„Zack, Zack, Zack!“ Krone-Chefredakteur Herrmann über Ibiza, die Macht und Kampagnen der Krone, das Verhältnis zur FPÖ – und dass er bisher nicht verstanden hat, warum der Begriff „Sex-Täter“ eine Verharmlosung ist.

„Wir waren fassungslos, als wir das Video zum ersten Mal gesehen haben“, sagt Klaus Herrmann, der geschäftsführende Chefredakteur der Kronenzeitung. Der große Saal des ehrwürdigen Presseclubs Concordia in Wien war am Donnerstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt, als sich Herrmann den Fragen des Publikums stellte. Eingeladen hatte die Medienrunde Der Aufmacher, eine monatliche Diskussionsrunde über Journalismus in Wien.

Gemeinsam mit fünf bis sieben anderen Kolleginnen und Kollegen hätte er sich das Ibiza-Video unmittelbar nach dem Erscheinen in der Redaktion angesehen, erzählt Herrmann. „Wir waren vorbereitet.“

Durch Anfragen von Spiegel und Süddeutsche im Vorfeld der Veröffentlichung sei der Redaktion klar gewesen, dass etwas Größeres kommen würde und dass die Krone dabei eine Rolle spielen würde. Ihnen sei beim Betrachten des Videos „in der ersten Minute“ klar gewesen, dass das „ein Politiker keinesfalls überleben“ könne.

Machtkampf in der Krone

Er selbst wäre vermutlich einer von jenen gewesen, die Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach einer Übernahme der Krone ausgetauscht hätte, sagt Herrmann. „Diese Ehre nehme ich für mich in Anspruch.“ Tatsächlich ausgetauscht wurde inzwischen Richard Schmitt, zuvor Chefredakteur des Onlineauftritts der Krone.

Schmitt galt als wichtiger Verbinder zwischen FPÖ und Krone. Im Ibiza-Video wurde Schmitt von Strache gar als „einer der besten Leute, die es gibt“ gelobt. Herrmann über Schmitt: „Richard Schmidt hat neue Aufgaben, denen er sich jetzt zu widmen beginnt.“ Er lächelt dabei auffallend süffisant, auf Nachfragen sagt er: „Mehr entlocken sie mir bitte nicht.“

Widerstand gegen Übernahme

Den Einstieg von Multimilliardär und Kurz-Intimus René Benko bei der Krone sieht Herrmann „sorgenvoll“. Das Ibiza-Video hätte in Bezug auf die Krone ja auch einen „realen Hintergrund“. Es sei vor rund zwei Jahren „in Insiderkreisen“ bekannt gewesen, dass der Krone-Hälfteeigentümer „Funke-Gruppe“ seine Anteile verkaufen wollen würde.

https://www.standpunkt.press/luxus-und-korruption-843/

Diese Information hätte „Strache offenkundig erreicht“. Kurz vor dem Ibiza-Auftritt sei Strache ja auch auf der Jacht von Benko gewesen, der Zusammenhang sei „offenkundig“. Benko war von Strache auf dem Ibiza-Video als möglicher Investor für die Krone ins Spiel gebracht worden – und wurde vom Ex-FPÖ-Chef als Großspender der FPÖ genannt (Benko dementiert das).

Was eine Übernahme durch Strache inhaltlich an der Ausrichtung der Krone verändert hätte, bleibt offen.

Insgesamt hätte Ibiza bei der Krone einen „Nachdenk-und Reflexionsprozess ausgelöst“, der „in den letzten Jahren zu wenig“ stattgefunden habe, so Chefredakteur Herrmann.

Die Krone denkt

„Manche unserer Haltungen wurden ins Wanken gebracht, unser Bewusstsein geändert“, sagt er. Die Krone sei im Rückblick „nicht lupenrein, nicht sündenfrei“.

Die Worte klingen gut und kommen sichtbar gut an. Als Herrmann andeutet, dass die Krone künftig auch dem Presserat beitreten könnte, gibt es gar leichten Szenenapplaus aus dem Publikum, das großteils aus BranchenkollegInnen besteht.

Sünden oder DNA der Krone?

Wohlwollendes Nicken auch, als Herrmann davon berichtet, dass die Krone sich erstmals Debatten im nicht-öffentlichen „Club der Chefredakteure“ gestellt hätte. Auffallend ist allerdings, wie unklar Herrmann inhaltlich tatsächlich bleibt.

Herrmann zeigt sich etwa bereit zur Debatte über „die Sünden“ der Krone, wie er sagt. Doch tatsächlich sind Rassismus und rechte Politik nicht Sünde, sondern DNA der Krone. Als ich Herrmann das vorhalte und frage, welche Haltungen nun tatsächlich ins Wanken gebracht worden wären und wie sich das Bewusstsein künftig verändern würde, kommt keine Antwort. Ebenso auf weitere Fragen aus dem Publikum nach der künftigen Haltung der Krone.

Stolz auf Kampagnen-Journalismus

Herrmann spricht stattdessen lange über den Kampagnen-Journalismus der Krone und lobt dabei ausführlich die aktuelle Kampagne zur Klimakatastrophe. Eine Kampagne hingegen, wie sie die Krone im Jahr 2000 gegen die Bildung von Schwarz-Blau I gefahren sei, kann sich Herrmann heute „in der Form nicht vorstellen“.

https://www.standpunkt.press/schwarz-blaue-wiederholungen-843/

Gleichzeitig sei evident, dass die Krone über Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider „wohlwollender berichtet hat als viele andere“. Unklar bleibt dabei das künftige Verhältnis zur FPÖ. Aktuell sei die Krone zwar nicht gut auf die FPÖ zu sprechen.

Wieder-Annäherung an die FPÖ möglich

„Klar, dass man nicht objektiv sein kann, wenn man so sehr angegriffen wird“, so Herrmann. Dann müsse die „Objektivität Pause machen dürfen“. Ein Satz, der gleichzeitig als Warnung an all jene verstanden werden kann, die sich künftig gegen die Krone stellen. (Unabhängig davon, dass Objektivität im Journalismus natürlich insgesamt eine vorgeschobene Fiktion ist.)

Die Krone hätte jedenfalls „keine ausgeklügelte Strategie, wie wir mit der FPÖ in den nächsten Jahren umgehen“. Eine neuerliche Annäherung ist also keineswegs ausgeschlossen, auch den jetzigen FPÖ-Parteichef Norbert Hofer erwähnt Herrmann tendenziell positiv.

Krone setzt auf Kurz, Regierung auf die Krone

Unbesprochen bleibt dabei, dass die Krone seit einiger Zeit ohnehin primär auf ÖVP-Chef Sebastian Kurz setzt. So hat Dieter Chmelar etwa allein in der Samstagausgabe der Krone acht Bilder und 20 Texterwähnungen von Sebastian Kurz gezählt.

Keine klare Antwort gibt es auch auf die Frage bezüglich der Relevanz von Regierungsinseraten auf die Berichterstattung der Krone. Die Antwort von Herrmann, welche Sicherheitsmaßnahmen gegen Beeinflussung getroffen würden: „Indem wir unabhängig sind. Uns davon nicht beeinflussen lassen.“ Das ist, freundlich formuliert, reichlich dünn.

Kein Boulevard?

Ebenso dünn bleibt die Antwort nach dem Charakter der Krone. Herrmann wehrt sich vehement dagegen, die Krone ein Boulevard-Blatt zu nennen. Das Blatt sei eine „Familien- und Volkszeitung“ – was allerdings keineswegs im Widerspruch zum Boulevard steht und stehen muss.

Schließlich tut Herrmann die Frage ab. Die Krone hätte es durch einen Abo-Anteil von 80 Prozent – im Gegensatz zum Konkurrenzblatt Österreich – schlicht nicht nötig, „mit einer noch marktschreierischeren Schlagzeile“ weitere LeserInnen zu gewinnen. Ob der Chefredakteur sich die Schlagzeilen der Krone wirklich regelmäßig ansieht?

„Sex-Täter“ keine Verharmlosung?

Kurz kommt Unruhe im Saal auf, nachdem Herrmann die Frage beantwortet, warum die Krone immer noch den verharmlosenden Begriff „Sex-Täter“ für Vergewaltiger oder Missbrauchstäter verwenden würde. Denn Herrmann zeigt sich überrascht und will zuerst nicht akzeptieren, dass der Begriff völlig unangebracht ist.

Erst nach Zwischenrufen – unter anderem von mir –, dass Sex etwas Einvernehmliches ist, sagt er: „Da haben sie jetzt mein Bewusstsein geschärft.“ Ob sich dieses geschärfte Bewusstsein in der Berichterstattung der Zeitung niederschlagen wird, bleibt abzuwarten. Die Reaktion von Herrmann verrät jedenfalls einiges darüber, welches Nicht-Bewusstsein in der Krone zu dieser Frage herrscht.

Viele spannende Fragen wurden bei der Veranstaltung leider nicht gestellt oder beantwortet, aufgrund der Größe des Publikums war die Zeit für Fragen auch eng bemessen.

Vieles bleibt offen

Sehr spannend wären etwa Antworten auf Fragen nach der künftigen Ausrichtung der Krone, der Haltung zu ÖVP-Chef Kurz, dem durchgehenden Rassismus des Blattes oder der Rolle weit rechter Kolumnisten wie Michael Jeannée. Aber auch medienpolitisch blieb vieles unkar. Interessant wären etwa die Überlegungen und Antworten der Krone auf das Printsterben und die mutmaßliche Überalterung der eigenen LeserInnen gewesen.

Hier zeigt sich auch eine mögliche Schärfung für das Veranstaltungsformat. Bisher fanden die Veranstaltungen immer in weit kleinerem Rahmen statt und kamen damit ohne Moderation aus. Die enorm engagierten KollegInnen von Aufmacher haben diesmal – absolut sinnvollerweise – erstmals eine Moderation gestellt. Für die Zukunft könnte sicher überlegt werden, ob die Moderation nochmals nachfragt, wenn eine Frage nicht beantwortet wurde oder ob es die Möglichkeit für eine Nachfrage aus dem Publikum gibt.

Die Macht der Krone

Dank gebührt dem Aufmacher-Team jedenfalls für die Einladung von Herrmann. Denn die Ausrichtung der Krone ist für die Stimmung in Österreich immer noch enorm relevant.

Die Zeitung ist in Relation zur Bevölkerung eines der erfolgreichsten Printprodukte der Welt. 2018 hat die Druckausgabe der Krone täglich rund 2 Millionen Menschen erreicht, online gar 2,5 Millionen – ein immens hoher Wert bei einer Bevölkerung von rund 8,8 Millionen Menschen. Damit kommt rund jede fünfte Person in Österreich täglich mit der Krone in Berührung.

Das ist reale politische Macht. Und die Krone ist sich dieser Macht absolut bewusst. Stolz zitiert die Krone etwa kurz nach Bekanntwerden des Ibiza-Skandals aus einem Artikel der Süddeutschen: „Die Gunst der Krone war schon immer ein Schlüssel zur politischen Macht in Österreich, man kann sagen: Die ,Krone‘ hat Kanzler gekürt und Kanzler gestürzt.“

Herrmann allerdings versucht bei der Veranstaltung, die Macht der Krone herunterzuspielen. „Unsere Macht sollte man wahrlich nicht überschätzen“ sagt er. Ganz gelingt ihm das Understatement dann aber auch nicht. Denn kurz danach fügt er selbstgefällig hinzu: „Unterschätzen auch nicht“.

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