„Mishima und Todessehnsucht am Morgen“, schreibt Martin Sellner auf Twitter. Sellner ist der Führer der neofaschistischen Gruppe „Identitäre Bewegung“. Doch wer ist Mishima? Was meint Sellner mit Todessehnsucht? Und warum ist das alles brandgefährlich?

Es ist ein bizarres Bild, festgehalten auf einer grobkörnigen Filmaufnahme. Am 25. November 1970 steht der japanische Faschist Yukio Mishima auf dem Balkon einer Kaserne in Tokio. Er versucht verzweifelt, zu den Soldaten zu sprechen. Bekleidet ist Mishima mit einer Uniform seiner Privat-Armee, am Kopf trägt er eine weiße Binde mit Parolen.

Kurz zuvor hat der 45-jährige mit vier seiner Kameraden den Kommandanten der Kaserne als Geisel genommen, nun er will die Soldaten zum Aufstand bewegen. Doch die Soldaten pfeifen, lachen ihn aus, rufen ihm zu, er solle verschwinden.

Schließlich Suizid

Immer wieder fordert Mishima die Soldaten auf, ihm zuzuhören. Vergeblich. Schließlich zieht sich Mishima zurück und begeht Selbstmord, indem er sich ein Kurzschwert in den Bauch rammt. Diese Form des Suizids ist im Westen als Harakiri bekannt, in Japan als Seppuku.

Aufnahmen des Putschversuchs in Tokio ab Minute 1:53

Das bizarre Ende sollte nicht über die Gefährlichkeit des Mannes hinwegtäuschen. Mishima ist in Japan als Künstler bekannt und populär. Gleichzeitig ist er glühender Nationalist und Antikommunist. Politisiert hat er sich, wie er selbst sagt, durch die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg.

Die Niederlage im Weltkrieg als Wendepunkt

„Als der Krieg endete, oder besser, als Japan den Krieg verloren hatte, sollte die Welt zu Ende gehen, aber da waren immer noch die Bäume, immer noch in prächtiges Sommerlicht getaucht.“ Die Niederlage Japans sei „nicht das Ergebnis, das ich erwartet hatte“, sagt Mishima 1966 in einem Interview (die folgenden Zitate geben die englischen Untertitel eines Interviews auf Japanisch wieder).

Als Bekannte sich über das Ende der Militärherrschaft gefreut hätten und „praktisch vor Freude gesprungen wären“, seien ihm Zweifel gekommen. Diese Zweifel hätten sich über die nächsten zwanzig Jahre erhalten. Das Ende des Krieges sei „der Wendepunkt“ seines Lebens gewesen.

Mörderische Wünsche

Er sehnt sich nach dem diktatorisch-nationalistischen Japan, das durch den Krieg verloren ging. Die Millionen von Gefolterten und Ermordeten, die das diktatorische Kaiserreich Japan ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts in ganz Südostasien und auch im Inland zu verantworten hat, tangieren ihn offenbar nicht.  Er will eine mächtige japanische Armee, vorzugsweise „mit Atomwaffen bewaffnet“, wie er in einem Interview sagt.

Auf der einen Seite also modernistische und mordbringende Allmachtsfantasien, doch gleichzeitig der reaktionäre Blick in die Vergangenheit: Mishima sehnt sich in Interviews nach den Samurai, der nationalistisch aufgeladenen Allmacht des Kaisers – und immer wieder nach einem heldenhaften Selbstmord.

Aufmarsch der Mishima-Truppe Tatenokai

Identitäre sind „Mishima-Fans“

Doch was hat der japanische Faschist, verhinderte Putschist und politische Selbstmörder Mishima mit den Identitären zu tun? Sehr viel! Die NeofaschistInnen bezeichnen sich selbst als „Mishima-Fans“, in ihrem Webshop Phalanx Europa werden Fanartikel von Mishima verkauft, immer wieder beziehen sich führende Vertreter der IB öffentlich auf den japanischen Putschisten.

Bei Phalanx Europa kann Mishima-Merchandising in verschiedenen Formen käuflich erworben werden. Da ist einmal ein T-Shirt, wo Mishima mit einem Samuraischwert posiert. Der Text lässt keine Zweifel an der Ideologie: „YODO – You only die once“ (Du stirbst nur einmal) sowie: „Turn your life into a line of poetry written with a splash of blood“ – Verwandle dein Leben in eine Gedichtzeile, geschrieben mit einem Spritzer Blut. Es ist ein Zitat von Mishima.

Damit keine Zweifel an der außergewöhnlichen Verehrung der IB für Mishima bestehen, folgt noch ein Produkttext. Mishima würde mit dem Shirt „ein Denkmal gesetzt“ als der „schillerndsten und aufregendsten Figur des neueren Japans“.

Blut soll fließen

Ebenfalls käuflich zu erwerben ist ein Mishima-Poster, beworben mit dem Hinweis, dass die Identitären „Mishima-Fans“ seien und das Poster „in keinem neurechten Haushalt fehlen“ dürfe. Der Text auf dem Poster zeigt die klassischen Männlichkeitsbilder der NeofaschistInnen: „Ein Mann zu sein bedeutete, stets und ständig höher zu streben, nach dem Zenit der Männlichkeit, und schließlich dort zu sterben, umgeben vom weißen Schnee dieses Gipfels.“

Und schließlich gibt es auch noch einen Button, der Mishima huldigt. Der sei ein „Poet, Schauspieler, Bohemien, Samurai, Paramilitär, Schöngeist, Revolutionär, Genie und Wahnsinniger“, heißt es bewundernd im Werbetext. Bewunderung der Identitären für den Gründer einer faschistischen Privatarmee, für einen Putschisten? Als Vorbild ein Leben, geschrieben „mit einem Spritzer Blut“? Wir sollten hellhörig werden.

Er will den Umsturz

Mitte der 1960er Jahre wird Yukio Mishima endgültig zum Aktivisten. Es ist seine Antwort auf die zunehmende Stärke der Linken insbesondere an den Universitäten. Er beteiligt sich am Aufbau einer nationalistischen Miliz, er wird gefährlich, er will den Umsturz. Aus dem Militär kommt Unterstützung.

Seine Gruppe, die sich Japanische Nationalgarde nennt, erhält militärisches Training durch die Armee. Mishimas Truppe ist dabei nur eine von rund 400 extrem rechten Organisationen mit insgesamt rund 125.000 Mitgliedern, wie die New York Times 1970 in einem Artikel über Mishima schreibt.

Putsch als Antwort auf linken Aufstieg

Bald wird sich die Gruppe in Tatenokai umbenennen, die Schild Gesellschaft. Nun beginnen Diskussionen und Planungen für einen Militärputsch. Es soll die Reaktion der nationalistischen Eliten auf die zunehmende Stärke der radikalen Linken sein.

Die Attacke auf die Kaserne in Tokio kann als Versuch eines Auslösers für einen solchen Putsch gedacht werden – und gleichzeitig als bereits lange geplanter Suizid von Mishima. „Harakiri ist eine sehr positive, eine sehr stolze Art des Todes“, sagt er in einem Interview. Das „westliche Konzept des Suizid“ sei meist eine „Niederlage“. Aber Harakiri „führt manchmal zu Deinem Sieg“.

Die homophobe „Maske“ Martin Sellner

„ich mag Japan extrem gern wegen mishima“, schreibt Martin Sellner, Führer der Identitären, auf Twitter. Lassen wir mal beiseite, dass Sellner danach mit den Mühen der Ebene kämpfen muss und er als Reaktion (unter Umständen verarschend) gefragt wird: „Muslima? Essen?“. Blicken wir lieber hinter die Kulissen.

Als Sellner im Jahr 2014 in einem langen – und langatmigen Text – erläutert, warum er vom klassischen NS-Faschismus zum Faschismus der selbsternannten „Neuen Rechten“ gewechselt sei, nennt er seine Zeilen „Geständnis einer Maske“. Für Eingeweihte bereits damals eine klare Referenz an Mishima.

 

Denn dessen bekanntestes Werk trägt den Titel „Bekenntnisse einer Maske“. Mishima bearbeitet in diesem Roman seine verdrängte Homosexualität – was allerdings weniger zum Männlichkeitsbild der FaschistInnen passt. Es sollte also nicht verwundern, dass Sellner einen seiner Bewunderungstweets für Mishima mit dem Hashtag #nohomo versieht. Offensichtlich ist es ihm ein Anliegen, seine AnhängerInnen seiner Heterosexualität zu versichern.

Die Theorie im Hintergrund

Auch Martin Semlitsch, im Hintergrund agierender theoretischer Kopf der IB, kommt immer wieder auf Mishima zurück. Semlitsch, der sich gern treudeutsch „Lichtmesz“ nennt, schreibt vor allem gern in der „Sezession“. Das ist eine extrem rechte Zeitschrift, herausgegeben vom Deutschen Götz Kubitschek, dessen „Institut für Staatspolitik“ (IfS), beheimatet in Sachsen-Anhalt, eine zentrale Funktion für die IB hat.

Kubitschek kann als eine Art Gründervater der Identitären im deutschsprachigen Raum gewertet werden. Ebenfalls Redakteur der Zeitschrift ist übrigens Wolfgang Dvorak-Stocker, Verleger des einschlägig bekannten Leopold Stocker Verlags aus Graz – womit sich auch der Kreis von der selbsternannten „Neuen Rechten“ zur ganz alten Rechten schließt.

Eine weitere und wohl zusammenhängende Verbindungslinie zwischen der Steiermark und Sachsen-Anhalt sind die jährlichen gemeinsamen Seminare von IfS und dem FPÖ-Akademikerverband Steiermark unter Leitung des IB-Sympathisanten und Grazer FPÖ-Gemeinderats Heinrich Sickl – aber das wäre eine andere Geschichte.

Schwule Künstler sollen nicht heiraten dürfen

Zurück also zu Semlitsch und Mishima. Mishima sei einer in einer Reihe von „schillernden Figuren“, „Dichtern und Träumern“ gewesen, „die ein verlockender Hauch des Hades umgab“, bewundert Semlitsch. In einem anderen Artikel schreibt er, Mishima sei einer „meiner ewigen Helden“. Mit der Homosexualität hat Semlitsch aber offenbar ebenso seine Probleme wie „Nohomo“-Sellner.

Denn in einem Artikel über die Homo-Ehe beschreibt Semlitsch zwar zuerst fast hymnisch die Homosexualität von Künstlern und Schriftstellern und nennt dabei explizit auch Mishima: „Beziehungen zwischen Männern haben eine andere erotische Dynamik als Beziehungen zwischen Mann und Frau. Der ‚Männerbund‘ ist qualitativ und atmosphärisch etwas ganz anderes als die Familie, und Bündnisse zwischen Männern, auch erotische, verlangen dementsprechend nach anderen ästhetischen Formen.“

Verwirrte Zuneigung

Die Ehe für gleichgeschlechtlich liebende Menschen lehnt der rechte Kader dann aber dennoch ab und lobt die extrem rechten Demonstrationen in Frankreich gegen deren Einführung. Die „Ehe für Alle“ sei, so Semlisch in klassisch extrem rechter Diktion, „nur ein weiteres pseudoreligiöses Versatzstück der herrschenden liberalistischen Heilsutopie“. Die Jahreszahlen seiner Mishima-Verehrung kommen Semlitsch allerdings beizeiten durcheinander.

Einmal schreibt er, dass er „mit 25 Jahren“ erkannt hätte, rechts zu sein und zählt zahlreiche Personen auf, die er nach diesem Erweckungserlebnis kennengelernt hätte. Unter ihnen Mishima oder Ezra Pound, den Namensgeber der faschistischen italienischen „Casa Pound“-Organisation.

Die Zentrale von Casa Pound in Rom. Bild: Michael Bonvalot

An anderer Stelle aber vermerkt Semlitsch: „Seit ich sechzehn Jahre alt bin, faszinieren mich die Gestalt Yukio Mishimas und seine symbolische Revolte gegen die Moderne.“ Doch was sind schon neun Jahre Unterschied, wenn in tausendjährigen Zeiträumen gedacht wird?

Suizid als Vorbild

Auch andere Autoren in der Sezession oder der ebenfalls „neurechten“ Zeitschrift „Blaue Narzisse“ beziehen sich immer wieder auf Mishima. Sein Selbstmord sei „keine Niederlage“, sondern „das völlige Aufgehen im Körperlichen“, heißt es etwa im Juni 2019 bewundernd in der „Blauen Narzisse“. Dessen Herausgeber, der Burschenschafter Felix Menzel, gilt als einer der zentralen Ideologen für die Identitären.

Auch ein weiterer Star der extremen Rechten wird für seinen Selbstmord gelobt. Als sich der französische Faschist Dominique Venner am 21. Mai 2013 in der Kathedrale Notre Dame in Paris erschießt, führt das zu fast hymnischen Reaktionen.

Venners Selbstmord sei „überlegt, symbolisch, männlich, frei und hart“ gewesen, schreibt der Identitären-Theoretiker Götz Kubitschek in der extrem rechten „Sezession“. Im Versandshop Phalanx Europa findet sich das Motiv „Rebell aus Treue“, es soll eine „Hommage“ an den „neurechten Vordenker“ sein, heißt es auf der Identitären-Plattform „Tagesstimme“

Neofolk, Mishima, Ernst Röhm

Die Vorbilder der NeofaschistInnen werden auch musikalisch verarbeitet. So wird etwa Mishima In der Musikrichtung des Neofolk immer wieder rezipiert. Die faschistische Band „Death in June“ hat ihm gar ein ganzes Album gewidmet.

Der Name von „Death in June“ soll sich dabei auf die sogenannte Nacht der langen Messer im Juni 1934 beziehen, wo Hitler die innerparteiliche Opposition rund um den SA-Chef Ernst Röhm exekutieren ließ. (Mehr zum Spannungsfeld von Neofolk und „Neuer Rechter“ in dieser Analyse des Blogs „Vonnichtsgewusst“) Martin Sellner postet regelmäßig Lieder von „Death in June“. Ein weiteres Bindeglied zu Mishima – und ein weiterer Beleg für Sellners Verortung im Faschismus.

Nun könnten all diese Mishima-Referenzen als verschrobene und auffallend aufgeladene Liebe österreichischer Faschisten zu einem japanischen Faschisten abgetan werden. Doch es steckt weit mehr hinter dieser Sache – und diese Sache ist brandgefährlich.

Identitäre Militanz

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In Österreich und Deutschland geben sich die Identitären gerne friedlich. Weitgehend wird versucht, die Inszenierung durchzuhalten, auch wenn sich immer wieder Risse zeigen. 2016 etwa war Graz Schauplatz einer Attacke von zentralen Kadern der Identitären auf eine Gruppe von AntifaschistInnen.

Bilder zeigen, dass einer der Angreifer mit einem „Totschläger“ bewaffnet war. Die Verfahren werden eingestellt, somit wird an dieser Stelle betont, dass den genannten Personen kein strafbares Verhalten unterstellt wird. Hier mein Artikel zur Attacke in Graz.

In Frankreich, dem Mutterland der IB und der faschistischen Strömung „Neue Rechte“ zeigt auch eine Undercover-Dokumentation von Al Jazeera die Gefährlichkeit der Truppe. Aktivisten und Sympathisanten der Gruppe greifen vor der Kamera eine junge Frau an, die arabisch gesprochen hatte.

„Auf das Dritte Reich“

Sie sprühen ihr Pfefferspray ins Gesicht und schlagen sie. Beim Bier fallen dann auch die angeblich „neurechten“ Masken: Angestoßen wird „Auf das Dritte Reich“. Diese Militanz und der offen gezeigte Faschismus dürfen nicht verwundern. In Frankreich wurde der „Bloc identitaire“ 2002 gegründet. Die Vorläuferorganisation, die tief im französischen Neo-Faschismus verankert war, war kurz zuvor verboten worden. Der Grund: Ein versuchtes Attentat auf den damaligen Präsidenten Jaques Chirac durch einen Aktivisten der Gruppe.

Schusswaffen und Schlagstöcke

Es ist also nur konsequent, dass sich auch die Mitglieder der österreichischen IB auf den bewaffneten Kampf vorbereiten. Führende Vertreter der Gruppe posieren in sozialen Netzwerken gern mit Schusswaffen. Fotos zeigen Aktivisten der steirischen Gruppe beim Schlagstocktraining.

Sellner selbst lädt 2016 auf Facebook zum „Grundlagentraining in (schlag)stockkampf“. Eine ausführliche Analyse zur Militarisierung der Identitären hat die Antifaschistische Recherche Graz veröffentlicht.

Der japanische Faschismus als Code

Für die Gruppe Identitäre haben Faschisten wie Mishima eine enorme propagandistische Bedeutung. Denn sie funktionieren als Code.

In Österreich haben sich die Identitären 2012 gegründet. Der Gründung vorausgegangen waren ausführliche Debatten in den österreichischen Neonazi-Strukturen rund um Neonazi-Führer Gottfried Küssel, denen Sellner und vermutlich auch andere Gründungsmitglieder der IB angehörten.

Die Gruppe rund um Sellner sah im „orthodoxen Nationalsozialismus“ keine Perspektive mehr, wie er in seinem bereits erwähnten Text „Geständnis einer Maske“ schreibt. (Der Text ist heute online nicht mehr verfügbar und nur noch über Sekundärquellen aufrufbar.) Für die Kameraden stellten sich offenbar vor allem zwei Probleme.

Vom Neonazismus zum Neofaschismus

Einerseits und vor allem war und ist da die Gefahr der staatlichen Verfolgung durch das österreichische NS-Verbotsgesetz für die außerparlamentarische rechte Szene – wobei die extrem rechten Burschenschaften und Studentenverbindungen mit ihren Verbindungen zur FPÖ seit Jahrzehnten – oft erfolgreich – als Scharnier, Schutz und Unterschlupf fungieren. Auch Küssel, Sellner und die meisten heute führenden Kader der Identitären sind oder waren „korporiert“.

Es ist jedenfalls sicherlich kein Zufall, dass die Debatten zur Gründung der Identitären zu einem Zeitpunkt geführt wurden, wo die staatlichen Nachforschungen zur zentralen Neonazi-Plattform „Alpen Donau“ an Fahrt aufnahmen. 2011 kam es zu ersten Verhaftungen. Sellner selbst gilt laut einer parlamentarischen Anfrage der Grünen als einer der Administratoren von „Alpen Donau“.

Andererseits wurde Sellner und seinen Kameraden offenbar zunehmend klar, dass der klassische NS-Faschismus ein Hemmschuh in der Gewinnung neuer Aktivisten ist. Ein Video des „Nationalen Widerstands Wiener Neustadt“ aus dieser Zeit spiegelt diese Debatten wieder.

„Raus aus der Subkultur“

Sellner soll mit der Gruppe in Verbindung gestanden sein. Und im Video findet sich ein Motiv, das später auch für die Politik der IB prägend werden sollte: „Wir wollen keine Subkultur sein.“

Die Identitären sind weiter eindeutig im Faschismus zu verorten. Doch an die Stelle der NS-Größen Adolf Hitler, Hermann Göring und Joseph Goebbels treten für die Öffentlichkeit nun italienische, französische, japanische und wenig bekannte deutsche FaschistInnen.

Vor allem beziehen sich die Identitären auf die „Nouvelle Droite“, die „Neue Rechte“, eine faschistische Strömung, die in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt sind die Vertreter der deutschen „Konservativen Revolution“, einer faschistischen Strömung der Weimarer Republik. Diese Taktik hat zwei sehr praktische Vorteile.

FaschistInnen ersetzen FaschistInnen

Zum einen sind Namen wie Ezra Pound, Carl Schmitt, Dominque Venner oder eben Yukio Mishima kaum bekannt, damit schrecken sie auch die breitere Öffentlichkeit weniger ab, sind anschlussfähiger. Und zum anderen ist Faschismus generell – im Gegensatz zum NS-Faschismus – nicht vom österreichischen Verbotsgesetz erfasst.

Doch intern und für Eingeweihte können die Identitären mit dem Bezug auf Mishima klare Botschaften vermitteln: Der Aufbau einer militärisch ausgebildeten Privatarmee als Weg, der Militärputsch als Mittel, die autoritäre Gewaltherrschaft als Ziel. Spritzendes Blut und der Tod werden dafür in Kauf genommen.

FPÖ-nahe Medien übernehmen „neurechte“ Positionen

Die IB selbst ist trotz enormer medialer Aufmerksamkeit gesellschaftlich weiterhin eine absolute Randerscheinung. Im gesamten deutschsprachigen Raum sind es kaum mehr als einige hundert Aktive. Eine „Bewegung“ sieht anders aus.

Doch speziell in Österreich fällt auf, dass immer mehr ehemals klassisch deutschnational-burschenschaftliche Medien aus dem Milieu der FPÖ die Positionen der selbst ernannten „Neuen Rechten“ und der IB positiv rezipieren oder übernehmen. Ein Beispiel dafür ist das neue Magazin „Freilich“, das Nachfolgeblatt der notorisch bekannten Aula.

Auch in der FPÖ selbst gibt es trotz offizieller Distanzierungen enorme Sympathien für die Gruppe. Damit finden die Theorien der faschistischen „Neuen Rechten“ weit über die kleine Gruppe IB hinaus Verbreitung.

Die „letzte Generation“?

„Ich bete für einen ehrenvollen Tod, den Tod um einer Sache willen“, sagt IB-Vorbild Mishima in einem Interview und bedauert, in einem Zeitalter zu leben, „wo es keine heroischen Tode gibt“. Unter „demokratischen Regierungen“ gäbe es „keine Notwendigkeit für edle Dinge“, für die gestorben werden könne. (Zitiert nach den englischen Untertiteln.)

All das passt perfekt zur Ideologie der Identitären. Sie sehen sich selbst als die angeblich „letzte Generation“, die einen imaginierten Bevölkerungsaustausch verhindern könne.

Doch wer sich selbst als letzte Generation begreift, die etwas verhindern müsse, was ansonsten unumkehrbar wäre, darf buchstäblich zu allen Mitteln greifen. Und genau darin besteht die Gefahr durch Gruppen wie die Identitären.

Bild: Michael Bonvalot

Auch das Motiv des Kampfes bis zum Tod ist den Identitären nicht fremd. Konstitutiv für die Gruppe ist das Lambda-Symbol. Damit will sich die Gruppe in die Tradition der angeblich rund 300 spartanischen Kämpfer setzen, die in der Schlacht bei den Thermopylen wohl fast vollständig den Tod fanden. (Tatsächlich scheinen auf Seite des Hellenenbundes übrigens eher zwischen 5000 und 7000 Soldaten gekämpft zu haben.) Der suizidale Kampf als Programm.

Rechter Terror

„Mishima und Todessehnsucht am Morgen“ twittert Martin Sellner. Überlegen wir, was der Identitären-Führer den Eingeweihten damit für eine Botschaft vermittelt.

Hier muss sich niemand mehr jenseits der Identitären terroristisch radikalisieren. Hier ist die potentielle Terror-Ideologie bereits fertig aufbereitet. Faschistische Milizen, Putsch, Machtergreifung. Mit einem Spritzer Blut und bis zum Tod. Die Botschaft der Identitären ist eindeutig. Und sie ist gefährlich.

Update 01.12.2019: Ergänzt um einen Absatz zu Dominique Venner.

Meine gesammelten Artikel über die Identitären findest Du hier. 

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