Sieg-Heil-Parolen, Affenlaute, Attacken auf andere Fans und eine Reichskriegsfahne. Das Wiener Derby zeigt das Nazi-Problem in der Fanszene der Austria. Fünf Vorschläge zur Lösung.
Die Austria bekommt ihr Neonazi-Problem einfach nicht in den Griff. Das wurde beim 330. großen Wiener Derby gegen den Lokalrivalen Rapid erneut schmerzlich sichtbar. Medial wird bisher vor allem über die Reichskriegsfahne im Sektor der Austria berichtet. Doch offenbar gab es noch weit mehr problematische Übergriffe.
Die Reichskriegsfahne im Design der Austria kann der einschlägig bekannten Gruppe „Unsterblich“ zugeordnet werden. Das Symbol wird von Neonazis als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz verwendet.
https://www.standpunkt.press/wie-maennerkult-und-homophobie-im-fussball-den-missbrauch-beguenstigen-931/
Mein Bericht über die Reichskriegsfahne wurde inzwischen von zahlreichen Medien aufgegriffen, etwa von Standard, Kurier, Krone, Österreich oder Heute. Auch mein Bericht über die wiederholten homophoben Sprechchöre sowohl von Rapid- wie von Austria-Fans wurde von mehreren Medien übernommen. Doch das war offenbar nur die Spitze eines Eisbergs.
Angriffe auf Austria-Fans
Inzwischen sind in sozialen Netzwerken eine ganze Reihe von Berichten erschienen, mehrere Personen haben sich auch bei mir gemeldet. Und das Bild, das diese Berichte zeigen, ist erschreckend. Ein 18jähriger Austria-Fan etwa schreibt mir, dass er aufgrund seiner Hautfarbe im Sektor attackiert worden wäre. Ein Mann hätte Bier auf ihn geschüttet, „von dem gleichen Typen kam dann ein ‚Rassist, Faschist, Hooligan'“, wie mir der Austrianer schreibt.
https://www.standpunkt.press/wir-holen-uns-die-mauer-zurueck-324/
Der Täter wäre Anhänger von Slovan Bratislava gewesen. Dabei handelt es sich um eine einschlägige Fangruppe, die mit extrem rechten Fangruppen der Austria verbündet ist. Auch andere Personen berichten von entsprechenden Parolen und von Attacken auf antifaschistische Austria-Fans.
Sieg-Heil-Sprechchöre
Die Nazis müssen sich dabei offenbar sehr sicher gefühlt haben. Ein Austria-Fan schreibt mir, unmittelbar nach dem Spiel hätten im Tunnel zum Ausgang „mehrere Leute ‚Sieg Heil‘ skandiert, gefolgt von ‚Rassist, Faschist, Hooligan!'“
Ein anderer postest in einem sozialen Fußballforum eine ähnliche Wahrnehmung und schreibt von „Unsterblich Sympathisanten, die im Tunnel ‚Ausländer raus‘, ‚Zick Zack…‘ und ähnliches skandiert hätten. Ein weiterer Austria-Fan schreibt auf Facebook, dass in der Kurve auch noch der antisemitische Slogan „Alle Grünen haben einen gelben Stern zu tragen“ zu hören gewesen sei.
Bereits beim Anmarsch der sogenannten aktiven Fangruppen zum Stadion sollen Sieg Heil-Parolen gerufen worden sein, wird in sozialen Netzwerken berichtet. Während des Spiels sollen die schwarzen Spieler Aliou Badji und Kelvin Arase mit Affenlauten beschimpft worden sein.
Was tut der Rapid-Ordnerdienst?
Was die Reichskriegsfahne betrifft, muss sich auch der SK Rapid kritische Fragen gefallen lassen. Es ist unverständlich, warum nicht zumindest versucht wurde, die Fahne zu entfernen. In der Vergangenheit war das offenbar sehr wohl möglich, als es um antifaschistische Fans ging. Im Oktober 2017 etwa berichtete der Fanclub Wolfbrigade 04 des SKN St.Pölten von sehr fragwürdigen Erlebnissen im Rapid-Stadion.
Der Ordnerdienst von Rapid hätte damals extra den Auswärtssektor betreten, um einen Doppelhalter mit der Aufschrift „Kein Fußball den Faschisten“ abzunehmen. „Die Erklärung dafür war“, so die Wolfbrigade, „dass politische Botschaften, egal welcher Richtung, in Stadien nicht gestattet sind.“ Schließlich sei sogar ein Einsatz der Polizei angedroht worden.
Internationale Nazi-Unterstützung
Beim Derby waren nach verschiedenen Berichten auch zahlreiche Slovan-Leute im Austria-Sektor, ebenso wie rechte Fans des FC Brno aus Tschechien. Die Slovan-Kurve ist bekannt für ihre extrem rechte Ausrichtung.
2015 etwa wurde dort ein Banner gehisst, wo ein Zug ins ehemalige Konzentrationslager Auschwitz zu sehen ist, darunter die Parole „Refugees welcome“. Fans des FC Brno waren zuletzt im September bei einem Heimspiel der Austria mit einem großen SS-Totenkopf aufgefallen.
Wiener Derby: Auf der Austria-Ostkurve ein Banner der einschlägigen Hooligans Brno mit einem Totenkopf, der dem der SS ähnelt. Dazu die – aus Nazimilieus bekannte – Forderung nach Todesstrafe bei sexualisiertem Missbrauch. Solche Banner MUSS der @FKAustriaWien abnehmen.#fakscr pic.twitter.com/hbH4eOrPyX
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) September 1, 2019
Verantwortlich für die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen ist vor allem die Austria-Fangruppe „Fanatics“. Hier habe ich etwa ein Video vom 16.08.2018 veröffentlicht, aufgenommen auf der Wiener Linie U4. Gut zu erkennen ist der Anführer der Fanatics, Manuel K. Er steht inmitten eines Pulks von Slovan- und Austria-Fans.
Lautstark zu hören ist auch hier der Slogan „Rassist, Faschist, Hooligan“. Auch bei den Heimspielen von Slovan wird dieser Slogan immer wieder gerufen, ebenso wie andere einschlägige Parolen. Bei diesen Heimspielen in Bratislava sind auch Fanatics und Unsterblich regelmäßig präsent.
"Rassist, Faschist, Hooligan" und "Sieg Heil" bei einem Fanturnier von Slovan Bratislava am 6. Juli. Mit dabei laut Turnierprogramm die "Viola Fanatics", der Fanclub des @FKAustriaWien, der – immer mehr umstritten – die "Führung" der Fankurve beansprucht.
Thread! 1/ pic.twitter.com/TZmuKwDwMz
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) July 8, 2019
Wie reagiert der Verein?
Als Reaktion auf meinen Bericht über die Reichskriegsfahne am Derby schreibt die Austria mir: „Ist in keinster Weise mit unseren Werten vereinbar. Wie das Ding da reinkam? Leider noch nicht ganz klar. Gehen der Sache aber seit Spielbeginn nach und hoffen, die Personen, die dahinter stecken, identifizieren zu können. Das sind keine Austria-Fans!“
Das Problem bei dieser Stellungnahme: Natürlich sind da auch genug extrem rechte Austria-Fans dabei. Unsterblich sind Austria-Leute. Am Montag hat die Austria eine Pressemeldung veröffentlicht, wonach die Person, die das Banner im Rapid-Stadion aufgehängt hätte, bereits ausgeforscht ist.
Der Mann hätte „seit der Saison 2012/13 ein Hausverbot in der Generali Arena, jetzt wird auch ein bundesweites Stadionverbot beantragt“, so die Wiener Austria. Doch auch das greift zu kurz.
Es gibt kein Unsterblich-Problem, es gibt ein Fanszene-Problem
Unsterblich-Leute könnten ihre Banner niemals aufhängen, wenn sie nicht die Unterstützung und den Sanctus der führenden Fangruppe hätten. Auch Vertreter internationaler einschlägiger Fangruppen kommen, weil sie von Fanatics und Co. eingeladen werden.
Das betrifft nicht nur das Stadion: Diese Gruppen werden von den Fanatics zu gemeinsamen Fan-Turnieren eingeladen, wo dann ebenfalls die Reichskriegsfahne sowie Keltenkreuze präsentiert werden. Auch Banner anderer einschlägiger Gruppen wie der Ultras Sur von Real Madrid oder der Kop de Boulogne von Paris Saint-Germain werden im Stadion regelmäßig präsentiert.
Antifaschistische Fans unterstützen
Die Austria hat ein Problem mit Neonazis in der Kurve, aber keine Neonazi-Kurve. Das ist ein entscheidender und sehr wichtiger Unterschied. Jede Verallgemeinerung wäre falsch, schädlich und würde auch nicht die Realität der unterschiedlichen Kräfte in der Kurve widerspiegeln.
Viele Fans und Fangruppen im Stadion sind angewidert von den Umtrieben der extremen Rechten. In sozialen Netzwerken zeigt sich die Empörung zahlreicher antifaschistischer Fans, dass Neonazis sich bei der Austria bewegen können. Auch ich bekomme regelmäßig entsprechende Nachrichten.
Was tun?
Die Forderung nach einer Selbstreinigung der Kurve ist theoretisch sicher richtig. Gleichzeitig spiegelt sie nicht die realen Kräfteverhältnisse wieder. Wenn antifaschistische Fans beim Derby versucht hätten, die Reichskriegsfahne zu entfernen, wären sie vermutlich von dutzenden Personen von Fanatics, Slovan, Brno und Co attackiert worden. Wer die Forderung nach einer Selbstreinigung der Kurve erhebt, müsste zumindest bereit sein, antifaschistische Austria-Fans auch im Stadion zu unterstützen.
https://www.standpunkt.press/die-austria-unterm-hakenkreuz-opfer-taeter-und-mitlaeufer/
Wesentlich realistischer wäre, wenn der Verein durch klare Maßnahmen die extreme Rechte zurückgedrängt und damit gleichzeitig antifaschistische Fangruppen stärkt. Fünf konkrete Maßnahmen könnten ein Anfang sein:
1. Das Problem ehrlich benennen
Niemand hat etwas davon, wenn das Problem kleingeredet oder auf Unsterblich reduziert wird, wie es seitens des Vereins oft getan wird. Rund um die Austria bewegt sich ein extrem rechtes Mischmilieu aus Fanatics, deren Sektion Inferno, Slovan, Brno, dem informellen Zusammenschluss Ballermann, der Neonazi-Gruppe Tanzbrigade, der mit ihr zusammenhängenden Küssel-Gruppe sowie der neofaschistischen Gruppe Identitäre.
Die extrem rechte Truppe "Eisern Wien" – ein langjähriger Zusammenschluss rechter Fans von Austria und Rapid Wien – verstärkt offenbar die Propaganda. Von EW ist es nicht weit zur Küssel-Gruppe und den Identitären. Hier ist antifaschistische Aufmerksamkeit notwendig und geboten. https://t.co/74u2IZrM1V
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) October 28, 2019
Wer das Problem lösen will, muss sich mit all diesen Problemfeldern auseinandersetzen. Wenn der Verein handeln will, bedeutet das auch eine Auseinandersetzung mit Fanatics und Co.
2. Raus mit den Nazis – und ihren Freunden
Die Austria könnte etwa ein Ultimatum setzen: Wer weiter extrem rechte Symbole zeigt, duldet oder mit einschlägigen Personen zusammenarbeitet, verliert den Fanclub-Status und fliegt raus.
Das betrifft dann nicht nur eine Person oder Personengruppe, die eventuell dabei gefilmt wird, wenn sie ein bestimmtes Banner hisst. Das betrifft auch jene Fangruppen, die diese Person(en) eingeladen haben, schützen, decken oder mit ihnen regelmäßig zusammenarbeiten. Hier braucht es einen klaren Trennstrich.
3. Klare und sichtbare Maßnahmen setzen
Nach dem aktuellen Vorfall hat die Austria auf Twitter und Instagram ihr Logo mit einer Regenbogen-Fahne versehen. So etwas ist symbolisch sehr wichtig, doch es ist natürlich viel zu wenig. Sichtbare Zeichen müssen vor allem im Stadion und rund um das Stadion gesetzt werden.
Das bedeutet eine regelmäßige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Homophobie und Sexismus rund um die Spiele. Das kann viele Formen einnehmen, etwa Merchandising, Ankündigungen im Stadion, Artikel in der Stadion-Zeitung, passende Zitate von Spielern und Legenden, Banner vor dem Stadion und über der Ostkurve sowie Statements über die LED-Werbebanner und die Vidiwall. Der Fantasie sind hier wenig Grenzen gesetzt.
4. Die richtigen Täter treffen
Immer wieder passiert es, dass seitens des Vereins Vorfälle wegen illegalisierter Pyrotechnik oder Fußball-bezogener Gewalt ähnlich behandelt werden wie Rechtsextremismus. Ganz unterschiedliche Personen und Gruppen sind so gemeinsam betroffen. Das führt zu Solidarisierungseffekten, wo es Trennlinien bräuchte.
Extrem rechte Fangruppen nützen das natürlich auch bewusst. Doch der Verein könnte diese Versuche weit schwerer machen, wenn er die jeweiligen Themen klar adressiert und in der Kommunikation trennen würde.
5. Eine Fanarbeit mit klarer Ausrichtung
Über die sozialen Medien bewirbt der Verein regelmäßig Aktionen der Fanatics. Die Botschaft, die damit vermittelt wird, ist fatal. Die Fanbetreuung der Austria hat offenbar das Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit“ zur Grundlage. Die Positionen der Zielgruppe werden akzeptiert und es ist nicht das Ziel, diese zu verändern.
Damit wird die Fanbetreuung schlichtweg eine Ressource zur Unterstützung der einschlägigen Gruppen. Das muss nicht so sein. Die Fanbetreuung könnte als Zielgruppe auch klar und dezidiert jene Fangruppen haben, die nicht im rechten Sumpf stecken. Es würde bereits einen enormen Unterschied machen.
Das Ziel all dieser Maßnahmen sollte klar sein: Die Austria muss wieder zu einem Club werden, auf den ihre Fans zu Recht stolz sein können.
Ergänzt um 16:32 Uhr um Erfahrungen der Wolfbrigade St. Pölten im Rapid-Stadion.
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