Extrem rechte Parolen werden den Präsidentschaftswahlkampf dominieren. Die Linke kandidiert nicht – und hat damit eine enorme Chance vertan. Stellen wir uns vor, was eine linke Kandidatur bewirken hätte können.

Stellen wir uns eine parallele Realität vor. In der Elefantenrunde zur Präsidentschaftswahl streiten die vier rechten Kandidaten wieder einmal darum, wer es Rechtsaußen am besten kann. Dominic Wlazny („Marco Pogo“) wirkt überfordert. Schuhunternehmer Heinrich Staudinger brabbelt währenddessen vor sich hin. Auf einmal ergreift Nesrin Özgürlük das Wort. Die 37-jährige Tirolerin ist die Kandidatin der vereinigten Linken. Und dann legt Özgürlük los.

Sie ist wütend darüber, dass sich immer mehr Menschen das Leben nicht mehr leisten können. Özgürlük ist glaubhaft: Sie kommt aus einer migrantischen Arbeiter*innenfamilie und weiß, wovon sie spricht. Falls sie gewählt wird, das hat sie schon versprochen, wird sie nicht mehr verdienen als einen durchschnittlichen Arbeiter*innen-Lohn.

Özgürlük heißt Freiheit

Özgürlük legt los gegen den Kapitalismus, die Wohnungsnot und den Rassismus. Sie fordert Preisstopps und die Vergesellschaftung der Energiekonzerne. Die vier rechten Männer führt sie vor. Es ist nicht schwer: Drei von ihnen sind gut bezahlte Juristen, einer gibt seit Jahren den – vermutlich ebenfalls sehr gut verdienenden – Balkon-Muppet beim Boulevard-Sender Ö24.

Özgürlük spricht, übrigens in breitem Tirolerisch, auch über die Klimakrise, fordert radikale Maßnahmen, will endlich ein Umdenken. Die junge Generation Klimakrise ist begeistert – in den Schulen, Lehrwerkstätten und Unis werden ihre TikTok-Videos und Insta-Stories geteilt und kommentiert.

Besonders wichtig für die Kampagne: Alle über 16 dürfen Özgürlük auch wählen. „Beim ersten Mal: Links wählen!“ lautet nicht zufällig einer der Slogan von Özgürlük.

Und immer wieder fordert die junge Linke Menschen auf, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen und sich zu organisieren. Ihr Name ist Programm: Özgürlük bedeutet auf Deutsch Freiheit.

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Dass sie den Amtsinhaber Alexander Van der Bellen nicht schlagen können, ist für Özgürlük und die vereinigte Linke klar. Doch bei dieser Kandidatur geht es darum, öffentlich zu zeigen, dass es eine linke Alternative zur gesellschaftlichen Krise gibt.

Und das ist die Wirklichkeit

Vier rechte Kandidaten werden in den kommenden Wochen die Fernseh-Diskussionen und die Medienberichte dominieren: Walter Rosenkranz von der FPÖ, MFG-Obmann Michael Brunner, Krone-Mann Tassilo Wallentin und Ö24-Gesicht Gerald Grosz. Hier findet ihr meine Porträts von Rosenkranz, Brunner, Wallentin und Grosz!)

Nachdem die rechten Kandidaten alle im selben Wähler*innenteich fischen, werden sie sich gegenseitig immer mehr übertrumpfen müssen. Eine extrem rechte Spirale. Bei den TV-Duellen nicht dabei ist Bundespräsident Van der Bellen. Aus seiner Sicht eine taktisch kluge Entscheidung, er kann dort nur verlieren – deshalb hatte es bereits sein Vorgänger Heinz Fischer von der SPÖ so gemacht.

Die fragwürdige Bilanz von Van der Bellen

Bei der Präsidentschaftswahl werden sich linke Wähler*innen entscheiden müssen: Den amtierenden Präsidenten Van der Bellen (nochmals) wählen? Bierpartei-Mann Wlazny? Oder gar den dubiosen Schuhunternehmer Heinrich Staudinger? Auf der Homepage von Staudingers Firma GEA stand bis 2014 übrigens sogar ein Hitler-Zitat. Nachdem ein Firmenvertreter das zuerst noch verteidigt hatte, entschuldigte sich Staudinger erst nach einem Shitstorm.

Die politischen Positionen von Van der Bellen liegen schon lange auf dem Tisch – immerhin war er vor seiner Präsidentschaft lange Jahre grüner Parteichef und Klubobmann der Grünen im Parlament. Doch Van der Bellen hat sich als Präsident vor allem präsidial präsentiert. So sehr, dass viele Linke genau die politischen Ansagen vermissten, für die sie ihn 2016 gewählt hatten – als Gegenstück zu FPÖ-Mann Norbert Hofer.

Gerade in der Periode der ÖVP-FPÖ-Koalition hätte „VdB“ Gegenpositionen einnehmen können. An diesem Anspruch ist er in den Augen vieler Wähler*innen gescheitert. „So sind wir nicht“, sagte Van der Bellen nach Ibiza patriotisch – anstatt darauf hinzuweisen, dass ÖVP und FPÖ genau so sind.

Heute gilt der ehemalige grüne Parteichef für viele als Anhängsel der türkis-grünen Koalition. Und wird sich damit wohl einen Denkzettel vor allem von frustrierten Sozialdemokrat*innen einfangen. Für die Wiederwahl im ersten Wahlgang sollte es nach aktuellen Umfragen dennoch reichen – doch ein glänzender Sieg wird es eher nicht werden. Neu und frisch daher kommt dagegen Dominic Wlazny, besser bekannt als Marco Pogo.

Wohin tanzt der Pogo?

Im Gegensatz zu Van der Bellen ist über Wlaznys politische Vorstellungen gar nicht so viel bekannt. Wlazny ist vor allem eine Projektionsfläche – viele mögen ihn vor allem deshalb, weil sie auf Van der Bellen böse sind.  Etwas Licht in die Sache brachte eine Pressekonferenz am 1. September in Wien. Die Erkenntnisse waren zwiespältig.

Einerseits sprach Wlazny wichtige Themen an wie die soziale Krise, wo er Menschen, die wenig haben, „dauerhaft“ unterstützen möchte und einen Preisdeckel für Energie fordert. Einschränkend sagt er allerdings dazu: „Sparen werden wir alle müssen“ – ein neoliberaler Mythos.

Eine Forderung nach Umverteilung ist nicht zu hören. Dann die Forderung nach dem Ausbau erneuerbarer Energie und nach Unterstützung der Menschen, die in Pflege und Gesundheit arbeiten. Schließlich will Wlazny die „Bekämpfung von Rassismus“ und eine menschliche Asylpolitik

Wlazny und die NATO

Gleichzeitig aber vertritt Wlazny im Militär-Bereich Positionen, die linken Wähler*innen kaum schmecken können: Das Bundesheer würde „mehr Geld“ brauchen, sagt er und fragt: „Ist das Bundesheer überhaupt einsatzbereit, um unsere Grenzen und unser Land zu sichern?“. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet das: Mehr Geld für Militär und Aufrüstung. Dazu fordert Wlazny eine „breite Sicherheitsdebatte“, Österreich würde sich hinter der Neutralität „verstecken“.

Das sind ziemlich genau die Argumente jener Kreise, die in Österreich den NATO-Beitritt wollen. Auch in der ersten „Elefantenrunde“ im ORF am 11. September vermeidet Wlazny eine klare Absage an einen NATO-Beitritt. [Ab ca. Minute 22, der Link in der ORF-TV-Thek ist sieben Tage verfügbar.] Im Bereich Migration will Wlazny eine „geordnete Zuwanderung“ und wünscht sich mehr Fachkräfte, etwa für die Pflege.

Doch was ist mit Menschen, die aus menschenunwürdigen Zuständen flüchten und keine Ausbildungen in diesen Bereichen haben oder wollen? Dann sagt Wlazny, „wir“ könnten „nicht alle aufnehmen“ und will „Menschen schneller wieder in sichere Staaten zurückbringen“. Übersetzt kann das nur heißen: Schnellere Abschiebungen. Oder er formuliert nicht gut. Beides wäre ein Problem.

Abschließend fordert Wlazny eine Senkung der Lohnnebenkosten – eine klassische Unternehmer*innenforderung. Das ist wohl kein Zufall: Wlazny ist selbst, wie er betont, Eigentümer eines Betriebs – der von seiner Kandidatur wohl auch profitieren wird. Vor Freude springen werden Linke und Gewerkschafter*innen bei diesen Vorschlägen eher nicht.

Schließlich werden sich die meisten linken Wähler*innen wohl zwischen Van der Bellen und Wlazny entscheiden – zu Hause bleiben werden eher nur wenige. Doch was wäre gewesen, wenn die organisierte Linke selbst eine Kandidatin aufgestellt hätte? Spielen wir es durch!

Hätte eine linke Kandidatur funktionieren können?

Die SPÖ hat bereits sehr früh bekannt gegeben, keine eigene Kandidatur aufzustellen. Die Grünen unterstützen naturgemäß ihren Ex-Vorsitzenden Van der Bellen. Damit war enorm viel Raum frei für eine Kandidatur der außerparlamentarischen Linken. Wie breit eine solche Kandidatur ausstrahlen hätte können, zeigen die teils sehr euphorischen Reaktionen auf Wlazny-Pogo, vor allem aus der Sozialdemokratie.

Die 6.000 Unterstützungserklärungen wären wohl ebenfalls kein Problem gewesen – relativ unabhängig davon, wie groß die Strukturen hinter der jeweiligen Kandidatur gewesen wären. Auch das hat die Leichtigkeit gezeigt, mit der Wlazny sogar als erster seine Unterschriften abgeben konnte. Entscheidend ist dafür heute nicht zuletzt ein guter Auftritt in sozialen Medien.

Aber die vielen Unterstützungserklärungen?

Doch wenn es tatsächlich bis zum Abgabetermin am Freitag, dem 2. September, nicht gereicht hätte? Dann hätte es eine gesetzliche Nachfrist über das Wochenende gegeben.

Zehntausende Menschen sind jedes Jahr am Volksstimme-Fest der KPÖ in Wien. Bild: Michael Bonvalot

Also genau das Wochenende, wo die KPÖ in Wien das Volksstimmefest mit zehntausenden Besucher*innen organisierte. Mit einem Notar an der Seite hätten die Unterschriften gleich vor Ort abgegeben werden können – die Unterschriftensammlung wäre also wohl ohne irgendwelche Probleme aufgegangen.

Was eine linke Kandidatin bewirken hätte können

Stellen wir uns einfach einmal eine junge linke Kandidatin im Fernsehen vor – und eine Frau wäre jedenfalls die weit bessere Wahl gewesen, nicht zuletzt als Kontrapunkt zur sonstigen Männerrunde. Eine Frau, die die mediale Aufmerksamkeit des Präsidentschaftswahlkampfes dazu genützt hätte, um die brennenden Fragen anzusprechen: Die Energiepreise, die Mieten, die Inflation, aber auch die Klimakrise, den Rassismus, die Femizide. Nicht rassistisch aufgeladen, keine absurden Verschwörungserzählungen, stattdessen weltoffen und mit einer klaren internationalistischen Perspektiven.

Dazu scharfe linke Kritik an der Regierung, etwa für ihre Jojo-Politik in der Corona-Krise, für das Versagen bei Mieten und Teuerung und für die fehlende Bereitschaft, Superreiche und Konzerne zur Kasse zu bitten. Es hätte sehr vielen Menschen aus der Seele gesprochen. Es wäre eine Alternative zum Schwurbel-Rassismus von Rechts gewesen. Und es hätte eventuell auch Menschene ine andere Perspektive aufzeigen können, die anfällig sind für rechte Parolen.

Es wäre bei einem solchen Wahlkampf auch nicht darum gegangen, zu gewinnen. Es wäre darum gegangen, linke Positionen breit populär zu machen. Und wir können davon ausgehen: Einzelne Videos mit besonders schlagkräftigen Aussagen wären fix viral gegangen.

Das Beispiel Frankreich

Dass das funktionieren kann, zeigen etwa die Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Traditionell kandidieren dort auch bis zu drei trotzkistische Parteien. Für die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) etwa kandidierte der Auto-Arbeiter Philippe Poutou bei den Präsidentschaftswahlen 2012, 2017 und 2022. Die Ergebnisse für den Trotzkisten waren zwar mit je rund einem Prozent eher mager. Aber Poutou konnte in den TV-Runden viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, den „Rockstar unter Frankreichs Kandidaten“ nannte ihn etwa Euronews.

Auch langfristig hat sich die Kandidatur für Poutou – und damit für die NPA – ausgezahlt. Das zeigt eine aktuelle Umfrage vom August 2022. Dort steht Poutou mit inzwischen bereits acht Prozent Zustimmung unter den beliebtesten Politiker*innen Frankreichs.

Noch besser lief es für eine andere trotzkistische Kandidatin: Arlette Laguiller, die langjährige Sprecherin der LO (Lutte Ouvrière, deutsch Arbeiterkampf). Sie trat bei jeder Präsidentschaftswahl zwischen 1974 und 2007 an. Bei ihrem erfolgreichsten Antritt im Jahr 2002 bekam sie zwar „nur“ knapp sechs Prozent – doch sie galt zeitweise als eine der populärsten Politiker*innen des Landes.

Ich erlebte das selbst, als sich im Jahr 2000 für einige Monate in Marseille lebte. Meine Nachbarin Catherine, eine junge Französin, hatte bei der letzten Wahl eigentlich weit rechts gewählt – ohne sich sonderlich für Politik zu interessieren. „Aber Arlette, die finde ich gut, die setzt sich für uns ein“, sagte sie mir.

Entscheidend für diese Popularität war nicht zuletzt die persönliche Bescheidenheit von Laguiller: Nicht mehr verdienen als die Wähler*innen und das auch zum Thema machen.

Wäre das alles ganz easy gewesen?

Natürlich gibt es bestimmte Logiken und Probleme, die gemeinsame Kandidaturen verschiedener Organisationen schwierig machen. Bei einer Präsidentschaftswahl ist es vor allem die Frage: Welche Organisation darf den oder die Kandidatin stellen? Bei einer Persönlichkeitswahl ist das besonders entscheidend.

Doch auch, wenn eine Organisation schlicht vorangeschritten wäre und ihre eigene Kandidatur bekannt gegeben hätte, wäre wohl eine starke Dynamik entstanden – die nicht zuletzt die Linke in Österreich organisatorisch stärker zusammenbringen hätte können.

Ob das alles aufgegangen wäre? Das wissen wir nicht. Doch was wir wissen: Jetzt ist die Linke zum Zusehen verdammt.

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