Am Samstag demonstrierten in Wien türkische Nationalisten gemeinsam mit der Gruppe Linkswende. Doch wie sollen fortschrittliche Kräfte mit dem politischen Islam umgehen?
Als am vergangenen Wochenende in der Türkei Teile des Militärs gegen die Regierung putschten, gingen noch in der Nacht in Wien AnhängerInnen von Präsident Erdoğan aus Protest auf die Straße.
Am Samstag nachmittag zog dann nochmals eine Demonstration über die Wiener Mariahilferstraße. Aus dieser Demonstration heraus kam es zu einem Angriff auf ein Lokal der Türkis-Restaurantkette. (Ein Video des Angriffs ist hier zu finden.) Die Türkis-Kette ist im kurdischen Besitz, insbesondere das Lokal in der Mariahilferstraße wird bei türkisch-nationalistischen Demonstrationen immer wieder angegriffen.
Graue Wölfe auf der Demonstration
Während der Demonstration wurden laufend religiöse Parolen gerufen, daneben wurde immer wieder der „Wolfsgruß“ der faschistischen MHP („Graue Wölfe“) gezeigt. Hier einige Bilder, die das gut dokumentieren.
Im Anschluss an die Demonstration soll es zu Provokationen durch türkische NationalistInnen gegen das Lokal des kurdischen Dachverbands FEYKOM im 15. Bezirk gekommen sein. Diese Vorgehensweise wäre nicht neu, ich konnte Anfang Juli solche Provokationen selbst beobachten. Hier mein Bericht dazu.
Gemeinsamer Aufruf von Linkswende und UETD
Aufgerufen zur Demonstration am Samstag hatte ursprünglich die Wiener Gruppe „Linkswende“. In Österreich hat die Gruppe (wie die meisten anderen einzelnen Organisationen der Linken) wenig Bedeutung. In anderen Ländern sind ihre Schwesterorganisationen der „International Socialist Tendency“ (IST) allerdings durchaus einflussreich. In Irland stellt ihre Vorfeld-Struktur „People before Profit“ drei Parlamentsabgeordnete, in Deutschland arbeitet ihre Schwestergruppe „Marx21“ innerhalb der Linkspartei und hat so zwei Bundestagsabgeordnete.
Bald schloss sich dem Aufruf der Linkswende die Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) an, die als europäische Vorfeld-Organisation der türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan gilt.
Die AKP: eine autoritäre und religiös-konservative Partei
Die AKP vertritt ein rechtskonservatives, religiös und autoritär geprägtes Weltbild. Aktuell ist sie für die Eskalation des Krieges gegen die kurdische Minderheit im Südosten des Landes verantwortlich. Gleichzeitig schränkt die AKP-Regierung laufend demokratische Freiheiten ein. Oppositionelle AktivistInnen, JournalistInnen oder JuristInnen werden unter Anklage gestellt. Jüngst wurde auf Betreiben der Regierung die Immunität fast aller Abgeordneter der linken pro-kurdischen HDP aufgehoben.
Die AKP schwenkt insbesondere seit den Wahlen im vergangenen Juni verstärkt auf einen türkisch-nationalistischen Kurs ein. War es einige Zeit das Ziel der AKP, verstärkt kurdische Stimmen zu gewinnen (was auch durchaus gelang), scheint nun die neue Strategie zu sein, mit den faschistischen Grauen Wölfen zu einer Übereinkunft zu gelangen. Im Hintergrund steht das Bestreben von Präsident Erdoğan, genug Stimmen einzusammeln, um eine autoritäre Präsidial-Diktatur umzusetzen.
Gleichzeitig sollte, doch das nur nebenbei, der Einfluss rechter Kräfte in den kurdischen Gebieten der Türkei ebenfalls nicht unterschätzt werden. So etwa organisierten die AKP und die militante fundamentalistische kurdische Hüda-Par in der inoffiziellen kurdischen Hauptstadt Diyarbakır/Amed eine Demonstration in Solidarität mit Präsident Erdoğan.
In der Vergangenheit waren sowohl Hüda-Par wie die Grauen Wölfe verantwortlich für zahlreiche blutige Attentate auf linke Organisationen und Personen. Oft handelten sie dabei im Auftrag des türkischen Geheimdienstes, prägend dafür wurde der Begriff „Tiefer Staat“. Die AKP war nie genuiner Bestandteil dieses „Tiefen Staats“, der sich vor allem in der Tradition des türkischen Diktators Kemal Atatürk versteht.
In dem Ausmaß, in dem die AKP allerdings den Staat immer mehr durchdringt, durchdringt sie auch die Geheimdienste und hat somit die Möglichkeit, den Staat nun in ihrem Sinne zu nützen. So etwa wurde bekannt, dass der türkische Geheimdienst Waffenlieferungen an fundamentalistische Kräfte in Syrien organisiert hat.
Kritik am Verhalten der Linkswende
Nach der Demonstration in Wien wurde in den sozialen Netzwerken starke Kritik am Verhalten der Gruppe Linkswende laut. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass bereits vor der gemeinsamen Demonstration von Linkswende und UETD auf der Facebook-Veranstaltungsseite vor genau der Situation gewarnt worden wäre, die schließlich auf der Demonstration eintrat. Kritisiert wurde auch, dass die Linkswende kritische Anmerkungen konsequent gelöscht hätte.
Die Linkswende veröffentlichte als Reaktion darauf ein Statement, in der sie die gemeinsame Demonstration mit der UETD verteidigte. In diesem Statement wurde erklärt, dass ein Militär-Putsch die deutlich schlechtere Wahl als die Regierung Erdoğan wäre und somit eine gemeinsame Demonstration mit den türkischen NationalistInnen legitim gewesen wäre.
„Massen verteidigten Demokratie“
Gelobt wurden insbesondere die „Massen“, die sich dem Militär in den Weg gestellt hätten. Im Statement heißt es wörtlich: „Aber die Generäle haben nicht mit dem heldenhaften Widerstand der Bevölkerung gerechnet. Die Zivilbevölkerung hat nicht zugelassen, dass eine demokratisch gewählte Regierung von einem durch und durch undemokratischen Armeeapparat gestürzt wird. Die Bilder von ganz einfach Menschen, die sich Panzern in den Weg stellten und Soldaten gefangen nahmen, bilden einen fantastischen Bruch in der türkischen Geschichte der Militärherrschaft.“
Zum Verlauf der Demonstration in Wien heißt es: „Kurdinnen und Kurden wären die ersten Opfer eines erfolgreichen Putsches gewesen. Umso schäbiger ist es, dass eine Gruppe junger Nationalisten im Zuge der Demonstration über die Mariahilfer Straße das türkische Lokal ‚Türkis‘ attackierte, dass sie fälschlicherweise für ein PKK-Lokal hielten. Neue Linkswende verurteilt diesen dummen Angriff auf das Schärfste. Wir stehen für die Selbstbestimmung der kurdischen Bevölkerung und unterstützen ihren Kampf für Frieden und Demokratie. Die Aktivist_innen der Neuen Linkswende verließen die Demonstration aus Protest gegen die Attacke.“
Die Linkswende schreibt weiter: „Unter den Protest mischten sich einzelne türkische Faschisten (‚Graue Wölfe‘). Die Bewegung darf nicht zulassen, dass Faschisten die Bewegung für ihre Zwecke missbrauchen – es würde den Kampf für Demokratie und gegen die FPÖ schwächen. Dort, wo sich die Grauen Wölfe zu erkennen gaben, wurden sie von Aktivist_innen der Neuen Linkswende attackiert. Die Mehrheit der Anwesenden, die die Konfrontation mitverfolgten, haben dieses Vorgehen durch gemeinsames Rufen von ‚Schulter an Schulter gegen Faschismus‘ unterstützt.'“
Welche Masse?
Diese Erklärung hat eine ganze Reihe offensichtlicher Schwächen. Zum einen wird „die Masse“ gelobt, die die „Demokratie“ verteidigt hätte. Allerdings wird kein Bezug darauf genommen, wer diese Masse konkret war und aus welchen politischen Strömungen sie primär zusammengesetzt war.
Der einzige Hinweis in diese Richtung findet sich im Satz „Nicht nur Anhänger_innen der AKP, auch Menschen, auf die Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Gezi-Park hat schießen lassen, sind auf die Straßen und haben der Ausgangssperre getrotzt“. Dafür, dass so etwas in einem relevanten Ausmaß vorgekommen wäre, gibt es allerdings keinerlei Belege. Im Gegenteil gibt es seit dem verhinderten Putschversuch laufende Angriffe durch türkische NationalistInnen auf linke Viertel in Istanbul.
Auch weitere Elemente der Stellungnahme weisen offensichtliche Schwächen auf. Betont wird vor allem, dass die Grauen Wölfe die Demonstration der UETD nur in kleiner Zahl unterwandert hätten. Bei Aufmärschen der UETD in der Vergangenheit zeigte sich allerdings immer wieder, dass es beste Verbindungen zwischen UETD und MHP („Graue Wölfe“) gibt. Bei jedem Aufmarsch der jüngeren Zeit waren Graue Wölfe massiv präsent. Bei jedem Aufmarsch gab es danach Drohungen gegen kurdische Einrichtungen (die Charakterisierung des Angriffs auf das Türkis-Lokal als „dumm“ könnte ebenfalls als euphemistisch verstanden werden).
Unterwanderung durch Graue Wölfe?
Unklar bleibt auch, inwiefern es sich bei der Präsenz der Grauen Wölfe um eine Unterwanderung gehandelt haben soll. Die Wölfe haben sich in der Türkei öffentlich auf die Seite von Erdoğan gestellt und waren somit legitimer Teil der nationalistischen Demonstration.
Ebenfalls unklar bleibt, wie ein Kampf für Demokratie und gegen die FPÖ aussehen sollte, der 1. mit Menschen geführt wird, die offensichtlich zu einem relevanten Teil ein autoritäres, nationalistisches und konservativ-religiöses Weltbild haben und somit der FPÖ ideologisch durchaus nahe stehen und 2. in der Türkei und in Österreich laufend progressive Kräfte attackieren.
Kein Grund, sich auf die Seite des Militärs zu stellen
Das alles anzuführen bedeutet nicht, sich auf die Seite der Militärs zu stellen. Der letzte Militärputsch in der Türkei im Jahr 1980 forderte tausende Todesopfer, die von den Militärs hingerichtet oder zu Tode gefoltert wurden. Doch gleichzeitig ist die Annahme, dass der Feind meines Feindes automatisch mein Freund sei, eine offensichtlich unzulässige Verkürzung.
Wenn verschiedene Kräfte der politischen Rechten miteinander Kämpfe um die Vorherrschaft austragen, ist es nicht zwingend notwendig, im Sinne des kleineren Übels eine Position auf einer der beiden Seiten einzunehmen.
Die Positionierung der Linkswende mag ein besonderes Extrem darstellen, doch gleichzeitig ist sie sicherlich auch kein Betriebsunfall. Die Suche nach den „Massen“ und die gleichzeitige Bereitschaft, zentrale Wertvorstellungen dabei hintanzustellen, ist ein Weg, der relativ stringent in gemeinsame Demonstration-Aufrufe mit rechten Kräften führt. Diese Diskussion stellt sich auch übrigens auch an anderen Fragestellungen.
Mit wem gegen wen?
In Deutschland wurde etwa vor kurzem auf den Seiten der Tageszeitung „Neues Deutschland“ eine intensive Debatte zum Umgang mit der rechtsextremen AfD geführt. Die deutsche Schwestergruppe der Linkswende verteidigte dabei, dass im Aufruf zu einer Aktionseinheit gegen die AfD keine Kritik an Asylrechtsverschärfungen und sozialen Problemen enthalten sein sollte. Begründet wurde das damit, dass ein breites gesellschaftliches Bündnis unter Einschluss führender VertreterInnen von Sozialdemokratie und Grünen im Kampf gegen Rechts notwendig wäre.
Auch auf einer anderen Ebene ist die jetzige Zusammenarbeit mit der UETD durchaus konsequent. Seit einigen Jahren orientieren Teile der österreichischen Linken verstärkt auf die Zusammenarbeit mit muslimisch-religiösen Kräften. Stellvertretend mag dafür das auf das Demonstrationen in Wien oft gesehene Transparent der Linkswende „Flüchtlinge und Muslime willkommen“ stehen. Die Analyse, die dem zugrunde liegt, ist die wachsende Islamophobie im Lande. Und tatsächlich ist hier selbstverständlich Solidarität mit all jenen geboten, die vom Rassismus der österreichischen Mehrheitsbevölkerung betroffen sind.
„Ich bin Atheist, ich glaube an die Wissenschaft.“
Gleichzeitig muss Solidarisierung und Unterstützung gegen Rassismus nicht unbedingt gleichzeitig eine strategische Orientierung auf den Teil der Betroffenen bedeuten, die sich als besonders religiös verstehen. Gerade aus Syrien oder dem Irak flüchten auch sehr viele Menschen, weil sie dort von der Unterdrückung durch den politischen Islam betroffen sind.
Im griechischen Flüchtlingslager Lesbos etwa sprach ich mit einem Flüchtling aus Syrien. Er sagte mir: „Ich bin Atheist, ich glaube an die Wissenschaft. Wie könnte ich in einem Land leben, das von Religion zerfressen ist?“
Welche strategische Orientierung?
In der türkischen und kurdischen Community in Österreich gibt es ebenfalls eine ganze Reihe von Menschen, die sich den religiös-konservativen und nationalistischen Kräften aktiv entgegenstellen. In diesem Zusammenhang sind auch die Wahlergebnisse aus Österreich für die letzten türkischen Wahlen im November 2015 interessant. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu stimmten 69% für die AKP, 10,4% für die kemalistische CHP und 6,7% für die Grauen Wölfe. Die linke HDP erhielt 12,4 % der Stimmen (Auszählungsstand war etwas mehr als die Hälfte der Stimmen, die Zahlen können sich also noch leicht verschoben haben).
Die Zustimmung für die Linke ist insgesamt sicher nochmals höher: Zum einen gehen viele Linke nicht sehr gerne in türkische Botschaften und Konsulate. Zum anderen gibt es in Teilen der Linken auch eine Tradition der Wahlenthaltung. In welchem Ausmaß das relevant ist, muss aber natürlich mangels Daten offen bleiben.
Eine Zusammenarbeit mit den progressiven Kräften in der türkischen und kurdischen Community (die wohl zum Großteil HDP gewählt haben) wäre sicherlich politisch weit lohnender und spannender als eine Zusammenarbeit mit konservativen und rechtsextremen Kräften. Gleichzeitig könnten diese Kräfte aber von einer Zusammenarbeit nachhaltig abgeschreckt werden, wenn sie beispielsweise auf linken Demonstrationen davon ausgehen müssen, dort auch auf militante rechte türkische Kräfte zu stoßen.
Die Kritik an der Linkswende wird aktuell in den sozialen Netzwerken breit diskutiert und rezipiert. Insbesondere auf der Facebook-Seite der Linkswende finden intensive Debatten statt. Ausnahmsweise beteiligen sich daran nicht nur notorisch verhaltensauffällige „antideutsche“ Kräfte. In diesem Fall wird breit hinterfragt, ob die Linkswende hier einen Rubikon überschritten hätte.
Üblicherweise würde es auch nicht lohnen, einen längeren Artikel über eine einzelne kleine linke Organisation zu schreiben. Doch nachdem die Fragestellungen, die der Entscheidung der Linkswende zu Grunde liegen, stellvertretend für eine weit breitere Debatte stehen, ist eine seriös geführte Diskussion dazu durchaus wertvoll.
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