Die Grauen Wölfe organisieren in Österreich tausende Menschen. Doch welche Vereine und Moscheen gehören zu den Faschisten? Und wie könnt ihr sie erkennen? Teil 3 der Serie.

Nach Tagen des Schweigens meldet sich der Dachverband der Grauen Wölfe, die „Türkische Föderation in Österreich“ (ATF), schließlich via Facebook zu Wort. Dreist wird am am Freitag, dem 26. Juni, behauptet: „Die Beteiligten dieses Vorfalls“ würden „in keinster Weise in Beziehung zu unserem Verband stehen“. Der „Vorfall“, das sind die zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tage andauernden faschistischen Angriffe auf linke Menschen aus Kurdistan, der Türkei und Österreich in Wien-Favoriten.

Ein gleichlautendes Statement wird parallel auch auf der Seite der Jugendorganisation der ATF veröffentlicht. Mehr als bezeichnend: Am Samstag, dem Tag darauf, wird die linke Großdemonstration in Wien-Favoriten erstmals nicht von faschistischen Provokationen begleitet. Es ist ein – wohl unbeabsichtigt – deutlicher Hinweis darauf, welch enormen Einfluss die organisierten Wölfe auf die Angreifer tatsächlich haben.

Das Netzwerk der Grauen Wölfe in Österreich ist weit verzweigt. Es ist ein Geflecht aus Jugendclubs, Moscheen und Sport- und Kulturvereinen. Tausende Menschen sind politisch und sozial in dieses Geflecht eingebunden. Eine Angabe genauer Zahlen ist allerdings schwierig. Einerseits sind die Mitgliedschaften in den Kaderorganisationen nicht bekannt. Andererseits ist über Vereine und Moscheen ein breites Milieu in die Strukturen der Wölfe eingebunden.

Der Dachverband organisiert

Das organisierende Zentrum der Wölfe in Österreich ist die „Türkische Föderation in Österreich“ (ATF, Avusturya Türk Federasyon). Sie ist der Dachverband für die verschiedenen Vereine der Wölfe, die je nach Ort oder Bezirk ganz unterschiedliche Namen tragen können. Dieses System der Organisierung über Vereine ist übrigens auch für andere politische Strömungen aus der Türkei typisch.

Die österreichische Zentrale der ATF ist derzeit ein dreigeschossiges Haus in der Hosnedlgasse in Wien-Donaustadt. Von außen sieht das Haus sehr unscheinbar aus. Doch Bilder aus dem Inneren zeigen unter anderem einen prächtig ausgestalteten Saal mit Platz für mehrere hundert Menschen, wo auch Hochzeiten und andere Feiern stattfinden. Um den tatsächlichen Einfluss der Wölfe einzuschätzen, können Wahlergebnisse einen ersten guten Eindruck liefern.

Wie wählen türkischstämmige Menschen?

Offiziell sind die Wölfe eine Partei, sie nennt sich Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Seit mehreren Jahren ist diese MHP in einer strategischen Allianz mit der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verbunden. In der Türkei selbst hatte die MHP bei den Parlamentswahlen 2018 insgesamt 11,1 Prozent der Stimmen erhalten, ihre Abspaltung İyi (Gute Partei) nochmals 10 Prozent.

In den Jahren davor lag die MHP bei Wahlen zwischen 8 und 18 Prozent. Unter türkischen WählerInnen aus Österreich hat die MHP bei diesen Wahlen 8,9 Prozent der Stimmen geholt. In absoluten Zahlen sind das 4.595 Stimmen für die Wölfe in Österreich.

Linke in Österreich stärker als Wölfe

Zum Vergleich: Die Wölfe-Abspaltung İYİ blieb mit 2,7 Prozent in Österreich weitgehend bedeutungslos. Die AKP war mit 62,5 Prozent die überragende Wahlsiegerin in Österreich (in der Türkei selbst hatte sie mit 42,3 Prozent weit weniger erhalten). Die sozialdemokratisch-nationalistische CHP erhielt in Österreich 11,4 Prozent. Stärker als die Wölfe war in Österreich auch die linke und pro-kurdische HDP. Sie erhielt 11,8 Prozent der Stimmen.

Zwei wichtige Einschränkungen: Stimmberechtigt bei diesen Wahlen waren naturgemäß nur türkische StaatsbürgerInnen, die in Österreich leben. Wer die österreichische StaatsbürgerInnenschaft hat, konnte nicht wählen. Und: Das Milieu von Wölfen und AKP ist inzwischen ideologisch enorm verschmolzen, die Stimmen von AKP und MHP sollten also als Block verstanden werden. Traditionelle nationalistische Übereinstimmungen gibt es auch zwischen den FaschistInnen und (großen Teilen) der CHP – noch 2014 stellten die beiden Parteien sogar einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl in der Türkei auf.

Allerdings können wir davon ausgehen, dass in Österreich vor allem der Großteil der jüngeren Menschen türkischer oder kurdischer Abstammung tatsächlich ÖsterreicherInnen sind. Ihre Sympathien für bestimmte Parteien in der Türkei sind also nicht zahlenmäßig festzumachen. Doch was wir jedenfalls wissen: Rund 9 Prozent der Wählenden haben den Wölfen ihre Stimme gegeben, rund 63 Prozent der AKP, die mit den Wölfen verbündet ist. Alles über die Geschichte und Ideologie der Wölfe könnt ihr im Teil 1 der Serie lesen.

Wölfe erkennen

Vereine und Vereinslokale der Wölfe gibt es in fast allen Bundesländern. Besonders gut organisiert sind die Faschisten dabei in Wien, in Niederösterreich, in Oberösterreich sowie in Tirol und Vorarlberg. Eine Zuordnung zu den Wölfen ist allerdings oft erst nach intensiven Recherchen möglich, weil die Moscheen, Kultur- oder Sportvereine zumeist keine offenen Bezüge zu den Wölfen aufweisen.

[Du kannst das folgende Banner wegklicken und danach weiterlesen. Du kannst über das Banner auch sehr gern künftige Recherchen mit Meinung und Haltung unterstützen.]

Der Begriff Grauer Wolf (türkisch: Bozkurt) etwa wird sich kaum jemals finden. Einen ersten Hinweis können aber beispielsweise Personen liefern, die, beispielsweise auf Fotos in sozialen Netzwerken, den Wolfsgruß zeigen. Möglich wird die Zuordnung der Vereine zu den Wölfen dann über verschiedene Umwege.

Die Schlüsselwörter

Einerseits ist da natürlich die Mitgliedschaft im Dachverband ATF. Allerdings geben sich die Wölfe keine besondere Mühe, hier gefunden zu werden. Im Netz etwa ist die ehemalige Seite der ATF (turkfederasyon.net) bereits seit ca. 2015 stillgelegt. Andererseits sind bestimmte Schlüsselbegriffe wichtig, die immer wieder auftauchen.

Bedeutend ist hier vor allem der Begriff des Idealisten – so nennen sich die Wölfe selbst. Auf Türkisch: Ülkü, Ülkücü oder Ülkücüler. So tritt die ATF beispielsweise in Wiener Neustadt bei Wien oder in Feldkirch in Vorarlberg als „Ülkü Ocağı“ auf, als „Idealistenherd“. So nennen die Wölfe ihre Clubs. In Vorarlberg gibt oder gab es auch einen Fußballklub namens Ülküspor Lustenau.

Facebook-Seite der ATF in Wiener Neustadt mit zahlreichen Wolfsgrüßen

Ebenfalls gern verwendet wird der Begriff Turan – nach dem angeblichen Ursprungsort der Turkvölker in Zentralasien. Zahlreiche Sportvereine im Einflussbereich der Wölfe nennen sich Turanspor.

Von Wien bis Feldkirch

Manchmal taucht auch der Begriff Ergenekon auf. Damit wird das mythische Tal bezeichnet, wohin ein Wolf angeblich in der Vorzeit die Turkvölker zu ihrem Schutz gebracht hatte. In Feldkirch beispielsweise gibt es einen Kulturverein Ergenekon, der der ATF zugeordnet werden kann. In Teil 2 dieser Serie könnt ihr alles über die Codes, Begriffe und Symbole der Grauen Wölfe lesen.

In der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz nennen sich die Wölfe dagegen Avrasya (Eurasien). Die Avrasya ist immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil die Linzer Sozialdemokratie trotz wütender Proteste über Jahre ein enorm enges Verhältnis mit ihr pflegte. Bundesweit kursiert immer wieder die Zahl von rund 20 Vereinen, die den Wölfen zugeordnet werden. Es könnten aber noch mehr sein.

Scheinbar unverdächtige Vereine

Denn die Wölfe arbeiten etwa auch sehr stark im vorpolitischen Raum. So organisieren sie etwa vor allem Jugendliche über sportliche Aktivitäten. Sichtbar wird das nur selten. Eine dieser Situationen gab es im Februar 2019auf einem Fußballplatz in Wien-Brigittenau. Dort hatten faschistische Graue Wölfe Spieler und Fans des kurdischen FC Kurd angegriffen. (Die Ereignisse habe ich hier für FM4 nachgezeichnet.) Kurz danach, im Juni 2019, wird dann auf der Facebook-Seite der ATF-Jugend eine Fußballmannschaft abgefeiert, die auf genau dieser Sportanlage für ein Foto posiert.

Und noch andere jugendgerechte Aktivitäten werden von den Wölfen organisiert. In der Zentrale der ATF in der Wiener Hosnedlgasse gibt es sogar Computerspiel-Turniere mit FIFA 19. Als Preise winken Playstation-Guthaben oder ein Headset.

Jugendklub in Favoriten

Auch die stärker islamisch geprägte Wölfe-Abspaltung BBP (Partei der großen Einheit) ist in Österreich verankert. Ihr Dachverband in Europa ist der „Verband der türkischen Kulturvereine in Europa“ (ATB, Avrupa Türk Birliği), in Österreich treten ihre Moscheen und Vereine auch als Nizam-i Alem (Weltsystem) auf.

_____________________

Du kannst diesen Artikel kostenfrei lesen. Für mich bedeuten solche Artikel und Recherchen viel Arbeit – und ich lebe von Deinem Support. Gerade jetzt brauchen wir Journalismus mit Meinung und Haltung. Wenn Du meine Arbeit unterstützen willst, kannst Du das ganz einfach hier tun!

Vielen Dank

Michael Bonvalot

_____________________

Neben Wien, wo die BBP ein Lokal in der Arbeitergasse im fünften Bezirk betreibt, hat sie auch Strukturen in Oberösterreich und Salzburg. Am Antonsplatz nahe dem Reumannplatz in Wien-Favoriten betreibt die BBP dazu einen eigenen Jugendklub. Dort gibt es mit der Vakıf Moschee auch ein religiöses Zentrum, das dem Milieu der BBP zugeordnet werden kann. Auffallend: Nach den Angriffen auf linke Demonstrationen hatten sich die faschistischen Aggressoren immer wieder Richtung Antonsplatz zurückgezogen.

Die Jugendclubs der BBP heißen Alperen Ocakları. Das klingt nicht zufällig ähnlich wie der offizielle Name der Wölfe: Idealistenvereine, Türkisch Ülkü Ocakları. Nicht verwechselt werden sollte der BBP-Dachverband ATB übrigens mit der ATİB, der „Türkisch-Islamischen Union in Österreich“. Die ATİB steht der AKP nahe und ist vermutlich der größte Verband der türkischen Rechten in Österreich.

Die Bedeutung der Religion

Die ATF ist eine offizielle Kultusgemeinde der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Die Wölfe sind damit auch in den Dachverbänden der IGGÖ verankert. So zeigte 2016 Baki Uslu, zu diesem Zeitpunkt Generalsekretär der IGGÖ, auf Twitter den Wolfsgruß. Aus der IGGÖ heißt es auf meine Anfrage, dass Uslu seit 2018 nicht mehr Generalsekretär sei. Die Vertretung der ATF im Obersten Rat sei die kürzlich zurückgetretene IGGÖ-Frauensprecherin Fatma Akay-Türker gewesen.

Dass Akay-Türker somit eine hochrangige Repräsentantin der faschistischen Grauen Wölfe war, ist nicht ohne Brisanz. Immerhin wurde sie nach ihrem Rücktritt als Frauensprecherin Anfang Juni 2020 in vielen Medien positiv rezipiert. Der Standard etwa bezeichnete sie als „laute Stimme für muslimische Frauen“.

Genau hinsehen!

Sowohl die Wölfe wie die BBP betreiben zahlreiche Moscheen, die oftmals gleichzeitig die Vereinslokale der Organisationen sind.  Die Bedeutung der Moscheen geht dabei, genauso wie in der Katholischen Kirche, weit über den reinen Gottesdienst hinaus. Die religiösen Zentren können soziale Treffpunkte, Jugendclubs und/oder Sportvereine sein. Sie spielen damit eine wichtige Rolle in der Gewinnung und Einbindung von (potentiellen) SympathisantInnen.

Was bei all dem nicht übersehen werden darf: Die lokalen Vereine werden in vielen Fällen aus öffentlichen Geldern gefördert. Schon allein aus diesem Blick ist ein genauer Blick auf die Grauen Wölfe und ihre Vereine wichtig. Die Netzwerke der Wölfe zu erkennen, ist aber auch darüberhinaus notwendig.

Diese Zentren spielen eine wesentliche Rolle im Aufbau faschistischer Strukturen in Österreich. Sie sind gefährlich für linke Menschen aus Kurdistan, aus der Türkei und aus Österreich. Genau das hat auch der Angriff auf das EKH gezeigt.

Die gesamte Serie:

Teil 1: Die Grauen Wölfe. Woher kommen sie und warum sind sie so gefährlich?
Teil 2: Die Grauen Wölfe: Wie ihr sie erkennen könnt und warum der Wolf so wichtig ist
Teil 3: So sind die Grauen Wölfe in Österreich organisiert
Teil 4: Welche Verbindungen haben ÖVP-Favoriten und Graue Wölfe?
Teil 5: Faschistische Jugend: Die Grauen Welpen aus Favoriten
Teil 6: Warum sind die Proteste in Favoriten gerade jetzt eskaliert?
Teil 7: In diesen Städten haben die Grauen Wölfe in Österreich ihre Treffpunkte

_____________________

Ich hätte eine Bitte an Dich!

Die Artikel auf dieser Seite sind ohne Paywall für alle Menschen frei lesbar – und es wird hier auch niemals eine Paywall geben. Alle Menschen sollen die Inhalte auf dieser Seite lesen können, egal, wieviel Geld sie haben. Damit das möglich bleibt, brauche ich Deine Hilfe!

Wenn Du meine Projekte gut findest, wenn Dir diese Arbeit etwas wert ist – dann bitte ich Dich um Deine Unterstützung! Besonders freue ich mich, wenn Du meine Arbeit monatlich unterstützen möchtest. Nur so kann ich planen und diese Arbeit professionell fortsetzen!

Schon ab 5 Euro im Monat kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten – Damit noch mehr Menschen Journalismus mit Meinung und Haltung lesen können.

• Spendenkonto – monatlich/einmalig:

IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)

• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:

• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

Vielen Dank für Deine Unterstützung!

Hast Du diesen Artikel lesenwert gefunden? Schick ihn jetzt weiter!