Ein Häftling aus der Justizanstalt Karlau muss ins künstliche Koma versetzt werden. Jetzt wird gegen einen Justizwachebeamten wegen schwerer Körperverletzung ermittelt. Vom Gefängnis angezeigt wird der Vorfall offenbar erst nach meiner Anfrage.

Was ist passiert und wer ist dafür verantwortlich? Es gibt viele Fragezeichen hinter einem Einsatz der Justizwache am 10. September in der Grazer Justizanstalt Karlau. Sicher ist: Am Ende des Tages ist ein Häftling so schwer verletzt, dass er sogar ins künstliche Koma versetzt werden muss. Und den Tag wohl nur knapp überlebt.

Am 10. September 2024 wird die Rettung in die Justizanstalt Graz-Karlau gerufen, es muss wirklich schnell gehen. Ein „laufender Krampfanfall bei einem bekannten Epileptiker“ war gemeldet worden, berichtet Stefan Loseries. Er ist der Sprecher des Roten Kreuz in der Steiermark. In acht Minuten sei die Rettung vor Ort gewesen. Der Patient, ein Häftling, hätte vor Ort einen Herz-Kreislaufstillstand gehabt. „Wir haben ihn mehr oder weniger zurückgeholt“, sagt Loseries.

„Wir hatten dann wieder Herzschlag“

Der Patient kann irgendwie stabilisiert werden: „Wir hatten dann wieder Herzschlag“, erzählt Loseries. Anschließend wird der Patient, nennen wir ihn Robert Leitner, so schnell wie möglich ins Landeskrankenhaus (LKH) Graz gebracht. Tatsächlich heißt der Patient anders, doch sein wirklicher Name soll und kann aus rechtlichen Gründen nicht genannt werden. Im Krankenhaus muss Leitner ins künstliche Koma versetzt werden.

„Der Patient liegt im künstlichen Tiefschlaf auf der Intensivstation des LKH-Univ. Klinikum Graz“, schreibt mir die Pressestelle des LKH am 18. September. Einige Tage später kann dann aufgeatmet werden.

Die tristen Außenmauern der Justizanstalt Graz-Karlau in einer älteren Ansicht. Bild: H.Moschitz – S.Partl, Lizenz CC BY 3.0

Robert Leitner überlebt und ist auf dem Weg der Besserung. Das sagt das Justizministerium auf meine Anfrage. Ein heftiger Einsatz – doch schwierige Rettungseinsätze sind Alltag. Das Problem: Es gibt sehr unterschiedliche Darstellungen darüber, was zuvor in der Justizanstalt Karlau passiert ist.

Am Anfang steht ein medizinischer Notfall

Aus dem Justizministerium wird der Vorfall folgendermaßen geschildert: Leitner sei im Zuge der täglichen Haftraumkontrolle in einem „akuten medizinischen Zustand“ vorgefunden worden. So berichtet es Ministeriumssprecherin Claudia Simon auf meine Anfrage. Justizwachebeamt:innen hätten bis zum Eintreffen des Notarztes Erste Hilfe geleistet.

Anschließend wäre Leitner zur Überwachung des weiteren Gesundheitszustandes in einen videoüberwachten Haftraum verlegt worden. Doch dort wäre es zu einem neuen medizinischen Notfall gekommen, „sodass umgehend das Notarztteam nochmal einrückte und Erste Hilfe leistete“, so Simon.

Justizministerium: „Mit verhältnismäßiger Gewaltanwendung“

Schließlich hätte der Notarzt empfohlen, die Person zur weiteren Behandlung umgehend ins Krankenhaus zu verlegen. Unklar bleibt, warum Leitner nicht bereits nach dem ersten Notfall in ein Krankenhaus verlegt wurde. Dort hätte ihm vermutlich deutlich besser geholfen werden können als in einem videoüberwachten Haftraum.

Im Zuge der Verlegung sei Leitner dann „plötzlich und unerwartet sehr aggressiv“ geworden, so Ministeriumssprecherin Simon. Er hätte die Anwesenden tätlich angegriffen. Laut Simon mussten die Justizwachtebeamt:innen Leitner „aufgrund des massiven aktiven Widerstands mit verhältnismäßiger Gewaltanwendung am Boden fixieren“.

Bild: Michael Bonvalot

Sagen wir es so: Dass jemand, der kurz zuvor kollabiert ist, plötzlich solche Kräfte entwickelt haben soll, ist zumindest merkwürdig. Die Ministeriumssprecherin kann da allerdings wenig machen: Sie gibt weiter, was ihr von den Beamt:innen vor Ort berichtet worden ist.

Ermittlungen gegen einen Justizwachebeamten wegen schwerer Körperverletzung

Es gibt es einen ganz bestimmten Grund, warum ich genau in diesem Fall nachbohre. Denn kurz nach dem Vorfall wird mir eine brisante Behauptung zugespielt: Leitner wäre am Hals verletzt worden.

Meine Quelle sagt: Es sei sogar notwendig gewesen, ihn zu reanimieren. Und es gäbe offene Fragen, wie Leitner verletzt worden sei. Der Verdacht: Ein Justizwachebeamter könnte verantwortlich sein. Meine Recherche dazu hat rund zwei Monate gedauert, immer wieder musste ich bei verschiedenen Behörden und Institutionen nachfragen, um endlich Antworten zu erhalten. Doch nun ist offiziell: Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt ermittelt wegen des Vorfalls gegen einen Justizwachebeamten.

Jetzt Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen! 

Der Vorwurf: „Schwere Körperverletzung unter Ausnutzung einer Amtsstellung“, wie Staatsanwaltschafts-Sprecher Markus Kitz am 7. November bestätigt. Ebenfalls ermittelt wird gegen Leitner. Für alle beim Vorfall beteiligten Justizwachebeamt:innen und auch für Leitner gilt die Unschuldsvermutung.

Über eine Halsverletzung will zuerst niemand etwas sagen

Während offiziell von „Verhältnismäßigkeit“ die Rede ist, klingeln intern offenbar bereits früh die Alarmglocken. Das LKH Graz bestätigt mir schon am 18. September eine „Meldung an die zuständige Staatsanwaltschaft“, auch Ministeriumssprecherin Simon bestätigt am selben Tag eine Anzeige.

Gleichzeitig schreibt Simon, dass derzeit „keine Anhaltspunkte für ein allfälliges Fehlverhalten eines Bediensteten“ bestünden. Doch die Verletzung am Hals kann oder will zuerst niemand bestätigen. Und die Medienstelle der Justizanstalt Graz-Karlau will zu dem ganzen Vorfall überhaupt nicht sagen – sie verweist auf das Justizministerium.

„… können wir Verletzungen im Halsbereich bestätigen“

Das Grazer Landeskrankenhaus und die Steiermärkischen Krankenanstalten (KAGES) halten sich anfänglich ebenfalls sehr bedeckt. Erst nach mehreren schriftlichen und telefonischen Anfragen erklärt die Pressestelle des LKH schließlich am 4. Oktober: „Seitens des Uniklinikum Graz können wir Verletzungen im Halsbereich bestätigen.“ Nähere Auskünfte zur Art der Verletzung dürften nicht erteilt werden, heißt es auf weitere Nachfragen.

Damit stellt sich eine entscheidende Frage: Wie wurde Leitner am Hals verletzt? Das Justizministerium sagt auf neuerliche Nachfrage: Zu allfälligen Verletzungen dürfe nichts mitgeteilt werden, um den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht vorzugreifen. Und: „Rückschlüsse, woher allfällige Verletzungen resultieren, bleiben der Prüfung und der laufenden Erhebung vorbehalten.“

Anzeige erst nach meiner Anfrage

Für den Fall war ursprünglich die Staatsanwaltschaft Graz zuständig. Doch von dort wurde der Fall inzwischen nach Klagenfurt abgegeben. „Zur Vermeidung jeglichen Anscheins der Befangenheit“, wie Christian Kroschl von der Staatsanwaltschaft Graz sagt.

Seitens der Staatsanwaltschaft Klagenfurt wird am 30. Oktober das Einlangen der Anzeige bestätigt (am 7. November werden dann auf nochmalige Nachfrage auch die Ermittlungen gegen den Justizwachebeamten bestätigt). Das Stadtpolizeikommando Graz sei nun mit Erhebungen beauftragt worden, sagt Sprecherin Tina Frimmel-Hesse. Angezeigt worden sei der Vorfall von der Justizanstalt Karlau. Und zwar am 18. September, so Frimmel-Hesse. Und das wiederum ist enorm auffallend.

Denn verletzt wurde Robert Leitner ja bereits am 10 September, also mehr als eine Woche zuvor. Doch: Exakt am 17. September hatte ich Presseanfragen an die Justizanstalt Karlau, das Justizministerium und die KAGES geschickt. Und genau am nächsten Tag erfolgt dann offenbar die Anzeige seitens der Grazer Justizanstalt.

„Hals und Wirbel sind tabu“

Du kannst das folgende Banner mit einem Klick auf das X wegdrücken und weiterlesen! Oder Du kannst davor noch Journalismus mit Meinung und Haltung unterstützen!

Halsverletzungen sind enorm gefährlich – deshalb sollten Beamt:innen hier auch speziell geschult werden. Der Rechtsprofessor Markus Thiel lehrt seit vielen Jahren an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Und Thiel sagt eindeutig: „Hals und Wirbel sind tabu.“

Dies würden Beamt:innen auch im Einsatztraining lernen. Die Gefahr von Wirbelverletzungen sei zu groß. Und: Es würde sehr rasch ein Erstickungsrisiko entstehen. Das zeigte etwa der Tod von George Floyd, der im Mai 2020 starb, nachdem ein weißer Polizist auf seinem Hals gekniet war. Mehrere Polizisten wurden zu teils langjährigen Hafstrafen verurteilt. Die Tötung von George Floyd war der Auslöser der Black Lives Matter-Bewegung.

Häftlinge revoltierten erst im Frühjahr

Probleme gab es in „der Karlau“ zuletzt erst im Frühjahr 2024. Die Grazer Justizanstalt ist eines der drei großen Gefängnisse in Österreich. Die beiden anderen: Garsten in Oberösterreich sowie das wohl berühmteste Gefängnis des Landes: Stein an der niederösterreichischen Donau (im Jargon: der „Felsn“). Es sind gleichzeitig auch die drei Gefängnisse in Österreich, wo auch langjährige Freiheitsstrafen vollzogen werden. Das ist zweifellos nicht nur einfache Kundschaft. Doch alle Häftlinge haben – immer und ohne Ausnahme – das Recht auf einen menschlichen Vollzug.

Ob diese Vorgaben in der Karlau immer gegeben sind, das ist umstritten. Erst im Frühjahr wurde bekannt, dass das Gefängnis bereits zu 110 Prozent ausgelastet ist. Das bedeutet: Es gibt mehr Insassen, als eigentlich vorgesehen und möglich. Dennoch sollten im April noch mehr Häftlinge ins Gefängnis gepresst werden, wie der Kurier damals berichtete. Häftlinge verfassten laut Kleine Zeitung ein Protestschreiben direkt an Justizministerium und protestierten gegen diese Pläne.

Die Probleme sind hausgemacht – und könnten gelöst werden

Die Reaktion von Anstaltsleiter Gerhard Derler: „Wir haben Räume, in denen jetzt drei Personen sind, da könnte man ein viertes Bett hineinstellen. Oder Räume für sechs Personen, die groß genug wären für ein siebentes oder achtes Bett oder ein Stockbett.“ Das klingt so harmlos – doch wie würde Anstaltsleiter Derler sich fühlen, wenn er selbst Tag für Tag in einer völlig überfüllten Zelle sitzen müsste?

Dass Menschen – die oft schwere psychische Probleme haben – unter solchen Bedingungen „auszucken“, dass Gewalt zum Problem wird: das darf dann niemanden mehr überraschen. Die Karlau als Symbol der Perspektivlosigkeit hat dabei einst sogar der – viel zu früh verstorbene – Willi Resetarits vulgo Ostbahn-Kurti musikalisch in seiner großartigen Milieustudie „Nachtschicht“ verewigt.

Es geht um eine heruntergekommene Bar, das Espresso Rosi. Eine der Gäste ist der Ferry – mit drei Kindern und der zweiten Frau, „ana Lehr als Tischler, kana Hockn (=Arbeit) und vier Jahr Karlau“. Seine triste Zukunft? Keine „Aussicht auf an Job und genug Marie (=Geld) zum Leben“.

Das könnte auch viel besser gehen

Was im österreichischen Justiz-Vollzug dringend notwendig wäre: Ein menschlicher Strafvollzug, eine sinnvolle Tagesstruktur, ausreichend Platz und Bewegungsmöglichkeiten sowie genügend und gesundes Essen. Dazu medizinische, sozialarbeiterische und psychosoziale Unterstützung, während und auch nach der Haft. Ein menschlicher Umgang mit Straftäter:innen ist übrigens auch der beste Opferschutz: Wenn Menschen traumatisiert und ohne Perspektive aus dem Gefängnis kommen, erhöht sich klarerweise auch die Gefahr weiterer Straftaten enorm.

Und sehr viele Fälle könnten auch ganz ohne Gefängnis gelöst werden. Das betrifft etwa den gesamten Bereich der Beschaffungskriminalität für illegalisierte Substanzen. Wenn diese Substanzen kontrolliert in Apotheken abgegeben würden, wäre der – völlig überteuerte – illegale Markt mit einem Schlag ausgetrocknet.

Über die Abgabe in Apotheken könnte dazu auch die Qualität kontrolliert werden. Für alle, die einwenden, dass Drogen doch nicht einfach abgegeben werden könnten: Die beiden Drogen, die in Österreich mit Abstand am meisten Leben zerstören, sind überall frei erhältlich: Nikotin und Alkohol.

Wir haben ein Recht, es zu erfahren

Was am 10. September in der Justizanstalt Karlau passiert ist, wird die Öffentlichkeit hoffentlich bald erfahren. Sicher ist das allerdings nicht. So ist etwa unklar, ob es tatsächlich eine durchgehende Videoüberwachung gegeben hat. Entsprechende Anfragen von mir wurden nicht eindeutig beantwortet. Und dann könnte Aussage gegen Aussage stehen, Gutachten müssten entscheiden.

Es ist absolut möglich, dass sich die anwesenden Justizwachebeamt:innen völlig korrekt verhalten haben. Doch die Frage bleibt im Raum: Wie wurde Robert Leitner am Hals verletzt? Führte der Einsatz zu dieser Verletzung? Und wer war dafür verantwortlich? Es geht immerhin um eine Verletzung, die möglicherweise sogar dazu führte, dass Leitner danach ins künstliche Koma versetzt werden musste.

Ein krankes Justizsystem

Gefängnisse sind gefährliche Orte. Häftlinge sind dort Übergriffen – auch durch Justizwachebeamt:innen – oft weitgehend schutzlos ausgeliefert. Immer wieder höre ich von Fällen, über die ich dann wegen des Quellenschutzes nicht berichten darf. Auch deshalb ist es so wichtig, was mit Robert Leitner passiert ist.

Weil Robert Leitner sinnbildlich für ein krankes Justizsystem stehen könnte. Und weil wir nicht wegsehen dürfen, wenn Menschenleben in Gefahr sind.

Diese Recherche war viel Arbeit. Wieviel ist Dir guter Journalismus wert?

Standpunkt.press wird ausschließlich über Deine Spenden finanziert. Schon ab fünf Euro kannst Du einen wichtigen Beitrag leisten. Und wenn Du standpunkt.press künftig monatlich unterstützt, können in Zukunft noch viel mehr Recherchen erscheinen. Vielen Dank!

• Spendenkonto – monatlich/einmalig:

IBAN: AT64 1420 0200 1026 2551
BIC: BAWAATWW
Easy Bank, 1100 Wien
Kontoinhaber: Michael Bonvalot
(Bitte die Mailadresse als Verwendungszweck, damit ich Dich bei technischen Fragen erreichen kann!)

• Kreditkarte und Paypal – monatlich/einmalig:



 

• Steady – monatlich: Klick hier für Steady!
[Steady zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

• Patreon – monatlich: Klick hier für Patreon!
[Patreon zieht hohe Gebühren ab, Bank/Paypal ist daher besser, wenn es Dir möglich ist!]

Vielen Dank für Deine Unterstützung!

Hast Du diesen Artikel lesenwert gefunden? Schick ihn jetzt weiter!