Die Wiener Klima-Aktivist:innen berichten von Schlägen, Beleidigungen und sexualisierten Übergriffen im Polizeianhaltezentrum nach der jüngsten Klimacamp-Räumung.
- Von Christian Bunke, Mitarbeit: Michael Bonvalot
“Bei der Leibesvisitation musste ich mich ausziehen. Mir wurde vorher fünf Mal versprochen, dass ich nicht fotografiert werde. In der nächsten Sekunde geht ein Vorhang auf und ein Polizist fotografiert mich nackt. Ich habe zum Schutz meine Hand vor mein Gesicht gehalten.”
Dann hätte der Polizist sogar zugeschlagen:“Da gibt er mir eine Ohrfeige und sagt: ‘Du erhebst nicht deine Hand gegen mich’“. So schildert der junge Klima-Aktivist Omid, wie ihn die Wiener Polizei nach der Räumung des Klimacamps am 5. April 2022 behandelt hätte.
Als Omid später bei einem Vorgesetzten des schlagenden Beamten gegen die Gewalt protestiert, soll dieser den Vorfall rundweg abgestritten haben: „Anschließend hat uns ein Polizist als Abschaum und Dreck bezeichnet. Man hat gemerkt, die haben da drin die Macht.“
Omid – seinen Namen haben wir auf seine Bitte geändert – ist nicht der einzige junge Aktivist, der nach der Räumung des Klimacamps am 5. April in Wien schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhebt. Wir haben uns mit ihm und Anna Kontriner, Sprecherin der “Lobau Bleibt”-Bewegung, getroffen.
Überall Polizei
Am Morgen des 5. April 2022 räumte die Wiener Polizei die von Klima-Aktivist:innen besetzte Baustelle für die umstrittene Stadtautobahn in Wien-Hirschstetten, einem Ortsteil des 22. Wiener Gemeindebezirks. In den vergangenen Monaten war das Camp zu einem Zentrum der Klimabewegung geworden.
Bagger zerstören das Klimacamp in der Hirschstettner Straße in Wien! Wo jetzt noch Felder und Bäume stehen, soll bald eine neue Autobahn quer durch den 22. Bezirk führen. Im Hintergrund die Südost-Tangente – die neue Straße wird wohl noch mehr Autoverkehr bringen. #LobauBleibt pic.twitter.com/GDSD8gZBMl
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) April 5, 2022
Der junge Aktivist Omid erzählt uns, wie er die Räumung erlebt hat: “Es waren so viele Polizeiautos, man hat das Ende der Schlange gar nicht gesehen“, beschreibt er die Situation. “Dann ist auch noch der Polizeihubschrauber angekommen.”
Im PAZ ist es schlimm geworden.
Gemeinsam mit einer anderen Aktivistin hatte sich Omid am Plateau festgekettet, wie er erzählt. „Die Polizist:innen, die mich losgemacht haben, waren okay. Sie waren weder unfreundlich noch freundlich.”
Schlimm sei es dann aber geworden, nachdem die Festgenommenen im Polizeianhaltezentrum (PAZ) auf der Roßauer Lände in Wien-Alsergrund angekommen sind. Dorthin waren nach der Räumung die insgesamt 34 festgenommenen Klima-Aktivist:innen gebracht worden.
Sexismus, Drohungen und Beleidigungen
In einer Stellungnahme beschreiben die Festgenommenen, was dann passiert sei. Es ist eine lange Liste von Vorwürfen. So sollen Polizist:innen Trans-Personen in ihre Unterwäsche geschaut haben, um diese “einordnen“ zu können. Einem Beamten werden sexistische Kommentare über den “fetten Arsch“ und die Körperbehaarung einer Person vorgeworfen.
Es soll auch eine ganze Reihe von Drohungen gegeben haben. Etwa: „Es kann ja sein, dass du hingefallen bist“ oder: „Ich würd euch kleinen Kindern gern auf die Goschn haun“.
Gewalt als Reaktion auf Verweigerung der Identitätsfeststellung
Zuvor hatten die 34 Aktivist:innen im PAZ die Identitätsfeststellung durch die Polizei verweigert. Um doch an die Identitäten zu gelangen, soll die Polizei Gewalt und Drohungen angewendet haben. Für ihre Weigerung aber sehen die Aktivist:innen gute Gründe, wie Omid bei unserem Gespräch im Klimacamp in der Donaustädter Anfanggasse erzählt.
“So eine Verwaltungsstrafe kostet schnell 200 Euro pro Person. Das sind bei 34 Aktivist:innen hohe Summen, die die Bewegung nicht ohne weiteres stemmen kann.“ Und die Summen könnten noch viel höher werden, wie Anna Kontriner erklärt: „Die Stadt Wien hat vergangenes Jahr Klagsdrohungen in Millionenhöhe unter anderem an 14-jährige Kinder verschickt.”
Omid hätte keine Klagsdrohung erhalten, sagt er: “Ich bin nicht auf sozialen Medien aktiv. Deshalb möchte ich auch nicht, dass die Polizei jetzt meine Identität erfährt.”
In der Einzelzelle
Omid wurde in einer Einzelzelle festgehalten, wie er berichtet. In der Nacht sei dann auch noch ungebetener Besuch gekommen: „Plötzlich sind Polizist:innen zu viert in meine Zelle reingerannt. Sie haben mir die Decke und die Hand weggerissen und mich danach fotografiert.“
Für ihn sei das sehr schockierend gewesen, wie er erzählt: “Für mich war es das erste Mal im PAZ“, sagt Omid. Er sei – als weißer, heterosexueller Mann – vorher auch noch nie von Polizeigewalt betroffen gewesen: “Meine Erlebnisse können nicht widerspiegeln, was Personen widerfährt, die ihr ganzes Leben von Gewalt betroffen sind, weil sie zum Beispiel einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben.”
Darf die Polizei das?
“Lobau Bleibt“-Sprecherin Anna Kontriner sieht im Vorgehen der Beamt:innen im PAZ eindeutig das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzt, wie es im Sicherheitspolizeigesetz festgelegt ist. “Es ist nicht strafbar, die Mitwirkung an einer Identitätsfeststellung zu verweigern“, sagt sie. (Hier kannst Du lesen, welche sieben Rechte Du im Umgang mit der Polizei unbedingt kennen solltest.)
Für Omid hat das Verhalten der Polizei einen politischen Hintergrund. „Wir sind alle die maximal zulässige Zeit von 24 Stunden festgehalten worden. Das war vor Beginn der Auseinandersetzungen rund um die Stadtstraße noch anders. Es soll offensichtlich ein Einschüchterungseffekt erzielt werden.“
Eine Anfrage zu all diesen Vorwürfen blockt die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien ab. „Ich bitte um Verständnis, dass wir nicht zu jedem Vorwurf Stellung nehmen können“, so ein Sprecher.
Erkennungsdienstliche Behandlungen und Durchsuchungen von Personen und deren mitgeführten Gegenständen gehörten aber zu den “Aufgaben und Befugnissen“ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Außerdem bestünde für Betroffene die Möglichkeit, Anzeigen und Beschwerden einzubringen.
Es gab schon einen Toten
Das PAZ Roßauer Lände steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Dort werden unter anderem Menschen festgehalten, bevor sie abgeschoben werden oder Menschen, die aus Geldmangel ihre Verwaltungsstrafen nicht zahlen können. Oder eben auch politische Aktivist:innen.
Im Juni 2019 starb dort sogar ein Mensch: Ein 59-jähriger Ungar mit Verbänden und offenen Wunden an den Füßen, die Umstände seines Todes waren damals unklar. Ein Mitarbeiter der Diakonie hatte seine Inhaftierung laut Kurier als klar “rechtswidrig” eingestuft. Doch ein Amtsarzt der Polizei hatte die Haftfähigkeit bescheinigt.
Unabhängige Ermittlungsstelle gefordert
Einer, der die Zustände im PAZ sehr gut und von innen kennt, ist Manfred Nowak. Als Mitglied des Menschenrechtsbeirats hat er in den Jahren 2000 bis 2015 regelmäßig das PAZ besucht. „Wir haben pro Jahr rund 300 Vorwürfe gegen die Polizei bekommen“, sagt Nowak. „Und die allermeisten von ihnen bleiben letztendlich folgenlos. Es kommt fast nie zu einer Verurteilung.“
Das Problem sei, dass es keine mit umfassenden Befugnissen ausgestattete unabhängige Ermittlungsstelle gebe. „Es braucht so etwas wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft für die Polizei“, sagt Nowak. Dagegen habe in der Vergangenheit jedoch die Polizeigewerkschaft Einspruch eingelegt.
„Im aktuellen Regierungsprogramm steht das Vorhaben wieder drin. Passiert ist aber bislang nichts. Vielleicht könnte man die aktuellen Vorwürfe zum Anlass nehmen, das wieder hervorzuholen“, meint er im Hinblick auf die von den 34 Aktivist:innen verfassten Vorwürfe.
Kein Spaziergang
Und Omid und die anderen Klima-Aktivist:innen? Die wollen sich nicht einschüchtern lassen. Omid sagt: „Wir sehen, dass machtvolle Interessen gegen die Klimabewegung stehen. Junge Menschen werden verhaftet, weil sie auf diesem Planeten eine Zukunft haben wollen.”
Der Kampf für Klimagerechtigkeit würde kein Spaziergang werden, so Omid: “Wir müssen einstecken. Wir müssen einstecken, dass wir im Gefängnis Ohrfeigen bekommen. Aber wie weit wollen sie gehen. Wollen sie 400 Leute verhaften? Wollen sie 1000 Leute verhaften? Wie weit soll es gehen?“
Die nächsten Aktionen werden bereits geplant
Die „Lobau Bleibt“ Bewegung gegen die Stadtautobahn und den Lobautunnel will bereits im Mai unter Beweis stellen, dass sie weiter Widerstand gegen die milliardenteuren Auto-Projekte leisten wird. So ist etwa am 25. Mai ein Tag des “massenhaften zivilen Ungehorsams” geplant.
Und für den 28. Mai mobilisiert die Wiener Klimabewegung für eine Großdemo zum SPÖ-Landesparteitag. Dort wollen die Aktivist:innen unter anderem für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und für Gehaltserhöhungen für Pflegepersonal und Pädagog:innen demonstrieren.
Kämpfen wollen die Klima-Schützer:innen, wie es im Aufruf heißt, gegen Lobau- und Stadtautobahn, gegen “Großkonzerne und Baukartellenfirmen wie Strabag und PORR” sowie gegen “Betonwüsten für Transitverkehr”.
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