Dubioser Freispruch für Identitäre, nachdem ich bei einer Kundgebung in Wien gestoßen und getreten wurde. Warum dieses Urteil dennoch zu einem wichtigen Erfolg für die Pressefreiheit werden kann.

Die Stimmung beim Aufmarsch der Identitären in Wien ist aufgeheizt. Wie so oft werde ich von einschlägigen Figuren an der Berichterstattung gehindert, laufend werden mir Regenschirme vor die Kamera gehalten. Dabei behaupten diese Figuren doch sonst, dass sie so gerne mehr Öffentlichkeit hätten. Und auf einmal spüre ich auch noch einen Tritt gegen das Bein.

Es ist der 29. April 2023, die neofaschistische Gruppe versucht im Wiener Bezirk Favoriten eine ihrer üblichen Provokationen. Identitären-Gesicht Martin Sellner tritt gemeinsam mit dem ehemaligen deutschen Dschihadisten Irfan Peci auf. Umringt von ein paar Dutzend ihrer Anhänger:innen und geschützt von zahlreichen Polizist:innen.

Sellner und Peci hindern mich an der Berichterstattung

Peci brüllt laufend mit überschlagender Stimme ins Mikrofon – was er brüllt, ist aufgrund der lautstarken antifaschistischen Gegendemo nur schwer zu verstehen. Es ist wohl kein Verlust. Peci und Sellner sind gleichzeitig enorm angriffig: Peci brüllt etwas von „Linksextremisten“ in meine Richtung und stößt meine Security, Sellner hält mir gleichzeitig die Hand vor die Kamera.

Das ist mühsam, doch bereits Business as usual, wenn ich von extrem rechten Aufmärschen berichte. Als ich dann aber auch noch einen Tritt spüre, will ich den vermeintlichen Täter aufhalten, um ihn anzuzeigen. Das müssen auch die meisten Umstehenden mitbekommen haben: Ich nehme die gesamte Szene auf Video auf, darauf ist dokumentiert, dass ich den Mann gut hörbar auffordere, mit mir zur Polizei zu gehen.

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Doch der Mann mit grüner Jacke und Ordnerschleife will sich entziehen. Schnell stellen sich mir weitere Identitäre in den Weg, damit ich ihn nicht festhalten kann. Ein Ordner tut sich dabei besonders hervor: Er stellt sich mir in den Weg und stößt mich dazu auch noch. Schließlich schreitet die Polizei ein. Und nach meiner Aufforderung wird die Identität der beiden Männer aufgenommen.

Ein erster Schuldspruch, nicht rechtskräftig

Im September 2023 geht die Sache schließlich erstmals vor Gericht. Das Urteil von Richter Stefan Erdei am Wiener Landesgericht: Andreas S. wird vom Vorwurf der Körperverletzung und Nötigung rechtskräftig freigesprochen. Er war der Mann in der grünen Jacke gewesen. Das Urteil des Gerichts ist in diesem Fall nachvollziehbar. Ich kann nicht beweisen, dass es tatsächlich er war, der mich getreten hatte.

Sellner, Peci und ein Identitärer am Columbusplatz. Bild: Michael Bonvalot

Doch der zweite Ordner, Stefan B., wird wegen Nötigung schuldig gesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, somit galt auch nach dem Urteil für B. die Unschuldsvermutung. In der Begründung des Urteils heißt es, dass ich „lebensnah und nachvollziehbar die Geschehnisse der Demonstration“ geschildert hätte. Und meine Aussagen bei der Polizei und vor Gericht würden durch meine Videoaufnahmen unterstützt. Doch dann mischt sich das Oberlandesgericht (OLG) Wien ein.

Ein heftiger Schlag gegen die Pressefreiheit

Die Konsequenz: Das Urteil gegen B. wird im April 2024 aufgehoben, der Fall soll neu verhandelt werden. Die Begründung dafür wirft allerdings zahlreiche Fragen auf. Denn in der Entscheidung des OLG Wien unter Senatspräsident Werner Röggla wird darauf verwiesen, dass B. ja Ordner der Identitären gewesen wäre.

Und die Ordner hätten laut Gericht doch nur versucht, meine Berichterstattung „zum Schutz der Per­sönlichkeitsrechte der (…)  von Bonvalot gefilmten Personen durch Vorhalten eines Regenschirms vor die Linse zu verhindern“. Und diese Ordner wären ja „zur Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung und somit zur Besorgung des ordnungsgemäßen Ablaufs“ eingesetzt. Ein, freundlich formuliert, interessantes Verständnis von Pressefreiheit.

Denn tatsächlich ist es selbstverständlich gestattet, Personen zu filmen, die an einer politischen Kundgebung teilnehmen. Und selbstverständlich dürfen Ordner:innen die Pressefreiheit nicht behindern.

„Provokanter Journalist“

Und dann folgt das Gericht auch noch den Behauptungen von B.: Der hatte ausgesagt, dass ich „hysterisch und aggressiv“ gewesen wäre. Im Urteil des Oberlandesgerichts liest sich das dann so: „Das von B. als hysterisch bezeichnete Auf­treten ist auf dem Video ersichtlich.“ Eine interessante Interpretation, denn was tatsächlich auf dem Video zu sehen ist: Ich bin umringt von Identitären und versuche, einen aus der Truppe zur Polizei zu bringen. Ich kenne ähnliche Konfrontationen von anderen rechten Aufmärschen und kann damit umgehen – selbstverständlich bleibe ich also vollständig kontrolliert.

Und auch auf einer weiteren und sehr problematischen Ebene folgt das Gericht den Argumenten der Identitären. Der Erstangeklagte, Andreas S., hätte nach seinen Aussagen doch nur versucht, „die Konfrontation mit dem ihm bereits bekannten provokanten Journalisten“ zu vermeiden und hätte sich deshalb von mir wegbewegt. Das Gericht schreibt dazu von „nicht unglaubwürdigen Aussagen“ – und wiederholt damit die oft gehörte Rechtfertigung von den angeblich „provokanten Journalisten“. Was auf den Videos des Tages tatsächlich zu sehen ist: Ich mache einfach meine Arbeit.

Dürfen identitäre Ordner künftig Journalist:innen stoßen?

Mit solch eindeutigen Ansagen gibt das Oberlandesgericht allerdings auch bereits die Richtung für das neuerliche Verfahren vor, das am 9. September am Wiener Landesgericht verhandelt wird. Wenig verwunderlich wird nun auch B. freigesprochen, der Freispruch ist rechtskräftig.

In der mündlichen Begründung des Urteils verweist das Gericht entsprechend auch auf das OLG-Urteil. B. sei ja immerhin Ordner gewesen. Außerdem hätte er mich nur „leicht“ gestoßen. Es wirft eine sehr befremdliche Frage auf: Wie fest dürfen extreme Rechte und Ordner:innen künftig Journalist:innen stoßen, bevor es rechtliche Konsequenzen hat?

Warum das Urteil dennoch ein enormer Erfolg werden kann

Im ersten Moment sieht dieses Urteil wie eine deutliche Niederlage für die Pressefreiheit aus. Zwei Ordner der Identitäre standen vor Gericht, beide wurden rechtskräftig freigesprochen. Doch das wäre deutlich zu kurz gedacht. Bei Aufmärschen der Gruppe in Österreich wird die kritische Berichterstattung regelmäßig behindert. Und nun mussten sich Identitäre dafür auch vor Gericht verantworten.

Kundgebung gegen die neofaschistischen Identitären in Favoriten. Bild: Michael Bonvalot

Vor dem Erstgericht gab es sogar einen Schuldspruch – der war zwar nicht rechtskräftig und wurde nun aufgehoben. Doch all das ist dennoch ein deutliches Warnsignal für die neofaschistische Truppe. Denn nun wissen sie: ich werde gegen Angriffe auf die Pressefreiheit auch künftig vor Gericht gehen. Und schon beim nächsten Mal könnte es Schuldsprüche setzen.

Denn die Versuche, mich einzuschüchtern, mich zu verleumden und meine Berichterstattung zu verhindern: Sie werden auch künftig nicht funktionieren.

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