Warum nicht alle Corona-SchwurblerInnen und Querdenker Nazis sind. Warum die Unterscheidung wichtig ist. Und warum die Bewegung gerade deshalb für die extreme Rechte zentral ist – und für die Zukunft so gefährlich.

Wir dürfen uns nicht täuschen: Extreme Rechte stellen den Kern der Corona-Mobilisierungen. Sie organisieren Märsche, stellen RednerInnen, geben Parolen vor, ihre Kader sind mit Bannern Teil der Aufmärsche. In einschlägigen Social-Media-Kanälen sind ihre Plattformen dominant.

Wir reden hier nicht von vereinzelten Figuren. Die gesamte extreme Rechte von FPÖ und Strache über die neofaschistische Gruppe „Identitäre“ und die Küssel-Neonazis bis zu rechten Fußball-Hooligans und Qanon-VerschwörerInnen ist Teil der Corona-Mobilisierungen.

Ich berichte seit Beginn der Bewegung regelmäßig von den Corona-Aufmärschen. Viele Führungsfiguren, die ich nun dort sehe, kenne ich bereits sehr gut – von vergangenen Mobilisierungen der extremen Rechten, vor allem gegen geflüchtete Menschen.

Das visuelle Bild der Märsche wird dominiert von Schildern und Transparenten mit absurden Verschwörungstheorien, von faschistischen Bannern sowie von klassisch reaktionärem Patriotismus mit rot-weiß-roten Fahnen. Die Fahnen stammen übrigens oft von Sportereignissen. Eine große Bierwerbung ist drauf.

Es gibt keine „Querfront“

Es wäre technisch jederzeit möglich, einen Aufmarsch zu organisieren, der sich glaubwürdig von Nazis abgrenzt und sie aus dem Marsch wirft. Das wäre immer noch nicht gut – doch es ist bezeichnend, dass nicht einmal das passiert. Die Rechte hat die Bewegung in der Hand.

Eine angebliche Querfront zwischen Rechts und Links, die medial herbei geschrieben wird, ist faktisch übrigens nicht existent. Keine einzige linke Organisation ist bei Corona-Märschen präsent. Die auf Märschen präsente Truppe mit dem Namen „Corona-Querfront“ ist sogar eine Kreation der Gruppe rund um Neonazi Gottfried Küssel.

Doch die Dominanz der extremen Rechten ist nur ein Teil der Realität. Bei den Märschen sind auch viele präsent, die glaubhaft versichern, kein Teil der extremen Rechten zu sein. Nach großen Aufmärschen habe ich auf meiner Facebook-Seite facebook.com/m.bonvalot bis zu 1500 Kommentare am Tag.

Viele sind sicher keine Nazis

Da sind sehr viele eindeutig weit rechte Personen dabei. Die blocke ich dann übrigens sofort. Aber manche, die von ihrer Teilnahme an Märschen oder ihrer Sympathie dafür berichten, kommentieren bereits seit Jahren auf meiner Seite und sind ganz sicher keine Nazis.

Auf meiner Facebook-Seite kristallisieren sich hier vor allem zwei Gruppen heraus: Immer wieder sehe ich (vor allem ältere) SozialdemokratInnen, die so ihren Ärger auf die Regierung kanalisieren. Andererseits sind da Menschen, die offenbar besonders anfällig für diverse Formen des Humbugs wie Esoterik, Homöopathie, Impfverweigerung, … sind.

„Du Nazi“ geht im Fall dieser Menschen schlichtweg am Problem vorbei. Das tatsächliche Problem ist, dass diese Menschen glauben, dass der (absurde!) Protest gegen zentrale Pandemie-Maßnahmen wie Masken wichtiger wäre als die Abgrenzung zum Faschismus.

Ist Corona Pegida?

Das Problem ist, dass extreme Rechte die Bewegung anführen und ohne irgendwelche Einschränkungen Propaganda machen können. Das Problem ist, dass die einschlägigen Kanäle auf Telegram ohne erkennbaren Widerspruch voll sind mit rechtsextremer und neonazistischer Propaganda.

Manche vergleichen die Corona-Mobilisierungen mit Pegida. Auf den ersten Blick ist der Vergleich ansprechend. Auf den zweiten Blick gibt es aber einen zentralen Unterschied: Pegida ist thematisch in sich extrem rechts. Corona ist thematisch nicht automatisch extrem rechts.

Genau deshalb sind die Corona-Mobilisierungen so gefährlich. Sie sind ein Biotop, aus dem die extreme Rechte rekrutieren kann und aus dem etwas Gefährliches erwachsen könnte. Weil die extreme Rechte damit weit über ihre bisherige Zielgruppe hinaus neue Schichten ansprechen kann.

Nazis schwimmen wie der Fisch im Wasser

Sie gehen dabei schlau vor. So zeigen manche Parolen ihren einschlägigen Charakter nur für Eingeweihte. Oft wird etwa der Slogan „Friede, Freiheit, Souveränität“ angestimmt. Der Begriff „Souveränität“ deckt sich nicht zufällig mit Parolen der Reichsbürger-Bewegung.

Stark ist die Bewegung wohl nicht zufällig vor allem in kleineren Orten. Corona-Mobilisierungen in Wien sind auf den ersten Blick größer (oft auch da nur durch bundesweite Mobilisierung). Doch heruntergebrochen auf die EinwohnerInnenzahl sind das tatsächliche Problem nicht große Städte, sondern kleine Orte.

Jenseits von Wien sehen wir regelmäßig Mobilisierungen von 400 bis 500 Personen in Orten mit nicht einmal 10.000 EinwohnerInnen. Das steirische Liezen hat 8.000 EinwohnerInnen. Am 6. Jännern waren dort rund 400 Personen auf der Straße. Das sind 4 % der Bevölkerung. In Wien wären das 75.000 Personen.

„Mehr Bildung“ als Lösung?

Das Problem ist hier nicht „zu wenig Aufklärung“. Diese Personen entscheiden bewusst, welchen Informationen sie folgen. Dass es die Pandemie nicht geben würde oder sie übertrieben würde, ist dabei die wesentlich angenehmere Erklärung. Denn sie bedeutet, den bisherigen Lebensstil ohne Veränderungen fortsetzen zu können.

Es ist ein klassisch reaktionärer Ansatz. Aus einem solchen Ansatz können sich faschistische Ideologien entwickeln. Aber die aktuelle Motivationslage vieler TeilnehmerInnen ist offensichtlich nicht der Marsch für den Faschismus. Es wäre ein Fehler, diesen Unterschied nicht zu erkennen.

Die eigentliche Gefahr ist eine andere. Bei vielen nicht-faschistischen TeilnehmerInnen der Märsche verschieben sich gerade die Koordinaten. Sie haben kein Problem (mehr?) damit, gemeinsam mit Nazis zu marschieren. Sie werden Teil des rechten Propaganda-Universums.

Die wirkliche Gefahr

Das Gesicht der neofaschistischen Gruppe „Identitäre“, Martin Sellner, kommentiert etwa über seinen Videokanal, seine Gruppe solle „beraten“, „nicht versuchen, die Demos zu übernehmen“, das könnte „dem Pflänzchen beim Wachsen eher schaden“. Hier besteht die wirkliche Gefahr.

Für die extreme Rechte ist die Bewegung enorm bedeutsam. Sie können in der Masse auf die Straße gehen, sammeln Erfahrungen in der Organisation, knüpfen Kontakte und rekrutieren, es entstehen – online und offline – Verbindungen, Plattformen und Kanäle.

Hier entsteht etwas und es wird nach dem Ende der Pandemie nicht sofort verschwinden. Eine besondere Gefahr ist dabei die aktuelle Endzeitstimmung durch Verschwörungstheorien, etwa gegen Impfungen. Jetzt müsse gehandelt werden, sonst wäre es zu spät. Das ist ein Pulverfass.

Kann es gelingen, jene, die nicht extrem rechts sind von der Teilnahme an Corona-Aufmärschen und der Beteiligung an der Bewegung abzubringen? Es wird enorm schwierig. Doch all diese Personen pauschal als Nazis zu bezeichnen, wird sicherlich nicht helfen.

Wir brauchen schlauere Antworten als „Nazis raus“. Das Problem ist (noch?) nicht, dass alle Nazis sind. Das Problem ist, dass alle bereit sind, mit Nazis auf die Straße zu gehen. Am Samstag in Wien riefen Linke: „Ihr marschiert mit Nazis und Rassisten“. Genau hier müssen wir ansetzen.

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