Je leistungsstärker ein Auto ist, desto wahrscheinlicher ist ein Unfall. Das zeigt eine große Studie. Die Gefahr wird immer größer – bis zum Auto als Mordwaffe.

Paul Varry ist tot. Vermutlich, weil ein Autofahrer seinen SUV als Waffe eingesetzt hat. Es ist der 15. Oktober 2024, mitten im Zentrum von Paris. Paul Varry, ein junger Mann aus dem Pariser Vorort Saint-Ouen ist mit dem Fahrrad in der Nähe der berühmten Madeleine-Kirche unterwegs.

Doch ein Autofahrer ignoriert den Radweg. „Er wollte schneller fahren, indem er den Radweg nahm“, wird der Anwalt des Autofahrers später zum französischen Onlinemedium Actu17 sagen.

Paul Varry wurde 27 Jahre alt.

Es kommt zu einem verbalen Streit. Was der 52-jährige Autofahrer nach den ersten Erkenntnissen der Untersuchung anschließend macht, ist unfassbar.

Vorsätzliche Tötung

Er fährt absichtlich mit seinem Auto über Paul Varry. Er zerquetscht den jungen Mann, indem er seinen schweren SUV als Waffe benutzt. Das Auto, ein Mercedes GLE 400, hat sogar in der niedrigsten Ausstattungskategorie ein Leergewicht von über zwei Tonnen.

Der mutmaßliche Täter ist inzwischen laut Pariser Staatsanwaltschaft wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt und sitzt in Untersuchungshaft. Laut Actu17 werden bei dem Mann aus dem Pariser Nobel-Vorort Hauts-de-Seine weder Alkohol noch andere Drogen festgestellt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Erinnerung an Graz

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Autofahrer seinen SUV bewusst als Waffe verwendet. In der steirischen Landeshauptstadt Graz etwa fährt ein damals 26-jähriger im Juni 2015 mit seinem SUV und mit hoher Geschwindigkeit durch die Innenstadt. Zeug:innen sprechen von um die 100 km/h.

Dabei tötet der Mann drei Menschen und verletzt 36 weitere. Auch hier wird das Auto zur Waffe. Ob der Fahrer psychisch zurechnungsfähig war, ist bis heute umstritten. Doch das Problem sitzt noch weit tiefer.

Je leistungsstärker das Auto, desto größer die Unfallhäufigkeit

Denn tatsächlich geht es nicht nur um Fälle, wo das Auto ganz bewusst als Waffe verwendet wird. Sondern um eine Tendenz zu immer leistungsstärker und größer werdenden Modellen – und die damit einhergehenden Gefahren. Im März 2024 hat das französische Unternehmen CarVertical dazu eine ebenso bemerkenswerte wie bedenkliche Studie veröffentlicht. Untersucht wurde dafür die Unfallhistorie von 43 Automarken für den Gebrauchtwagenmarkt.

Bild: Franz P. Sauerteig

Die wichtigste Beobachtung, die für jede Marke gilt: Je stärker der Motor, desto größer ist die Gefahr.

Vor allem BMW, Tesla und Audi

„In allen Fällen waren Autos mit stärkeren Motoren mit größerer Wahrscheinlichkeit an Unfällen beteiligt“, schreibt CarVertical. Besonders hoch ist die Unfallwahrscheinlichkeit laut Studie bei Modellen von BMW, Tesla und Audi.

Bei BMW etwa waren mehr als 68 Prozent der Fahrzeuge der stärksten Kategorie (mehr als 400 kW bzw. 564 PS) in Unfälle verwickelt. Und auch schon schwächere Modelle der bayerischen Marke hatten eine auffallende Unfallhäufung.

Jetzt Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen! 

Als nächstes kommt Tesla (62 Prozent), dann Audi (56 Prozent). Ob die Verteilung sich in weiteren Studien in genau dieser Form bestätigen würde, muss offenbleiben, da die Gesamtzahl der ausgewerteten Unfälle nicht veröffentlicht wurde. Doch die Tendenz ist eindeutig – und es geht eben nicht nur um diese drei Marken.

Mehr Risiko und ignorierte Geschwindigkeit

Es scheint, „dass leistungsstärkere Autos die Geschwindigkeitsbegrenzungen ignorieren und ihre Fahrer höhere Risiken eingehen“, so Autoexperte und CarVertical-Sprecher Matas Buzelis. Und die Studie bringt ein weiteres eindringliches Beispiel: Die stärksten getesteten Luxusautos haben eine bis zu siebenmal höhere Motorleistung als Modelle mit schwächeren Motoren. Eine völlig absurde Übermotorisierung.

Soviel Platz brauchen Autos. Aktion der Letzten Generation auf der Ringstraße in Wien. Bild: Letzte Generation

Die Gefahr durch besonders große Autos belegen auch andere Untersuchungen. So zeigt etwa eine 2013 veröffentlichte Studie aus Dänemark, dass Personen, die schwere Fahrzeuge fahren, bei einem Unfall eine größere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer:innen darstellen. Besonders problematisch ist dabei das Fahrverhalten von Männern.

Große Autos führen zu gefährlichem Risko-Verhalten

Um das Problem sichtbar zu machen, haben die beiden Forscher Bart Claus und Luke Warlop einen einfachen Test gemacht: Gemeinsam mit einer belgischen Non-Profit-Organisation haben sie einen Fahrsimulator so umgebaut, dass er unterschiedlichen Fahrer:innen eine unterschiedliche Autogröße vorspielt.

Das eindeutige Ergebnis halten die beiden Forscher so fest: „Wenn die Teilnehmer glauben, ein größeres Auto zu fahren, führt dies zu intensiverem und riskanterem Fahrverhalten.“

Schwer und hoch: Ein tödlicher Mix

Doch es sind nicht nur die Fahrer:innen, es sind auch die Autos selbst: Denn je schwerer ein Fahrzeug ist, desto gefährlicher ist es. Ebenfalls in Belgien wurden für eine groß angelegte Studie alle Unfälle zwischen 2017 und 2021 analysiert. Das eindeutige Ergebnis: Wenn ein „schweres“ und ein „leichtes“ Auto eine Kollision haben, steigert bereits eine Gewichtszunahme um 300 Kilo das Risiko für tödliche Verletzungen um fast ein Drittel.

Besonders schwere Autos sind übrigens auch ein enormes Problem für das Klima und damit für die Menschheit. Denn je schwerer ein PKW ist, desto mehr Energie wird für die Fortbewegung benötigt. Das gilt für E-Autos natürlich gleichermaßen wie für Verbrenner. Dazu verursachen schwerere Autos auch mehr Reifenabrieb. Und das bedeutet für die Bevölkerung: Mehr gesundheitsgefährdender und krebserregender Ultrafeinstaub.

Hohe Autos als Todesfalle

Du kannst das folgende Banner mit einem Klick auf das X wegdrücken und weiterlesen! Oder Du kannst davor noch Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!

Eine weitere Gefahr, die vor allem von schweren Autos und SUVs ausgeht: Die zunehmende Haubenhöhe. Immer größere Panzer mögen den Fahrer:innen ein subjektives Sicherheitsgefühl geben. Eine gefährliche Illusion, weil eben auch das Fahrverhalten riskanter wird. Und für ungeschützte Verkehrsteilnehmer:innen können besonders hohe Autos tödlich sein, wie die Mega-Studie aus Belgien zeigt.

Bild: Michael Bonvalot

Die drastischen Fakten: Wenn Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen von einem Auto mit einer 90 Zentimeter hohen Motorhaube angefahren werden, haben sie ein 30 Prozent höheres Todesrisiko als bei einem Auto, wo die Motorhaube nur 10 Zentimeter niedriger ist. Besonders gefährdet sind Kinder, Rollstuhlfahrer:innen und kleine Menschen: sie werden einfach nicht gesehen.

Den mörderischen Cocktail stoppen

Und damit haben wir alle Zutaten für einen buchstäblich mörderischen Cocktail: Autofahrer:innen, die in großen und schweren Autos deutlich riskanter fahren und damit andere Menschen gefährden. Eine toxische Männlichkeit, die dieses Risikoverhalten noch verstärkt. Und eine Autoindustrie, die aus Profitgründen auf immer größere und schwerere Modelle setzt.

Bild: Michael Bonvalot

Paul Varry ist tot und niemand wird ihn zurückbringen. Auch die Opfer der Amokfahrt von Graz werden niemals wieder lebendig. Doch wir können zumindest künftige Opfer verhindern.

Indem wir Autofahrer:innen – beim Führerschein-Training und danach – viel deutlicher vor Augen führen, dass ihre Autos eine gefährliche Waffe sind. Indem wir bereits in Kindergärten und Schulen toxische Männlichkeit adressieren. Indem wir Straßen durch Geschwindigkeitsbegrenzungen und Umbauten für Menschen wieder sicherer machen. Und indem wir die Autoindustrie dazu zwingen, ihren absurden Wettlauf für immer größere und tödlichere Panzer endlich zu beenden.

Diese Recherche war viel Arbeit. Wieviel ist Dir guter Journalismus wert?

Standpunkt.press wird ausschließlich über Deine Spenden finanziert. Schon ab fünf Euro kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten. Und wenn Du standpunkt.press künftig monatlich unterstützt, können in Zukunft noch viel mehr Recherchen erscheinen. Vielen Dank!

• Spendenkonto – monatlich/einmalig:

IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)

• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:



 

• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

Vielen Dank für Deine Unterstützung!

Hast Du diesen Artikel lesenwert gefunden? Schick ihn jetzt weiter!