Das Böhler-Spital in Wien soll geschlossen werden. Der Hintergrund: Neoliberale hatten Milliarden Euro von den Patient:innen zu den Unternehmen verschoben. Deshalb sind jetzt auch weitere Spitäler gefährdet.

Aktualisiert zuletzt am 06.04.2024.

Nun macht die AUVA nach jahrelangen Drohungen endgültig ernst. Das Traumazentrum Wien-Brigittenau – ehemals Lorenz-Böhler-Spital – soll endgültig dichtgemacht werden. Dabei geht es um eines der wichtigsten Unfallspitäler in Wien mit einem hervorragenden Ruf. 65.000 Menschen werden dort jährlich behandelt. Doch warum will die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) dieses Spital dichtmachen? Vordergründig geht es um Mängel beim Brandschutz. Tatsächlich dürfte es langfristig um etwas ganz anderes gehen. Nämlich um Profite für die österreichischen Unternehmen.

Bild: Michael Bonvalot

Werfen wir also einen Blick hinter die Kulissen! Zum besseren Verständnis sind vor allem drei Fragen wichtig: Wer ist die AUVA eigentlich? Woher kommt ihr Budget? Und wer hat dort die politische Kontrolle?

Wie die ÖVP in der AUVA die Kontrolle übernommen hat

Die AUVA ist Teil der gesetzlichen Unfallversicherung in Österreich. Zuständig ist sie für unselbstständig Erwerbstätige und für Menschen in Ausbildung. Dazu betreibt sie auch Spitäler und Rehabilitationszentrum, unter anderem eben das Traumazentrum Brigittenau, das ehemalige Böhler-Spital. Umbenannt wurde es übrigens wohl deshalb, weil Jahrzehnte nach Kriegsende schließlich auch der AUVA klar wurde, dass Lorenz Böhler als NSDAP-Mitglied nicht als Namensgeber für ein Spital geeignet war.

Die AUVA betreibt auch noch weitere Einrichtungen: In Wien nebem dem Traumazentrum das Unfallkrankenhaus Meidling, dazu die wichtigen Unfallkrankenhäuser in Graz, Linz, Salzburg, Klagenfurt und in Kalwang in der Obersteiermark. Auch alle diese Spitäler könnten bald gefährdet sein, dazu später mehr.

Die Kontrolle in der AUVA hat die ÖVP. Denn unter Schwarz-Blau wurde ab 2017 in der AUVA kräftig ungefärbt. Davor gab es traditionell einen roten Generaldirektor für das operative Geschäft sowie einen schwarzen Obmann. Doch ab 2019 folgte eine ÖVP-Doppelspitze. „Das große Umfärben in der Sozialversicherung“ nannte es damals der keineswegs unternehmer:innen-feindliche Kurier.

Der aktuelle Generaldirektor der AUVA, Alexander Bernart, sitzt ebenso auf einem ÖVP-Ticket wie Obmann Mario Watz. Der ist übrigens gleichzeitig Innungsmeister für den Bau in der ÖVP-dominierten Wiener Wirtschaftskammer. Und damit ist die ÖVP für die aktuelle Schließung auch voll verantwortlich.

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Wie die AUVA gezielt ausgehungert wird

Entscheidend bei der AUVA ist: Die Finanzierung erfolgt ausschließlich durch die Unternehmen. Die zahlen aktuell 1,1 Prozent der Lohnsumme für ihre Beschäftigen in die AUVA ein. Dieser Beitrag ist ein Teil der sogenannten Lohnnebenkosten – enthalten sind neben der Unfallversicherung auch die Kranken-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung.

Doch die Lohnnebenkosten werden von Unternehmer:innen regelmäßig angegriffen. Der simple Grund: Wenn Unternehmen weniger Lohnnebenkosten zahlen, werden für sie die Gehälter billiger. Kurz: Sie sparen sich Geld und steigern ihre Profite. Und die neoliberalen Attacken haben Erfolg: Auf Kosten der AUVA-Versicherten gab es in den letzten Jahren immer neue Geschenke für die Unternehmer.

Immer neue Kürzungen auf Kosten der Patient:innen

Bereits 2014 waren die AUVA-Beiträge für Unternehmen von 1,4 Prozent auf 1,3 Prozent gesenkt worden. 2019 folgte eine weitere Senkung, diesmal von 1,3 Prozent auf 1,2 Prozent. Im Jahr 2022 kam das nächste Geschenk, wieder wurden die Beiträge gesenkt. Aktuell sind es nur noch 1,1 Prozent. Dazu müssen Unternehmen weder für Lehrlinge bezahlen noch für Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Die logische Folge: Es gibt immer weniger Budget für die Versicherten.

Das Traumazentrum Wien-Brigittenau, ehemals Böhler-Spital. Bild: Michael Bonvalot

Denn hier geht es um enorme Summen. In einer Folgeabschätzung der schwarz-blauen Regierung aus dem Jahr 2018 heißt es: Allein die „Senkung des Unfallversicherungsbeitrags um 0,1 Prozentpunkte“ führe im Zeitraum 2019 bis 2023 „zu einem kumulierten Einnahmenentfall“ in Höhe von 589 Millionen Euro. Insgesamt geht es hier also um Milliarden von Euro, die den Versicherten gestrichen worden sind. Und stattdessen in die Taschen der Unternehmen flossen.

Und das dürfte auch konkrete Auswirkungen auf das Traumazentrum Brigittenau gehabt haben. Laut Falter sei der Schockraum zeitweise geschlossen worden. Das Krankenhaus wurde ab 2021 auch zu einem sogenannten „Grundversorgungsspital“ mit weniger Akutbetten und Patient:innen mit weniger schweren Verletzungen umgewandelt.

Alle machen mit – die FPÖ besonders brutal

Bei den Geschenken für die Unternehmen spielen übrigens alle Parlamentsparteien brav mit: ÖVP, FPÖ und Neos drücken als Unternehmer:innen-Parteien ohnehin auf immer neue Senkungen der Lohnnebenkosten. Doch als die AUVA-Beiträge 2014 gesenkt wurden, regierte Rot-Schwarz. Damals stellte noch die SPÖ mit Werner Faymann den Bundeskanzler. Und die Kürzung 2022 geht auf die Kappe von Schwarz-Grün.

ÖVP und FPÖ wollten die AUVA 2018 unter Sozialministerin Beate Hartinger-Klein übrigens sogar komplett dichtmachen.Sie glaube nicht, dass die AUVA die geforderten 500 Millionen Euro an Kürzungen erbringen werde, sagte Hartinger-Klein damals im Gespräch mit der APA. Deshalb werde es „nach derzeitigem Stand“ zur Auflösung kommen.

„Schwerwiegende Folgen für den Unfallversicherungsschutz“

Doch mit solchen Kürzungen gibt es logischerweise auch immer weniger Geld für die Spitäler und die Reha-Einrichtungen, die die AUVA betreibt. Nach der letzten Senkung warnte Arbeiterkammer-Experte Wolfgang Panhölzl, sie hätte „schwerwiegende Folgen für den Unfallversicherungsschutz und die Krankenversicherung“.

Bild: Michael Bonvalot

Die Beitragssenkung würde zu „Sparmaßnahmen statt zu Leistungsausbau“ führen und die AUVA mit jährlich rund 125 Millionen Euro belasten, so Panhölzl. Und genau diese Folgen sehen wir jetzt mit der Schließung des Traumazentrums Wien-Brigittenau. Die ÖVP-dominierte Spitze der AUVA spielt das Spiel offensichtlich mit.

Der Brandschutz und die Kritik des Oberarztes

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Auslöser für die jetzt angekündigte Schließung waren laut AUVA Probleme beim Brandschutz. Der von der AUVA bestellte Gutachter Erich Kern sagte am 5. März im Ö1-Morgenjournal, dass es grobe Mängel beim Brandschutz gäbe. Eine rasche Schließung sei nötig, die Probleme seien „bei laufendem Betrieb nicht zu sanieren“. Das sei „seit einer Woche“ bekannt, so Kern. Doch da lohnt es, tiefer zu graben.

Denn das Gutachten, das der Verwaltungsrat der AUVA als Grund für die Schließung des Lorenz Böhler-Krankenhauses anführt, soll es laut zackzack.at zumindest am 5. März noch gar nicht gegeben haben. Auch die „Brandschutzgutachter“ suche man auf der offiziellen Liste des Justizministeriums vergeblich. Kern sei gar kein Gerichtssachverständiger für Brandschutzwesen. Dazu kommt: Auch wenn die Darstellung über dringenden Handlungsbedarf stimmt, stellen sich zahlreiche Fragen.

Traumazentrum Brigittenau. Bild: Michael Bonvalot

Denn Oberarzt Heinz Brenner vom Traumazentrum kritisiert gegenüber dem ORF: Beim Brandschutz sei jahrelang „nichts getan“ worden, obwohl die Probleme bereits seit 1997 bekannt seien. Schon im Juli 2023 forderte die Wiener Baubehörde dann mit Bescheid endlich ein Sanierungskonzept – die AUVA reagierte offenbar wieder nicht.

Oberarzt Brenner vermutet, dass die AUVA „bewusst diese Sanierung nicht so vorangetrieben“ hätte, „wie man es hätte tun müssen“. Er stellt die berechtigte Frage: „Vielleicht will man einfach dieses Spital loswerden?“ Auch Oberarzt Brenner vermutet den Grund für die Spitalsschließung in Sparmaßnahmen zugunsten der Arbeitgeber:innen.

ÖVP will die Lohnnebenkosten weiter kürzen

Für diese Vermutung hat Oberarzt Brenner gute Gründe. Denn die ÖVP macht schon wieder Druck für neue Senkungen der Lohnnebenkosten. Ende Jänner legte ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer das Wahlprogramm der ÖVP für 2024 vor, es läuft unter dem Titel „Österreich-Plan“.

Ein zentraler Aspekt laut ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher: Die Senkung der Lohnnebenkosten. Eine Möglichkeit dazu wäre, die Unternehmer:innen-Beiträge für die AUVA erneut auf Kosten der Patient:innen zu reduzieren. Und da kommt die Schließung des Traumazentrums in Wien-Brigittenau offensichtlich gerade recht.

Sie wollen das Spital schon lange dichtmachen

Bereits in den vergangenen Jahren wollte die AUVA das Spital immer wieder schließen. So sickerte bereits im Juli 2018 via Kronenzeitung ein AUVA-internes Papier durch. Darin wurde überlegt, wie bis 2029 knapp 500 Millionen Euro gekürzt werden könnten. Einer der damaligen Pläne: Die Schließung des Traumazentrums in Form einer Zusammenlegung mit dem Unfallkrankenhaus Meidling. Im September 2021 wurden dann erneut Befürchtungen laut, dass das Spital geschlossen werden solle. Und nun soll es endgültig soweit sein.

Offiziell wird jetzt „nur“ ein Umbau angekündigt. Doch dieser groß angekündigte Umbau bleibt noch weitgehend nebulös. Gesprochen wird unverbindlich von einem neuen „Forschungs- und Wirtschaftscampus“. Das haben Stadt Wien, Wirtschaftskammer Wien (WKW) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in einer Absichtserklärung beschlossen.

Für die Patient:innen soll es künftig nur noch eine kleine ambulante Erstversorgung geben. Tatsächlich gibt es aber auch noch eine weitere Möglichkeit, die keineswegs unrealistisch ist.

Luxuswohnungen statt Spital?

Denn das Spitalsareal in der Brigittenau steht auf einem enorm wertvollen Grundstück: Genau gegenüber ist die Station Traisengasse der Wiener Schnellbahn. Die Innenstadt mit der Station Wien-Mitte ist gerade einmal zwei Stationen entfernt, auch alle Wiener U-Bahn-Linien sind innerhalb weniger Minuten erreichbar. Und genau nebenan liegt dazu noch das neue innerstädtische Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnhof, das in den kommenden Jahren gebaut werden wird. Kurz: Hier geht es um ein Filet-Grundstück in bester Lage.

Vor dem Parkhaus des Traumazentrums wird bereits am Ausbau der Wiener Schnellbahn gearbeitet. Bild: Michael Bonvalot

Gut möglich also, dass sich die Absichtserklärung irgendwann weitgehend in Luft auflöst. Und die AUVA stattdessen ein lukratives Grundstücksgeschäft auf Kosten der Patient:innenversorgung durchzieht. So etwas kann auch recht unauffällig durchgezogen werden. Beispielsweise werden dann statt des bisherigen Spitals nur ein paar Forschungsbüros hingesetzt – daneben und darüber aber werden Luxuswohnungen gebaut.

Für ein Grundstücksgeschäft spricht auch eine interessante Aussage von AUVA-Generaldirektor Bernart bei einer Pressekonferenz am 5. April 2024, über die unter anderem der ORF und der Standard berichteten. Aktuell stünde, so Bernart, noch nicht einmal fest, ob der geplante Campus auf dem Areal des jetzigen AUVA-Spitals realisiert wird – oder an einem anderen Standort in der Nähe. Leere Flächen gäbe es etwa am künftigen Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnhof. Damit aber wäre der Weg frei für den Verkauf des wertvollen Grundstücks direkt neben der S-Bahn-Haltestelle.

Wer ist jetzt betroffen?

Allein von der kurzfristigen Schließung sollen laut Heute unmittelbar 900 Menschen betroffen sein, deren Operationen verschoben werden müssen. Das wird zwar dementiert, die Operationen würden in andere Spitäler verlegt. Dass aber alle diese OPs tatsächlich in anderen Spitälern ohne Zeitverlust durchgeführt werden können, ist wohl eher unrealistisch. Immerhin sind Wiens Spitäler bereits jetzt am Limit. Dazu kommen alle Menschen, die bisher in der spezialisierten Chirurgie im Haus operiert wurden.

Bild: Michael Bonvalot

Und schließlich verlieren alle Menschen aus dem Wiener Nordosten eine wichtige Anlaufstelle für die medizinische Erstversorgung. Das nahegelegene AKH ist bereits jetzt komplett überlastet. Und was keineswegs vergessen werden darf: Rund 500 Kolleginnen und Kollegen im Spital werden jetzt kurzfristig in andere Spitäler verlegt, eingespielte Teams und soziale Bindungen werden zerrissen.

Auch andere Spitäler und Reha-Einrichtungen sind in Gefahr

Doch es könnte noch viel dicker kommen. Denn wenn die AUVA jedes Jahr hunderte Millionen Euro weniger Budget zur Verfügung hat, könnten schnell auch andere Standorte gefährdet sein. So gab es etwa schon 2018 eine Protestaktion der Beschäftigten im obersteirischen AUVA-Krankenhaus Kalwang. Nachdem die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung die Budgetkürzungen für die AUVA verkündet hatte, sollte das UKH dicht gemacht werden (hier mein Bericht).

Auch die Privatisierung von Krankenhäusern war 2018 laut Krone geplant. Eine Möglichkeit wäre gewesen, dass Krankenhäuser in GmbHs umgewandelt und so für privates Kapital geöffnet werden. Auch bei den Beschäftigten sollte massiv gekürzt werden. Nur noch jede dritte Stelle in der Verwaltung der Spitäler und der Unfallversicherung sollte nachbesetzt werden.

Das große AUVA-Rehabilitationszentrum „Weißer Hof“ in Klosterneuburg bei Wien steht ebenfalls auf dem Spiel. Das wollte die AUVA bereits 2014 schließen. Und auch bei den anderen Unfallkrankenhäusern und Reha-Zentren drohen Kürzungen. Und das hätte gravierende Auswirkungen: Laut Ärztekammer wurde 2018 in Wien und Graz rund die Hälfte aller Unfallopfer in Spitälern der AUVA behandelt. Österreichweit ist es jede/r fünfte Unfallpatient:in.

Jetzt beginnt der Protest

Die Kolleg:innen des Traumazentrums haben nun bereits erste Maßnahmen gesetzt. Am Montag vormittag fand eine Betriebsversammlung statt, die Ergebnisse sind bei Erscheinen des Artikels noch nicht bekannt. Binnen kürzester Zeit haben auch schon mehrere tausend Menschen Petitionen zur Rettung des Spitals unterzeichnet.

Das allein wird wohl noch deutlich zu wenig sein. Doch es sind erste Schritte. Denn sehr viele Menschen werden wohl kaum verstehen, warum ein gut funktionierendes und wichtiges Spital für Unternehmerprofite geopfert wird.

Aktualisiert um Informationen zum Brandschutz, zum Gutachten, zu Bernarts Aussage Anfang April und zu früheren Einsparungen im Traumazentrum.

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