Ein Polizist hat bei der 1-Mai-Demo 2020 in Wien mehrmals zugetreten, das Video ging durch die Medien. Rechtswidrig, sagt jetzt das Verwaltungsgericht. Der Polizist will den Tritt vor Gericht als „Reflex“ verharmlosen. Exklusivbericht.

Es war ein Video, das für breite Empörung sorgte. Gut erkennbar ist, wie ein Polizist am Rand einer 1-Mai-Demo im Wiener Prater auf einmal auf Michael W. eintritt. Michael war zuvor völlig ruhig am Boden gesessen. Danach steigt der Polizist Michael auch noch auf den Unterschenkel. Vor Gericht sagt der Polizist jetzt, er wisse nicht, warum er Michael getreten habe.

Die gesamte Szene ist gut dokumentiert. Michael hatte zuvor an einer Fahrrad-Demo teilgenommen, dann folgte der Übergriff. Ein hochauflösendes Video des Übergriffs habe ich kurz nach der Demo exklusiv veröffentlicht und eingeordnet. Die Demo war nicht offiziell angezeigt – was laut Versammlungsrecht allerdings keinesfalls einen zwingenden Grund für eine Auflösung darstellt.

Tatsächlich hätte die Polizei rechtlich genauso die Möglichkeit gehabt, den Verkehr umzuleiten, damit die Demo stattfinden kann. Die Fahrrad-Demo war sogar bereits im Vorhinein bekannt, auch in meiner Vorab-Bericht zum ersten Mai ist sie aufgeführt. Doch stattdessen hat sich die Polizei offenbar dafür entschieden, die Demonstration mit allen Mitteln aufzulösen.

„Vom Fahrrad runtergetreten“

Michael muss das auf der Hauptallee im Prater brutal am eigenen Leib erfahren. Zeugin Melanie Heckl erzählt mir, wie sie die Situation erlebt hat: „Da habe ich dann beobachtet, wie die Polizisten den Mann einfach vom Fahrrad gestoßen haben.“ Dieser Radfahrer ist Michael.

Michael selbst erzählt mir kurz danach in einem exklusiven Interview: „Ich habe gehört, dass ich anhalten soll – aber bevor ich das tun konnte, habe ich schon einen Tritt gegen den Oberschenkel bekommen und bin mit dem Fahrrad ins Straucheln gekommen. Der Polizist hat mich regelrecht vom Fahrrad runtergetreten.“ Doch damit nicht genug.

Nun soll eine Ausweiskontrolle folgen. Das Video zeigt eindeutig, dass Michael während der gesamten Situation völlig ruhig am Boden sitzt. PolizeibeamtInnen schirmen die Szene zwar ab – vor allem vor Zeugin Heckl. Doch es ist deutlich sichtbar, dass sich niemand speziell um Michael kümmert. Offensichtlich denken die PolizistInnen, dass von ihm keinerlei Gefährdung ausgeht.

Seinen Ausweis hat Michael bereits abgegeben, nun folgt die Prüfung der Identität. Umso brutaler erscheint der Angriff des Polizisten, der auf einmal und ohne jede Veranlassung auf Michael eintritt und dann auch noch auf seinen Unterschenkel steigt.

Polizei rudert zurück

Nach diesem Übergriff hat sich Michael mit einer sogenannten Maßnahmenbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien gewandt. Und das Gericht unter Vorsitz von Richterin Elisabeth Grois hat nun entschieden: Der Tritt und die Vorgangsweise des Polizisten waren eindeutig rechtswidrig. Sowohl das Verhandlungsprotokoll wie das Urteil liegen mir vor.

Bereits vor der Verhandlung muss die Polizei einräumen, dass die Fixierung von Michael mit einem Tritt auf dessen rechten Fuß jedenfalls rechtswidrig war. Verhandelt wird damit „nur“ noch der erste Tritt von Gruppeninspektor T. gegen Michael. Das Gerichtsurteil ist dann eine schallende Ohrfeige für den Polizisten – und zeigt gleichzeitig die Gedankenwelt des Beamten.

Polizist versetzt „Beinfeger“ – Richterin zweifelt

In seiner ersten Meldung am 2. Mai 2020 schreibt Gruppeninspektor T. laut Protokoll, dass er Michael einen „Beinfeger“ versetzt hätte. Seine Begründung: Michael wollte etwas aus seiner Tasche nehmen. Es sei daher notwendig gewesen, „die Angriff.- u. Fluchtunfähigkeit des Angehaltenen zu gewährleisten“. Dass es keinerlei Indizien für einen Angriff oder eine Flucht gab? Dass Michael vollkommen ruhig dasitzt? Offensichtlich völlig egal.

Das fällt auch Richterin Grois auf. Sie fragt Polizist T.: „Nehmen Sie bei jeder am Boden sitzenden Person, welche Adressat eine Amtshandlung ist, eine Angriffs- bzw. Fluchtabsicht an, wenn diese Person aus einer Tasche etwas herauszunehmen versucht?“ Antwort des Polizisten: „Wenn ich jemanden auffordere, ruhig zu bleiben, dann impliziert das für mich auch die Aufforderung, gar keine weiteren Handlungen zu setzen.“

Er hätte Michael zwar nicht aufgefordert, nicht weiter im Rucksack zu suchen – doch Michael sollte offensichtlich die „impliziten“ Gedanken des Polizisten lesen. Die besondere Ironie der Situation: Um den verlangten Ausweis zu zeigen, musste Michael zuvor sogar in den Rucksack greifen.

Zutreten ist für den Polizisten ein „Reflex“

Warum er Michael getreten hat, beantwortet Gruppeninspektor T. bei seiner Einvernahme vor Gericht dann so: „Ich weiß nicht. Das hat sich so ergeben – gewissermaßen im Reflex und weil ich nicht gewusst habe, was er da im Rucksack tut.“

Auf welcher Rechtsgrundlage der Polizist Michael getreten habe? Antwort T.: „Um ihn angriffsunfähig zu machen“. Noch einmal: Das Video zeigt, dass Michael vollkommen ruhig dasitzt. Genauso steht es auch im nun erfolgten Gerichtsurteil: Körperhaltung, Gestik und Verhalten von Michael seien „unaufgeregt“ und „gleichförmig“ gewesen.

Dubioses Gebrüll als „menschlicher Aspekt“

Das Video zeigt ebenfalls gut, wie Polizist T. auf Michael einbrüllt. Die ersten Worte sind unverständlich. Dann folgt laut schreiend: „… was die Polizei sagt (?). Wir wohnen (?) in Österreich, okay!“ Im weiteren Verlauf schreit der Polizist ihn noch mehrmals an.

Rechtfertigung des Behördenvertreters der Landespolizeidirektion Wien: „Zum Brüllen merke ich an, dass, abgesehen vom menschlichen Aspekt, es bei solchen Amtshandlungen öfters zu Tumulten kommt und insoweit ein lautes Schreien erforderlich sein kann.“

Aus dem Video ist ein solch besonderer Tumult oder Lärm allerdings schlicht nicht nachvollziehbar, im Gegenteil. Es wirkt alles recht ruhig. Vor allem aber wäre interessant, welche „menschlichen Aspekte“ es für den Juristen der Wiener Polizei rechtlich legitim machen, dass ein Polizist während der Amtshandlung einen Menschen anbrüllt.

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Die angeblich gefährliche Glasflasche

Zur Rechtfertigung für sein Verhalten und seinen Fußtritt führt Polizist T. an, dass Michael eine Glasflasche in seinem Rucksack gehabt hätte. Der Schönheitsfehler dieser Behauptung laut Entscheid des Gerichts: Die „vermeintliche Gefahrenquelle“ sei „erst nach dem ersten Fußtritt als Glasflasche“ erkannt worden. Das Wort „nach“ ist im Protokoll sogar eigens unterstrichen.

Darüber hinaus merkt das Gericht völlig richtig an: Der Umstand, dass eine Person eine Glasflasche mit sich führt, gäbe allein noch keinerlei „Anhaltspunkt (für eine Absicht bzw.) auf Durchführung eines gefährlichen Angriffs.“ Das Video zeigt auch gut, dass die Flasche danach die PolizistInnen tatsächlich in keiner Weise interessiert.

Keine Chance ohne Video

Michael hat nun vor Gericht Recht bekommen. Er selbst zeigt sich damit zufrieden: „Der Polizist wollte sich rausreden, das ist nicht gelungen“. Damit seien für ihn auch „monatelange Anspannung und enormer Aufwand“ beendet. Weiterhin offen sind laut Michael aber insgesamt 256 Euro an Strafen wegen angeblicher Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Hier hat Michael ebenfalls Einspruch erhoben, wie er erzählt.

Für Michael ist aber auch klar, dass er nur gewonnen hat, weil Zeugin Heckl die gesamte Szene auf Video aufgenommen hat. „Du brauchst ein Video, alles andere ist sinnlos“, sagt Michael. Ihr habt übrigens jederzeit das Recht, Amtshandlungen der Polizei zu filmen und damit zu dokumentieren. Hier habe ich eure wichtigsten Rechte im Umgang mit der Polizei aufgeschrieben.

Auch am 1. Mai 2020 hat es in Wien mutmaßlich noch weitere Übergriffe durch die Polizei gegeben. Hier könnt ihr lesen, wie übergriffig und teils brutal die Wiener Polizei am 1. Mai in Wien gegen DemonstrantInnen und JournalistInnen vorgegangen ist.

Maßnahmenbeschwerden sind völlig unzulänglich

Doch gleichzeitig kritisiert Michael das System der sogenannten Maßnahmenbeschwerden: „Monate später sagt mir eine Richterin, dass der Tritt rechtswidrig war.“ Das einzige, was er jetzt hätte, wäre eine Bestätigung. „Die kann ich mir als Urkunde an die Wand hängen.“ Und tatsächlich: Michael bekommt von der Polizei keinen Cent, einzig seine Anwaltskosten werden ersetzt.

Wenn Michael dagegen verloren hätte, hätte er nicht nur seinen Anwalt bezahlen müssen, sondern auch noch rund 800 Euro je Beschwerde (bei einem Verfahren kommen meist mehrere Beschwerden zusammen). Da können schnell mehrere tausend Euro an Kostenrisiko zusammen kommen. Nicht zuletzt aus diesem Grund scheuen viele Menschen den Weg vor Gericht und viele Polizei-Übergriffe werden gar nicht verhandelt.

Musterprozesse

Auch deshalb führe ich fast schon regelmäßig Maßnahmenbeschwerden gegen die Polizei. Es ist notwendig, immer wieder Musterprozesse zu führen, um die Polizei dazu zu bringen, sich rechtskonform zu verhalten.

Solche Beschwerden bedeuten ein hohes finanzielles Risiko und enorm viel zeitlichen Aufwand. Eine meiner Beschwerden gegen die Polizei rund um einen Aufmarsch der neofaschistischen Identitären etwa läuft bereits seit Herbst 2017. Inzwischen liegt sie beim Verwaltungsgerichtshof, also beim Obersten Gericht. Bisher konnte ich – auch dank eurer Unterstützung – alle Maßnahmenbeschwerden durchführung und gewinnen.

Welche Folgen gibt es für den Polizisten?

Während für BeschwerdeführerInnen vor Gericht ein hohes finanzielles Risiko droht, gibt es für den Polizisten keinerlei nachvollziehbare Folgen. Das trifft auch auf den aktuellen Fall zu. Die Kosten des verlorenen Verfahrens werden nicht von Polizist T. bezahlt, sondern von den SteuerzahlerInnen. Auch für den Tritt gibt es keine nach außen sichtbaren Konsequenzen.

Stellen wir uns kurz vor, was dagegen passieren würde, wenn ein Demonstrant einem Polizisten tritt. Ein so genannter „tätlicher Angriff“ auf einen Polizisten wird in Österreich mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.

„Nicht gefallen lassen“

Michael selbst glaubt, dass es solche Übergriffe durch die Polizei auch in Zukunft geben wird. „Der Verein wird nicht gerechter, das wird wieder passieren.“ Dennoch findet er es wichtig, dass er vor Gericht gegangen ist.

Michael sagt: „Wir können uns Polizei-Übergriffe nicht einfach gefallen lassen. Der Sieg fühlt sich gut an.“

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