Am Denkmal des Antisemiten Karl Lueger wurde eine bunte Holzkonstruktion angebracht. Angeblich soll das Denkmal so “kontextualisiert” werden. Doch tatsächlich ist es jetzt noch übler als vorher.

Text: Marie E. Mark und Michael Bonvalot, Bilder: Marie E. Mark

Eine riesige bunte Holzkonstruktion, die das Lueger-Denkmal nur noch mehr ins Zentrum rückt. Das ist das Ergebnis einer angeblichen „Kontextualisierung“ des Denkmals für den antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger durch die Stadt Wien.

Bereits seit Jahren gibt es immer lautere Kritik an diesem Denkmal beim Wiener Stubentor, unter anderem von Holocaust-Überlebenden wie Eric Kandel oder Georg Stefan Troller. Endgültig an Fahrt nahm die Debatte auf, als im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung international zahlreiche Denkmäler gestürzt wurden.

Doch statt einen klaren Schlussstrich zu ziehen, entschied sich die Wiener Stadtregierung von SPÖ und NEOS dafür, das Denkmal zu „kontextualisieren“, wie es genannt wird. Was dabei herausgekommen ist, lässt fassungslos zurück.

Sogar noch mehr Würdigung für Lueger

Ergebnis der angeblichen Kontextualisierung ist jetzt eine 39 Meter lange, fünf Meter breite und elf Meter hohe Holzkonstruktion in bunten Farben, die am Mittwoch präsentiert wurde. Die Installation trägt den Titel “Lueger Temporär”, verantwortlich sind die beiden Künstler:innen Nicole Six und Paul Petritsch. Zu sehen sind im Stadtbild gefundene Artefakte der Lueger-Würdigung. Die Künstler:innen haben sie in ihren Umrissen in Originalgröße auf einem Holzrahmen befestigt. 

Auf den bei der Eröffnung verteilten Flyern über das Projekts von Nicole Six und Paul Petritsch heißt es: “In Wien auffindbare, Lueger gewidmete Erinnerungszeichen wurden von ihnen vermessen und dokumentiert.” Die Reproduktion der Büsten und Gedenktafeln von Lueger in Originalgröße soll “zu einem öffentlichen Refexionsprozess” über Antisemitismus werden und zur Diskussion stellen, “wie wir heute mit den historisch belasteten Bestandteilen unserer Geschichte umgehen sollen”, so die Presseaussendung der Stadt Wien.

Was aber bleibt, ist eben genau die Reproduktion von Büsten und Gedenktafeln von Lueger. Luegers Antisemitismus wird weder thematisiert noch kritisiert. Damit bringt die neue Installation tatsächlich das Kunststück fertig, den Antisemiten Lueger nochmals zusätzlich zu würdigen, statt sich zumindest kritisch mit ihm auseinanderzusetzen.

Laute Kritik – und eine Antifa-Watchlist

Bereits im Vorfeld der Präsentation der neuen Installation gab es heftige Kritik. Auch vor Ort wurde protestiert: “Antisemitismus thematisieren, nicht bunt dekorieren”, schrieb etwa die Jüdische Hochschüler*Innenschaft auf Schilder, mit denen sie während der Präsentation protestierte. Beachtlich die Reaktion auf die erwartbare Kritik.

Im Vorfeld der Präsentation wurde vom Twitter-Account des temporären Kunstprojekts eigens eine Liste mit dem Namen “Antifa-Accounts” angelegt. Darauf zu finden: Jüdinnen und Juden wie Oskar Deutsch, der Präsident des israelitischen Religionsgesellschaft in Österreich, Organisationen, die zur extremen Rechten recherchieren wie etwa das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) und auch standpunkt.press-Herausgeber Michael Bonvalot.

Die Wiener Kunst-Stadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Markus Figl, der ÖVP-Bezirksvorsteher der Inneren Stadt  finden die Kritik an der 100.000 Euro teuren Holzkonstruktion dagegen nicht gerechtfertigt. Stadträtin Kaup-Hasler machte gar den Vorschlag, sich mit der Jüdischen Hochschüler*Innenschaft über Kunst zu unterhalten – vielleicht wäre ein solches Gespräch im Vorhinein sinnvoller gewesen.

Ebenfalls dringend sinnvoll wäre übrigens ein Gespräch über den Namen des Platzes, wo das Denkmal steht: Denn der heißt weiterhin Karl-Lueger-Platz. Auch wenn es beim Denkmal endlich eine sinnvolle Lösung geben sollte, bleibt es damit weiterhin problematisch, wenn ein zentraler Platz im Stadtbild nach einem Antisemiten benannt ist. Doch auch hier bremst die SPÖ, die es beim Antisemiten Lueger offensichtlich nicht schafft, einen klaren Schlussstrich zu ziehen.

Die ÖVP jubelt

Die ÖVP dagegen jubelt. Kein Wunder: Antisemit Lueger steht an der Wiege der Christlichsozialen, also der faschistischen Vorläuferpartei der ÖVP. „Karl Lueger ist und bleibt Teil der Geschichte Wiens“, triumphieren ÖVP-Landtagspräsident Manfred Juraczka und Gemeinderätin Caroline Hungerländer in einer Aussendung angesichts der Präsentation von „Lueger temporär“. 

Es müsse, so die ÖVP, “mit Vernunft und Respekt vor unserer Geschichte vorgegangen” werden. Eine “Entehrung des Denkmals” sei “keine Option”. Offenbar soll also alles beim Alten bleiben, wenn es nach der ÖVP geht – und Antisemit Lueger weiter seinen zentralen Platz in der Wiener Innenstadt behalten.

Was tun?

Ein Jahr soll die neue Holzkonstruktion jetzt stehen bleiben, die das Lueger-Denkmal in seiner Größe sogar noch vervielfacht. Danach soll es eine endgültige Installation geben – die Ausschreibung für den Wettbewerb soll demnächst starten. Vorgesehen dafür ist ein Budget von 500.000 Euro. 

Möglicherweise gibt es tatsächlich gute künstlerische Möglichkeiten, ein solches Denkmal ernsthaft zu kontextualisieren und gleichzeitig als Ehrenmal zu entwerten. Ebenfalls eine Möglichkeit wäre, aus den Materialien des Denkmals etwas gänzlich Neues am selben Platz zu bauen, etwa ein Denkmal für die Opfer antisemitischer Gewalt. Klar muss sein: In dieser Form kann das Denkmal nicht weiter stehen.

Was allerdings die Stadt Wien jetzt finanziert hat, ist schlicht eine weitere Ehrung für Lueger. Alternativvorschlag der Redaktion: Eine Abrissbirne. Das ist billiger. Und besser für die Zukunft.

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