Extreme Rechte wollten eine Kinderbuchlesung vor der Türkis-Rosa-Lila-Villa stören. Queere und Linke haben die Villa verteidigt. Der Bericht und die Bilder zum Protest!
- Alle Bilder: Michael Bonvalot sowie Team Standpunkt.press
Nur rund 300 Personen sind am Sonntag beim rechten Aufmarsch vor der Türkis-Rosa-Lila-Villa erschienen. Dort wollten die Rechten gegen eine Kinderbuchlesung marschieren. Die geringe Teilnehmer:innenzahl ist eine krachende Niederlage für die Organisator:innen – vor allem wenn bedacht wird, wer da aller mobilisiert hat: Teile der FPÖ, die extrem rechte Corona-Szene, die neofaschistische Gruppe Identitäre, katholische Fundamentalisten und sogar ein kleines Grüppchen offener Austrofaschist:innen mit Flugblättern für „Kamerad Dollfuß“ – also den ehemaligen österreichischen Dikator und Arbeiter:innenmörder. Dazu sind freundliche Artikel etwa auf der rechten und ÖVP-nahen Plattform Exxpress erschienen (die Mediengruppe kassiert in Österreich durch die Medienförderung Steuergeld).
Bereits ab sieben Uhr früh haben sich den Rechten zahlreiche antifaschistische und queere Menschen entgegengestellt. Als knapp nach neun Uhr die ersten einschlägigen Figuren aus der rechten Szene eintrafen, war der Platz vor der Villa somit bereits gut gefüllt. Wie viele Menschen sich hier genau beteiligt haben, ist unklar. Aus meiner Perspektive direkt über dem rechten Aufmarsch konnte ich zwar die Rechten tatsächlich durchzählen, nicht jedoch exakt die linken Solidaritätsaktionen. Doch geschätzt haben sich – gemeinsam mit einer Kundgebung hinter dem Haus – wohl bis zu tausend Menschen an den linken und queeren Solidaritätsaktionen beteiligt. Über der Menge wehten Regenbogenfahnen, Trans-Fahnen, rote Fahnen. Laute Sprechchöre und eine starke Anlage aus dem Haus übertönten die Slogans und Reden weitgehend.
Die Anlage in der Türkis-Rosa-Lila-Villa ist richtig laut. Von den Rechten ist nichts zu hören.#w1604 pic.twitter.com/isyWL9fwjA
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Direkt vor die Villa sind die Rechten durch den Protest somit nicht gekommen: Beide Eingänge zum Wiener Zentrum der LGBTI-Community waren zugänglich, die Polizeiabsperrung begann direkt an der Grenze zum Nebenhaus. Ungeachtet dessen wird über die Strategie der Polizei noch zu sprechen sein. Denn die Rechten wurden von der Polizei dennoch fast direkt vor die Villa gelassen. Wenn Eltern mit ihren Kindern am Weg zur Lesung in den Marsch hineingelaufen wären, hätte das enorm gefährlich werden können. Vor allem auch deshalb, weil der Marsch genau zwischen der Villa und der nur wenige Meter entfernten U-Bahn Station Pilgramgasse positioniert wurde. Und dass die Szene gewalttätig ist, hatte sich bereits im Vorfeld gezeigt. Mobilisiert wurde etwa auf den Telegram-Kanälen von Corona-Gesicht Martin Rutter und Identitären-Gesicht Martin Sellner.
"Bisher sind keine expliziten Aufrufe zu Gewalt oder sonstiger Eskalationen bekannt", behauptet mir gegenüber die Polizei zum rechten Aufmarsch gegen die queere Kinderbuchlesung in Wien. Hier die Fakten: Baseballschläger, Brand, Mordfantasien. Diese Leute sind gefährlich.#w1604 pic.twitter.com/i8kJ05CY83
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 14, 2023
Und dort zeigte sich schon in den Kommentaren, wie die Szene tickt: ein Bild eines Kampfflugzeug, offensichtlich ein Bomber, der Ruf nach einem Baseballschläger oder der Kommentar: „Hura hura da brennt der Tuntenstall“. Auch die Polizei war darüber informiert, denn ich hatte die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien im Vorfeld darauf aufmerksam gemacht und um einen Kommentar zu ersuchen. Antwort: Die Wiener Polizei würde „Maßnahmen treffen, um den Schutz aller Anwesenden bestmöglich zu gewährleisten“.
Der doppelte Standard ist mehr als auffällig: Seit Jahren wird etwa rund um den Akademikerball der FPÖ und der extrem rechten Burschenschaften in der Hofburg seitens der Behörde eine exzessive Sperrzone in der Wiener Innenstadt verhängt. Es wäre gar nicht möglich, innerhalb dieser Sperrzone antifaschistische Kundgebungen anzumelden. Es wirkt eindeutig so, dass deutschnationale Burschenschafter hier wesentlich mehr Schutz seitens der Polizei erhalten als Kinder. Ob das damit zusammenhängt, dass Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl selbst aus einer deutschnationalen Studentenverbindung stammt?
Ungeachtet der rechten Provokationen konnte die Kinderbuchlesung – übrigens vor vollem Haus und mit zahlreichen Kindern – dann tatsächlich ungestört über die Bühne gehen. Geschuldet war das allerdings wohl weniger der Strategie der Wiener Polizei, sondern vor allem den zahlreichen solidarischen Menschen. Sie hatten mit ihren Körpern und ihren Kundgebungen verhindert, dass sich die Rechten in der Gegend rund um die Villa breitmachen konnten und stattdessen durchgehend eingezäunt waren. Nach dem Ende der rechten Standkundgebung marschierten die einschlägigen Teilnehmerinnen dann über die Rechte Wienzeile zur Ringstraße. Und auch darüber wird noch zu sprechen sein:
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Denn noch am Freitag hatte die Landespolizeidirektion Wien eine Auflistung aller angezeigten Kundgebungen und Demonstrationen bekanntgegeben. Ein Aufmarsch von der Villa zur Ringstraße war nicht dabei. Konnten die Rechten also ohne jede Anzeige/Anmeldung einer Demonstration Richtung Wiener Innenstadt marschieren? Rechtlich könnte das noch bedeutsam werden.
Denn als sich die Rechten in Bewegung setzten, begannen auch linke und queere Proteste an den Straßenrändern. Beteiligt daran waren nicht nur Menschen, die vorher an der Solidaritätskundgebung teilgenommen hatten. Ich selbst habe etwa Besucher:innen von Lokalen gesehen, die den Rechten den Mittelfinger entgegenstreckten und lautstark „Nazis raus“ riefen. Die Polizei aber schützte den rechten Aufmarsch und räumte in mindestens einem Fall auf Höhe U4 Kettenbrückengasse auch eine linke Blockade ab. Vor allem, wenn der rechte Aufmarsch nicht einmal angezeigt gewesen wäre, wäre das rechtlich mehr als zweifelhaft.
Nur mit sehr großen Einschränkungen war es übrigens möglich, vom rechten Aufmarsch zu berichten. Ich war während meiner Arbeit mit zahlreichen und andauernden Provokationen, Beschimpfungen, Rempeleien und Drohungen konfrontiert. Auch daran trägt die Polizei eine Mitschuld: Denn trotz meiner Proteste und meiner Hinweise auf die Arbeitssituation wurde mir verboten, meine Security durch die Polizeisperre mit zum rechten Aufmarsch zu nehmen. Hier seht ihr nur eine Sequenz, wie es dann vor Ort zuging:
So sieht derzeit journalistische Berichterstattung vom extrem rechten Aufmarsch in Wien aus. Laut Aussage der Polizei müsse ich damit rechnen, vom Aufmarsch entfernt zu werden, falls ich den Aufmarsch störe. Wer hier wen stört, ist wohl offensichtlich. #Pressefreiheit #w1604 pic.twitter.com/pX6QH2lBMH
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Problematisch wurde das Verhalten der Polizei dann auch noch bei einer weiteren Begegnung auf der Ringstraße: Nachdem Antifaschist:innen dort am Rande des rechten Aufmarsches verbal protestiert hatten, drängte die Polizei sie zurück. Dabei wurde eine Person bewusstlos, was da passiert ist, ist derzeit noch unklar. Diese Person wurde daraufhin von anderen aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich getragen und erstversorgt. Doch anstatt zu stoppen, drängte die Polizei die solidarischen Menschen trotz wütender Proteste und Rufe nach Sanitäter:innen weiter in Richtung der bewusstlosen Person und über sie. Schließlich wurde auch noch Pfefferspray eingesetzt. Auch einer meiner Sicherheitsleute und ich wurden getroffen, mein Security musste versorgt werden. Ein völlig überzogener Einsatz der Polizei, über den auf jeden Fall noch gesprochen werden muss.
So geht die Wiener Polizei gegen Antifaschist:innen vor, die gegen einen rechten Aufmarsch protestieren. Eine Person liegt schon bewusstlos am Boden und wird erstversorgt. Dennoch rückt Polizei weiter Richtung der Person vor und sprüht noch Pfefferspray. Unverantwortlich! #w1604 pic.twitter.com/lOTMo9wl1e
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 16, 2023
Auch Amnesty International hat sich nach Veröffentlichung meines Videos dazu bereits via Twitter zur Wort gemeldet: „Wir sind besorgt! Eine Person liegt am Boden und benötigt offenbar Hilfe. Dennoch setzt die #Polizei Pfefferspray ein. #w1604 Was soll das @LPDWien?“ Ursprünglich wollten die Rechten noch bis zum Burgtheater marschieren. Doch schließlich wurde der Aufmarsch Richtung Heldenplatz abgeleitet, dort lösten sich die letzten Reste dann auf. Das dürfte wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der laufenden und immer größer werdenden antifaschistischen Proteste an den Straßenrändern geschehen sein.
Das sind die Bilder zum rechten Aufmarsch und den queeren Protesten!
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