„Das sind ja vor allem Wölfchen, keine Wölfe“, sagt eine Kollegin am Rande der faschistischen Provokationen in Wien-Favoriten zu mir. Sie hat völlig Recht. Es fällt auf, wie jung viele Angreifer sind. Warum ist das so? Und was tun? Teil 5 der Serie über die Wölfe.

TikTok ist eine Plattform für junge UserInnen. Für sehr junge UserInnen. Und genau dort erfolgte teilweise auch die Organisierung der jungen FaschistInnen und NationalistInnen. Unter Schlagworten wie #reumannplatz oder #viyana (Wien) finden sich zahlreiche Bilder und Videos auf der Plattform.

Zu den erfolgreichsten InfluencerInnen auf TikTok gehörten die deutschen Zwillinge Lisa & Lena, bevor sie sich 2019 vorerst von der Plattform verabschiedeten. Mit 17 fühlten sie sich offenbar bereits zu alt für die Plattform. Die altersmäßige Zusammensetzung vieler Angreifer bei den faschistischen Angriffen in Wien im Juni 2020 entspricht diesem Bild.

Religion, Faschismus, Erdoğan

Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an den Provokationen teilnahmen, können wohl am besten als gemischtes religiös-faschistisches Milieu betrachtet werden. In Favoriten waren etwa fast permanent Wolfsgrüße zu sehen. Dazu wurde aber auch laufend die religiöse Parole Allahu akbar („Gott ist am größten“) gebrüllt. Doch gleichzeitig gab es auch Pro-Erdoğan-Sprechchöre.

Auf TikTok etwa kursiert ein Video vom Donnerstag der Provokationen, dem 25. Juni – ich war ebenfalls vor Ort und bin auf dem Video zu sehen. Die jungen Rechten skandieren als Parole den Namen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan – gleichzeitig zeigen sie Wolfsgrüße. In Teil 2 der Serie könnt ihr lesen, an welchen Symbolen ihr die Wölfe noch erkennen könnt.

Auch in der Türkei selbst vermischen sich diese Milieus immer mehr. Politisch repräsentiert werden sie einerseits von der MHP, der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Das ist die politische Partei der Wölfe. Andererseits von der Partei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung). In der Türkei bilden diese beiden Parteien eine enge strategische Allianz. Alles über die Geschichte der Wölfe könnt ihr in Teil 1 der Serie lesen.

In Österreich eine Rolle gespielt haben könnte auch die BBP, die Partei der großen Einheit. Das ist eine mehr religiös ausgerichtete Abspaltung der Wölfe, die auch über Strukturen in Favoriten verfügt. Wie die Grauen Wölfe und ihre Abspaltungen in Österreich organisiert sind, könnt ihr in Teil 3 der Serie lesen.

Wie organisiert waren die Proteste?

Offiziell würde wohl niemand aus der türkischstämmigen Rechten zugeben, dass die Provokationen in Favoriten organisiert worden sind. Allerdings fielen über die mehrtägigen Aggressionen immer wieder die gleichen Personen auf, die mit Handy und offenbar in zentraler Rolle in der ersten Reihe standen.

Ein Video vom 26. Juni, das mir vorliegt, zeigt während der Zusammenrottung auf der Favoritenstraße eine längere Diskussion, vermutlich über das weitere Vorgehen. Auch ein mutmaßlich etwas älterer Mann mit Anzug und Krawatte ist involviert. Er spricht sowohl mit einzelnen Jugendlichen wie mit der gesamten Gruppe. Am Schluss gibt es offenbar Anweisungen durch mehrere Männer, auch durch jenen mit Anzug. Danach zieht die Gruppe geschlossen weiter.

Für die Provokationen am Freitag, dem 26. Juni, könnte sogar bundesweit mobilisiert worden sein. Auf Twitter schreibt ein User dazu: „Ich sitz mit einem ganzen Arsch voll grauer Wölfe im Railjet“. Als er in Linz in den Zug gestiegen wäre, wäre die Gruppe bereits im Zug gesessen. Einige hätten sogar mit deutschem Dialekt gesprochen.

Die Rolle der rechten Organisationen

Was ebenfalls für eine Organisierung spricht: Am letzten Tag der faschistischen Provokationen, dem Freitagabend, hatten relativ gleichlautend und ziemlich zeitgleich vier Akteure via Facebook dazu aufgerufen, die Provokationen zu stoppen: Der Wölfe-Dachverband ATF, die ATF-Jugend, die Wiener Niederlassung der Wölfe-Abspaltung „Große Einheitspartei“ (BBP) sowie die Vakıf Moschee am Favoritner Antonsplatz. Davor hatten sie alle über Tage geschwiegen.

Aufruf des Wiener „Heldenherds“ der BBP an Jugendliche, die Provokationen zu beenden.

Zum Antonsplatz hatten sich die faschistischen Provokateure immer wieder zurückgezogen. Und genau dort betreibt die BBP mit dem „Alperen Ocakları“ einen eigenen Jugendklub. Ocakları bedeutet Herd, so bezeichnen die Faschisten ihre Zentren. Und auch die Vakıf Moschee am Antonsplatz kann dem Milieu der BBP zugeordnet werden.

Die ATF (Türkische Föderation in Österreich / Avusturya Türk Federasyon) hatte gar behauptet, „dass die Beteiligten in keinster Weise in Beziehung“ zu ihr stehen würden. Und genau nach diesen Aufrufen wurde die linke Demonstration am Samstag erstmals nicht von faschistischen Provokationen begleitet. Tatsächlich zeigt der Erfolg dieser Aufrufe vor allem den Einfluss der Organisationen auf die Proteste in den Tagen davor.

Sind alle diese Jugendliche Faschisten?

Mit Sicherheit waren nicht alle Jugendlichen, die an den faschistischen Aggressionen teilnahmen, politische Kader. Und mit Sicherheit kann nicht bei all diesen Jugendlichen von einem gefestigten politischen Weltbild ausgegangen werden. Teilweise wirkten die Provokationen für einige der Jugendlichen fast eher wie eine Abwechslung vom Alltag und wie ein willkommenes Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.

Wir sollten aber gleichzeitig nicht relativieren, sondern die politischen Selbstzuschreibungen von Menschen ernst nehmen. Bei jungen Linken würde ja auch niemand auf die Idee kommen, ihnen ihre politischen Überzeugungen abzusprechen.

Gefahr für die Betroffenen bleibt

Und wir sollten uns nicht täuschen lassen: Es konnten vermutlich auch nicht alle freiwilligen Mitglieder der HJ das gesamte Parteiprogramm der NSDAP referieren. Das macht sie aber um nichts weniger gefährlich. Das zeigt bereits die einschlägige Musik-Subkultur der Wölfe. Im März 2014 wurde etwa ein Video aus Ried im Innkreis bekannt, wo junge Graue Wölfe rappend mit Pistolen und Messern posieren.

Schließlich: Wie gut die faschistischen SympathisantInnen ihre jeweilige Ideologie erklären können, ändert nichts an der konkreten Gefahr für die Betroffenen der Angriffe – etwa beim Angriff auf das EKH, beim Angriff auf den Journalisten Nurettin Civandağ oder beim Angriff auf TeilnehmerInnen der Demonstration am 26 Juni.

 

Warum sind die FaschistInnen für Jugendliche attraktiv?

Politische Traditionen werden, wie überall, oft über Generationen weitergegeben. In Wien etwa stammen viele türkischstämmige Menschen aus der zentralanatolischen Provinz Yozgat, die traditionell als rechte Hochburg gilt. Dort bekam die MHP bei den Wahlen 2018 knapp ein Viertel der Stimmen. Teilweise muss also von verfestigten rechten Milieus gesprochen werden. In diesen Milieus ist auch anti-kurdischer und anti-armenischer Rassismus stark verankert.

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Dazu bieten die FaschistInnen auch traditionelle Rollen- und Gesellschaftsbilder. Mann-Sein und Männlichkeit wird überhöht und gefördert. Das kann gerade für junge Männer sehr attraktiv sein: Immerhin profitieren sie von einem Gesellschaftsbild, wo sie als überlegenes Geschlecht gelten.

Der Rassismus der Mehrheit stärkt die FaschistInnen

Im migrantischen extrem rechten Milieus kommt aber noch ein wesentlicher Faktor dazu: Der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft. In Österreich fühlen viele Menschen mit Migrationshintergrund permanent, wie sie als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Ich habe das selbst als Jugend-Sozialarbeiter in Wien-Favoriten über viele Jahre erlebt.

Diese Jugendlichen fühlen sich in Österreich (absolut begründet) oft nicht willkommen – obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind. Gleichzeitig ist aber auch eine Übersiedlung in die Türkei keine Alternative. Was sollten sie dort auch tun?

Die jungen SympathisantInnen der Wölfe sind WienerInnen und ÖsterreicherInnen und leben zumeist in zweiter oder gar dritter Generation in Österreich. Hier ist ihre Heimat, hier sind ihre sozialen Bindungen, hier sind ihre FreundInnen, hier sind ihre Familien. Die Türkei kennen sie nur aus dem Urlaub und sind dort bestenfalls die „Almancilar“, die Deutschen (die oft auch nicht besonders gut Türkisch sprechen). Diese Zwischenwelt beschreibt wohl am besten das türkische Wort „köksüz“: Sie sind „wurzellos“.

Wurzeln in der Wurzellosigkeit

Und genau in diese Zwischenwelt stoßen die Wölfe vor. Sie bieten eine verzerrte und idealisierte Darstellung der Türkei, die die meisten jungen Menschen gerade einmal als Urlaubsland kennen (und im Urlaub ist vieles schöner und einfacher als im Alltag). Sie bieten Wurzeln in der Wurzellosigkeit. Das Angebot der Wölfe umfasst damit nicht nur soziale Treffpunkte, Kultur, Musik und Sport. Die Wölfe bieten auch nationalistischen Stolz als Gegenpol zu Erniedrigungen im rassistisch geprägten Alltag.

Genau das macht übrigens auch Forderungen nach Abschiebungen, wie sie nun gelegentlich ertönen, so widersinnig. Wer jetzt „Abschiebung“ ruft, macht genau das, was die Kader der Wölfe erhoffen: Die rassistische Erniedrigung weiter verstärken. Darauf kann das nationalistische Angebot der Wölfe dann aufbauen. Zum Nachdenken: Es würde ja auch niemand die Forderung erheben, FPÖ-WählerInnen abzuschieben. Wer hier aber ungleich behandelt, geht bereits den Weg in den Rassismus.

Kann Sozialarbeit helfen?

Vor allem im persönlichen Umgang mit Bekannten und KollegInnen, aber auch für die Sozialarbeit oder für LehrerInnen bedeutet das den Versuch, sich auch in die Lebenswelt dieser Jugendlichen hinein zu versetzen. Ich selbst habe etwa als Sozialarbeiter in Favoriten sehr oft mit türkischstämmigen Jugendlichen auch über die Wölfe, über Nationalismus, über Kurdistan diskutiert (und bekam deshalb auch Drohungen der Wölfe übermittelt).

Immer wieder haben sich nach diese Diskussionen bei diesen Jugendlichen auch Veränderungen gezeigt. Möglich wurden diese Gespräche aber nur, weil diese Jugendlichen von Beginn an von meinem klaren Auftreten gegen Rassismus wussten. Gewarnt werden muss auch vor Konzepten der sogenannten „akzeptierenden Jugendarbeit“, wie sie jetzt von AKP-nahen Personen in Österreich verlangt werden.

Die Rechte will jetzt die Sozialarbeit beeinflussen

So beklagt etwa Hakan Gördü von der neuen Kleinpartei „Soziales Österreich der Zukunft“ (SÖZ), dass Jugendliche in Jugendzentren negative Erfahrungen mit „PKK-affinen“ Sozialarbeitern machen würden. Diese würden etwa nicht akzeptieren, wenn jemand nicht kritisch gegenüber Präsident Erdoğan sei.

Die Forderung ist wohl nicht ganz uneigennützig: Gördü ist der ehemalige Vizechef der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Und was Gördü hier fordert, ist eindeutig: Eine Sozialarbeit, die ausschließlich Versorgungsaufträge übernimmt. Die türkischstämmige Rechte von den Wölfen bis zur AKP würde zweifellos begeistert in die Hände klatschen. Mehr zur Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen könnt ihr hier lesen.

Was tun?

Die Grauen Wölfe in Österreich gewinnen Jugendliche einerseits über verfestigte politische Traditionen, über Männlichkeit und über Rassismus. Dazu kommen soziale Angebote vom Sportverein bis zum Computerspiel-Turnier. Der Erfolg der Wölfe hat aber auch viel mit der politischen Situation und dem Rassismus in Österreich zu tun. Und somit werden wir uns auch in Österreich politisch damit auseinandersetzen müssen.

Ansatzpunkte für Gespräche mit jungen SympathisantInnen gibt es zweifellos nur unter der Bedingung des konsequenten Anti-Rassismus. Ein Zurückweichen oder eine Relativierung von Rassismus, Faschismus, Sexismus oder Homophobie darf es dabei aber natürlich niemals geben.

Sinnlos ist dagegen naturgemäß eine Diskussion mit faschistischen Kadern. Ebenfalls klar ist: Sozialarbeit oder Pädagogik befinden sich gegenüber diesen Jugendlichen in einer anderen Situation als jene Menschen aus Kurdistan, der Türkei und Österreich, die von (jungen) Faschisten unmittelbar bei Demonstration angegriffen werden. Dort bedeuten sie eine reale Gefahr – und die Linke wird sich selbst, ihre Demonstrationen und ihre Strukturen schützen müssen.

[Update 05.07.2020: TikTok-Video mit Erdoğan-Sprechchören eingebaut und verlinkt.]

Die gesamte Serie:

Teil 1: Die Grauen Wölfe. Woher kommen sie und warum sind sie so gefährlich?
Teil 2: Die Grauen Wölfe: Wie ihr sie erkennen könnt und warum der Wolf so wichtig ist
Teil 3: So sind die Grauen Wölfe in Österreich organisiert
Teil 4: Welche Verbindungen haben ÖVP-Favoriten und Graue Wölfe?
Teil 5: Faschistische Jugend: Die Grauen Welpen aus Favoriten
Teil 6: Warum sind die Proteste in Favoriten gerade jetzt eskaliert?
Teil 7: In diesen Städten haben die Grauen Wölfe in Österreich ihre Treffpunkte

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