Der polizeiliche Würgegriff wird in immer mehr Städten der USA untersagt. Das Innenministerium behauptet, in Österreich gäbe es keinen solchen Griff. Recherchen zeigen: Diese Behauptung ist mehr als fragwürdig.
In New York, Washington und Minneapolis dürfen PolizistInnen künftig keine Würgegriffe mehr anwenden. Es ist ein erster kleiner Erfolg der wütenden Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Doch wie ist das eigentlich in Österreich?
Innenministerium behauptet: „Nicht vorgesehen“
Christoph Pölzl, Sprecher des Innenministeriums, sagt auf meine erste Anfrage: „Eine Art Würgetechnik zur Fixierung in der Bodenlage“ würde „ausbildungsmäßig nicht unterrichtet“ und sei „auch nicht vorgesehen“. Laut dem Sprecher des Innenministeriums würde in der Ausbildung der Polizei „gerade der Sensibilisierung in Bezug auf den lagebedingten Erstickungstod“ bei der Anwendung von Körperkraft „große Aufmerksamkeit geschenkt“.
Die „einzige zulässige Fixierung“ in Österreich sei, so Pölzl, die „Bauchlage durch Armstreckung“. Diese Darstellung lässt auf den ersten Blick den klaren Schluss zu, als würde die österreichische Polizei keine Würgetechniken verwenden. Das Problem: Diese Darstellung ist, vorsichtig formuliert, etwas unvollständig.
Blutzufuhr zum Gehirn drosseln
Denn gefragt hatte ich, „ob der sogenannte Würgegriff in Österreich erlaubt ist und zur Anwendung kommt“. Der Sprecher des Innenministeriums nennt in seiner Antwort aber nur Würgetechniken „zur Fixierung in der Bodenlage“. Doch tatsächlich gibt es bei der österreichischen Polizei sehr wohl eine Würgetechnik, die offenbar regelmäßig zum Einsatz kommt: Die sogenannte „Halsklammer“.
In einem Urteil des Landesverwaltungsgerichts Wien aus dem Jahr 2016 wird diese Polizei-Technik genau beschrieben: „Die Halsklammer ist eine Einsatztechnik, bei der der abgewinkelte Arm einer Person von hinten so um den Hals gelegt wird, dass sich der Kehlkopf in der Ellenbeuge befindet und daher vor Druck ausreichend geschützt ist, und mit Ober- und Unterarm Druck auf die rechte und linke Halsseite bzw. die darunter befindlichen Halsschlagadern ausgeübt wird, um die Blutzufuhr zum Gehirn zu drosseln.“
Kurz zusammengefasst: Menschen werden bei dieser Technik so sehr gewürgt, dass die – lebensnotwendige – Versorgung des Gehirns mit Blut eingeschränkt wird.
Duden oder Innenministerium?
Das Innenministerium sieht das offenbar anders. Auf meine Nachfrage unter Verweis auf das Urteil sagt Sprecher Pölzl: „Die Halsklammer dient der Fixierung von Hals und Kopf und stellt keinen Würgegriff noch einen Schwitzkasten dar.“ Wenn das Ziel einer Technik aber ist, die „Blutzufuhr zum Gehirn zu drosseln“, was ist das anderes als würgen?
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Auch der Duden nennt übrigens als Synonyme, also gleichbedeutende oder sehr ähnliche Ausdrücke, zum Wort würgen: „die Gurgel abschnüren/zudrücken, die Kehle zudrücken/zuschnüren, ersticken, strangulieren.“ Genau das, was auch im Urteil beschrieben wird.
Auch eine weitere Passage im Urteil zeigt eindeutig, worum es bei dieser Technik geht: „Da dies [Anm.: Fixierung und Halsklammer] zwischen zwei und fünf Minuten in Anspruch nahm, lockerte der Beamte die Halsklammer zeitweise, um die Blutzufuhr zum Gehirn nicht gänzlich abzusperren.“ Es handelt sich offensichtlich um einen Würgegriff – der in der österreichischen Polizeitechnik scheinbar schlicht unter einem anderen Namen geführt wird.
Bis zur Ohnmacht – und sogar bis zum Tod
Wie gefährlich diese Würgetechnik ist, zeigt ein Fall aus dem Mai 2014. Die neofaschistische Gruppe „Identitäre“ wollte damals durch Wien marschieren, antifaschistische Gruppen organisierten Gegenproteste und Blockaden. Ein Antifaschist wurde dabei von der Polizei so brutal verhaftet, dass er während der Verhaftung ohnmächtig wurde.
Im Amtsvermerk der Polizei, der beim Prozess verlesen wurde, steht eindeutig, dass die Polizisten eine „Halsklammer“ angewendet hätten. Dieses Video zeigt ab Sekunde 0:08 den bereits ohnmächtigen Antifaschisten.
Danach wurde der Antifaschist auch noch wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt angeklagt. Der Betroffene wurde im Prozess übrigens freigesprochen – die Behauptungen der Polizei, die die brutale Verhaftung samt Ohnmacht auslösten, konnten nicht belegt werden.
In anderen Ländern gab es sogar schon Todesfälle nach Würgegriffen durch die Polizei. Besonders bekannt wurde der der Fall von Eric Garner. Der schwarze Mann wurde in New York im Sommer 2014 von Polizisten so lange gewürgt, bis er gestorben ist. Elfmal rief Garner: „I can’t breathe!“, also „Ich bekomme keine Luft“. Dieselben Worte, die auch George Floyd vor seinem Tod immer wieder wiederholte.
Die österreichische Polizei würgt regelmäßig
In Österreich wird die Halsklammer von der Polizei offensichtlich laufend angewendet. Das zeigen verschiedene Urteile und Zeitungsberichte. Erwähnt wird die Halsklammer beispielsweise in einem Urteil des Landesverwaltungsgerichts Wien aus dem Jahr 2014 oder in Medienberichten, etwa hier 2015 und ganz aktuell 2020.
Auch in einem Bericht des Menschenrechtsbeirats im Innenministerium aus dem Jahr 2004 wird die Halsklammer genannt. Sie wird dabei explizit unter jenen Methoden aufgeführt, bei „welchen es zu Atemnot kommen kann“. Der eindeutige Untertitel des Berichts: „Fixierungsmethoden – Lagebedingter Erstickungstod“.
Marcus Omofuma
Dieser Bericht war eine Reaktion auf den Tod von Marcus Omofuma, der am 1. Mai 1999 bei seiner Abschiebung aus Wien von Polizisten getötet wurde. Omofuma wurde gefesselt und mit Klebeband geknebelt und musste so langsam ersticken. Auf den „Fall Omofuma“ geht auch Innenministeriumssprecher Pölzl ein und sagt, dass „ein besonderer Schwerpunkt“ dem Schutz der Menschenrechte gelten würde, insbesondere den Rechten von Betroffenen sowie deren körperlicher Unversehrtheit.
Ob die österreichische Polizei tatsächlich vor allem Menschenrechte und die Rechte von Betroffenen bei polizeilichen Zwangsmaßnahmen im Fokus hat, dazu gibt es wohl unterschiedliche Ansichten. Erinnert sei etwa an das brutale Vorgehen der Wiener Polizei am 1. Mai 2020. Damals hatte ein Polizist sogar einen bereits am Boden sitzenden Menschen völlig unvermittelt getreten.
Die Polizei und die Menschenrechte
Das immer wieder praktizierte Racial Profiling der österreichischen Polizei, also Kontrollen aufgrund der Hautfarbe, zeigt ebenfalls nicht unbedingt einen Schwerpunkt zum Schutz der Menschenrechte. Schließlich wirkt es auch nicht besonders vertrauenserweckend, wenn JournalistInnen, darunter auch ich, immer wieder behindert werden, wenn sie Verhaftungen der Polizei dokumentieren möchten.
Im Fall der Wiener Klimademonstration vom Mai 2019, die wegen des brutalen Polizeieinsatzes bekannt wurde, sagte sogar ein Richter: „Abschließend sei angemerkt, dass die Videobilder von der Amtshandlung im Hinblick auf die willkürliche bzw. unmotivierte Aggression und Gewaltanwendung seitens des staatlichen Organs (…) erschreckend und verstörend wirken.“
Was ebenfalls verstörend wirkt: Wenn das Innenministerium auf die Anfrage nach Würgetechniken offenbar unvollständige Antworten gibt. Denn die Recherchen zeigen: Auch österreichische PolizistInnen dürfen ganz legal Menschen würgen. Mit dem eindeutigen Ziel, die Blutzufuhr zum Gehirn zu drosseln. Und das ist gefährlich. Es kann tödlich sein. Es sollte verboten werden.
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