Der interne Name der Wiener Identitären-Zentrale zeigt, wie gefährlich und faschistisch die Truppe ist. Und bisher unbekannte Dokumente belegen: Der stellvertretende FPÖ-Parteichef Stefan ist der Notar der Truppe.
„Dem nationalen Führer Adolf Hitler!“, schreibt Ernst Jünger am 9. Jänner 1926 in ein Widmungsexemplar seines Kriegsbuches „Feuer und Blut“. Die Bewunderung beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. Denn nur wenige Monate später schreibt Hitler eigens einen Brief an den kriegsbegeisterten Schriftsteller: „Sehr geehrter Herr Jünger! Ihre Schriften habe ich alle gelesen. In ihnen lernte ich einen der wenigen starken Gestalter des Fronterlebnisses schätzen … Mit deutschem Gruß Adolf Hitler.“
Die Nazis sind Jünger zu wenig radikal
Ernst Jünger gilt zu diesem Zeitpunkt als einer der wichtigsten Wortführer der faschistischen Bewegung in Deutschland. Die Nazis sollen ihm sogar zweimal ein Abgeordnetenmandat im deutschen Reichstag angeboten haben. Ab 1930 kühlt Jüngers Beziehung zur NS-Bewegung dann allerdings deutlich ab: Denn im September 1930 hatte Hitler den sogenannten Legalitätseid abgelegt. Darin kündigte er an, dass die Nazis ausschließlich auf „verfassungsmäßigen Wege“ an die Macht kommen wollten. Jünger ist das zu wenig radikal, er setzt auf rechten Terror.
Nach der Machtergreifung der Nazis kann sich Jünger dennoch bestens mit dem neuen Regime arrangieren. Einige Jahre später, 1939, erscheint dann eines seiner wichtigsten Werke: „Auf den Marmorklippen“. Eine ganz wesentliche Rolle in diesem Epos rund um Krieg und Gewalt spielt ein fiktiver Rückzugsort, Jünger nennt ihn die „Rautenklause“. Dieser Rückzugsort ist bei Jünger allerdings nur zeitweilig. Dann folgt der große Krieg.
Die Rautenklause: Das Zentrum der Identitären in Wien
Szenenwechsel ins Heute. Konkret in die Ramperstorffergasse im Wiener Bezirk Margareten. Es ist eine lange, unscheinbare Wohnstraße, sie verläuft vom Wienfluss bis fast zum vielbefahrenen Gürtel – und durchteilt damit den Bezirk fast in der Mitte. Die meisten Häuser sind Altbauten, typische Wiener Gründerzeit. Margareten ist teils schon ein wenig hip, weiter stadtauswärts dann ein klassischer Arbeiter:innenbezirk. Die Ramperstorffergasse liegt sozial wie geographisch irgendwo in der Mitte. Aktuell wird nur wenige Schritte entfernt an der neuen U5 gebaut, sie wird die Gegend enorm aufwerten – samt allen Problemen der Gentrifizierung.
Wer aufmerksam durch die Ramperstorffergasse geht, dem wird sehr schnell ein bestimmtes Haus auffallen: Denn die gesamte Erdgeschosszone des Hauses auf Nummer 31 ist mit antifaschistischen Parolen besprayt. „Gegen Rassismus“ steht dort etwa, „Idis jagen“ oder „Nazis raus Igitt“. Die „Markierungen“ genau an dieser Stelle sind kein Zufall: Denn im Keller der Ramperstorffergasse 31 betreibt die neofaschistische Gruppe Identitäre seit mindestens 2020 ihr inoffizielles Wiener Zentrum. Hier könnt ihr meine erste Recherche vom März 2020 lesen, kurz nachdem die Existenz des Lokals bekannt wurde.
Bisher war dieses Wiener Zentrum offiziell namenlos. Das Zentrum wird auch in der Propaganda der Gruppe nie erwähnt. Obwohl dort laufend Betrieb herrscht, wie mir Anrainer:innen immer wieder erzählen, die anonym bleiben wollen. Auch rund um Aufmärsche der Gruppe höre ich regelmäßig von reger Betriebsamkeit im Margaretner Zentrum. Umso auffälliger ist die Geheimniskrämerei.
Vom Hitler-Verehrer zu den Identitären
Die offizielle Namenlosigkeit ist vermutlich kein Zufall. Denn eine Recherche im Firmenbuch gibt höchst interessante Aufschlüsse: Dort hatte ich im August erstmals den Namen der Firma gefunden, der das identitäre Zentrum gehört. Sie heißt „Immo Rautenklause OG“. Die Identitären beziehen sich mit dem Namen ihrer Wiener Zentrale also direkt auf den fiktiven Rückzugsort des frühen Hitler-Verehrers Ernst Jünger.
Jüngers Rückzugsort scheint dabei als Name des Identitären-Zentrums keineswegs zufällig gewählt. Denn es gibt auffallend wenig Informationen darüber, was im Keller in der Wiener Ramperstorffergasse passiert. Die beiden anderen österreichischen Zentren der Truppe in Steyregg bei Linz sowie in der Oststeiermark werden propagandistisch gern ausgeschlachtet und dienen auch als Treffpunkte für öffentliche Veranstaltungen. Doch das Lokal in Wien kommt in der Identitären-Propaganda schlichtweg nicht vor.
Auch der Name „Rautenklause“ ist öffentlich kein Thema: Auf dem Telegram-Kanal von Identitären-Aushängeschild Martin Sellner etwa werden weder das Lokal in der Ramperstorffergasse noch der Name „Rautenklause“ ein einziges Mal erwähnt. Und Sellners Kanal ist mit aktuell rund 56.000 Abonnent:innen immerhin das mit Abstand wichtigste Propagandainstrument der Gruppe.
Ein ausgeplaudertes Geheimnis?
Möglicherweise hätte sogar die bloße Existenz des Zentrums in Wien-Margareten ein Geheimnis bleiben sollen. Doch in einem Gespräch mit einem vermeintlichen Interessenten hatte der ehemalige Identitären-Sprecher Philipp Huemer im Jänner 2020 etwas ausgeplaudert: Die Gruppe würde „seit ungefähr zwei Jahren“ eine Immobilie in Wien renovieren. Er käme gerade von der Baustelle. Der vermeintliche Interessent entpuppte sich als Journalist der inzwischen eingestellten Plattform „Addendum“ des inzwischen verstorbenen rechtsdrehenden Milliardärs Dietrich Mateschitz – der Geist war aus der Flasche.
Dennoch gibt es im Keller in der Ramperstorffergasse bis heute keine öffentlich angekündigten Veranstaltungen. Dafür greift die Gruppe in Wien lieber auf Lokale zurück oder auch auf das große Burschenschaftshaus im achten Bezirk am Eck Fuhrmannsgasse/Florianigasse. Was in der „Rautenklause“ passiert, soll die Öffentlichkeit scheinbar nicht erfahren.
Ein riesiges Zentrum von rechtsextremen und deutschnationalen Organisationen und Burschenschaften steht mitten im 8. Bezirk von Wien. Das Zentrum in der Florianigasse ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, spielt aber eine wichtige Rolle für Wiens extreme Rechte. pic.twitter.com/gNPRFftHYG
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) June 14, 2018
Wem gehört die Rautenklause?
Offiziell gehört das Lokal inzwischen der Offenen Gesellschaft (OG) „Immo Rautenklause“, die wiederum zwei Männern gehört: Einerseits Martin Sellner, also dem Gesicht der Truppe. Der zweite offizielle Eigentümer ist Rene F., ein bekannter Kader der Gruppe. Wenn ich von Aufmärschen der Identitären berichte, ist er regelmäßig vor Ort. Doch die beiden treten laut Firmenbuch erst seit November 2020 als Inhaber der Rautenklause auf. Davor gibt es ein interessantes Versteckspiel, ich habe es über das Firmenbuch recherchiert.
Ursprünglich hatte im August 2017 der Wiener Hotelbesitzer und Bauunternehmer Christian Charous das Lokal gekauft. Der damalige Kaufpreis laut Firmenbuch: 55.000 Euro plus 2.530 Euro an Nebengebühren. In der einschlägigen Szene ist Charous kein Unbekannter: Er nimmt regelmäßig an Aufmärschen der Identitären teil, ich sehe ihn dort immer wieder. Für Fotos posiert er auch mit Shirts der Gruppe. Mindestens eines der Fahrzeuge seiner Firma wurde bei rechten Aufmärschen immer wieder als Lautsprecherwagen verwendet, wie das einschlägige Portal „Info Direkt“ im November 2020 schrieb.
Damals brannte das Fahrzeug aus, „Info Direkt“ beklagte eine mögliche politische Motivation und rief zu Spenden für Charous auf. Und bereits 2017 hatten die Identitären sogar einen „Prinz-Eugen-Preis“ an einen „Unterstützer aus Wien“ verliehen, wie sie auf sozialen Medien verkündeten. Ein Foto der Preisverleihung liegt mir vor – der Preisträger sieht Hotelbesitzer Charous durchaus ähnlich.
Die Erklärung der Neofaschist:innen für die damalige Auszeichnung: Ohne diese Person wäre „der Aufbau unserer Infrastruktur so nicht möglich gewesen“. 2017 war, wie gesagt, auch das Jahr, in dem Charous die Immobilie in der Ramperstorffergasse angekauft hatte. Ob die bekannt homophoben Identitären bei der Namensgebung für ihren Preis allerdings bedacht hatten, dass Prinz Eugen mit ziemlicher Sicherheit schwul war?
Ein auffälliges Versteckspiel
Doch nach dem Kauf durch Bauunternehmer Charous wird die Sache auffällig. Denn laut Firmenbuch verkauft Charous die Immobilie bereits wenige Monate später wieder weiter: Im Dezember 2017 wird sie von einem Verein namens „Wiener Kulturwerk“ gekauft – diesmal um 61.534,24 Euro plus Nebengebühren. Eine beachtliche Wertsteigerung binnen weniger Monate. Es könnte natürlich sein, dass inzwischen Renovierungsarbeiten vorgenommen worden waren.
Unterschrieben wird der Kaufvertrag mit Charous seitens des Vereins „Wiener Kulturwerk“ von zwei Männern: Dem bereits erwähnten, gesprächsfreudigen Identitären Philipp Huemer in seiner Funktion als Vereinsobmann. Die zweite Unterschrift kommt von Vereinskassier Stephan G. Doch: Der Kaufvertrag wird damals im Grundbuch nicht eingetragen.
Dieser Kaufvertrag wird erst nachgereicht, nachdem die Immobilie im November 2020 erneut verkauft wird: Da kaufen Sellner und Rene F. mit ihrer „OG Immo Rautenklause“ die Immobilie offiziell vom Verein „Wiener Kulturwerk“. Und inzwischen ist die „Rautenklause“ sogar wieder billiger geworden: Sellner und F. müssen statt rund 61.500 Euro nur noch glatte 50.000 Euro plus Nebengebühren zahlen. Ein Minus von fast 20 Prozent – trotz seit Jahren steigender Immobilienpreise in Wien und trotz des U-Bahnbaus, der Immo-Preise üblicherweise in die Höhe treibt.
Für den Verein „Wiener Kulturwerk“ unterschreibt wiederum Obmann Philipp Huemer, die zweite Unterschrift kommt vom neuen Vereinskassier Carl von W. Der Weg von diesem Verein zu Sellner ist übrigens auch ganz buchstäblich nicht weit: Laut Dokumenten ist der Verein an der selben Adresse gemeldet wie Sellner.
Praktischer Nebeneffekt der späten Eintragung ins Grundbuch: Dort war damit zwischen 2017 und 2020 nur der wenig bekannte Bauunternehmer Christian Charous zu finden – und kein Verein, dessen Obmann Huemer für die Hausbewohner:innen durch eine Internet-Recherche jederzeit den Identitären zuzuordnen gewesen wäre.
Dazu ließ die Bundesregierung im März 2019 die Auflösung von Vereinen der Identitären prüfen. Das wurde nicht umgesetzt. Doch eine Auflösung hätte auch Vereinsimmobilien betroffen, die die Behörde gefunden hätte. Denn im Vereinsgesetz ist festgelegt, dass im Falle der behördlichen Auflösung das Vereinsvermögen durch die Vereinsbehörde abzuwickeln ist. Die Gefahr von Vereinsauflösungen könnte somit gleichzeitig auch der Grund für den offiziellen Verkauf an Sellner und Rene F. gewesen sein: Als Privateigentum ist das Identitären-Zentrum rechtlich weit besser abgesichert.
„Gleich zu Beginn wurden die Fenster zubetoniert“
Im März 2020 habe ich von einem Treffen von Anwohner:innen der Gegend berichtet, die die Rechten nicht in ihrer Nachbar:innenschaft wollten. Und dort erzählte eine Anwohnerin, dass die Bewohner:innen des Hauses damals schon seit drei Jahren vergeblich versucht hätten, mehr über die neuen Eigentümer:innen zu erfahren. Misstrauisch seien die Hausparteien schnell geworden: „Gleich zu Beginn wurden die Fenster zubetoniert, das ist uns sehr komisch vorgekommen.“
Auch Klaus Pfoser sagt, dass der Kaufvertragsvorgang „sehr verdeckt abgelaufen“ sei. Er ist Geschäftsführer der RES Immobilien GmbH, die das Haus in der Ramperstorffergasse betreut. „Die Eintragung im Grundbuch ist viel später erfolgt als der Kaufvertragsvorgang“, bestätigt Pfoser auf meine Anfrage. Ähnlich hatte er sich gegenüber der Zeitschrift „Datum“ geäußert, die kürzlich zum Zentrum geschrieben hatte. Konkrete Auskünfte zu einzelnen Rechtsverhältnissen könne er allerdings aufgrund der Vertretungsverpflichtungen der Firma nicht erteilen, so Pfoser.
Der stellvertretende FPÖ-Bundesobmann Stefan macht den Notar der Identitären
Und noch eine interessante Auffälligkeit zeigen die Kaufverträge, nachdem Charous die Immobilie übernommen hatte: Beide Male kommt der gleiche Notar zum Einsatz. Und der ist brisant. Denn als Notar der Identitären fungiert niemand anderer als Harald Stefan, der stellvertretende Bundesparteiobmann der FPÖ. Zahlreiche Dokumente rund um die Immobilie in der Ramperstorffergasse, die mir vorliegen, tragen den Stempel seiner Kanzlei und/oder sind von ihm gezeichnet.
Stefan gilt in der FPÖ seit Jahren als wichtiger Mann im Hintergrund, den Posten als stellvertretender Parteiobmann hat er bereits seit 2007. Im Wiener Gemeinderat saß Stefan davor schon ab dem Jahr 2001, seit der Nationalratswahl 2008 ist er durchgehend Abgeordneter der Blauen im österreichischen Parlament. Nach dem Abgang von FPÖ-Chef Norbert Hofer im Jahr 2021 war Stefan dann sogar kurzfristig Interims-Parteichef, bevor Herbert Kickl übernahm.
Stefan ist auch burschenschaftlich gut vernetzt – und das könnte hier relevant sein. Laut der Plattform „Meine Abgeordneten“ ist er Alter Herr der deutschnationalen Schülerverbindung „Gothia zu Meran“. Die Farben dieser Verbindung: Schwarz-Weiß-Rot, also die alten Farben des „Deutschen Reichs“. Doch über viele Jahre war Stefan noch weit auffälliger unterwegs.
Da war er Mitglied der Wiener Burschenschaft Olympia, die sogar innerhalb des extrem rechten Student:innenmilieus nochmals als rechtsaußen gilt. 2003 etwa hatte bei der Olympia der deutsche Neonazi-Barde Michael Müller einen Auftritt. Eines seiner Lieder: „Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, bis sechs Millionen Juden, da ist der Ofen an (…) wir haben reichlich Zyklon B …“. Nur rund ein Jahr vor Müllers Auftritt, im Mai 2002, traf Stefan medial noch als Sprecher der Olympia auf.
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2018 gab Stefan dann auf APA-Anfrage an, aus der Olympia ausgetreten zu sein. Der Grund sei „Privatsache“. Eindeutig beruflich dagegen: Die Kaufverträge rund um das spätere Identitären-Zentrum. So gibt es für den Kaufvertrag zwischen dem einschlägigen Hotelbesitzer Charous und dem Verein „Wiener Kulturwerk“ eine Beurkundungssignatur. Deren Unterzeichner: FPÖ-Mann und Notar Harald Stefan. Und auch der zweite Kaufvertrag, nun zwischen dem „Wiener Kulturwerk“ und der Firma „Rautenklause“, läuft über Stefans Kanzlei.
Beim zweiten Mal unterzeichnet offiziell ein Mitarbeiter Stefans. Und der ist ebenfalls kein Unbekannter: Es handelt sich um den Wiener FPÖ-Landtagsabgeordneten Dietbert Kowarik. Der ist Spross einer FPÖ-Dynastie sowie langjähriger Funktionär des einschlägigen „Österreichischen Turnerbunds“. Auf meine Anfrage an Stefan und Kowarik zur brisanten Geschäftsverbindung zu den Identitären antwortet ein Mitarbeiter der Kanzlei: Aufgrund der Verschwiegenheitsverpflichtung könne keine Auskunft erteilt werden, heißt es knapp.
Eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahr 2007 nennt Kowarik übrigens ebenfalls als Mitglied einer deutschnationalen Studentenverbindung: Überraschung, es ist die Burschenschaft Olympia. Und hier kommt dann wieder Identitären-Gesicht Sellner ins Spiel.
Treffpunkt Burschenschaft Olympia
Denn auch Sellner soll einst an der Burschenschaft Olympia angedockt haben. Er wechselte später allerdings die Studentenverbindung und schloss sich – wie einige andere Identitäre – lieber der Wiener „Sängerschaft Barden“ an. Das ist übrigens auch die frühere Verbindung von Wiens FPÖ-Vorsitzenden Dominik Nepp.
Der Wechsel zu den sangesfreudigen Deutschnationalen hatte für Identitäre dabei einen potenziell – buchstäblich – sichtbaren Vorteil: Bei den „Barden“ muss das Fechten zwar ebenfalls geübt werden. Doch es ist nicht verpflichtend, eine Mensur zu „schlagen“, wie das in burschenschaftlichen Kreisen heißt. Damit hält sich das Risiko in Grenzen, einen sichtbaren Schmiss im Gesicht herumzutragen. Doch gewisse Verbindungen zwischen Sellner und dem Olympen-Milieu scheinen offenbar erhalten geblieben zu sein.
Kontakte von Identitären mit FPÖ-Granden sollten dabei insgesamt nicht verwundern: Auch FPÖ-Chef Kickl fährt einen Kuschelkurs mit Sellner und Co, für ihn ist die neofaschistische Truppe eine „NGO von rechts“, wie er im August 2023 im Sommergespräch des ORF behauptete.
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Wie groß ist dieses rechte Zentrum?
Öffentlich war bisher nicht bekannt, wie groß das Zentrum in der Ramperstorffergasse überhaupt ist. Denn von außen sind nur mehrere blickdichte Kellerfenster sowie eine Metalltür zu sehen. Erstmals Aufschluss geben jetzt rund 30 Jahre alte Dokumente über das Haus, die ich im zuständigen Bezirksgericht gefunden habe. In diesen Dokumenten ist auch die Nutzfläche des Kellergeschosses mit der Adresse R1 eingetragen: Es sind 114,88 Quadratmeter. Das ist nicht klein: Neben einem Sitzungssaal, einem Lager und den notwendigen Nebenräumen könnte da auch noch Platz für ein Büro der Identitären sein.
Für andere Bewohner:innen des Hauses ist die Situation inzwischen enorm unangenehm: Regelmäßige Polizeieinsätze, Parolen auf der Fassade, der Wert der Wohnungen ist deutlich gesunken. Und dazu die unberechenbare rechte Gruppe im Keller. Es sind Probleme, die begonnen haben, nachdem die Identitären als Standort ihres Zentrums ausgerechnet den Keller eines Wohnhauses ausgewählt hatten.
Jünger ist bis heute ein Star der extremen Rechten
Der deutsche Rechtsextreme Götz Kubitschek tritt gerne als ideologischer Stichwortgeber der Identitären auf – erst Mitte November trat er auf Einladung der FPÖ und ihrer Studierendenorganisation auch in Wien auf. Sein Antaios-Verlag hat Dutzende Bücher von und über Jünger im Angebot. Denn in der extremen und neofaschistischen Rechten gilt Ernst Jünger bis heute als Säulenheiliger.
Die extrem rechte und FPÖ-nahe Plattform „Freilich Magazin“ etwa behauptet, Jüngers Ideen wären „nach wie vor aktuell“ und würden „Antworten auf aktuelle Fragen“ bieten. Und eine einschlägige Wiener Buchhandlung bietet gar ein eigenes Plakat zu Jüngers Buch „Auf den Marmorklippen“ an. Die „Rautenklause“ wird in der Werbung für das Plakat sogar extra erwähnt.
„mit Sachlichkeit“ sah Jünger dem sterbenden Mann zu
Ernst Jünger ist also bis heute eine zentrale Projektionsfläche für einschlägige Kreise. Kein Wunder, er ist dafür enorm geeignet: Bereits im Ersten Weltkrieg tat er sich durch jene „soldatischen Tugenden“ hervor, die die Rechte so schätzt. In seinem berühmt gewordenen Kriegstagebuch „Stahlgewitter“ notierte er damals nüchtern, wie ein von einem Kopfschuss getroffener Kamerad gestorben wäre:
„Sein schnarchendes Röcheln ertönte in immer längeren Abständen, bis es ganz aufhörte. Während der letzten Zuckungen gab er sein Wasser von sich. Ich kauerte neben ihm und registrierte diese Vorgänge mit Sachlichkeit.“
Aus dem Konkurrenz-Faschismus wird eine „Konservative Revolution“
In den 1920er Jahren wird Jünger dann zu einem der wichtigsten Vertreter einer politischen Strömung in Deutschland, die heute als „Konservative Revolution“ bekannt ist. Dieses Schlagwort geht an den Fakten allerdings sehr bewusst vorbei. Geprägt wurde der Begriff vom 2003 verstorbenen Armin Mohler, der in den 1950er Jahren Privatsekretär von Ernst Jünger gewesen war. Mohler wollte mit dem Schlagwort „Konservative Revolution“ eine Art unbefleckten Konkurrenz-Faschismus zu den Nazis konstruieren – den er dann verharmlosend als „konservativ“ umdeutete. Für Neofaschist:innen wie die selbsternannte Identitäre „Bewegung“ kam und kommt dieses Konzept wie gerufen.
So schreibt etwa Identitären-Gesicht Sellner in seinem extrem rechten Leibblatt „Sezession“, seine Truppe knüpfe „weltanschaulich an der Konservative Revolution an“ [Grammatikfehler im Original]. Worum es Mohler tatsächlich ging, gab er dann in hohem Alter selbst zu, als er zunehmend auf taktische Rücksichtnahmen verzichtete.
Für sein Buch „Die autoritäre Revolte“ hat Autor Volker Weiß dazu einen bezeichnenden Ausspruch von Mohler gefunden: „Meine Arbeit über die konservative Revolution war dazu da, diese Sachen auseinander zu dividieren – Konservative Revolution und Nationalsozialismus. Es war schon sehr schwer zu unterscheiden; in der historischen Wirklichkeit überschneidet es sich schon sehr.“
Rechter Terror
Diese Beschreibung passt auch perfekt zu Ernst Jünger. Das zeigt nicht zuletzt der zeitweilige Bruch Jüngers mit den Nazis Ende der 1920er Jahre: Jünger sympathisiert damals mit der terroristischen norddeutschen „Landvolkbewegung“. Die Nazis dagegen, die sich zu diesem Zeitpunkt einen legalen Anstrich geben wollen, sehen diese bäuerliche faschistische Bewegung als unwillkommene Konkurrenz. Jünger stellt sich auf die Seite der terroristischen Fraktion: Dass die Nazis legal durch Wahlen an die Macht kommen wollen, geht dem nationalen Schriftsteller gewaltig gegen den Strich.
Jünger kritisiert, so die rechtskonservative deutsche „Welt“, dass Hitler damit „die Reinheit der Idee“ verworfen hätte. Als die NSDAP dann 1933 mithilfe weiterer konservativer und faschistischer Parteien auf legalem Weg die Macht übernimmt, arrangiert sich Jünger mit den neuen Verhältnissen: Das Ziel der Machtergreifung ist ja erreicht. Er kann publizieren, seine Werke werden gut verkauft. Jüngers Differenzen mit den Nazis bewegen sich also eindeutig innerhalb der faschistischen Ideenwelt. Gleichzeitig zeigen sich weiterhin gewisse ideologische Meinungsverschiedenheiten.
Sein Werk „Auf den Marmorklippen“ etwa – aus dem auch der Begriff „Rautenklause“ stammt – wird in manchen (rechten) Kreisen gerne als literarisches Zeichen seiner Unzufriedenheit mit der NSDAP gedeutet. Das mag auch tatsächlich so gewesen sein. Doch letztlich bleibt alles in der faschistischen Familie. Das zeigt auch Jüngers weitere Entwicklung.
Mitten im Massenmord
Denn als der Zweite Weltkrieg beginnt, wird Jünger von 1941 bis 1944 als Offizier im Stab des „Militärbefehlshabers Frankreich“ in Paris tätig. Über die Verbrechen der Nazis muss Jünger dabei nochmals besser weit besser Bescheid gewusst haben als viele andere: Zu seinen Aufgaben im Kommandostab gehört unter anderem die Dokumentation von Geißelerschießungen durch die Wehrmacht. Im Mai 1941 leitet Jünger auch selbst die Erschießung eines Mannes, der desertiert war.
Dass die Identitären sich bis heute gerade auf Jünger beziehen, sagt damit also bereits einiges über diese neofaschistische Gruppe. Und es ist nichts Gutes.
Die Rautenklause am Weg zum Bürger:innenkrieg?
Und dabei geht es nicht nur um Jünger als Person. Auch die „Rautenklause“ verrät als Code sehr viel – wenn wir diesen Code entschlüsseln. So beschreibt die extrem rechte deutsche Zeitschrift „Junge Freiheit“, wofür der Roman „Auf den Marmorklippen“ und die „Rautenklause“ aus deren Sicht stehen würden.
Zuerst wäre da ein fiktiver Ort gewesen, die „zivilisatorisch hochstehende“ Marina. Die allerdings würde von neuen Machthabern übernommen. Der Eroberung sei auch noch die „Zerstörung traditioneller Werte“ vorausgegangen. Die beiden Hauptdarsteller, zwei Brüder, hätten sich also einstweilen von einem „kraftstrotzenden Kriegerleben“ zurückgezogen, wie es in der Jungen Freiheit – erwartbar – schwülstig heißt. Ihr Rückzugsort: Die „Rautenklause auf den Marmorklippen“.
Doch, alles umsonst, am Ende werden auch die zwei Hauptdarsteller in den großen Krieg gezogen. Mit diesem Hintergrund lässt die Namenswahl der Identitäre für ihr Wiener Zentrum also sehr tief blicken. Denn bei Jünger ist die Rautenklause eben nur ein zeitweiliger Rückzugsort – dann folgt der Bürger:innenkrieg.
„Todessehnsucht“
Für den deutschen Germanisten und Jünger-Experten Niels Penke passt diese Namenswahl ins Bild. Bei Jünger wäre „die Rautenklause auch ein gefährdeter Ort, eine Art Idyllenraum, der für Geist und Schönheit steht, allerdings darum weiß, dass der Ungeist und die ’niederen Triebe‘ der ‚Dämonen‘ darauf aus sind, diesen Ort zu überrennen und zu zerstören“. Bei Jünger müsse schließlich auch die Rautenklause untergehen. Diese „fatalistische Haltung und Untergangssehnsucht“ könne, so Penke, auch in der Namenswahl für das Wiener Zentrum stecken.
Auf Twitter/X schrieb Sellner in der Vergangenheit sogar bereits wörtlich von „Todessehnsucht“. Er bezog sich dabei auf den japanischen Faschisten Yukio Mishima, der 1970 nach einem gescheiterten Putschversuch Suizid verübte. Mehr über die gefährliche Mishima-Verehrung der Identitären habe ich hier für euch aufgeschrieben.
Sonntägliches Boxtraining
In Jüngers Roman widmen sich die beiden Hauptdarsteller während ihres Rückzugs in die Rautenklause unter anderem der Botanik. Laut Germanist Penke wären die Brüder in Jüngers Erzählung dabei „eindeutig ‚höher‘ als die arbeitende Bevölkerung angesetzt“ – es passt zur burschenschaftlich geprägten Elitentradition der Gruppe Identitäre. Nun scheint die Beschäftigung mit Keller-Botanik in Hinblick auf die Identitären in der Ramperstorffergasse weniger realistisch. Stattdessen gibt es dort Hinweise auf ganz andere Aktivitäten.
So lädt etwa Identitären-Kader Huemer den vermeintlichen Interessenten und tatsächlichen Addendum-Journalisten sofort zu einem „sonntäglichen Boxtraining“ ein. Ein Ort dafür wird nicht genannt. Doch beim bereits erwähnten Anwohner:innentreffen im März 2020 berichtete eine Bewohnerin auch von ihren beharrlichen Nachfragen, was denn in diesem Keller geschehen solle. Ein Bauingenieur hätte nach mehreren Nachfragen erklärt, dass im Keller „eine Art Sportclub“ entstehen würde. „Der hat wie ein Burschenschafter ausgesehen“, erinnert sie sich.
„(schlag)stockkampf“
Kampfsport passt auch zu Identitären-Gesicht Sellner und zu Rene F., also den beiden offiziellen Co-Eigentümern der „Rautenklause“: Sellner inszeniert sich selbst in der Propaganda der Gruppe immer wieder gern in Boxer-Posen. Über soziale Medien lud er in der Vergangenheit auch schon zum „(schlag)stockkampf“ ein.
Und auch Rene F. dürfte einschlägig aktiv sein: Fotos von ihm finden sich etwa auf der Homepage eines Kampfsportverein in einer kleinen Gemeinde westlich von Wien, wie Antifaschist:innen recherchiert haben. Die Bilder sind auf der Seite weiter abrufbar. Eigentlich sollten bereits alle Warnleuchten angehen, wenn solche Figuren offenbar in größerem Maßstab Kampfsport trainieren.
Sie sind bewaffnet
Doch gegen weitere Pläne wirkt sogar der rechte Kampfsport noch harmlos. So wird im Identitären-Fanshop „Phalanx Europa“ unter anderem auch ein Ernst-Jünger-Shirt verkauft. Darauf abgebildet: Ein Bild Jüngers in Militäruniform, ein „Lambda“-Logo der Identitären sowie eine Aufschrift. Der ebenso eindeutige wie beunruhigende Text: „Unsere Hoffnung liegt im Aufstand“ sowie die Parole „Feuer und Blut“.
Schon 2019 besaß jeder fünfte namentlich bekannte Identitäre in Österreich eine Schusswaffe. Das würde laut den Salzburger Nachrichten aus Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hervorgehen. Hier findet ihr meine laufend ergänzte Liste von extrem rechten Waffenfunden.
„Kampf bis aufs Messer
Und worauf sich die Identitären tatsächlich vorbereiten, zeigen etwa Notizen Sellners für eine Rede, die die Kleine Zeitung 2019 veröffentlicht hat: „Es ist ein Krieg, ein Kampf bis aufs Messer, um jede Straße, jeden Gemeindebau, jede Stadt und jedes Land Europas.“ Und weiter: „Damit dieser Krieg gewonnen werden kann, muss er begonnen werden – auch von unserer Seite!“ Es erinnert allzu deutlich an Jüngers Fantasien über den Bürger:innenkrieg aus der Rautenklause.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Identitären den Namen ihres Wiener Zentrums bis jetzt nicht öffentlich bekannt gegeben haben. Denn die „Rautenklause“ verrät sehr viel über die ideologischen Ziele der neofaschistischen Gruppe. Ziele, die die Identitären vermutlich lieber geheim halten möchten. Doch das ist jetzt vorbei.
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