Faschist Dollfuß gilt für viele Konservative in Österreich bis heute als Held. Über die unbekannten Seiten des Diktators, seinen Antisemitismus – und seine Zusammenarbeit mit den Nazis.

Wenn es um Engelbert Dollfuß geht, stottert die ÖVP bis heute herum. Erst 2021 konnte sich Karl Nehammer dazu durchringen, als erster ÖVP-Bundeskanzler überhaupt vom „Austrofaschismus“ zu sprechen. Nicht, ohne sofort zu relativieren: „Im Kontext der Zeit“ und weil der Austromarxismus eben „eine große Bedrohung“ gewesen wäre.

Noch bis 2017 hing gar ein großes Portraitbild des ehemaligen Diktators im ÖVP-Parlament – inzwischen ist es ins niederösterreichische Kulturdepot in St. Pölten übersiedelt. Geographisch wie politisch sehr passend: Dollfuß wuchs in einer Bauernfamilie in Niederösterreich auf, bis heute ist das Bundesland ein Zentrum der Dollfuß-Verehrung. Meine Recherche über die bis heute existenten Denkmäler des Austrofaschismus könnt ihr hier lesen! Dazu kommt: Die faschistische Christlichsoziale Partei von Dollfuß ist die Vorläuferpartei der ÖVP.

Doch wer war dieser niederösterreichische Bauernsohn? Und warum ist er in Teilen der ÖVP bis heute so beliebt?

Wer war Engelbert Dollfuß?

Klein-Engelbert wurde 1892 in Texing geboren, einem kleinen Dorf westlich von St. Pölten. Nach Wien sind es von dort rund 90 Kilometer. Sein Geburtshaus steht noch heute – für das dort untergebrachte Jubelmuseum samt Dollfuß-Totenmaske war über Jahre der heutige ÖVP-Innenminister Gerhard Karner verantwortlich. Die Historikerin und Dollfuß-Expertin Lucile Dreidemy beschreibt die Situation vor Ort im Standard als „museale Gedenkstätte über den Umweg eines Museums“.

Im Jänner 2024 allerdings wurde das Museum vom lokalen ÖVP-Bürgermeister überraschend weitgehend leergeräumt –praktischerweise ganz knapp vor dem 90. Jahrestag des antifaschistischen Aufstands im Februar 1934. Da hätte es mit Sicherheit erneut Berichte über das Museum gegeben. Die Leihgeber:innen, die auf einmal ihre Exponante zurückverlangt hatten, waren laut Kurier (€ Paywall) Nachfahren von Dollfuß – sowie der niederösterreichische Bauernbund der ÖVP.

Katholischer Verbindungsstudent

Der junge Engelbert Dollfuß war offenbar ein begabter Schüler und bereits als Kind eng in kirchliche Strukturen eingebunden. Er wurde Schüler am „fürsterzbischöflichen Knabenseminar“ im niederösterreichischen Hollabrunn und sollte danach Priester werden. Nach einigen Monaten Theologie-Studium wechselte Dollfuß allerdings die Studienrichtung und begann mit einem Jus-Studium. Doch die Bindung zur katholischen Kirche blieb über sein gesamtes Leben lang aufrecht.

Schon früh begann sich der junge Dollfuß im politischen Katholizismus zu engagieren. Mit Beginn des Studiums wurde er auch Mitglied der katholischen Studentenverbindung Franco-Bavaria in Wien, einer Verbindung des katholischen Cartellverbands (CV). Der CV ist bis heute die Kaderschmiede der ÖVP, in seiner Jugendorganisation, dem Mittelschüler-Kartell-Verband (MKV), ist auch Bundeskanzler Nehammer Mitglied.

Erste Schritte in die Politik – sichtbar bis heute

Auf der Seite der Franco-Bavaria wird Dollfuß weiterhin völlig unkritisch präsentiert. Die Beteiligung von Mitgliedern der Verbindung an der austrofaschistischen Diktatur wird dazu als Tätigkeit „in verantwortungsvollen Positionen für Österreich“ hochgelobt. Und der MKV verwendet sogar bis heute die Fahne des austrofaschistischen Regimes (hier findet ihr meine Recherche dazu).

Nach dem Ersten Weltkrieg, wo sich Dollfuß militärisch ausgezeichnet hatte, ging es für ihn zurück nach Wien. Er wurde einerseits Sekretär beim Niederösterreichischen Bauernbund – heute eine Teilorganisation der ÖVP. Gleichzeitig wurde Dollfuß in dieser Zeit aber auch einer der Mitbegründer der „Deutschen Studentenschaft“.

Dollfuß war ein antisemitischer Agitator

Es war ein Zusammenschluss der katholischen und deutschnationalen Studentenverbindungen mit eindeutig antisemitischer und (proto-)faschistischer Ausrichtung. Und Dollfuß war innerhalb dieses Verbandes eindeutig verortet.

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Im deutschen Regensburg etwa tagte 1920 der „Cartellverband katholischer deutscher Studentenverbindungen“, wo auch die österreichischen CV-Verbindungen Mitglied waren. Dort brachte Dollfuß namens der Wiener Franco-Bavaria einen bezeichnenden Antrag ein: Er forderte ohne Erfolg, nur Studenten „deutsch-arischer Abstammung, nachweisbar bis auf die Großeltern“, in den Reihen einer katholischen Verbindung zu dulden. Dollfuß wollte also bereits 1920 einen „Arierparagrafen“. Es war kein einmaliger Irrweg.

Dollfuß arbeitet für einen antisemitischen Geheimbund

Denn Dollfuß begann in dieser Zeit auch, für das Büro einer antisemitischen Geheimgesellschaft in Wien zu arbeiten, der „Deutschen Gemeinschaft“ (DG). Die DG wiederum hatte enge Verbindungen zum ebenfalls antisemitischen „Deutschen Klub“ und auch zur „Bärenhöhle“. Das war ein geheimer Zusammenschluss von antisemitischen Professoren der Uni Wien. Das Ziel: Die Verhinderung von linken und jüdischen Professoren an der Uni.

Bei der „Deutschen Gemeinschaft“ knüpfte Dollfuß auch enge Verbindungen ins spätere Nazi-Lager – allen voran zum DG-Mitglied Arthur Seyß-Inquart. Also dem kurzfristigen österreichischen Nazi-Bundeskanzler im März 1938, bevor die Wehrmacht einmarschierte.

Deutsche Gemeinschaft mit den Nazis

Seyß-Inquart übernahm dann im Nazi-Terrorstaat führende Positionen in Polen und den Niederlanden, 1946 wurde er als einer der Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes in Nürnberg hingerichtet. Und die Begegnung zwischen Dollfuß und Seyß-Inquart war offensichtlich nicht nur eine flüchtige Bekanntschaft in der Jugend.

Noch nach der Niederschlagung des Februaraufstands 1934 trafen sich Dollfuß und Seyß-Inquart mehrmals, um eine Zusammenarbeit von Nazis und Austrofaschisten auszuloten. Ebenfalls Mitglied der DG war übrigens der steirische Bischof Alois Hudal, der nach 1945 von Rom aus die Flucht zahlreiche führender Nazi-Kriegsverbrecher über die sogenannte Rattenlinie organisierte.

Angriffe auf Jüd:innen, die jüdische Mensa und auf jüdische Geschäfte

Diese engen Verknüpfungen zwischen dem katholischen und dem Nazi-Lager waren keine Einzelfälle. Der Antimarxismus, der Antisemitismus und der Deutschnationalismus bildeten die gemeinsamen Klammern. Schon der Gründer der Christlichsozialen Partei, Karl Lueger, war ein offener Antisemit gewesen. Nicht zufällig bezeichnete ihn Hitler in „Mein Kampf“ als „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“. Und diese antisemitische Tradition zog sich im politischen Katholizismus durchgehend fort.

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Dollfuß machte währenddessen in der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer Karriere. Und organisierte parallel dazu seinen Aufstieg bei den Christlichsozialen (CS). Die hatten übrigens zu dieser Zeit noch überhaupt keine Berührungsängste mit den Nazis. Ganz im Gegenteil.

Mit den Nazis gegen Juden und Linke

Bei den Nationalratswahlen 1927 führten die CS sogar eine gemeinsame „Einheitsliste“ mit der deutschnationalen „Großdeutschen Volkspartei“ und einer Fraktion der damals in Österreich gespaltenen NSDAP. Der gemeinsame Feind: Die Arbeiter:innenbewegung und das „Rote Wien“.

Dollfuß bei einer Rede. Links von ihm mit Brille Leopold Figl, ÖVP-Bundeskanzler von 1945 bis 1953.

Nur vier Jahre später, 1931, wurde Dollfuß als Landwirtschaftsminister selbst erstmals Teil einer österreichischen Regierung. Es war eine Koalitionsregierung der Christlichsozialen mit der faschistischen Heimwehr-Bewegung sowie den Deutschnationalen.

Dollfuß 🖤Mussolini

Die beiden großen deutschnationalen Parteien, die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund, gingen bald danach gutteils in der NSDAP auf. Der wüst antisemitische Landbund spaltete sich: Ein Teil ging zu den Nazis, der andere zur austrofaschistischen „Vaterländischen Front“. Verschiedene Quellen schreiben übrigens, dass die ÖVP 1945 in ihrer Neu-Gründungsphase 1945 kurzfristig „ÖVP (Christlichsoziale und Landbund)“ geheißen hätte. Damit hätte sie sich sehr eindeutig in einschlägige, deutschnationale Traditionen gestellt. Eine diesbezügliche Anfrage bei der ÖVP blieb unbeantwortet.

Ein Jahr nach seinem Eintritt in die Regierung wurde Dollfuß dann selbst Bundeskanzler – und lehnte sich schnell an das Regime des italienischen faschistischen Diktators Benito Mussolini an. Der sollte gemeinsam mit dem ebenfalls rechts-autoritär regierten Ungarn die benötigte Unterstützung im Kampf gegen die Arbeiter:innenbewegung liefern.

Dollfuß putscht!

Im März 1933 schließlich putschten Dollfuß und die Christlichsozialen und lösten das Parlament auf. Dollfuß sprach danach zynisch von einer „Selbstausschaltung“ des Parlaments. Danach regierte der Kanzler diktatorisch mit einem Gesetz aus der Habsburger-Monarchie. Bald danach wurden die sozialdemokratische Parteimiliz Schutzbund, die KPÖ sowie die trotzkistische KPÖ-Opposition verboten. Politische Versammlungen wurden weitgehend untersagt, Zeitungen konnten nur noch zensuriert erscheinen.

1. Mai 1933: Das Militär verhindert den Wiener Maiaufmarsch.

Gleichzeitig folgten massive Angriffe auf soziale Rechte: Der 8-Stunden-Tag wurde aufgehoben, Streiken wurde verboten. Dazu begannen Entlassungswellen gegen Jüdinnen und Juden, etwa in Krankenhäusern. Und Dollfuß trat nun immer öfter in Uniform auf: Der nur 1,51 Meter kleine Mann versuchte, sich auf Massenversammlungen als neuer Führer zu inszenieren. Neben ihm auf der Bühne traten dabei häufig katholische Würdenträger auf.

Die Nazis als Vorbild

Ermutigt wurden Dollfuß und die CS offensichtlich vom Beispiel der Nazis. Die waren im Jänner 1933, also kurz zuvor, in Deutschland an die Macht gekommen. Ohne nennenswerten bewaffneten Widerstand der Arbeiter:innenbewegung. Österreichs Faschist:innen registrierten das sehr genau.

Dollfuß in Uniform

Alleine hätten die Nazis im Deutschen Reichstag übrigens keine Mehrheit für die totale Machtübernahme gehabt. Diese Mehrheit besorgten unter anderem die katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei, die den österreichischen Christlichsozialen sehr nahestanden.

Dollfuß sucht die Zusammenarbeit mit den Nazis

Dollfuß suchte noch in dieser Zeit den Ausgleich und die Kooperation mit den Nazis. Viele von ihnen kannte er ohnehin persönlich aus der Geheimorganisation „Deutsche Gemeinschaft“. Er wäre auch bereit gewesen, die Nazis an der Regierung zu beteiligen, wie der Historiker Kurt Bauer herausgearbeitet hat. Es hätte bereits mehrere Verhandlungsrunden zwischen Nazis und Christlichsozialen gegeben – die Gespräche scheiterten dann vor allem daran, dass die stärker werdenden Nazis zuerst Neuwahlen wollten, was die Christlichsozialen verweigerten.

Kein Wunder: Bei der letzten Gemeinderatswahl in Wien im April 1932 hatten die CS über 16 % verloren, fast die Hälfte ihrer Stimmen. Die Nazis dagegen zogen mit 17,4 % erstmals in den Wiener Gemeinderat ein. Historiker Bauer ist dabei übrigens wohl unverdächtig, eine allzu große „linke“ Schlagseite zu haben – immerhin bezeichnet er den Begriff „Austrofaschismus“ im Februar 2024 im „Kurier“ (€ Paywall) als linken „Kampfbegriff“. Damit kann Bauer wohl auch als Quelle gelten, wo selbst konservative Kritik schwerfallen wird.

Die NSDAP wird immer stärker – auf Kosten von Christlichsozialen und Deutschnationalen

Doch zurück zu den Wiener Wahlen und dem Wahlerfolg der Nazis! Bei der vergangenen Gemeinderatswahl in Wien hatten die CS noch gemeinsam mit den Großdeutschen kandidiert, die diesmal nicht mehr antraten – nun ging das rechts-bürgerliche Lager immer schneller zu den Nazis über. Die Arbeiter:innenbewegung dagegen blieb in Wien stabil.

Die Sozialdemokratie (SDAP) erhielt in Wien 59 %. Sie verlor zwar 1,3 %, doch gleichzeitig gewann die KPÖ genau im gleichen Ausmaß. Die Nazis dagegen hatten in den großen Arbeiter:innenbezirken ihre schwächsten Ergebnisse.

Quelle: Kurt Bauer

Und bei den letzten freien Wahlen der ersten Republik in Österreich, den Gemeinderatswahlen in Innsbruck im April 1933, wurden die Nazis mit 41,2 % sogar die stärkste Partei. Danach fanden keine weiteren Wahlen mehr statt.

„Sonderverhandlungen“ mit den Nazis

Der spätere NS-Vizebürgermeister von Wien, Thomas Kozich, zur damaligen Situation: „Dollfuß trachtete, seine Basis zu erweitern, und begann mit den Nationalsozialisten Sonderverhandlungen. Das Ziel dieser Verhandlungen war die Gründung einer österreichisch-faschistischen Front, was man sich so vorstellte, dass NSDAP und Heimwehren verschmelzen sollten.“

Dass die österreichischen Nazis durch immer heftigeren Terror und durch oft antisemitische Anschläge ihre Beteiligung an der Regierung erzwingen wollten? Es war offensichtlich kein Hindernis.

Die Christ-Faschisten wollen Hitler „überhitlern“

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Schließlich wurde aus der katholisch-faschistischen Heimwehr die Parole ausgegeben, Hitler müsse „überhitlert“ werden. Dollfuß am 25. März 1933 vor dem christlichsozialen Parlamentsklub: „Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazis versprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin gemildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selber machen.“

Im März 1933 kann dann auch der ungarische Außenminister Kálmán Kánya zu Besuch nach Wien. Der ungarische Historiker Lajos Kerekes hätte laut Historiker Bauer die Aussagen von Dollfuß bei diesem Treffen anhand der Akten des ungarischen Staatsarchivs wie folgt zusammengefasst: Wichtigstes Ziel sei, „die Sozialdemokraten unter allen Umständen in die Knie zu zwingen“. Stärkste Waffe in diesem Kampfe sei „die Furcht der Sozialisten, er könne sich mit ihrem erbittertsten Feind, mit den Nationalsozialisten, verbünden“.

Eine „braun-schwarze Koalition“

Sollte dieser Plan jedoch nicht gelingen, würde Dollfuß „einen Ausgleich mit den Nationalsozialisten versuchen“. Aus diesen Worten entnahm Kánya, dass der Kanzler letzten Endes mit einer braun-schwarzen Koalition rechnete. Exakt das sei Dollfuß‘ Masterplan von 1933/34 gewesen, so Bauer: „Ausgleich mit den Nationalsozialisten für den Kampf gegen den ‚jüdischen Marxismus'“.

Offiziell wurde die NSDAP zwar im Juni 1933 verboten. Danach wurde auch kurz an der Repressionsschraube gegen die Nazis gedreht. Es war nicht zuletzt ein Fraktionskampf zwischen jenen österreichischen Faschist:innen, die auf Mussolini setzten und denen, die es mit Hitler hielten.

Dollfuß hatte sich erst mal auf die Seite der Mussolini-Fraktion geschlagen, doch ganz rissen die Verbindungen ins andere Lager wohl nie ab. Trotz eines ersten Nazi-Attentats auf Dollfuß im Oktober 1933, damals wurde er durch zwei Schüsse leicht verletzt.

Radikaler Sozialabbau

Währenddessen krachte die Wirtschaft an allen Ecken und Enden. 1931 war die CA zusammengebrochen, die damals größte österreichische Bank. Weitere Banken waren in schwerer Schieflage. Die rechte Regierung versuchte, die Bank zu retten und internationale Kredite zu bedienen, statt die sozialen Nöte der Bevölkerung zu lindern.

Mitte 1932 folgen dann finanzielle Zusagen für Österreich bei der Völkerbundtagung in Lausanne. Dafür verpflichtete sich Österreich zu weiterem Sozialabbau – es erinnert nicht zufällig an spätere Programme des Internationalen Währungsfonds sowie an die EU-Troika in Griechenland.

Der Nazi als Völkerbund-Aufseher

Zur Aufsicht schickte der Völkerbund den Niederländer Meinoud Rost van Tonningen. Der blieb bis 1936 in dieser Funktion – danach wurde er ein zentraler Kader der niederländischen Nazi-Bewegung. Unter der Nazi-Besatzung war Rost van Tonningen dann der Leiter des niederländischen Finanzsektors.

Der Völkerbund-Mann sah in Österreich ein zentrales Hindernis bei der Umsetzung der Kürzungspläne: Die Arbeiter:innenbewegung, die 1932 zwar bereits in der Defensive war, aber noch nicht geschlagen. In sein Tagebuch notierte er: „Zusammen mit dem Kanzler [Dollfuß] und [Nationalbankpräsident] Kienböck haben wir die Ausschaltung des Parlaments für notwendig gehalten, da dieses Parlament die Rekonstruktionsarbeit sabotierte.“

Kampf gegen den „gottlosen Marxismus“

Im September 1933 hielt Dollfuß dann eine programmatische Rede auf dem Trabrennplatz in Wien-Leopoldstadt, also gleich neben dem Ernst-Happel-Stadion. Zentrales Thema des Diktators: Der Kampf gegen den „gottlosen Marxismus“.

„Das Gewehr des Arbeiters ist die beste Gewähr für den Frieden“

Ziel sei die „Überwindung des Parteienstaates“, stattdessen wolle er einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage unter starker autoritärer Führung“. (Wer Kurrentschrift lesen kann, kann die Rede hier im Original nachlesen, hier kann sie nachgehört werden.) Ständisch, das sollte bedeuten: Die verschiedenen Schichten und Klassen der Bevölkerung sollten brav in ihrer sozialen Gruppierung bleiben, „ständisch“ voneinander abgegrenzt.

Seine Rede schloss Dollfuß mit der Parole der Kreuzritter: „Gott will es!“. Diese Parole, im lateinischen Original „Deus (lo) Vult“, wurde übrigens während der rechten Corona-Aufmärsche wieder hervorgeholt. Ein Transparent mit diesem Slogan wurde etwa im Dezember 2021 bei einem FPÖ-geführten Corona-Aufmarsch in Wien mitgeführt.

Ab dem 12. Februar 1934 schließlich begann der kurze österreichische Bürger:innenkrieg. Meine ausführliche Analyse zum Februaraufstand könnt ihr hier lesen. Heute wird der Aufstand der Arbeiter:innen oft vor allem als Reaktion auf Waffensuchen der Exekutive dargestellt. Tatsächlich aber war in diesen Tagen allen Menschen in Österreich klar, dass die politische Entscheidung kurz bevorstand. Denn real waren es die Faschist:innen, die die Entscheidungsschlacht erzwangen.

Die Niederschlagung des Februaraufstands

Schon am 30. Jänner 1934 besetzen die Heimwehren Innsbruck. Am 06. Februar folgten Teile von Linz. Zahlreiche Führer des Schutzbundes wurden verhaftet, ab dem 8. Februar wurde dann auch das Wiener Vorwärts-Haus für zwei Tage besetzt, die Parteizentrale der Sozialdemokratie auf der Wienzeile.

Am 9. Februar schließlich erklärte Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg: „Die Tiroler Aufstandsbewegung, die ganz Österreich erfasst hat, stellt sich das Ziel, jedweder Demokratie in Österreich ein für allemal ein Ende zu machen.“ Sollte Dollfuß dazu nicht bereit sein, werde die Heimwehr die Sache „selbst in die Hand nehmen“.

Der verlorene Kampf

Die Opposition in der Sozialdemokratie hatte das bereits lange erkannt. Immer mehr Bezirksorganisationen forderten ab 1933 den bewaffneten Aufstand gegen den Faschismus. So hieß es etwa in einer Resolution des großen Wiener Arbeiter:innenbezirks Brigittenau im September 1933: Die „nächste und einzige Aufgabe des Proletariats“ wäre es, „den Kapitalismus zu stürzen und den Sozialismus aufzubauen“. Dazu wäre „der Kampf um die Staatsmacht gegen den Faschismus mit allen Mitteln, selbst mit den Mitteln der Diktatur, zu führen“. Ähnliche Resolutionen kamen aus vielen anderen Bezirken.

In Favoriten etwa wurde formuliert, dass nun endlich „mit einem Gegenangriff“ begonnen werden müsse. (Zitate aus: „Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg“, Wien 1989) Dennoch begann der Februaraufstand schließlich gegen den Willen der sozialdemokratischen Parteiführung. Die Kämpferinnen kamen vor allem aus dem Schutzbund sowie der oppositionellen Fraktion der Sozialdemokratie und ihrer Jugendorganisationen.

Dollfuß wollte vermutlich Arbeiter:innen vergasen

Es würde dann dieser Stelle zu weit führen, die Ereignisse im Februar 1934 ausführlich zu schildern. Hier könnt ihr meine Analyse dazu lesen. Nur so viel: Dollfuß hatte weder ein Problem, Artillerie auf Gemeindebauten feuern zu lassen noch mit Exekutionen und Erschießungen. Der schwer verletzte Schumachergehilfe und Schutzbündler Karl Münichreiter musste sogar eigens auf einer Bahre zum Würgegalgen getragen werden, damit die Faschist:innen ihn ermorden konnten.

Erst 2014 tauchte dann ein weiteres brisantes Dokument auf, das der linke Historiker Fritz Keller dem profil übergeben hatte: Dollfuß hatte offenbar am 13. Februar 1934 per Telefon die Anregung geben lassen, die Elektrizitätswerke in Wien-Simmering nicht zu stürmen, sondern überfallsartig zu vergasen, damit die Arbeiter:innen keine Gelegenheit hätten, die Maschinen zu zerstören.

Nazis und Kirche profitieren

Ein auffallender Fakt, der heute kaum thematisiert wird: Die Nazis hielten im Februar 1934 in Österreich komplett still, obwohl sie vorher die Regierung mit Serien von Bombenattentaten unter Druck gesetzt hatten. Kein Wunder: Sie profitieren direkt von der militärischen Zerschlagung der österreichischen Arbeiter:innenbewegung.

Februar 1934: Kanonen gegen Gemeindebauten

Apropos Profitieren: Bereits im Juni 1933 schlossen die Austrofaschist:innen einen Vertrag mit dem Vatikan ab, das sogenannte Konkordat. In diesem Konkordat wurde der römisch-katholischen Kirche auch das Recht zur Erteilung von Religionsunterricht in öffentlichen Schulen zugestanden. Der Staat würde es finanzieren. Dieser Vertrag der Faschist:innen mit dem Vatikan gilt in Österreich bis heute.

Die faschistische Verfassung: Ein vorweggenommenes Vermächtnis

Am 1. Mai 1934 schließlich proklamierte Dollfuß eine neue, faschistische Verfassung. Dazu marschierten katholische Geistliche und der Cartellverband in Wien auf. Dollfuß leitete seine Rede mit folgenden Worten ein: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk mit seinem christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“

Es ist ein vorweggenommenes Vermächtnis: Christlich – und damit in indirekter Abgrenzung zum Judentum -, deutschnational und mit einer ständischen Verfassung. Also: Ein faschistischer Klassenstaat. Am 25. Juli schließlich putschten Teile der österreichischen Nazis gegen den Austrofaschismus.

Das Ende von Dollfuß

Dollfuß wurde bei diesem Putsch im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz angeschossen und starb an seinen Verletzungen. Ob Dollfuß absichtlich getötet wurde oder ob es ein Unfall war, ist bis heute unklar. Doch es scheint sehr plausibel, dass die Nazis lieber den lebenden Dollfuß als Geisel genommen und per Radiodurchsage zum Rücktritt gezwungen hätten.

Mit diesem Putsch wollte die Hitler-treue Fraktion der österreichischen Faschist:innen Anton Rintelen als neuen Bundeskanzler durchsetzen. Und das ist ebenfalls bezeichnend. Denn der war nicht nur ehemaliger Landeshauptmann der Steiermark sowie Unterrichtsminister, sondern auch ein christlichsozialer Parteikollege von Dollfuß.

Das Erbe von Dollfuß und die heutige ÖVP

Doch der Putsch scheiterte. Hinter den Kulissen gab es dennoch weiter Gespräche und Verhandlungen mit den Nazis, wie Emmerich Tálos und Florian Wenninger in ihrer ausgezeichneten Studie über „Das austrofaschistische Herrschaftssystem“ herausgearbeitet haben. So hätte Kurt Schuschnigg, der Nachfolger von Dollfuß als Diktator, bereits im Oktober 1934 „eine größere Gruppe deutschnational orientierter Persönlichkeiten“ zu Gesprächen eingeladen. Obwohl Schuschnigg laut den beiden Historikern später selbst zugab, dass es „keine nichtnationalsozialistische ‚Nationale Opposition'“ gegeben hätte.

Austrofaschistische Schuschnigg-Propaganda

Im Nachgang versuchten die Christlich-Sozialen und danach die ÖVP, Dollfuß zum „Märtyrerkanzler“ und Helden hoch zu stilisieren. So wird etwa gerne behauptet, dass Dollfuß das erste Opfer der Nazis gewesen wäre. Das ist nicht nur faktisch falsch, es ist auch eine völlige Verharmlosung der Rolle des Diktators.

Dabei geht es klarerweise auch um die eigene Parteigeschichte und ihre Rechtfertigung. Denn faktisch ist die ÖVP nun einmal die Nachfolgeorganisation einer faschistischen Partei. Einer Partei, die sich in Österreich schon einmal an die Macht geputscht hatte. Und diese Geschichte ist offensichtlich bis heute tief in der DNA der ÖVP verwurzelt. Doch tatsächlich eignet sich Dollfuß sicherlich nicht für irgendwelche Opfermythen. Denn Dollfuß war selbst ein hochrangiger faschistischer Täter.

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