notwendigen Distanzregeln penibel eingehalten werden. Doch diese gesundheitliche Verantwortung kann nicht bedeuten, dass die Polizei bereits vorsorglich alle politischen Kundgebungen untersagt.

Polizei untersagt Demo auf Verdacht

Genau das ist am Freitagnachmittag geschehen. Die Wiener Polizei hat eine Kundgebung untersagt, die mit fünf TeilnehmerInnen angekündigt war.  Zum Aufmarsch auf der Wiener Albertina kamen dann trotz Untersagung knapp 200 Personen – eine höchst problematische Mischung von VerschwörungstheorikerInnen, WutbürgerInnen und auch organisierten FaschistInnen der Gruppe „Identitäre Bewegung“. Einige TeilnehmerInnen bezeichneten sich selbst als „Juden“ – und verglichen damit den Holocaust mit den Pandemie-Beschränkungen.

Ob auch tatsächlich besorgte Menschen ohne dubiose Agenda vor Ort waren, ist nicht feststellbar, aber auch nicht auszuschließen. Die notwendigen Distanzregeln wurden von vielen nicht eingehalten.

Schlussendlich löste die Polizei die Kundgebung auf. Das Problem: Das ist natürlich wiederum Wasser auf die Mühlen der VerschwörungstheoretikerInnen. Es gibt aktuell sinnvolle und notwendige Distanzregeln. Die sollen und müssen auch bei Demos eingehalten werden – doch in diesem Fall hatte die Polizei schon im Vorfeld und quasi „auf Verdacht“ untersagt. Egal, ob uns diese konkrete Demo gefällt oder nicht: Das kann in Zukunft nicht so laufen.

Bild: Michael Bonvalot

Wie es mit dem Demonstrationsrecht weitergeht, ist aktuell unklar. Im Epidemiegesetz soll eine Bestimmung eingefügt werden, die den Behörden dauerhauft erlaubt, Veranstaltungen zu verbieten, die das Zusammenströmen großer Menschenmengen mit sich bringen. Das hat der ORF am Donnerstag berichtet. Am Freitag sagte dann Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in der ZIB2, es würde „daran gearbeitet“, dass Demonstrationen wieder möglich werden – allerdings ohne konkreten Zeithorizont.

Was passiert am 1. Mai?

Doch in Kürze steht mit dem 1. Mai ein besonders wichtiges Datum für die Linke und die ArbeiterInnenbewegung an. Es wäre zweifellos ein fatales Zeichen, wenn an diesem Tag ausschließlich VerschwörungstheoretikerInnen und möglicherweise extreme Rechte auf die Straße gehen. Hier ist die Linke dringend gefragt.

Wenn Demonstrationen unter penibler Einhaltung aller Distanzregeln durchgeführt werden, kann hier nichts dagegen sprechen. Denn dann ist die Situation genau gleich wie in Gebetshäusern, Baumärkten oder bei jeder anderen Begegnung auf der Straße. Städte könnten die Sicherheit unterstützen, indem sie traditionelle Aufmarschorte wie die Ringstraße in Wien am 1. Mai zur Begegnungszone erklären. So wäre jedenfalls genug Platz für Distanz.

Klar ist: die Maßnahmen zur Distanzierung sind sinnvoll und notwendig. Wer diese Maßnahmen nicht einhält, gefährdet sich und andere. Doch solange alle Distanzregeln eingehalten werden, muss es auch in diesen Zeiten möglich sein, für wichtige Anliegen auf die Straße zu gehen.

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