Im Wahlkampf 2016 sorgte ein Buch des FPÖ-Ideologen Michael Howanietz für Aufregung. Unter der Herausgeberschaft von FPÖ-Kandidat Norbert Hofer wurden dort reaktionäre Dorf-Ideale mit Sexismus und Rassismus verknüpft. Am 21. Februar wurde Howanietz zum stellvertretenden Bezirksvorsteher im Wiener ArbeiterInnenbezirk Brigittenau gewählt. Für ihn stimmten unter anderem offenbar auch große Teile der SPÖ.
Der große Sitzungssaal im Amtshaus Brigittaplatz in Wien-Brigittenau ist am Mittwochabend gut gefüllt. Neben 52 der 56 gewählten BezirksrätInnen haben sich auch zahlreiche Gäste eingefunden, ein Gutteil davon der SPÖ sowie der FPÖ zuzuordnen. Sogar die Polizei ist mit drei BeamtInnen präsent. „Falls es Proteste von der Sozialistischen LinksPartei gibt“, erklärt ein Polizist auf meine Nachfrage. Die trotzkistische Organisation ist im Bezirk bereits seit Langem aktiv.
Der Grund der Aufregung? Heute soll ein neuer stellvertretender Bezirksvorsteher für den traditionellen Wiener ArbeiterInnenbezirk gewählt werden. Und die FPÖ hat dafür einen ihrer Bezirksräte, den Rechtsaußen-Ideologen Michael Howanietz, nominiert.
Aufregung im Wahlkampf
Diese Kandidatur ist eine überraschende Entscheidung in der Großstadt Wien. Denn Bezirksrat Howanietz kann nicht unbedingt als Parademodell für einen Bezirksvorsteher in einem städtischen Milieu gelten. Im Gegenteil könnten seine ideologischen Ziele eher als bäuerlich-reaktionäre Dorf-Fantasien verstanden werden.
Seine Überzeugungen publizierte Howanietz 2013 ausführlich in seinem Werk „Für ein freies Österreich. Souveränität als Zukunftsmodell“. Herausgegeben wurde das Buch vom FPÖ-Parlamentsklub, als Herausgeber fungiert der ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat und jetzige Verkehrsminister Norbert Hofer. Als das „Lower Class Magazine“ das Buch im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 ausgrub, sorgte es für Aufregung, alle wichtigen Medien berichteten.
Steinzeitprägung
Vorworte zum Buch steuerten sowohl Hofer wie FPÖ-Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei. Die Herausgeberschaft und die hochkarätigen Vorworte deuten dabei bereits an, dass Howanietz in der FPÖ ideologisch nicht gänzlich unwichtig ist. Mit der modernen Gesellschaft können Howanietz und die FPÖ dabei offenbar wenig anfangen. Der Mensch würde eben „immer noch nach Steinzeitprägung“ funktionieren, so der FPÖ-Ideologe.
Die Lösung für Howanietz: „Archaisch siegt!“ Sonst sei der „konfliktscheue, verwöhnte, überalternde, chronisch von tausenden Reizen überflutete und abgelenkte Mitteleuropäer auf bestem Weg zu einer bedrohten Spezies“. Das Problem, so Howanietz: die „radikalislamisch bis islamistisch geprägten Gesellschaften“ seien „in maßgeblichen Facetten ihrer Lebenstüchtigkeit (…) um Welten überlegen“.
Der feindliche Zwilling der Rechtsextremen hätte noch eine „straffe Glaubensausrichtung“ sowie „Kinderreichtum, Zugehörigkeits- oder Sendungsbewußtsein“. Etwas, was „hierzulande als ,altvaterisch‘, ,mutterkreuzlerisch‘ oder schlicht überflüssig verfemt“ sei, so Howanietz sehnsüchtig.
Landleben schmackhaft machen, sagt Stadtpolitiker
Doch auch auf anderen Ebenen zeigt sich Howanietz rückschrittlich – vor allem die vorgeblichen Probleme des Stadtlebens haben es ihm angetan. „Das Stadtleben bedeutet für den Menschen Streß“ heißt es etwa oder „Das Stadtleben befördert auch die (gewünschte?) Entmenschung“. In der Stadt gäbe es einfach zu viel „Dichtestreß“.
Howanietz präsentiert auch ein Gegenmodell: „Die Politik hat den Bürgern das bäuerlich inspirierte Landleben schmackhaft zu machen.“ Beachtliche Worte für jemanden, der nun stellvertretender Bezirksvorsteher eines dicht besiedelten Bezirkes mit knapp 90.000 EinwohnerInnen in der Großstadt Wien ist.
Schließlich macht sich Howanietz noch zum Verteidiger der österreichischen Betriebe gegen internationale Konkurrenz. „Ebenso ist es der falsche Weg, die heimischen Klein- und Mittelbetriebe ihrem Schicksal zu überlassen und stattdessen multinationalen Konzernen zu willen zu sein“, schreibt er.
Verteidiger des österreichischen Kapitals
Was Howanietz allerdings „vergisst“ zu erwähnen: Auch die multinationalen Konzerne, die er kritisiert, waren einmal kleinere Betriebe. Und die meisten der von Howanietz gelobten „kleinen“ österreichischen UnternehmerInnen würden sich wohl nicht dagegen wehren, wenn sie plötzlich „große“ Milliardengewinne machen könnten.
Howanietz klammert in seinem Wunsch nach der Rückkehr zur nationalen Scholle schlichtweg die zentrale Konzeption der kapitalistischen Wirtschaft aus, die wie ein Monopoly-Spiel auf Wachstum oder Untergang beruht.
Brutpflege und Verweiblichung
Frauen haben im gesellschaftlichen Konzept von Howanietz einen klaren Platz. Es gäbe eben ein evolutionäres Konzept, „das sich an biologischen Gegebenheiten orientiert: der von keiner anderen Emotion überragbaren Mutter-Kind-Bindung und des mütterlichen Brutpflegetriebes einerseits sowie des Vaters als Versorger und Beschützer der Familie“.
Burschen hingegen fehlten durch die „Verweiblichung“ ihres Erziehungsumfelds „maskuline Prinzipien wie Abgrenzung, Außenausrichtung oder Durchsetzung“. Kindern mangele es an Vorbildern, die „soldatische Tugenden“ vermitteln, und an einem familiären Umfeld, in dem „Ehre“ und „Treue“ noch nicht als Schimpfworte verkommen sind.
Migration oder Internationalität haben in einem solchen Weltbild naturgemäß ebenfalls keinen Platz. „Fremde Einflüsse“ sollten insgesamt bestenfalls in „homöopathischen Dosen verabreicht werden“. Sogar für Pizza oder Spaghetti sieht es also künftig schlecht aus, wenn es nach dem FPÖ-Ideologen geht.
Gewählt mit Stimmen der SPÖ
Dass die FPÖ in Wien-Brigittenau nun Michael Howanietz für ihre wichtigste öffentliche Funktion auf Bezirksebene aufgestellt hat, könnte im ersten Moment überraschen. Immerhin könnte sich dieser in der Stadt ja sehr unwohl fühlen, wir erinnern uns an den „Dichtestress“. Allerdings muss ohnehin unbeantwortet bleiben, ob die anderen FPÖ-BezirksrätInnen in Wien-Brigittenau das Buch von Howanietz jemals in der Hand hielten oder verstanden hätten.
Die grüne Bezirksrätin Negar Roubani jedenfalls sagt, er sei „einer der wenigen Bezirksräte der FPÖ, der auch ein paar Worte von sich geben kann. Die anderen trauen sich nicht zum Rednerpult, schreien vor allem von hinten heraus.“ Für Roubani kann Howanietz als „das Gehirn der FPÖ Brigittenau gelten“.
Die Wahl ist am Mittwoch gleich der erste Tagesordnungspunkt. Im Bezirk gibt es 56 Mandate, 52 anwesende MandatarInnen sind stimmberechtigt, Howanietz erhält 37 Stimmen, sechs BezirksrätInnen stimmen mit Nein, neun Stimmen sind ungültig. Zum Vergleich: die FPÖ selbst hat im Bezirk gerade einmal 18 Mandate (davon fehlt eine Person bei der Abstimmung). Die restliche Verteilung: SPÖ: 25 Mandate (drei Personen fehlen), Grüne: 7, ÖVP: 3, NEOS: 2, GfW 1 Mandat (eine kleine Liste, die der türkische Regierung nahe steht).
Die BezirksrätInnen der FPÖ werden vermutlich fast oder gänzlich vollständig für ihren Kandidaten votiert haben. Die Grünen haben nach Aussage von Roubani gegen Howanietz gestimmt, wobei allerdings mindestens eine Person „umgefallen“ sein muss, sich also entweder enthalten hat oder zugestimmt.
FPÖ und ÖVP halten gemeinsam bei 21 Mandaten, mit den NEOS sind es 23. Sogar wenn hier alle für Howanietz gestimmt hätten, muss ein relevanter Stimmenanteil von der Sozialdemokratie gekommen sein (das gilt auch für den Fall, dass weitere Grüne anders gestimmt hätten als offiziell angegeben).
FPÖ-Stimmen hätten gereicht
Tatsächlich steht der zweitstärksten Fraktion zwar laut der Wiener Gemeindewahlordnung der stellvertretende Bezirksvorsteher zu. Allerdings ist dazu keine Stimme einer anderen Partei notwendig. Der jeweiligen Partei steht das Vorschlagsrecht zu, gewählt ist die Person, wenn sie mehr als die Hälfte der Mandate ihrer eigenen Partei bekommt.
Im Klartext: Howanietz wäre auch gewählt worden, wenn nur die FPÖ ihn gewählt hätte und alle anderen Parteien gegen ihn gestimmt hätten.
Die Stimmen aus der Sozialdemokratie wurden also eindeutig freiwillig abgegeben, Hinweise auf die Stadtverfassung ziehen nicht.
Ich bekomme persönliche Begrüßung
Nach erfolgreicher Wahl beglückt Howanietz die Anwesenden mit einer Antrittsrede. Ich selbst stehe auf einmal ebenfalls kurz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nachdem bereits zuvor immer wieder MandatarInnen der FPÖ auffällig zu mir geblickt hatten, bedankt sich Howanietz in seiner Rede zuerst für seine Wahl. Dann werde ich eigens namentlich erwähnt: „Schönen guten Abend an den Herrn Michael Bonvalot. Das wird dann sicher wieder auf einschlägigen Seiten zu sehen sein“, so Howanietz. Dieser Artikel zeigt: er hat recht.
Anschließend folgt eine überraschende Rede. Sein Buch sei nur „Teil eines Experiments“ gewesen. Es sei darum gegangen, „wie kommen wir in den Medien unter“. „Aus heutiger Sicht bedauere“ Howanietz das, er sei damit zum „ungewollten Medienstar“ geworden.
Er sei auch kein Sexist. Immerhin würde er mit seiner Frau und anderen Frauen „auf Augenhöhe“ verkehren. Und für den Bezirk hätte das ohnehin alles keine Bedeutung, denn die Bezirksvertretung sei „kein ideologisches Schlachtfeld“.
Schwache Vorstellung
Die gesamte Vorstellung wirkt äußerst schwach für jemanden, der noch vor vier Jahren auf rund 140 Seiten ein in sich geschlossenes ideologisches Konzept publiziert hat. Nun sind es auf „Themen, mit denen Du nichts zu tun hast“, so Howanietz in seiner Rede. Auch Roubani nimmt Howanietz den reuigen Sünder nicht ganz ab.
„Er hat immer gezeigt, dass er ein Hardliner ist“, so die Bezirksrätin. Die FPÖ-Fraktion würde regelmäßig auffallen, indem sie etwa gegen alles stimmen würde, was feministisch sei. „Bei der Förderung für Tage gegen Gewalt an Frauen kommt etwa fast selbstverständlich Widerstand aus der FPÖ“, sagt Roubani.
Howanietz spielt dabei laut Roubani eine wichtige Rolle. „Immer wieder gibt es Anträge und Anfragen mit Hetze gegen zugewanderte Menschen, gegen Obdachlose oder auch gegen die Afrika-Tage auf der Donauinsel. Howanietz ist dann derjenige, der vorne steht und das ideologisch rechtfertigt.“
Applaus aus anderen Parteien
Schließlich hat Howanietz seine Rede beendet. Applaus kommt von der FPÖ, von einzelnen SozialdemokratInnen sowie aus den hinteren Reihen, wo sowohl ÖVP-, NEOS- wie FPÖ-MandatarInnen sitzen. Wie der neue stellvertretende Bezirksvorsteher seine Rolle anlegen wird, ist noch unklar. Er wolle jedenfalls ein „Gewinn für alle Menschen im Bezirk“ sein. Wie er dieses Vorhaben angesichts seiner politischen Positionen in einem Bezirk mit hohem Migrationsanteil umsetzen wird, könnte interessant werden.
Finanziell jedenfalls lohnt sich der neue Job für Howanietz und/oder die FPÖ gewaltig. Rund 4300 Euro beziehen stellvertretende BezirksvorsteherInnen in Wien, 14 Mal im Jahr. Vor allem StellvertreterInnen, die nicht der gleichen Partei angehören wie die BezirksvorsteherInnnen, werden im Regelfall nicht für wichtige Aufgaben eingesetzt. Ein beachtliches Einkommen also für einen vermutlich eher überschaubaren Aufgabenbereich.
Ob Howanietz dieses Zusatzeinkommen auch in Wien ausgibt oder sich dem städtischen Dichtestress durch bäuerlich inspiriertes Landleben entzieht, ist leider unbekannt.