Die Grauen Wölfe verstecken sich oft hinter Tarnvereinen und verwenden geheime Codes und Symbole. Ein mythischer Wolf ist dabei besonders wichtig. Wie ihr die Faschist:innen erkennen könnt. Teil 2 der Serie über die Grauen Wölfe.
Immer wieder strecken die faschistischen Provokateure ihre Hände in die Höhe und formen einen Tierkopf. Die mittleren Finger bilden den Kopf, Zeigefinger und kleiner Finger die Ohren. Es ist der sogenannte Wolfsgruß – das zentrale Erkennungszeichen der faschistischen Grauen Wölfe.
Über Tage greifen türkische Faschist:innen im Juni 2020 in Wien das linke Veranstaltungszentrum EKH und linke Demos an. Ich war bei den Auseinandersetzungen vor Ort und habe ausführlich berichtet, einen Hintergrund-Bericht findet ihr hier. Den Wolfsgruß halten die Faschist:innen dabei laufend in die Kameras. Es ist ein Erkennungszeichen für die eigenen Leute – und eine Provokation für alle Andersdenkenden.
In Österreich wurde der Gruß 2018 von der ÖVP-FPÖ-Regierung verboten. Übrigens gleichzeitig mit dem Logo der linken kurdischen PKK. Der Rassismus der Wölfe zielt vor allem auf Kurd:innen, das gleichzeitige Verbot ist also eine eine groteske Symbolik. Doch warum hat gerade der Wolf diese besondere Bedeutung für die türkische Rechte?
Warum gerade ein Wolf?
Tatsächlich hat der Wolf in der türkischen Mythologie eine zentrale Bedeutung. Der nationalistischen Legende nach soll ein Wolf die türkischen Stämme im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gerettet haben, indem er sie ins mythische Ergenekon-Tal führte. Die frühen türkischen Stämme, die Kök-Türken (türkisch: Göktürkler), lebten damals in Zentralasien.
In diesem Ergenekon-Tal konnten sich die Stämme dann schützen und sammeln. Tatsächlich aber wurden mit der Ergenekon-Legende im späten 19. Jahrhundert mongolische und frühtürkische Mythen zu einem nationalistischen Gründungsmythos verarbeitet. Zu diesem pantürkischen Mythos gehört auch die sogenannte Asena-Legende. Dabei rettet eine Wölfin ein Kind und zieht es auf, es gibt die Legende in verschiedenen Varianten. Diese früh-türkische Legende ist rund 1500 Jahre alt, auch sie wurde pantürkisch adaptiert.
Der Wolf als Symbol wird deshalb heute auch nicht ausschließlich von den Grauen Wölfen verwendet – andere Nationalist:innen beziehen sich ebenfalls auf diese Legenden. Gerade in der Diaspora gibt es auch rechte Misch-Milieus, so habe ich etwa bei den Ausschreitungen rund um das EKH junge Männer gesehen, die gleichzeitig das Wölfe-Symbol zeigten und Sprechchöre für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan brüllten. Doch mit höchster Wahrscheinlichkeit ist der Weg zur Ideologie der Wölfe sehr kurz, wenn der Wolf zu sehen ist.
Anbiederung an die Faschist:innen
Verteidiger:innen wenden gern ein, dass auch Politiker:innen anderer Parteien bereits den Wolfsgruß gezeigt hätten. Etwa Erdoğan selbst oder auch Kemal Kılıçdaroğlu, bis 2023 Vorsitzender der sozialdemokratischen CHP (Republikanische Volkspartei). Das stimmt, doch was dabei gern unterschlagen wird: Es waren jeweils plumpe Anbiederungen an nationalistische Wähler:innen.
So wandte sich der CHP-Vorsitzende etwa 2016 an die Anhänger:innen der faschistischen Partei und sagte: „Lassen Sie mich meinen MHP-Freunden Folgendes sagen: So sehr Sie Idealisten, Patrioten und Nationalisten sind, so sehr sind wir auch Idealisten, Patrioten und Nationalisten.“ Der Satz braucht ein wenig Kontext. Denn „Idealisten“, das ist die selbstgewählte Bezeichnung der Wölfe (zu diesem Begriff später dazu noch mehr). Der Sozialdemokrat Kılıçdaroğlu stellt sich also selbst mit den Faschist:innen auf eine Stufe.
Das ist weniger verwunderlich, als es klingt, denn die CHP hat eine ganz spezielle Geschichte. Nach der offiziellen Staatsgründung im Jahr 1923 wurde die moderne Türkei eine Diktatur, Staatsgründer Mustafa Kemal wurde zum Diktator. Und Kemal, der sich ab 1934 Atatürk („Vater der Türken“) nennen ließ, hielt sich als Einheitspartei die CHP. Sie war das Vehikel der nationalen Bedürfnisse der Diktatur, bis heute nennt sich die Partei selbst „kemalistisch“.
Mörderische Todesschwadronen
Der Wolfsgruß selbst stammt also eindeutig aus dem Milieu der Wölfe. Andere, die ihn verwenden, biedern sich an. Und über die Ideologie dieser Gruppe gibt es keine Zweifel. Die Geschichte der Organisation beginnt im Jahr 1964. Damals gründet der ehemalige Oberst Alparslan Türkeş mit seinen Gefolgsleuten die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP).
In den folgenden Jahren sollte Türkeş als neuer Führer (Başbuğ) aus der MHP eine faschistische Massenpartei mit mörderischen Todesschwadronen formen. In Europa ist die Partei besser bekannt unter dem Namen dieser paramilitärischen Verbände: „Bozkurt“, die Grauen Wölfe. Tausende Ermordete gehen auf das Konto der Faschist:innen: Vor allem Linke, Kurd:innen, Armenier:innen sowie Angehörige der alevitischen Glaubensgemeinschaft.
Heute ist die MHP der Juniorpartner von Präsident Erdoğan und dessen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung). Gemeinsam bilden die beiden Parteien die türkische Regierung, die sich mit Wahlfälschungen an der Macht hält. Mehr über die Geschichte der Wölfe habe ich hier für euch aufgeschrieben.
Apropos nationalistische Misch-Milieus: In diese Kategorie fällt auch der Slogan „Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet“ (Ne mutlu Türküm diyene). Auch der wurde ursprünglich von Kemal „Atatürk“ geprägt. Heute wird dieser Slogan im gesamten nationalistischen Milieu verwendet – von der CHP über die Erdoğan-Partei AKP bis zu den Wölfen.
Demiral selbst postet nun ein Foto, wo er das Symbol der faschistischen Grauen Wölfe zeigt. Dazu schreibt er den nationalistischen Slogan "Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet". Wann handelt die UEFA gegen diesen rechten Müll?#AUTTUR pic.twitter.com/I4MUvpEVqC
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) July 2, 2024
Tarnbegriffe der Wölfe
Die mytischen Legenden zur angeblichen türkischen Frühgeschichte werden bis heute auch gerne von Tarnvereinen der Wölfe aufgegriffen. So gibt es etwa im Vorarlberger Feldkirch den Wölfe-Verein „Ergenekon Kultur- und Sportverein“. Ebenfalls gern verwendet wird ein weiteres Propaganda-Schlagwort: Avrasya (Eurasien). So heißt etwa der Wölfe-Verein in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz.
Auch die Asena-Legende wurde übernommen: So gibt es etwa in Österreich eine eigene Organisationsstruktur der Wölfe für junge Frauen: Die „Asenalar Gençlik“, also Wölfin-Jugend.
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Die drei Halbmonde
Daneben verwenden die Wölfe aber auch noch zahlreiche andere Symbole. Enorme Bedeutung haben etwa die drei weißen Halbmonde auf rotem Grund. Das ist das offizielle Emblem der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), also der Wölfe-Partei. (Alles zur Geschichte der Wölfe könnt ihr im Teil 1 dieser Serie lesen.)
Auf den ersten Blick erinnert das Logo der MHP an die türkische Fahne. Das sollte allerdings nicht verwechselt werden: Die türkische Fahne hat nur einen Halbmond und dazu einen Stern. Manchmal ist die einschlägige Fahne auch grün. Das ist ein Hinweis auf die 1993 von der MHP abgespaltene „Partei der großen Einheit“ (BBP).
Mit dieser Farbwahl rückte die BBP die islamisch-religiöse Ausrichtung stärker in den Vordergrund. Die BBP ist genauso gefährlich wie die MHP (im ersten Teil der Serie findet ihr auch mehr zur BBP).
Faschismus als Halskette
Sowohl die drei Halbmonde wie der heulende Wolf – oft mit einem Halbmond im Hintergrund – werden vor allem von jungen Anhänger:innen der Wölfe gern auf Shirts, Siegelringen oder Halsketten getragen. Früher galten auch noch andere Symbole als Erkennungszeichen, etwa ein Spitzbart. Das kommt zwar teils auch heute noch vor, hat sich aber in den letzten Jahren tendentiell überholt.
Ein weiteres früher klares Erkennungszeichen, das inzwischen allerdings seine Bedeutung weitgehend verloren hat: Eine spezielle Umarmung mit wechselseitigem Vorbeugen und angedeutetem „Bruderkuss“. Diese Begrüßung wurde aber inzwischen – nicht zuletzt unter Jugendlichen – so populär, dass sie nicht mehr als Erkennungsmerkmal der Wölfe verstanden werden kann.
Weiterhin in Verwendung ist dagegen die Runenschrift der frühen türkischen Stämme, der Kök-Türken. Diese Orchon-Runen (türkisch Orhun) werden von Wölfen propagandistisch gern benützt. Sie finden sich unter anderem auch als Patch auf Kleidungsstücken oder als Auto-Aufkleber. Besonders beliebt ist dabei die Zeichenfolge 𐱅𐰇𐰼𐰰 – das bedeutet „Türk“.
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Die „Idealisten-Herde“ – versteckte faschistischen Zellen
Selbst nennen sich die Wölfe die „Idealisten“ (türkisch Ülkücüler). Ihre Zellen sind die „Idealistenherde“ (Ülkü Ocağı oder Ülkü Ocakları). An diesem Begriff können übrigens auch Vereine der Wölfe in Österreich und Deutschland oft erkannt werden. Die Vereine bzw. Herde der abgespaltenen BBP heißen ähnlich, nämlich Alperen Ocakları (Heldenherde).
Achtet dabei auf die Rechtschreibung: Ich verwende hier die korrekte türkische Schreibweise mit Sonderzeichen. Das ğ oder das ı sind dabei stumm. In Zeiten sozialer Medien kann aber ein Verein im Netz bespielsweise statt Ülkü Ocağı auch ohne Sonderzeichen einfach Ocagi geschrieben werden. Die Bedeutung dieser Zellen sollte dabei nicht unterschätzt werden: Die Wölfe sind in Österreich und Deutschland ohne Zweifel die stärkste Organisation der außerparlamentarischen extremen Rechten. Im Parlament sind das FPÖ bzw. AfD.
Rassistische Großmacht-Phantasien
Zur vermeintlich mythischen Bestimmung des Türkentums passt auch der sogenannte Turanismus oder Pan-Turkismus, es ist eine zentrale Ideologie der gesamten türkischen Rechten. Der Begriff leitet sich von Turan ab, dem ursprünglichen Siedlungsgebiet der Turkvölker in Mittelasien.
Der Turanismus geht von einer rassischen Überlegenheit der Turkvölker aus – das sind vor allem Türk:innen, Aserbaidschaner:innen, Kasach:innen, Turkmen:innen, Usbek:innen, Tatar:innen oder die Uigur:innen in China. Manchmal wird auch versucht, die Ungar:innen in diesem Mythos einzubeziehen. Das Ziel: Ein großtürkisches Reich aller Turkvölker. Auch der Begriff Turan kann damit ein Code für das Milieu der Wölfe und der BBP sein. So gibt es beispielsweise eine Reihe von Sportvereinen mit dem Namen Turanspor.
Viele Menschen in Österreich und Deutschland kennen weder die Symbole, noch die Codes, noch die einschlägigen Begriffe der Wölfe. Doch es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen. Denn es ist wichtig, den Faschismus zu erkennen.
[Umfangreich erweitert, etwa zu Informationen über die CHP, die Orchon-Runen sowie den Begriff Avrasya.]
Die gesamte Serie:
Teil 1: Die Grauen Wölfe. Woher kommen sie und warum sind sie so gefährlich?
Teil 2: Die Grauen Wölfe: Wie ihr sie erkennen könnt und warum der Wolf so wichtig ist
Teil 3: So sind die Grauen Wölfe in Österreich organisiert
Teil 4: Welche Verbindungen haben ÖVP-Favoriten und Graue Wölfe?
Teil 5: Faschistische Jugend: Die Grauen Welpen aus Favoriten
Teil 6: Warum sind die Proteste in Favoriten gerade jetzt eskaliert?
Teil 7: In diesen Städten haben die Grauen Wölfe in Österreich ihre Treffpunkte