Das „kleinere Übel“, um Schlimmeres zu verhindern, hat sich als das Größere erwiesen.

Nach ihrer Zeit als Außenministerin ging es für Hillary Clinton ans Geld verdienen. Knapp 22 Millionen Dollar nahm sie mit bezahlten Reden ein, unter anderem bei Goldman Sachs, der Deutschen Bank, SAP oder Xerox. Nun sind Konzerne und Lobbygruppen naturgemäß nicht dumm. Indem sie einen Redner oder eine Rednerin teuer bezahlen, kaufen Sie nicht eine Stunde erbauliche Unterhaltung, sondern das Wohlwollen einer politisch einflussreichen Person.

Hillary Clinton war bereits zu dieser Zeit die erwartbare Kandidatin der Demokratischen Partei für die Präsidentschaftswahl. Sie als Rednerin zu engagieren, war also eine logische Entscheidung, damit die Geschäfte weiter laufen wie geschmiert. Das wurde auch von breiten Teilen der US-Öffentlichkeit so verstanden: Als die Auftritte von Clinton bekannt wurden, ging ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit.

Wettbewerb der Antipathie

Dieser Aufschrei war nicht der erste. Hillary Clinton galt und gilt als eine der unsympathischsten KandidatInnen in der Geschichte der US-Wahl der jüngeren Zeit. Sie gilt als Verbinderin zum Big Business und auch als Kriegstreiberin. In ihrer Zeit als Außenministerin war Clinton in Einklang mit dem Mainstream der US-Außenpolitik immer wieder bereit zu militärischen Interventionen. So beteiligten sich die USA während ihrer Amtszeit zwischen 2009 und 2013 unter anderem an den Kriegen in Syrien oder Libyen. Auch dieses breite Unbehagen gegenüber Clinton war ein Element für den enormen Erfolg des linkssozialdemokratischen Politikers Bernie Sanders bei den demokratischen Vorwahlen.

Die längste Zeit schien es, als könnte Clinton nach ihrer offiziellen Nominierung zur Kandidatin der Demokratischen Partei dennoch gewinnen – schlicht, weil Trump laut Umfragen noch unsympathischer war. Diese Einschätzung hat sich nun nicht bestätigt.  Auch ich ging davon aus, dass Clinton am Ende des Tages gewinnen würde. Dabei habe ich mich auf US-Umfragen verlassen.

Das Problem der Umfragen

Interessanterweise liegt Clinton übrigens tatsächlich vorne, bei einem Auszählungsgrad von 92 % der Stimmen steht sie laut CNN bei knapp 170.000 Stimmen mehr als Trump, Tendenz steigend. Das US-Wahlsystem ist allerdings äußerst verzerren und so liegt Trump dennoch uneinholbar in Führung. Gleichzeitig bestätigt das aktuelle Wahlergebnis zum wiederholten Mal, dass Umfragen eben nur einen Teil der Wirklichkeit wiedergeben.

 

trump

 

Die tatsächliche Stimmung in einem Land wird von Umfragen insbesondere in Zeiten der Umbrüche oft nur sehr mangelhaft erfasst, wir haben das schon im Fall des Brexit gesehen. Dabei spielen viele Faktoren eine Wahl, etwa die sozial erwünschte Antwort, die politische Einschätzung des Meinungsforschungsinstitutes (die sogenannte Gewichtung der Rohdaten) und die Frage, wer in den Umfragen überhaupt erfasst wird.

Ein Wahlsystem für die Privilegierten

Ein entscheidender Faktor für den Ausgang der Wahl ist sicherlich, dass das US-Wahlsystem insgesamt extrem klassistisch ist. Gewählt wird an einem Arbeitstag und eine Registrierung ist notwendig (für die es ein Ausweisdokument braucht, dass nicht alle Menschen besitzen). Kein Wunder also, dass die Beteiligung bei vergangenen Präsidentschaftswahlen höchstens 60 % betrug, teils sogar nur bei knapp der Hälfte der Stimmberechtigten lag.

Auch Millionen von Häftlingen und ehemaligen Gefängnisinsassen dürfen in den USA nicht wählen. Das betrifft überproportional arme Menschen und Menschen aus ethnischen Minderheiten, die auch ein viel höheres Risiko haben, zu Gefängnisstrafen verurteilt zu werden. Im Jahr 2010 handelte es sich dabei laut Zeit um rund 5,8 Millionen Menschen.

Clinton konnte nicht mobilisieren

Insgesamt dürfte allerdings Trump die Wahl weit weniger gewonnen haben als Clinton sie verlor. Die Seite VoteCastr  stellte vor der Wahl eine Prognose für mehrere wahlentscheidende Swingstates auf, die sich auf Basis der nun vorliegenden Zahlen als sehr zutreffend   erwies. Die Methode war, die Menschen nicht danach zu fragen, wen sie wählen werden, sondern zu analysieren, welche Schichten zur Wahl gehen. Dabei zeigte sich, dass Hillary Clinton deutlich weniger mobilisieren kann als im Vergleich dazu der vorherige Präsident Barack Obama im Jahr 2012.

Clinton schaffte damit das Kunststück, nicht gewählt zu werden, obwohl demographische Eckdaten deutlich zu ihren Gunsten gesprochen hätten. Die Bevölkerung wird multiethnischer, insbesondere die spanischsprachige Bevölkerung nimmt zu. Nach allen Zahlen nützt dies tendenziell der Demokratischen Partei. Auch jüngere WählerInnen lehnten Trump in einem höheren Ausmaß ab als die Gesamtbevölkerung.

Wer wählte Trump?

Eine erste ausführliche Nachwahlbefragung der New York Times  lässt darauf schließen, dass Clinton schlicht ihre Basis nicht mobilisieren konnte. Sie zeigt, dass Trump-WählerInnen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung reicher, älter, männlicher, weißer und christlicher sind und aus kleineren Ortschaften stammen. Das deutet also ebenfalls darauf hin, dass es nicht zu einem Überlaufen von demokratischen StammwählerInnen-Schichten (oder gar Sanders-WählerInnen) kam, sondern dass viele potentielle demokratische Wählerinnen schlicht zu Hause blieben.

Demgegenüber scheint der sehr aggressive rassistische und sexistische Wahlkampf von Donald Trump viele potentielle Wählerinnen der Republikanischen Partei auch tatsächlich an die Urnen gebracht zu haben. Dabei dürfte es sich keineswegs primär um „last minute“ WählerInnen handeln. Eine Umfrage, die heute auf CNN zitiert wurde, sagt, dass 60 % der Trump-Wählerinnen ihre Entscheidung bereits vor September getroffen hätten.

Links-grüne Jill Stein mit schlechtem Ergebnis

Überraschenderweise konnte die links-grüne Kandidatin Jill Stein von der Abneigung gegen Clinton und dem vorherigen Hype um Bernie Sanders offenbar kaum profitieren.

Sogar in den fortschrittlichen Hochburgen an der Westküste schneidet sie nicht besonders gut ab. Derzeit liegt sie in Washington bei 1,3 %, in Kalifornien bei 1,7 % und in Oregon bei 2,4 % (das dürfte vermutlich auch national ihr bestes Ergebnis werden). An der Ostküste, also etwa in New York, liegt sie in den meisten Staaten bei rund 1,4 %. Jene, die sich zuvor für Sanders engagierten, dürften also in größerem Ausmaß entweder mit zugehaltener Nase Clinton gewählt haben oder sind schlicht zu Hause geblieben.

Was wäre mit Kandidat Bernie Sanders passiert?

Manche stellen nun natürlich die Frage, wie der Linkssozialdemokrat Bernie Sanders abgeschnitten hätte. In einem Chat mit dem Standard erklärt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, dass auch Sanders keine Chance gegen  Trump gehabt hätte. Einen Beleg für seine These bleibt er allerdings schuldig.

Vorliegende Zahlen von Frühjahr dieses Jahres sprechen zumindest zu diesem Zeitpunkt eine andere Sprache. Laut NBC vom 15. Mai hätte Sanders zu diesem Zeitpunkt Trump um 15 % geschlagen (Clinton wäre um 3 % vorn gelegen). Laut CBS vom 3. Mai hätte Sanders mit 13 % gewonnen (Clinton 6 %).  Laut rechts-konservativen Fox News hätte Sanders mit 4 % Vorsprung gewonnen, Clinton laut Fox verloren.

(Sozial)demokratische Partei?

Umfragen deuten also darauf hin, dass Sanders rein wahltechnisch der bessere Kandidat gewesen wäre. Doch selbstverständlich ging es darum nie. Die Demokratische Partei ist eine klassisch bürgerliche Partei in einem Land, wo sich nie eine relevante sozialdemokratische Partei herausbilden konnte. Historisch ist sie die Partei der Sklavenhalter des Südens, noch in der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre gehörten demokratische Politiker zu den aggressivsten rassistischen Einpeitschern.

Klare politische Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern waren oftmals kaum erkennbar, das hat sich erst in den letzten Jahrzehnten vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen herausgebildet. Heute haben die Demokraten einen sozialdemokratischen (insbesondere gewerkschaftlichen) Flügel, doch dieser ist in der Partei in keiner Weise dominant. Manches erinnert an die ÖVP im Westen der Republik, die CSU in Bayern oder die Südtiroler Volkspartei (SVP).

Trump als Rebell?

Oft ist nun zu lesen, dass Trump es im Gegensatz zu Clinton geschafft hätte, sich als Rebell gegen das System darzustellen. Diese Erklärung hat sicherlich einige Wahrheiten für sich. Gleichzeitig erklärt sie allerdings nicht, welche Art der Rebellion gemeint ist. Trump ist ein exzessiv mit seinem Reichtum posierender Multimilliardär, der gleichzeitig vieles – etwa über Migrantinnen und Frauen – offen sagt, was sich konservative WählerInnen (nicht nur in den USA) denken. Schenkelklopfer garantiert. Es ist also nicht unbedingt eine Rebellion gegen „das System“ oder „den Kapitalismus“ sondern vor allem eine Rebellion auf gesellschaftspolitischer Ebene.

Welche politischen Auswirkungen die Wahl innenpolitisch auf die USA hat, ist derzeit nicht abzusehen. Auf gesellschaftspolitischer Ebene könnte es klare Rückschritte geben, nicht zuletzt, weil die Republikaner nun Präsident, Kongress und Senat kontrollieren. Insbesondere sind Attacken auf das erst jüngst und mit großen Schwachstellen implementierte Sozialversicherungssystem zu erwarten. Ein Generalangriff auf das Recht auf Abtreibung scheint aktuell weniger realistisch, jedoch könnte es zu Erschwernissen kommen. Auch die extreme und faschistische Rechte in den USA und darüber hinaus wird sich nun im Aufwind sehen.

Wirtschaftliche „Sachzwänge“ für Trump

Ökonomisch kündigte Trump in seiner ersten Rede ein massives öffentliches Investitionsprogramm insbesondere im Infrastrukturbereich an. Das wäre also klassisch keynesianistisch. Insgesamt dürften aber Trump und die republikanische Kapital-Fraktionen, die ihn unterstützen, eher für einen Nachtwächterstaat eintreten. Doch auch hier ist vieles noch ungewiss. So sehnen sich viele RepublikanerInnen nach der Zeit von Präsident Ronald Reagan zurück. Doch gerade in dieser Zeit gab es enorme öffentliche Investitionen insbesondere in den militärisch-industriellen Komplex.

Trump wird wirtschaftlich mit einer Reihe von komplexen Fragestellungen konfrontiert sein. Darunter fallen etwa die extrem instabile Weltwirtschaft, das schwierige Verhältnis zu China (das mittlerweile relevanten wirtschaftlichen Einfluss in den USA hat), die Reaktion auf den Verlust industrieller Arbeitsplätze, aber auch der Umgang mit dem im Wahlkampf zu Sündenböcken gestempelten illegalisierten Migrantinnen aus Lateinamerika, die als Arbeitskräfte für die US-Wirtschaft letztlich unumgänglich sind.

Krieg oder Frieden?

Außenpolitisch hat Trump einen isolationistischen Kurs angekündigt, also beispielsweise weniger militärische Interventionen. Davon wird wohl nicht allzu viel übrig bleiben, denn viele der kriegerischen Auseinandersetzungen bzw. Truppen-Stationierungen der USA sind aus Sicht des US-Imperialismus wohl weitgehend alternativlos, wenn die eigenen Einflusssphären weiterhin kontrolliert werden sollen. Aktuell trifft das etwa auf Syrien, das südchinesische Meer oder das subsaharische Afrika zu.

Auch ein neuer Ausgleich mit Russland scheint auf Basis dieser Überlegungen bestenfalls auf atmosphärischer Ebene möglich. Mit China könnte es ohnehin weitere Konflikte geben, wenn die USA ihren Einfluss in Südostasien behalten wollen.

Zerbricht die Demokratische Partei?

Das Zwei-Parteien-System in den USA könnte sich nun dem Ende nähern.  Die Demokratische Partei inclusive ihres „progressiven“ Flügels rund um Bernie Sanders war bereit, sich hinter Clinton zu stellen, um das sogenannte „Schlimmere“ zu verhindern („lesser evil“).

 

balaclava

Das Ergebnis ist, dass nun dennoch Trump im Weißen Haus sitzt. Die Argumentation, das „kleinere Übel“ zu wählen, um Schlimmeres zu verhindern, hat sich im Endeffekt als das Schlimmere erwiesen.

Autoritäre Wende oder Wende nach Links?

Trump im Weißen Haus bedeutet nicht den Faschismus. Aber er steht für eine internationale autoritäre Wende von relevanten politischen und ökonomischen Fraktionen. Die Namen Putin, Erdoğan oder auch Orbán mögen stellvertretend für diese These stehen (auch wenn es natürlich verkürzt ist, unterschiedliche Entwicklungen in unterschiedlichen Ländern zu subsummieren).

Für Österreich könnte die Wahl ebenfalls direkte Auswirkungen haben. Die WählerInnen von Norbert Hofer könnten die Wahl von Trump als Motivation und Vorbild verstehen.

Gleichzeitig gibt es bereits erste Berichte aus den USA von Demonstrationen gegen Trump in verschiedenen Städten. Die zahlreichen AktivistInnen für Bernie Sanders und auch Jill Stein sind nicht einfach verschwunden. Der tendenzielle demographische Vorteil für die Demokraten besteht weiterhin, wenn die Republikaner ihre WählernInnenschichten nicht erweitern. Die ökonomischen Widersprüche lösen sich nicht in Luft auf. Die Demokratische Partei könnte an dieser Wahl auch zerbrechen und eine relevante Links-Abspaltung daraus hervorgehen. Wie so oft gilt auch hier: The future is unwritten.

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