FPÖ-Chef Kickl erklärte als Innenminister, dass „Neonazi“ keine Straftat wäre. Eine enorm gefährliche Botschaft, falls Kickl Kanzler wird.
Es ist eine erschreckende Aussage. Am 21. November 2018 behauptete der damalige Innenminister Herbert Kickl bei einer Rede im österreichischen Parlament: „Die Begriffe Rechtsextremismus, Neonazi“ seien „alles Dinge, die unsere Rechtsordnung im Übrigen in der Form nicht kennt, dass das jetzt Strafbestände wären“.
Titelbild: Michael Bonvalot
Kickl war damals Innenminister, bald könnte der FPÖ-Chef der nächste Bundeskanzler werden. Doch wie kam es zu dieser bemerkenswerten Aussage? Kickl stellte sich dem Parlament bei einer Sondersitzung zum Thema Neonazismus. Anlass für die Sitzung war der Skandal rund um die Beschäftigung des bekannten extremen Rechten Thomas K.-C. im Parlament. Hier habe ich diese Geschichte für euch aufgeschrieben.
Für FPÖ-Innenminister Kickl gilt das NS-Verbotsgesetz scheinbar nicht mehr. Er behauptet im Parlament tatsächlich, dass die österreichische Rechtsordnung Neonazismus nicht als Straftatbestand kennen würde. Doch Neonazismus ist in Österreich natürlich strafbar. Absolut irrwitzig. pic.twitter.com/wKhQZQjx9P
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) November 25, 2018
Der einschlägige Burschenschafter K.-C. war als Security in sensibler Position im Parlament beschäftigt worden, obwohl er mit der Neonazi-Szene bestens vernetzt war – und sogar auf einem deutschen Neonazi-Festival mit einem T-Shirt der österreichischen Nazi-Truppe „Alpen Donau“ auftrat. Also der Truppe rund um Neonazi-Gesicht Gottfried Küssel.
Neonazi ist für Kickl nicht strafbar
In einer Anfrage stellte die damalige Parlamentspartei „Jetzt“ deshalb zahlreiche Fragen an Innenminister Kickl. Gefragt wurde unter anderem, wie K.-C. in diese Position kommen konnte, welche Waffen er und andere einschlägige Personen tragen durften und ob die Burschenschafter in den FPÖ-Ministerkabinetten sicherheitsüberprüft seien.
Und in seiner Antwort auf die Anfrage sagte Kickl dann: „Die Begriffe Rechtsextremismus, Neonazi – alles Dinge, die unsere Rechtsordnung im Übrigen in der Form nicht kennt, dass das jetzt Straftatbestände wären“.
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Es ist nicht nur eine enorm problematische Aussage. Sondern sie ist auch sehr geschickt formuliert und sicherlich nicht spontan entstanden. Denn Kickl bewegt sich hier in einer rechtlichen Grauzone. Und das vermutlich sehr bewusst.
In der Grauzone
Der erste Teil von Kickls Behauptung kann dabei relativ schnell abgehandelt werden: Rechtsextremismus ist in Österreich tatsächlich nicht strafbar, der Begriff kommt auch in der Rechtsordnung nicht vor. Hier hat Kickl also recht. Doch wie ist das nun mit dem Neonazi?
Der Begriff „Neonazi“ kommt in dieser Form zwar im österreichischen NS-Verbotsgesetz tatsächlich nicht vor. Das ist auch absolut logisch: Das Gesetz existiert bereits seit 1947 – und nur zwei Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft wäre es klarerweise etwas absurd gewesen, von „Neo“-Nazis zu schreiben.
Der Begriff „Neonazi“ kommt also erst wesentlich später auf – und hat übrigens auch durchaus problematische Elemente. Denn der „Neonazi“ gilt manchen als harmloser als der „Nazi“. Bewusst oder unbewusst übersehen wird dabei, dass der Nazismus vor allem eine politische Ideologie des Verbrechens ist. Und dann gibt es noch einen zweiten Kniff in der Aussage von Kickl.
Wiederbetätigung ist in Österreich selbstverständlich verboten
Ein geschickter Neonazi kann sich in der Öffentlichkeit immer genau am Rand der Legalität äußern. Damit wird er mit dem Verbotsgesetz nicht in Konflikt kommen. Es ist also tatsächlich nicht strafbar, ein Neonazi zu sein. Gleichzeitig ist es allerdings sehr wohl strafbar, sich neonazistisch zu betätigen. Und es ist natürlich auch glasklar, worauf das österreichische NS-Verbotsgesetz abzielt. Unter diesem Link kann Herr Kickl das Gesetz übrigens jederzeit nachlesen.
Es geht in diesem Gesetz um „Wiederbetätigung“ im nationalsozialistischen Sinn. Also selbstverständlich und genau um Neonazismus. So steht etwa im Paragraf 3g des NS-Verbotsgesetzes, dass jede Betätigung „im nationalsozialistischen Sinn“ verboten ist. Und im Fall von Nazi-Wiederbetätigung drohen auch hohe Freiheitsstrafen.
Das gilt etwa, wenn jemand den Hitlergruß zeigt oder nationalsozialistische Organisationen aufbauen will. Bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Tat kann Neonazismus in Österreich sogar mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft werden. Das sollte eigentlich auch ein Minister wissen. Selbst, wenn er von der FPÖ ist.
Verbotene Abzeichen
Dazu gibt es auch noch ein zweites Gesetz, das ein heutiger FPÖ-Chef und damalige Innenminister kennen sollte: das Abzeichengesetz. In diesem Gesetz ist geregelt, dass Abzeichen von verbotenen Organisationen öffentlich nicht getragen oder gezeigt werden dürfen. Das Abzeichengesetz wurde 1960 eingeführt, um zu verhindern, dass mit dem öffentlichen Tragen einschlägiger Abzeichen oder Uniformen NS-Propaganda verbreitet wird. Dieses Gesetz könnte FPÖ-Chef Kickl hier nachlesen.
Mich hat die Aussage von Kickl schon 2018 sehr verwundert, als sie gefallen war. Auf meine damalige Nachfrage beim Innenministerium verteidigte Ministeriumssprecherin Isolde Seidl ihren Boss: Dass Wiederbetätigung strafbar ist, ändere „nichts an der Richtigkeit der Aussage, dass Rechtsextremismus und Neonazitum für sich in der Rechtsordnung nicht als Straftatbestände bestehen“.
„Worauf soll sich Neonazi sonst beziehen?“
Außerdem, so Seidl, würde der Begriff „Neonazi'“ (Anführungszeichen im Original) in „der polit-medialen Debatte häufig (auch) für Personen verwendet, die nicht nach dem NS-Verbotsgesetz angeklagt, geschweige denn verurteilt wurden“. Offenbar also alles nicht so schlimm – zumindest wenn es nach der damaligen Ministeriumssprecherin geht.
Seidl, die Kickl aus dem FPÖ-Parlamentsklub ins Innenministerium mitgenommen hatte, gilt inzwischen übrigens als Teil des engsten Kreises rund um den FPÖ-Chef. Ganz anders als die blaue Seidl sieht das schon 2018 die Verfassungsrechtlerin und Juristin Brigitte Hornyik, wie sie mir damals sagt. Seidls Aussage findet sie „absurd“.
„Wiederbetätigung ist in Österreich verboten und das letzte Wort darüber, was unter das Verbotsgesetz fällt, haben immer noch Gerichte“, so Hornyik. Auch zum Neonazismus findet die Juristin klare Worte: „Worauf sollte sich der Begriff des Neonazismus sonst beziehen, wenn nicht auf das NS-Verbotsgesetz?“
Faschismus als Schlupfloch
Doch während das NS-Verbotsgesetz in Österreich relativ streng ist, gibt es ein bedeutendes Schlupfloch: Im Verbotsgesetz ist ausschließlich der Nationalsozialismus verboten, damit scheinen alle anderen Faschismen erlaubt. Das betrifft vor allem den Austrofaschismus. Und dieses Schlupfloch im Verbotsgesetz ist selbstverständlich kein Zufall.
Immerhin ist die ÖVP die direkte Nachfolgepartei der austrofaschistischen Christlichsozialen. Zwischen 1934 und 1938 hatten die Christlichsozialen in Österreich selbst eine faschistische Diktatur errichtet. 1938 verloren sie dann gegen die stärkere Nazi-Konkurrenz. Und zahlreiche führende Nachkriegs-Politiker:innen der ÖVP waren vor 1938 führende Köpfe in diesem faschistischen Regime gewesen.
Heute profitiert unter anderem die neofaschistische Gruppe Identitäre von diesem engen Bezugsrahmen: Sie bezieht sich deshalb sehr gerne auf französische, italienische, japanische oder unbekanntere deutsche Faschisten. Und umgeht so das NS-Verbotsgesetz. Doch eigentlich gäbe es in Österreich noch ein anderes Gesetz, um dieses Schlupfloch zu schließen – es kennt nur fast niemand.
Staatsvertrag: Eigentlich müssten alle faschistischen Organisationen sofort gesetzlich aufgelöst werden
Denn neben dem NS-Verbotsgesetz gibt es noch eine weitere sehr bedeutende Bestimmung: Die entsprechenden Artikel im österreichischen Staatsvertrag von 1955. Und dort heißt es im Artikel 9 eindeutig: „Österreich verpflichtet sich, alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen, und zwar sowohl politische, militärische und paramilitärische, als auch alle anderen Organisationen, welche eine irgend einer der Vereinten Nationen feindliche Tätigkeit entfalten oder welche die Bevölkerung ihre demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind.“
Der Staatsvertrag steht in Österreich bis heute im Verfassungsrang. Österreich wäre also sogar verpflichtet, faschistische Organisationen aufzulösen. Es passiert nur in der Praxis nicht – vermutlich auch deshalb, weil kaum jemand diese Bestimmung kennt. Es wäre sehr interessant, wenn es hier einen Musterprozess geben würde. Allerdings ist rechtlich unklar, wer und wie ein solches Verfahren überhaupt einleiten könnte. Alle Hintergründe dazu habe ich hier für Dich aufgeschrieben.
Kickl und das NS-Verbotsgesetz: eine einschlägige Geschichte
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Rein formell ist die Aussage von Kickl im Parlament somit also zwar nicht falsch. In der Gesamtbetrachtung der rechtlichen Situation sind seine Aussagen aber offensichtlich widersinnig. Und Kickls Aussagen widersprechen eindeutig dem Sinn der Gesetze, die nach dem Ende des NS-Regimes verabschiedet wurden.
Und das ist besonders problematisch, wenn es von einem früheren Innenminister und möglichen nächsten Bundeskanzler kommt. Dass die Aussage von Kickl dabei kein Versprecher war, zeigen weitere Aussagen des FPÖ-Chefs
So ritt der damalige FPÖ-Generalsekretär Kickl etwa im März 2010 aus, nachdem die damalige FPÖ-Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz das NS-Verbotsgesetz mehrfach infrage gestellt hatte. Immerhin habe ja auch die FPÖ das Wort „Freiheit“ im Namen, erklärte die einschlägig bekannte FPÖ-Politikerin aus Niederösterreich zur Begründung. Übrigens auch das schon eine Botschaft für einschlägige Kreise.
Für Kickl eine „lupenreine Demokratin“
Denn die „Freiheit“ im Namen der FPÖ war bei der Parteigründung 1955 vor allem die Freiheit zentraler Nazi-Kader: Sie konnten nach dem Abzug der alliierten Truppen die FPÖ gründen und wieder weitgehend offen auftreten. Wir dürfen übrigens davon ausgehen, dass Rosenkranz so etwas sehr genau weiß. Immerhin entschied der Europäische Menschengerichtshof 2003 sogar, dass der Publizist Hans-Henning Scharsach die FPÖ-Politikerin in einem Artikel als „Kellernazi“ bezeichnen durfte.
Rosenkranz spaltete sich übrigens später selbst von der FPÖ ab, alles über die zahlreichen Spaltprodukte der FPÖ habe ich hier für euch aufgeschrieben. Und was fiel Kickl nun zu den Aussagen von Rosenkranz zum NS-Verbotsgesetz ein?
Bei einer Pressekonferenz wettert der damalige FPÖ-Generalsekretär: Rosenkranz sei doch eine „verehrungswürdige Frau und Mutter“ sowie eine „unbescholtene Politikerin und lupenreine Demokratin“. Und Schuld seien doch ohnehin die Linken, so Kickl: Rosenkranz sei zum „Opfer einer linken Medienhetze“ geworden. Und es gibt noch weitere Aussagen von Kickl zum NS-Verbotsgesetz
„Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“
So behauptete der heutige FPÖ-Chef im Februar 2018 zum NS-Verbotsgesetz, dass moralische Grenzen gefährlich seien, weil diese von „moralischen Instanzen“ gezogen würden, die nicht allgemeingültig, sondern „individuell“ seien. Diese Ausführungen fielen dem damaligen Innenminister Kickl just ein, nachdem ein Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt bekannt wurde, wo unter anderem die Textzeile „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ zu finden war.
Detail am Rande: Der damalige niederösterreichische FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer war stellvertretender Vorsitzender der Germania gewesen. Nach Bekanntwerden des Liederbuchs musste er kurzfristig zur Seite treten, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner schloss jede Zusammenarbeit mit ihm aus. Das hätte sich „Niederösterreich nicht verdient“. Seit März 2023 regieren Mikl-Leitner und der Ex-„Germane“ Landbauer einträchtig in einer schwarz-blauen Koalition.
Kickls Botschaft ist eindeutig – und gefährlich
Worum es Kickl mit seinen einschlägigen Aussagen seit vielen Jahren tatsächlich geht, ist eindeutig: Es sind Botschaften. Botschaften an die äußerste Rechte. Dazu passt fast exemplarisch auch eine Rede, die Kickl im Oktober 2016 am Kongress „Verteidiger Europas“ in Linz hielt – einem Vernetzungstreffen von extrem rechten und faschistischen Strukturen und Gruppen.
Die Palette der Redner:innen und Aussteller:innen beim Kongress umfasste das gesamte Spektrum der extremen Rechten in Österreich und Deutschland. Völkische Burschenschafter waren ebenso präsent wie rechte Verschwörungserzähler:innen oder Kader der neofaschistischen Gruppe Identitäre.
Aus Deutschland sprachen unter anderem Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechten Compact-Magazins oder Philip Stein, Pressesprecher der Deutschen Burschenschaften. Kurzfristig nahm auch Götz Kubitschek am Kongress teil, der als Haupt-Theoretiker der Identitären gilt. Meine Analyse zu diesem Kongress könnt ihr hier lesen. Und was fiel Kickl dazu ein?
In seiner Rede erklärte Kickl vor diesen mehr als einschlägigen Figuren, das sei „ein Publikum, wie ich mir das wünsche und wie ich es mir vorstelle“ und ein „Kongress der ganz normalen Leute“. Und jetzt könnten Kickl und die Blauen – durch die Unterstützung der ÖVP – bald die Schaltstellen der Republik kontrollieren. Gemeinsam mit den Ultra-Rechten, die Kickl als „ganz normale Leute“ betrachtet. Neonazis werden es mit Freude sehen. Alle anderen Menschen sollten sehr besorgt sein.
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