Die Neos wollten in Wien Seilbahnen bauen. Jetzt wird die Schnapsidee wohl endgültig begraben. Doch auch für Innsbruck und Salzburg wünschen sich die Neos unsinnige Seilbahnen.
- Letztes Update: 17.04.2024
Wisst ihr, warum in europäischen Großstädten Seilbahnen nicht als Massen-Verkehrsmittel eingesetzt werden? Richtig. Weil die Idee absoluter Schwachsinn ist. Dennoch wollten die Neos gerne Seilbahnen in Wien. Der Vorschlag hat es sogar ins Regierungsprogramm von SPÖ und Neos geschafft. Was hier gebaut werden sollte, wie viel Geld dafür verpulvert werden könnte – und warum das absoluter Unsinn ist.
Nun hat auch die Stadt Wien erkannt: Ein „nutzbringender Einsatz“ einer Seilbahn zeichne sich in ganz Wien nicht ab. Das ist das Ergebnis einer Studie des Verkehrsplanungsbüros Komobile im Auftrag der Stadt. Der Standard hat als erstes berichtet. Laut Wiener Regierungsprogramm wurden zwei Varianten geprüft: Eine Seilbahn zwischen Hütteldorf und Ottakring. Und eine weitere zwischen dem Hauptbahnhof und dem geplanten Busterminal beim Ernst-Happel-Stadion in der Leopoldstadt.
Die Idee einer Seilbahn von Hütteldorf nach Ottakring hatte sich eigentlich ohnehin schon erledigt. Denn so sollte die neue private Universität CEU am Otto-Wagner-Areal angebunden werde, die dort neu errichtet werden sollte. Doch 2022 wurden diese Pläne ad acta gelegt, die CEU kommt nun nach Meidling.
Eine Uni mit einer Seilbahn versorgen?
Dennoch zeigen die CEU-Pläne bereits, wie unsinnig das Seilbahn-Projekt wäre. Auf der CEU sollten im Vollausbau gerade einmal rund 1500 Menschen studieren, dazu Lehrkräfte und Personal. Diese Menschen kommen und gehen über den ganzen Tag verteilt, nicht alle sind täglich auf der Uni. Kurz: Die CEU könnte locker – und vor allem wesentlich günstiger – mit Schnellbussen versorgt werden. Dazu stellen sich viele weitere Probleme, doch dazu später mehr.
Und viel effektiver wäre die Seilbahn auch nicht: In eine Gondel sollen laut Programm der Neos gerade einmal 15 Personen passen. Zum Vergleich: In einen modernen Gelenkbus der Wiener Linien passen 150 Personen. Die Seilbahn hätte in einer Stunde pro Richtung gerade einmal 2000 Personen befördern können. Doch statt Schnellbussen wurde die Machbarkeit eines komplett neuen Verkehrssystems für Wien geplant.
Gondeln für die Südosttangente
Wie absurd diese Idee ist, zeigt ein weiterer Vorschlag der Neos, der es ebenfalls ins Regierungsprogramm mit der SPÖ geschafft hatte. Vereinbart wurde die Prüfung der Machbarkeit „möglicher weiterer Seilbahnen, zum Beispiel entlang der Süd-Ost-Tangente (Hauptbahnhof, Arsenal, Busterminal).“ Das wäre also eine Seilbahn vom Hauptbahnhof zum geplanten neuen Busterminal beim Prater.
Am Hauptbahnhof kommen laufend Züge an, ein einziger Railjet der ÖBB hat 408 Sitzplätze. Kapazität pro Seilbahn-Gondel: 15 Personen. Übrigens: Zwischen Hauptbahnhof und dem geplanten Busterminal beim Stadion gibt es bereits öffentliche Verkehrsmittel. Die U1 und die S-Bahn fahren vom Hauptbahnhof zum Praterstern, von dort fährt die U2 direkt zum Stadion. Und da passen etwas mehr als 15 Personen rein. Diese Seilbahn solle aber vor allem gebaut werden, „um die Südosttangente zu entlasten“, so Wolfgang Gerold im Standard.
Gerold ist der Bezirkschef der Pinken in Wien-Penzing, auf seinem Mist ist die Seilbahn-Idee gewachsen. Die Südosttangente ist die meistbefahrene Autobahn des Landes. Dort fahren im Schnitt jeden Tag über 180.000 Fahrzeuge. Die will Gerold „entlasten“. Mit Gondeln je 15 Personen. Was den Autoverkehr auf der Tangente zurückgedrängt, sind Straßenbahnen und Züge für Pendler:innen. Aber sicher keine Seilbahn.
Kosten? Keine Ahnung. Aber richtig teuer
Wie viel das Ganze kosten soll, weiß niemand. Die Neos sprechen in ihrem Bezirksprogramm aus dem Jahr 2020 von 60 bis 75 Millionen Euro. Eine beachtliche Schwankungsbreite von 25 Prozent für eine angebliche Wirtschaftspartei. So ganz sicher sind sie sich da offenbar aber auch nicht.
2017 war noch von 55 bis 70 Millionen Euro die Rede. Einfach mal locker 5 Millionen drauf in drei Jahren. Warum die Zahlen so schwanken? Weil die Neos schlicht keine Ahnung haben, wie viel das Projekt tatsächlich kostet.
Woher Gerold von den Neos die Zahlen hat? Antwort: Er sei „nicht vom Fach“, die Zahlen habe er selbst zusammengesucht. Dazu habe es Gespräche mit Vertretern des Vorarlberger Seilbahnunternehmens Doppelmayr gegeben. Dort aber heißt es, die Zahlen hätten bestenfalls „Schätzcharakter“.
Mitten im dichtverbauten Gebiet
Tatsächlich ist die Zahl aber vermutlich viel zu niedrig gegriffen. Im teilweise dicht verbauten Gebiet müssten hohe Stelzen gebaut werden, dazu braucht es Platz für Stationen. Entweder sind die ebenfalls über den Dächern. Dann müssten in Hochlage barrierefreie Stationen mit Liften und allem Drum und Dran errichtet werden. Oder die Stationen kommen ebenerdig, das braucht noch mehr Platz.
In jedem Fall müssten vermutlich Flächen freigemacht werden, indem beispielsweise Häuser abgerissen werden. Eine der Stationen soll beim Wilhelminenspital errichtet werden, eine weitere beim Bahnhof Ottakring. Das ist dicht verbautes Gebiet. Wo sollen da Stationen entstehen? Bestenfalls sehr hoch und sehr teuer über der Erde. Apropos hoch über die Erde: Es wird spannend, wie es die BewohnerInnen finden, wenn ihnen riesige Stelzen vor die Fenster geknallt werden. Dazu ist das Otto-Wagner-Areal denkmalgeschützt.
All diese Probleme nennt 2024 auch das Verkehrsplanungsbüro Komobile in seiner Seilbahnstudie. Bei den Stadtseilbahntrassen würden erhebliche Raumwiderstände und Hürden erwartet, weil etwa private Grundstücke, dichtbebaute Siedlungen oder Schutzgebiete überflogen werden.
Kosten für den laufenden Betrieb
Die Vorstellung, dass sich die Errichtung dieser Seilbahn mit 70 Millionen Euro ausgeht, ist bestenfalls naiv. Dazu gibt es in Wien keinerlei Know-How für den Aufbau eines solchen Verkehrssystems. Das müsste alles zugekauft werden. Und hier sprechen wir nur von den Errichtungskosten.
Dazu kommen Kosten für den laufenden Betrieb, Wartung und Reparaturen. Auch hier gibt es bisher in Wien keinerlei Know-How, auch hier müsste teuer ausgebildet und zugekauft werden. Auf das Problem weist auch Verkehrsplaner Günter Emberger von der Technischen Universität (TU) Wien im Gespräch mit dem ORF hin: „Die Wiener Linien haben keine Erfahrung, das zu betreiben. Das heißt, man müsste die ganze Dienstleistung dazukaufen.“
Es fehlen ausgebildete Mechaniker und die ganze Hintergrundinfrastruktur, „jedes neue System, das in einer Stadt eingeführt wird, verursacht Kosten“. Auffällig ist dabei, dass die Neos ihre Seilbahn-Fantasien nicht nur in Wien vorantreiben, sondern auch in Innsbruck und Salzburg.
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Die Seilbahn-Fantasien der Neos in Salzburg und Innsbruck
In Salzburg etwa wollen die Neos eine Trasse von der Messe bis in die Altstadt entlang der Salzach – und damit das Erholungsgebiet an der Salzach mit Stelzen überbauen. Laut Neos wäre eine „Stadtseilbahn“ eine Alternative, falls der S-Link nicht gebaut wird. Das ist die heiß diskutierte unterirdische Lokalbahnverlängerung vom Salzburger Hauptbahnhof bis Hallein. Nur eines der zahlreichen Logik-Probleme beim Vorschlag der Neos: Eine Trasse entlang der Salzach von der Messe zur Altstadt würde den Hauptbahnhof nicht anbinden. Und wäre damit vor allem sinnlos.
Auch in Innsbruck treiben die Neos das Thema voran. Bei einer Podiumsdiskussion im Juni 2023 sei „man“ zu dem Schluss gekommen, „dass eine Seilbahn eine sinnvolle Ergänzung für das öffentliche Verkehrsnetz sein“ könne, berichten die Tiroler Neos auf ihrer Homepage. Diese Schlussfolgerung könnte sich allerdings auch durch die Zusammensetzung des Podiums erklären.
Denn einer der beiden Diskutanten war praktischerweise Reinhard Fitz. Und der ist der Leiter für den Bereich Internationale Geschäftsentwicklung beim Seilbahn-Hersteller Doppelmayr. Die Frage steht im Raum, welche Interessen die Neos hier verfolgen.
Wo Seilbahnen Sinn machen
Seilbahnen als Öffis werden heute erfolgreich etwa in Mittel- und Südamerika eingesetzt. Doch dort ist die komplette Verkehrssituation völlig anders. Mit den Seilbahnen werden meist (ehemalige) Elendsviertel in Hügellage erschlossen, wo es davor kaum bis keinen öffentlichen Verkehr gab. Und wo die Straßen oft gar nicht breit genug für reguläre Verkehrsmittel wären. Ein Beispiel dafür ist die bolivianische Hauptstadt La Paz, wo sich das derzeit weltweit größte städtische Seilbahnnetz befindet.
Die Seilbahn verbindet dort La Paz mit der – übrigens traditionell aufständischen – Vorstadt El Alto. Doch El Alto („Die Höhe“) liegt auf einem Hochplateau über der Stadt, dort leben knapp eine Million Menschen. Verkehrsexperte Emberger erklärt: „Da hat man aufgrund der Menge der Menschen gesagt, wir können nur eine Seilbahn drüber bauen. Es war steiles Gelände, gab keine Straßen. Die haben kein Straßenbahn- oder U-Bahn-Netz gehabt.“ Das ist offensichtlich etwas völlig anderes als die Privatuni auf den Otto-Wagner-Gründen in Wien-Penzing, die Trasse entlang der Tangente oder eine Verbindung in Salzburg und Innsbruck.
Auch dieses Thema spricht die Wiener Komobile-Studie an. Der Haupteinsatzzweck bei europäischen Stadtseilbahn-Ideen sei „so gut wie immer die Überwindung von topografischen Hindernissen wie Höhenunterschiede oder Gewässer“. Doch bei den zwei Projektideen in Wien konnten laut Studie keine topografischen Barrieren identifiziert werden, die nicht mit einer Optimierung oder Ausweitung bereits bestehender Öffi-Systeme überwunden werden können. Straßenbahnen und Busse würden sich „generell besser zur Erweiterung oder Verbesserung“ des Öffi-Systems eignen.
Ein Argument von Seilbahn-Befürworter:innen ist der Großraum Paris, wo bis 2025 im Département Val-de- Marne im Südosten der Hauptstadt eine 4,5 km lange Seilbahn gebaut werden soll. Doch hier geht es laut dem Fachmagazin „Seilbahnen international“ um ein Einzugsgebiet mit gerade einmal 20 000 Einwohner:innen. Und auch hier zeigen sich die immensen Kosten: Das Projekt ist offiziell mit 132 Millionen Euro budgetiert. Zum Vergleich: Ein Kilometer Straßenbahn kostet in der Errichtung je nach Trasse gerade einmal zwischen 10 und 20 Millionen Euro.
Teures Begräbnis erster Klasse
Es ist offensichtlich, dass die Seilbahn-Fantasie ein bewusster Spin der Neos ist. Bereits vor der offiziellen Präsentation des Regierungsprogramms im Jahr 2020 wurde die Idee an die Medien gespielt – die sie dankbar aufgenommen haben. Offenbar hat die SPÖ den Neos hier ein wenig billige Medienpräsenz gegönnt.
Bereits 2020 schrieb ich: „Vermutlich wird die Seilbahn-Idee in Wien ohnehin verworfen werden: Im Regierungsprogramm steht, die Machbarkeit würde ‚geprüft‘. Das ist vermutlich ein Begräbnis erster Klasse. Doch bereits solche Machbarkeitsstudienkosten kosten oft viel Geld. Geld das wesentlich vernünftiger in neue Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen investiert werden könnte.“ Und genau das ist im April 2024 eingetreten. Viel öffentliches Geld wurde hier für eine Schnapsidee verbrannt.
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