Der Wiener Nordwestbahnhof wird abgetragen, es entsteht ein neuer Stadtteil. Vor dem Abriss habe ich die Streetart und die verlassenen Gebäude für euch dokumentiert.

Es ist eine enorme Fläche, ganz nahe an der Wiener Innenstadt! Gleich neben dem Wiener Augarten, auf einer Insel zwischen Donau und Donaukanal, breitet sich das frühere Gelände des Nordwestbahnhofs auf rund 44 Hektar aus. Es ist das letzte große innerstädtische Entwicklungsgebiet in Wien. Heute ist das Areal noch eine riesige Gstettn, wie es in Wien heißt: Leerstehende Lagerhäuser, ungenutze Gleise und Stellwerke. Überall dazwischen Streetart, Graffiti, kreative Kunst. Ich habe das Gelände für euch besucht und zahlreiche Aufnahmen für euch gemacht!

Denn im Oktober hat der Abriss offiziell begonnen – und nun wird umgebaut: 16.000 Menschen sollen bis 2035 am Gelände des früheren Nordwestbahnhofs leben. Es ist das Ende der bewegten Geschichte: Einst war der Bahnhof sogar der zweitgrößte der ehemals sechs Wiener Kopfbahnhöfe. Von diesem 1872 eröffneten Bahnhof in der Brigittenau fuhren Züge in viele Ecken der K.u.K-Diktatur, aber auch nach Dresden und Berlin. Rund um den Bahnhof mit seinem prächtigen Gebäude siedelten sich auch viele Menschen mit jüdischer Biographie an – im angrenzenden 2. Bezirk, der Leopoldstadt, war das frühere Ghetto.

Bald bekam die Insel, auf der die Leopoldstadt und der 20. Bezirk, die Brigittenau, liegen, den Namen „Mazzesinsel“ – Mazzes, das ist ein ungesäuertes Brot aus jüdischer Tradition. Die Nazis haben dann zehntausende Bewohner:innen der beiden Bezirke vertrieben und ermordet.

Ein neuer Beginn – mit vielen offenen Fragen

Erst verwendeten die Nazis den Bahnhof noch für Propaganda-Ausstellungen. Doch nach der Niederlage der Nazis verlor der innerstädtische Bahnhof zunehmend an Bedeutung. Personenverkehr gibt es bereits bereits 1959 keinen mehr – und auch für den Güterverkehr spielt der Nordwestbahnhof seit vielen Jahren kaum mehr eine Rolle.

Stattdessen sollen nun rund 6500 Wohnungen am ehemaligen Bahnhof-Areal im 20. „Hieb“ entstehen. Dazu kommen rund 5000 Arbeitsplätze und auch eine große Schule. Fix ist, dass alle Wohnungen sich um ein großes grünes Band gruppieren sollen. Die Durchfahrt mit Autos dagegen soll nicht möglich sein. Viele andere Fragen sind aber noch offen, vor allem die Verkehrsplanung rund um das künftige Viertel. Die „BürgerInneninitiative Nordwestbahnhof“ etwa kritisiert „unzureichende Maßnahmen“ für den Fuß- und Radverkehr sowie viel zu wenig öffentliche Verkehrsmittel für das neue Stadtviertel.

Wenig Öffis, zuviele Parkplätze, hohe Mieten

Und tatsächlich sind viele Entscheidungen der Stadt nicht nachvollziehbar. So wurde etwa die Straßenbahnlinie O in das angrenzende (und bereits weitgehend fertige) Nordbahnviertel verlängert. Dort allerdings endet sie mitten im Nichts. Logisch wäre gewesen, die Linie gleich bis zum Friedrich-Engels-Platz in die Brigittenau zu verlängern. Damit hätten sowohl das Nordbahnviertel wie auch Teile des künftigen Nordwestbahnhofs am Umsteigknoten Handelskai an die U6, die S-Bahn-Stammstrecke sowie die S45 angeschlossen werden können.

Warum das nicht passiert ist? Hinter vorgehaltener Hand heißt es aus dem Rathaus, dass die SPÖ Brigittenau gegen den Wegfall von Parkplätzen durch den Straßenbahn-Ausbau agitiert hatte. Die mächtige Bezirkspartei stellt im Wiener Gemeinderat mit Erich Valentin auch den Vorsitzenden des wichtigen Ausschusses für Stadtplanung und Mobilität.

Besonders abstrus wirken solche Entscheidungen, weil im Gegenzug rund 2.500 unterirdische Parkplätze gebaut werden sollen. Laut der BürgerInneninitiative sehen die Projektunterlagen der ÖBB sogar bis zu 6.400 Stellplätze vor. Auf einem Areal, das fast im Zentrum von Wien liegt. Und mit der Folge, dass sich dadurch auch die Baukosten für die darüberliegenden Häuser erhöhen, was wiederum zu höheren Mieten führen wird. Sogar der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung der Stadt Wien empfiehlt „dringend“ eine Reduktion der Parkplätze.

Apropos hohe Mieten: Schon die sogenannten „geförderten Wohnungen“ in Wien sind enorm teuer. Doch sogar von diesen Wohnungen sollen am neuen Areal nur 3.900 enstehen, also rund 60 Prozent der Gesamtzahl. Der Rest? „Freifinanziert“ oder gleich als Eigentum – unleistbar für große Teile der Bevölkerung. Und das sind wichtige Debatten – denn jetzt fallen die Entscheidungen für die städtebauliche Entwicklung der nächsten Jahrzehnte.

Am Nordwestbahnhof ist davon heute allerdings noch nicht viel zu merken. Noch herrscht hier die Ruhe vor dem Sturm … eine Bildreportage!

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