Nach der Attacke der Wiener Polizei auf mich bei einem Corona-Marsch gehe ich jetzt vor Gericht. Zur Verteidigung der Pressefreiheit.

Der Polizist stößt immer wieder zu, drängt mich zurück, hindert mich daran, vom Aufmarsch der rechten Corona-Schwurbler*innen zu berichten. Er ist ruppig. Auf meine wiederholten Hinweise, dass sein Vorgehen rechtlich nicht gedeckt wäre, antwortet er nicht. Stattdessen stößt er mich weiter. Es ist Samstag, der 10. September, wir sind auf der Wiener Ringstraße.

Der Polizist behauptet, ich würde die Kundgebung stören, verlangt, dass ich 50 Meter Abstand halte. Warum? „Versammlungsgesetz!“ Dort gibt es eine solche Bestimmung tatsächlich – allerdings als Abstand für „gegnerische“ Kundgebungen. Doch ich bin keine Kundgebung. Ich bin Journalist.

Unmittelbar vor dem Zugriff der Polizei war ich von Teilnehmer*innen des Aufmarschs bedrängt und beschimpft worden – trotz Presseschutz-Team, das mich umgibt. Damit ist auch beantwortet, warum ich Securities brauche. Ohne Schutzteam kann ich schon seit Jänner 2021 nicht mehr von den einschlägigen Aufmärschen berichten. Zahlreiche Angriffe auf mich haben das sehr eindringlich bestätigt.

Und sogar trotz Schutz werde ich immer wieder angegriffen, einmal sogar mit Pfefferspray. Eine Sammlung der Angriffe auf mich bis Dezember 2021 habe ich hier zusammengestellt.

Auch am 10. September wird die Situation zunehmend aufgeheizt. Immer mehr Schwurbler*innen sammeln sich vor uns, beschimpfen mich. Unter ihnen sind einschlägig bekannte extreme Rechte, einer von ihnen ist bei Aufmärschen sogar schon wiederholt bewaffnet aufgetreten.

Wir hatten uns davor bewusst direkt hinter der ersten Reihe der Polizei positioniert, relativ weit weg von der Spitze des Aufmarschs. Zur Sicherheit. Doch dann kommen die Rechten aktiv auf uns zu, es werden immer mehr. Als Reaktion gehen wir zurück, damit die Situation möglichst ruhig bleibt. Mein Team ist zu jedem Zeitpunkt zurückhaltend und professionell, von uns geht keinerlei Eskalation aus – auch das zeigen alle Videos.

Im folgenden Video könnt ihr die Szene unmittelbar vor der Attacke der Polizei sehen. Ihr könnt hören, dass wir die Polizei schon wahrnehmen, am Schluss sind links bereits Polizisten zu sehen.

Festgehalten hat die Szene auch ein Schwurbler-Account. Während er filmt, beschimpft er mich. Die Aufnahmen dieses Schwurblers wurden von @fredparras gesichert und veröffentlicht (Danke!). Gut zu sehen ist im Video, wie ruhig mein Team ist. Gut zu sehen ist ebenfalls, dass ich mich zuerst wegdrehe, als die Polizei eintrifft.

Ich hatte gedacht, dass die Polizist*innen zum Schutz der Pressefreiheit eingetroffen wäre. Dass die unmittelbare Bedrohung jetzt vorbei wäre. Eine Fehleinschätzung.

Stattdessen werde ich nun von den Polizist*innen attackiert. Obwohl ich die Polizist*innen mehrmals darauf hinweise, dass ich Journalist bin. Obwohl ich zu jedem Zeitpunkt sichtbar meinen Presseausweis trage – und dem Polizisten, der mich wegstößt, den Ausweis sogar mehrmals zeige.

Es ist ihm egal. Die rechten Corona-Schwurbler*innen johlen begeistert: „Auf Wiedersehen, Bonvalot“. Ihre Begeisterung ist verständlich: Die Wiener Polizei erledigt das Geschäft der extremen Rechten.

Eine Rechtsgrundlage für ihr Vorgehen wollten die Beamt*innen nicht nennen. Und die Begründung für das Einschreiten der Polizei ändert sich im Verlauf der Situation. Zuerst heißt es, ich oder jemand aus meinem Team hätte ein Banner gehisst oder weggerissen – völliger Unsinn. Als ich das später nochmals hinterfrage, wird behauptet, dass das nie gesagt worden sei.

Besonders bedenklich: Der Polizist sagt mir, er würde auf direkten Befehl des Einsatzleiters handeln. Ich schlage also ein Gespräch mit der Einsatzleitung vor, um die Lage zu klären. Das wird abgelehnt. Es ist übrigens reichlich weltfremd, dass ein Einsatzleiter der Wiener Polizei auf einem Corona-Aufmarsch mich und mit Team nicht erkennt.

Erst im Mai hatte sogar Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl extra einen Brief an ORF-Generaldirektor Gerhard Weißmann geschickt, nur um sich über einen meiner Auftritte im ORF zu beklagen. Laut Pürstl sei ich ein „als überaus polizeikritisch bekannter Journalist“. Das Vorgehen der Polizei gegen mich am 10. September wirkt wie eine bewusste Attacke.

Einfach mal ein Gesetz sagen? Das reicht nicht.

Dann wollen die Polizist*innen sogar Identitätsfeststellungen. Ausweise verlangt werden von mir, meinem Presseschutz-Team und unserer Fotografin Marie E. Mark, die für standpunkt.press Bilder macht. Und wieder ist den Polizist*innen offenbar sogar selbst die Rechtsgrundlage nicht klar – oder sie sagen einfach irgendetwas.

Zuerst heißt es, die Identitätsfeststellungen sollten nach dem Sicherheitspolizeigesetz durchgeführt werden. Doch dafür gibt es keine rechtliche Grundlage, wie ich den Polizist*innen sage. Ein Gesetz muss auch zur Situation passen. Dann heißt es, es wäre eine Identitätsfeststellung nach dem Verwaltungsstrafgesetz. Es scheint, sie würden einfach durchprobieren.

Später behauptet die Polizei dann auch auf Twitter, dass es den Verdacht „mehrerer Verwaltungsübertretungen“ gegeben hätte. Auch das wäre natürlich völliger Unsinn. Die Polizist*innen vor Ort können auch keine konkreten Verwaltungsübertretungen nennen.

Vor Ort verweigern wir zuerst die Identitätsfeststellungen – eine prinzipielle Frage nach diesem Vorgehen der Polizei. Und es gibt in Österreich auch keine Ausweispflicht. Welche Rechte Du im Umgang mit der Polizei hast, habe ich hier für Dich aufgeschrieben.

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Polizei droht mit Festnahme

Doch dann droht die Polizei sogar mit Festnahmen. Wenn die Ausweise nicht übergeben würden, würden wir alle festgenommen werden und – wohl zwangsweise – nach Ausweisen durchsucht. Unter diesem Zwang kommen wir der Aufforderung zur Identitätsfeststellung nach.

Ich muss meinen Ausweis dann übrigens nicht einmal zeigen. Es wäre auch endgültig absurd. Die Polizisten wissen ohnehin genau, wer ich bin, sprechen mich mit Namen an. Und falls mich ein/e Beamt*in nicht kennt, hängt gut sichtbar um meinen Hals mein Presseausweis mit meinem Namen darauf. Inzwischen sind auch Polizisten eingetroffen, die extra für die Öffentlichkeitsarbeit abgestellt sind.

Einer von ihnen hatte mich sogar früher am Nachmittag noch angesprochen und sich mir vorgestellt. Es macht gleichzeitig das Verhalten der Polizei noch eindeutiger problematisch: Hier ist für alle klar, dass ich Journalist bin.

Im Ergebnis hat die Amtshandlung insgesamt rund eine halbe Stunde gedauert hat. Damit hat die Polizei meine Berichterstattung von diesem Corona-Aufmarsch effektiv verhindert. Als die Amtshandlung endlich beendet ist, ist der Marsch schon lange weitergezogen.

Die Einsatzleitung der Wiener Polizei zeigt mit ihrem Verhalten erneut, dass sie offenbar auf Seite der rechten Corona-Szene steht und nicht auf Seite der Pressefreiheit. Das zeigt auch die Reaktion der extremen Rechten: In den einschlägigen Kanälen der Szene auf Telegram gibt es zahlreiche Jubel-Postings. (Alles über die rechte Parallelwelt Telegram könnt ihr hier lesen).

Ich werde vor Gericht gehen

Was sind die nächsten Schritte? Ich werde vor dem Verwaltungsgericht Wien eine sogenannte Maßnahmenbeschwerde gegen das Verhalten der Polizei einbringen. Das ist kein gutes Mittel – im Fall der Niederlage entstehen Kosten, auch die anwaltliche Vertretung muss dann selbst bezahlt werden.

Im Fall des Erfolgs gibt es ausschließlich einen Kostenersatz für die Anwält*innen. Ansonsten keinerlei Ersatz für den Zeit- und Ressourcenaufwand. Doch nachdem es immer noch keine unabhängige Beschwerdestelle bei Polizeiübergriffen gibt, ist es das einzige Mittel, das zur Verfügung steht.

Vertreten werde ich von meinem Rechtsanwalt Clemens Lahner. Und der sagt klar: „Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut und durch die Verfassung geschützt.“ Damit steht für Lahner fest: „Auch die Polizei muss sich an das Gesetz halten, oder wir gehen vor Gericht.“

Falls die Polizei zusätzlich tatsächlich Strafen wegen angeblicher Verwaltungsübertretungen verschicken sollte, dann werden wir auch diese Bescheide selbstverständlich ebenfalls vor Gericht bekämpfen. Es ist allerdings gut möglich, dass die Polizei auf diese Peinlichkeit verzichtet.

Reporter ohne Grenzen, Concordia und Amnesty verlangen Aufklärung

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zeigt sich über das Vorgehen der Polizei gegen mich enorm besorgt: „Es kann nicht sein, dass Journalist*innen bei der Ausübung ihrer Arbeit von der Polizei mit absurden Amtshandlungen aufgehalten werden“, so ROG-Sprecherin Christin Edlinger.

Edlinger fordert „mehr Schutz für Medienschaffende und bessere Schulung der vor Ort tätigen polizeilichen Einsatzkräfte“.  Auch Amnesty International und der Presseclub Concordia zeigen sich solidarsch und verlangen Aufklärung.

Parlamentarische Anfrage kommt

Der grüne Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr kündigt bereits eine parlamentarische Anfrage seiner Partei an. Damit wird das Innenministerium das Verhalten der Wiener Polizei erklären müssen.

Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen zeigen, dass viele Menschen die Gefahr erkannt haben, die von diesem Verhalten der Polizei ausgeht. Denn wenn die Polizei mit diesem Übergriff durchkommt, könnten künftig extreme Rechte bestimmen, wer von ihren Aufmärsche berichtet. Sie müssen einfach nur provozieren, dann kommt die Polizei und drängt die Journalist*innen ab.

Wer die Pressefreiheit ernst nimmt, der kann die Wiener Polizei mit diesem Verhalten nicht durchkommen lassen. Und deshalb gehe ich vor Gericht. Zur Verteidigung der Pressefreiheit.

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