Eine Kundgebung gegen frauenfeindliche Morde am Wiener Karlsplatz wurde attackiert. Der Aggressor ist ein mutmaßlicher Kirchenmann.
„Na geh, geschlagen!“ Der Mann versucht gegenüber den empörten Anwesenden zu relativieren. „Ich habe Sie weggedrängt!“ Es ist eine wilde Szene, die sich am 29. September vor der Wiener Karlskirche abspielt. Videos der Situation habe ich jetzt erhalten.
Der Aggressor trägt typische Kirchenkleidung: Eine schwarze Soutane, also einen knöchellangen Umhang. Dazu einen weißen Kragen. Er ist offenbar empört über die Kundgebung am Karlsplatz. Dort protestieren Aktivist:innen der „Claim The Space“-Vernetzung („Fordere den Raum“) seit rund zwei Jahren regelmäßig nach jedem Femizid. Femizide, das sind Morde aus frauenfeindlichen Motiven.
Dem mutmaßlichen Kirchenmann passt das offensichtlich überhaupt nicht. Mutmaßlich, weil der Mann nicht namentlich identifziert ist – die Kleidung und die gesamte Situation allerdings sehr dafür sprechen, dass er mit der Kirche in Verbindung steht. Videos, die mir vorliegen, zeigen die Szene. Es beginnt mit der Segnung eines knieenden Kirchenmanns vor der Kirche, die Glocken der Karlskirche läuten dazu. Im Vordergrund zu sehen sind Aktivist:innen, zu hören sind Sprechchöre: „Kein Gott! Kein Staat! Kein Patriarchat!“.
„Mit dem Arm gegen den Hals“
Auf einem zweiten Video zu sehen ist dann der mutmaßliche Kirchenmann. Er steht im Bereich neben den Lautsprechern, von wo die Reden gehalten werden. Zu diesem Zeitpunkt sind dort rund fünf Aktivist:innen zu erkennen, offenbar Organisator:innen. Gut zu erkennen ist, wie der Mann die Frau attackiert, offenbar stößt oder schlägt er sie gegen den Hals.
Die betroffene Frau erzählt mir, wie sie die Situation erlebt hat: Der Mann sei über die Stufen aus der Karlskirche gekommen. Zuerst sei er aggressiv auf die moderierende Person zugegangen und hätte ihr das Mikrofon aus der Hand reißen wollen: „Nachdem ich mich daneben gestellt habe und ihn zur Rede stellte, holte er aus und schlug mir mit dem Arm gegen den Hals.“
„Ich habe Sie weggedrängt!“
Nach der Attacke fragt der Mann aufgebracht: „Haben Sie eine Erlaubnis?“. Die Aktivist:innen um ihn sind hörbar empört. „Sie haben mich gerade geschlagen! Ist Ihnen das klar?“. Der Mann versucht zu relativieren: „Geschlagen? Ich habe Sie weggedrängt!“.
Eine andere Person ist zu hören: „Sie haben sie gerade geschlagen!“ Der Mann relativiert: „Na geh, geschlagen“. Dann beschimpfte er mutmaßlich die Aktivist:innen – was er sagt, ist nicht genau zu verstehen. Die Aktivist:innen würden nur „umeinander plärren“. In diesem Moment erscheint ein Polizist.
„Ist das überhaupt angemeldet?“
Den Polizisten fragt der mutmaßliche Kirchenmann „Ist das überhaupt angemeldet?“, worauf der Polizist offenbar nickt. Dann behauptet der Mann: „Es war eine religiöse Veranstaltungen und in der Zeit ist das nicht möglich.“ Was er genau mit „das“ meint, ist nicht klar. Doch offensichtlich handelt es sich hier um eine Kundgebung nach dem Versammlungsgesetz – die also natürlich möglich ist.
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Schließlich zieht sich der mutmaßliche Kirchenmann zurück in die Karlskirche, begleitet vom einschreitenden Polizisten. Ein anderer (jüngerer) mutmaßlicher Kirchenmann mit weißem Gewand hat die Szene offenbar beobachtet und gefilmt, er ist im Video ebenfalls zu sehen. Die Aktivist:innen rufen ihnen nach: „Kein Gott! Kein Staat! Kein Patriarchat!“
„Es hätte jede treffen können“
Wie sich die betroffene Aktivistin jetzt fühlt? „Dass er sich zu so einer Handlung ermächtigt fühlt, ist verletzend. Es zeigt, wie normalisiert die Gewalt und Verletzung körperlicher Grenzen von Flinta-Personen auch im öffentlichen Raum sind.“ Flinta ist eine Abkürzung, sie steht für „Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen“.
Gleichzeitig ist ihr wichtig, dass es nicht um eine persönliche Stellungnahme geht, die auf sie als Person focussiert: „Die Handlung des mutmaßlichen Kirchenbediensteten hat sich nicht gegen mich als Person gerichtet, sondern hätte jede treffen können, die statt mir dort gestanden wäre.“
Die Kundgebungen wären ein „öffentlicher und kollektiver Raum für die Politisierung patriarchaler Gewalt und Femi(ni)zid“ und auch „ein wichtiger Raum für uns, um dem Gefühl der Vereinzelung und Machtlosigkeit zu entkommen und Trauer und Wut zu teilen“.
Was sagt die Karlskirche dazu?
Auf Facebook veröffentlichte die Karlskirche am Tag nach dem Vorfall ein Statement. Über den Angriff allerdings kein Wort. Stattdessen zeigt sich die Karlskirche „enttäuscht“, dass es „durch lautstarke, teilweise antikirchlich konnotierte Sprechchöre“ angeblich zu einer Missachtung des Rechts auf freie Religionsausübung gekommen wäre.
Es könne „nicht sein, dass Menschen bei einer Demo vor unserer Kirche verbal angegangen oder gar umzingelt werden“. Belege für diese Behauptung werden allerdings nicht vorgelegt. Geliked wird der Beitrag unter anderem von Jan Ledóchowski, dem „Sprecher für Christdemokratie“ der Wiener ÖVP.
ÖVP-Fundamentalist:innen
Ledóchowski ist – gemeinsam unter anderem mit der ÖVP-Abgeordneten Gudrun Kugler – ein wichtiger Vertreter der rechtskatholischen Netzwerke in der ÖVP. Abschließend heißt es im Posting: „Wir werden jedenfalls noch Maßnahmen ergreifen, damit die Sicherheit unserer Besucherinnen und Besucher weiterhin gewährleistet ist und die Karlskirche ein Ort der respektvollen Begegnung bleibt.“
Welche Maßnahmen die Kirche im Umgang mit einer Kundgebung nach dem Versammlungsgesetz ergreifen will, bleibt offen. Auf eine Anfrage von mir zur Attacke hat das „Rektorat St. Karl Borromäus“, zu dem die Karlskirche gehört, nicht reagiert.
„Wir werden uns nicht einschüchtern lassen“
Die Aktivist:innen sagen dazu: „Die Femi(ni)zid-Demos fanden über Jahre anlassbezogen nach jedem öffentlich bekannt gewordenen Femi(ni)zid in Österreich (leider) teilweise fast alle zwei Wochen statt.“ Die Karlskirche müsse somit „mittlerweile sehr genau wissen, wer wir sind und warum wir uns vor den Stiegen der Kirche versammeln“.
Wann sich die Aktivist:innen versammeln, sei damit „unabhängig von irgendwelchen Stadtsegnungen und kirchlichen Veranstaltungen, wir versammeln uns nicht um diese gezielt zu stören“. Sie würden sich aber auch nicht „einschüchtern oder vertreiben lassen.“
Gleichzeitig sei der Karlsplatz als Standort nicht zufällig ausgewählt worden: „Die Karlskirche hat ihren Namen von Karl Borromäus, glühender Antisemit und Treiber von Hexenverbrennungen.“
Erzdiözese Wien: Vielleicht war es ja ein Tourist
Auch an die Erzdiözese Wien habe ich eine Anfrage geschickt und dazu Fotos des Angreifers angefügt. Der Pressesprecher der Erzdiözese Wien, Michael Prüller, erklärt in einer schriftlichen Stellungnahme: „Der unten abgebildete Herr ist mir nicht bekannt.“ Allerdings war meine Anfrage naturgemäß nicht, ob Prüller den Mann persönlich kennt, sondern ob er der Kirche bekannt ist.
Ob der Mann in einer ehrenamtlichen Funktion für Karlskirche tätig sei, solle ich beim zuständigen Rektorat St. Karl Borromäus erfragen. Von dort allerdings keine Antwort (quasi mit der Kirche ums Kreuz, wie der Volksmund sagt). Schließlich spekuliert Prüller noch wild: Es könne ja auch sein, dass der Mann „lediglich dort einen Gottesdienst besuchen oder als Tourist die Kirche anschauen wollte“.
In einer weiteren Mail an Prüller hatte ich danach nochmals explizit nachgefragt: „Ist aus Ihrer Sicht sicher, dass der Herr keine Funktion in der Kirche hat?“. Auf diese Anfrage hat die Erzdiözese Wien nicht mehr geantwortet.
Aktivist:innen wollen weitermachen
Die Aktivist:innen kündigen währenddessen an, auch künftig bei weiteren Femiziden am Karlsplatz demonstrieren zu wollen. Sie wollen „patriarchale Gewalt und ihre Ursachen innerhalb einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaftsordnung gemeinsam politisieren“ und „nicht alleine mit unserer Trauer und Wut“ sein. Ihre Parole: „Nehmt ihr uns eine*, antworten wir alle!“
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