Zahlreiche Buslinien in Wien werden inzwischen von privaten Unternehmen gefahren. Doch kaum jemand weiß das. Und jetzt gibt es auch noch Probleme auf mehreren privat gefahrenen Linien.
Der Bus fährt am Wiener Praterstern in die Station ein – und zahlreiche Menschen haben den 5B an diesem regnerischen Nachmittag im April 2024 bereits erwartet. Dabei war der vorherige Bus erst wenige Minuten zuvor abgefahren.
In den kommenden 20 Minuten wird der Bus quer durch den 2. und 20. Bezirk bis zum Bahnhof Heiligenstadt in Döbling fahren. Und dabei fast alle Wiener U-Bahn-Linien sowie die Stammstrecke der Schnellbahn verbinden. Kein Wunder, dass diese Route äußerst beliebt ist. Tatsächlich gilt die Linie 5B sogar als die stärkste sogenannte Auftragslinie der Stadt Wien. Und das ist nichts anderes als eine Umschreibung für die schleichende Privatisierung des Wiener Busverkehrs.
Unauffällig privatisiert
Von außen sieht der 5B aus wie jeder andere Wiener Linienbus. Das klassische rot-weiße Design der Wiener Linien. Nur, wer sehr genau hinsieht, wird die Aufschrift „Gschwindl“ am Bus bemerken. Denn tatsächlich handelt es sich hier gar nicht um ein Fahrzeug der Wiener Linien. Sondern um das private Busunternehmen Gschwindl, dass ab Praterstern im Auftrag der Stadt unterwegs ist.
Der 5B ist dabei kein Einzelfall, Gschwindl fährt auch noch viele andere Linien: Etwa die Linie 5A im 2. und 20. Bezirk, den 19A in Favoriten, den 25A nördlich der Donau oder den 60A in Liesing. Und Gschwindl ist keineswegs der einzige private Busbetreiber in Wien. Zahlreiche weitere Linien werden etwa von den Privatunternehmen Blaguss, Dr. Richard oder dem neuen Betreiber Zuklinbus gefahren.
Fast 40 Prozent der Buslinien sind inzwischen privat
Und die Dimensionen sind inzwischen gewaltig. Insgesamt 39 Prozent aller Platzkilometer in Wien wurden 2023 bereits im „Fremdbetrieb“ durchgeführt, sagt Wiener Linien-Sprecherin Andrea Zefferer auf meine Anfrage. Platzkilometer sind die Recheneinheit für den öffentlichen Personenverkehr, sie beschreiben, wie viele Kilometer die Linien fahren und wie viele Menschen sie befördern.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Wiener Linien fahren in Wien nur noch knapp über 60 Prozent des Busbetriebs selbst. Alle anderen Linien sind inzwischen privatisiert. Und mit einem der neuen Privat-Betreiber gibt es jetzt auch noch Probleme.
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Probleme auf den neuen privaten Linien
Bereits seit Anfang April beklagen Fahrgäste auf mehreren Linien Verspätungen, Ausfälle und Probleme mit dem Personal. Konkret betroffen sind die Buslinien 56A und 56B sowie 58A und 58B. Und die werden seit April von Zuklinbus geführt. Über das Problem hatte zuerst der ORF berichtet, die Wiener Linien bestätigen die Schwierigkeiten auf meine Anfrage. Und offenbar kamen die Probleme nicht überraschend.
Seitens der Wiener Linien hätte „Grund zur Sorge“ bestanden, dass mit der Neu-Übernahme der Buslinien „die gewohnte Betriebsqualität nicht erfüllt werden“ könnte, sagt Sprecherin Zefferer. Daher sei auch bereits eine Sicherungsvergabe an einen weiteren Betreiber auf den Weg gebracht worden, falls Zuklinbus die Probleme nicht in den Griff bekommen würde.
Zefferer beschreibt auch den Vergabeprozess. Der Zuschlag für den Betrieb der vier Buslinien in Hietzing wurde bereits vor zwei Jahren erteilt. Doch seitdem hätte sich gezeigt, dass Zuklinbus „Probleme in der Erbringung ihrer Dienstleistung in einem anderen Gebiet“ gehabt hätte. Die Wiener Linien-Sprecherin sagt: „In Gesprächen hat die Firma Bemühungen gezeigt, die unsere Sorgen aber nicht entkräften konnten.“
Warum gibt es private Buslinien in Wien?
Früher war es in Wien eigentlich ganz einfach: So gut wie alle Linien wurden direkt von der Stadt Wien betrieben. Dazu gab es einige wenige Linien, die privat geführt wurden, vor allem die B-Linien am Stadtrand. Doch dann kam die EU – und in weiterer Folge ein Beschluss des Wiener Gemeinderats im Dezember 2007.
Das europäische Parlament hatte im Mai 2007 eine neue Verordnung über die „Öffentlichen Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße“ beschlossen. Die EU-Kommission wollte davor bereits jahrelang die Verkehrsdienste nach privatwirtschaftlichen Mustern organisieren. „Verkehrsdienste seien Dienstleistungen wie jede andere, und sie gehörten ausgeschrieben wie jeder andere öffentliche Auftrag“, beschrieb damals der österreichische Städtebund die Position der Kommission.
Widerstand gegen den Neoliberalismus
Doch vor allem viele große Städte, organisiert in der „Major Metropolitan Group“ sowie die Gewerkschaften leisteten Widerstand. Sie wollten, dass Städte selbst darüber entscheiden könnten, ob sie die Verkehrsdienste selbst organisieren, direkt vergeben oder ausschreiben lassen. In abgespeckter Form wurde der neoliberale EU-Entwurf dennoch 2007 abgesegnet. Der Städtebund schrieb danach: „Auch in Österreich dürfte es Anpassungen brauchen.“
Und die gab es auch in Wien, wo zu diesem Zeitpunkt die SPÖ die absolute Mandatsmehrheit im Gemeinderat hatte. Im Dezember 2007 wurde dann im Wiener Gemeinderat diskutiert. Die Wiener ÖVP setzte sich dabei massiv für die privaten Busbetreiber ein, wie die damaligen Gemeinderatsprotokolle zeigen. ÖVP-Gemeinderat Wolfgang Gerstl – inzwischen Abgeordneter zum Nationalrat – sang im Gemeinderat ein wahres Loblied auf den privaten Busbetreiber Blaguss. Der würde angeblich die „freundlichste Buslinie“ betreiben, so der ÖVP-Mann.
Die ÖVP drängt auf weitergehende Privatisierungen
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Und, so Gerstl im Gemeinderat: Die ÖVP wünsche sich einen „marktwirtschaftlichen Zugang“ für die Wiener Linien. Real eine gefährliche Drohung. Denn öffentliche Verkehrsmittel, die marktwirtschaftlich und damit gewinnorientiert geführt würden, wären sehr bald entweder unbezahlbar, aufgrund mangelnder Wartung gefährlich und/oder die Leistungen wären völlig ungenügend. Die Eisenbahn-Privatisierung in Großbritannien ist ein warnendes Beispiel.
Schließlich wurde mit den Stimmen von SPÖ, Grünen und FPÖ eine neue Regelung im Gemeinderat beschlossen. Und die war folgenschwer. Einerseits wurden die Wiener Linien wieder verstärkt an die Stadt Wien geknüpft, nachdem sie 1999 aus dem Magistrat ausgegliedert worden waren. Damit waren auch offiziell wieder größere Durchgriffsrechte der Stadt gegeben. Ein sinnvoller Schritt. Doch andererseits wurde mit der damaligen Abstimmung auch die Grundlage für die heutige Privatisierung gelegt.
Immer mehr private Buslinien
Denn beschlossen wurde auch, dass mindestens 30 Prozent der Platzkilometer bei den Bussen extern vergeben werden müssen. Inzwischen ist der Anteil sogar noch weiter gestiegen – auf die bereits erwähnten 39 Prozent im vergangenen Jahr. Das ist nicht zuletzt deshalb verwunderlich, weil die Stadt öffentlich in der Vergangenheit andere Pläne kommuniziert hatte. So berichtete der Kurier 2017 von einem Masterplan der Stadt Wien, der bis 2020 eine städtische Eigenleistung der Buslinien von 70 Prozent vorgesehen hätte.
Real dreht sich das (Bus-)Rad aber in die genau entgegengesetzte Richtung. Dazu verkaufte die Stadt Wien bereits 2012 auch noch die Bus-Sparte der Wiener Lokalbahnen an Gschwindl, der nicht zuletzt damit zu einem großen Player in Wien aufsteigen konnte.
Der billigste ist nicht immer der beste
Die aktuellen Probleme bei Zuklinbus sind ein auffälliges Phänomen. Üblicherweise „funktionieren“ die privaten Linien, deshalb bemerkt auch kaum jemand, dass es sich tatsächlich um private Betreiber handelt. Doch gleichzeitig sind die Probleme bei Zuklinbus wohl auch kein Zufall.
Im Vergabeverfahren wird üblicherweise der sogenannte „Best- und Billigstbieter“ ausgewählt. Doch gerade für öffentliche Infrastruktur gilt: Was besonders billig ist, muss keineswegs immer besonders gut sein. Meistens ist eher das Gegenteil der Fall. Denn wo gespart werden kann, liegt auf der Hand: Die Busse kosten für alle Anbieter mehr oder weniger gleich viel. Gekürzt werden kann dagegen beim Service, bei der Wartung der Busse und beim Personal.
Es geht ums Geld
Personalprobleme scheint es auch im aktuellen Fall Zuklinbus zu geben. So versucht Geschäftsführerin Sabine Zuklin gegenüber dem ORF zu beschwichtigen: Die 70 neuen Fahrer müssten sich eben erst an die Linie gewöhnen. Damit spricht sie aber gleichzeitig auch eines der zentralen Probleme an.
Ein Sprecher der Stadt Wien sagt auf meine Anfrage zwar, dass die aktuelle Bus-Regelung sich „im Sinne der Wiener*innen“ bewährt hätte, „um die bestmögliche Mobilität in Punkto Sicherheit, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit gewährleisten zu können“. Doch gerade der Fall Zuklinbus ist ein Gegenbeispiel. Denn letztlich geht es um Geld.
Bereits 2016 meinte der Stadtrechnungshof in einem Bericht, dass die privaten Unternehmen wesentlich billiger seien als die Wiener Linien. „Kostennachteile des Eigenbetriebs“, nannte es der Stadtrechnungshof in klassisch neoliberaler Manier.
Druck auf die Kolleg:innen
Diese „Kostennachteile“ würden laut Stadtrechnungshof „insbesondere“ die Personalkosten betreffen. Immerhin liege der Kollektivvertrag der privaten Busbetreiber in Hinblick auf die Lebensverdienstsumme um rund 12 Prozent unter dem der Wiener Stadtwerke. Den Kolleg:innen, die „privat“ fahren, entgeht also ziemlich viel Geld. Dazu wäre auch die „Bus-Instandhaltung“ privat billiger, so der Rechnungshof.
Übersetzt: Bei den Wiener Linien gibt es deutlich bessere Gehälter als bei den privaten Busbetreibern. Und auch bei der Instandhaltung der Busse dürfte das Personal im Mittelpunkt stehen. So heißt es im Bericht kalt: „Um die geplanten Kostenreduktionen zu erreichen, waren die Mitarbeiter in den Busgaragen und im Bereich Bus der Hauptwerkstätte entsprechend zu reduzieren.“
Warum die Stadt Wien dennoch auf die privaten Betreiber setzt? Mutmaßlich genau, weil die Privaten für die Stadt deutlich billiger sind. Und deshalb wird wohl auch künftig still und heimlich weiter privatisiert werden. Für die Privaten bleibt dabei trotz Kostendruck offenbar noch genug Profit übrig – sonst würden sie die Konzessionen nicht übernehmen.
Und damit sehen wir auch beim Busverkehr in Wien das klassische Phänomen zahlreicher Privatisierungen: Die Gewinne werden auf Kosten der Beschäftigten gemacht.
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