Seit Wochen kursieren in Österreich Gerüchte über eine neue linksliberale Parteigründung – die dann die SPÖ in eine Ampelregierung zwingen soll. Kann das funktionieren, was kann das bringen – und woran kann das scheitern? Eine Analyse von Michael Bonvalot.
Der Hashtag #esreicht ist am Dienstag Nachmittag in Österreich auf Platz eins gelandet. Offenbar wird mit diesem Namen die Gründung einer neuen linksliberalen Plattform angekündigt. Besonders aktiv dabei unter anderem Thomas Walach, bis vor kurzem Chefredakteur von ZackZack. Das Online-Magazin war von der Liste Jetzt des Ex-Grünen Peter Pilz gegründet worden.
Dir reichts?
Uns auch.
Stay tuned!— Thomas Walach (@ThomasWalach) August 2, 2022
Bereits seit Wochen kursieren in Österreich die Gerüchte, dass eine neue linksliberale Partei gegründet werden soll. Ob es sich bei #esreicht darum handelt oder um eine simple Kampagne, das werden die nächsten Tage zeigen.
Doch Platz für eine neue Partei links von SPÖ und Grünen wäre in Österreich zweifellos mehr als genug vorhanden. Die Grünen geben den Bettvorleger der ÖVP. Und die SPÖ weiß wohl vor allem selbst nicht, warum sie in den Umfragen vorne liegt. Es ist jedenfalls kein eigenes Verdienst, sondern der Schwäche der türkis-grünen Koalition geschuldet. Die Grünen verlieren wohl an die SPÖ, die ÖVP gibt ihre Stimmen zurück, die sie mit Sebastian Kurz von der FPÖ geholt hatte.
Graz als Vorbild?
Gleichzeitig zeigt der Wahlsieg der KPÖ in Graz, welche Erfolge mit linker Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich möglich wären. Zwar wird dabei immer auf den „Sonderfall“ Graz verwiesen, doch so besonders ist Graz tatsächlich gar nicht.
So hatte die KPÖ in Graz noch 1988 bei den Gemeinderatswahlen gerade einmal rund 3 Prozent. Zum Vergleich: In Wien waren es 1987 noch 1,7 Prozent gewesen. Qualitativ kein wahnsinnig großer Unterschied. Eine wesentliche Unterscheidung allerdings: In Graz blieb die KPÖ immer im Gemeinderat und konnte diese Plattform nutzen. Doch viel entscheidender für den jetzigen Wahlsieg war, dass die KPÖ danach eine lange und geduldige Aufbauarbeit begonnen hat. Etwas, das von einer kurzfristigen Protestpartei eher nicht zu erwarten ist.
Falls nun ein neues Projekt antritt, würde es sich wohl eher als als Wahl- und Protestpartei positionieren. Doch politische Veränderung braucht auch die Arbeit mit den Menschen und an der Basis – und nicht nur Wahlplakate oder Reden im Parlament.
Was ist das Ziel der neuen Partei?
Mit dem Projekt einer neuen linksliberalen Partei sollten zuerst genug Stimmen erreicht werden, um ins Parlament einzuziehen. Im nächsten Schritt solle, so berichtete Ende Juni der Standard, die dadurch geschwächte SPÖ in eine Koalition mit der neuen Partei, den Grünen und den Neos gezwungen werden. Genannt werden als Proponent*innen vom Standard etwa der Medienberater Rudi Fußi, linkere Abgeordnete der SPÖ und ehemalige Grüne. Auch eine Kooperation mit der Bierpartei von Marco Pogo sei im Gespräch.
Doch diese strategischen Spiele sind vor allem einmal eine hehre Annahme: Denn – selbst wenn die neue Liste den Einzug ins Parlament schafft – wer sagt, dass SPÖ, Grüne und Neos da mitspielen?
Die SPÖ kann, wie wir wissen, sehr gut mit der ÖVP. Durchaus wahrscheinlich, dass die SPÖ eher mit der ÖVP koalieren würde, als in eine Vierer-Koalition zu gehen. Ein Vertreter der SPÖ-Grün-Neos-Ampel hingegen ist der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Der allerdings kein Problem damit hatte, in der Vergangheit mit der FPÖ zu koalieren – und in Menschenrechtsfragen nochmals rechts der aktuellen SPÖ-Führung positioniert ist.
Die Grünen können mit ÖVP und SPÖ, wie sie auf Länderebene immer wieder gezeigt haben. Die Neos schließlich wären noch 2017 wohl auch mit ÖVP und FPÖ ins Bett gestiegen. So hatte die damalige Neos-Kandidatin Irmgard Griss vor der Nationalratswahl 2017 zur Frage einer ÖVP-FPÖ-Koalition im Standard noch erklärt: „Man kann eine Koalition nicht per se schlecht finden.“
Eine Wahlplattform auf Grundlage dieser Überlegungen hätte damit die grundsätzliche Gefahr jedes Projekts, das sich vor allem auf der Wahlebene ausrichtet: Es sind taktische Spielchen, die aufgehen können. Oder auch nicht.
Reicht es, einmal ins Parlament zu kommen?
Wir wissen noch nicht, ob eine neue Partei kommt. Und wir wissen noch nicht, wer sich dann für die neue Partei deklariert. Doch ob eine solche Partei breit gesellschaftlich verankert wäre, ist fraglich. Aktuell sieht es in sozialen Medien nach einem Projekt von Protagonist*innen aus der ehemaligen Liste Jetzt/Pilz sowie aus dem linksliberalen Flügel der SPÖ aus. Ob Peter Pilz sich selbst beteiligt, ob er im Hintergrund die Fäden zieht? Das werden wohl die nächsten Wochen zeigen.
Die Liste Jetzt/Pilz hat jedenfalls ab 2017 die Probleme solcher Some-Man-Shows bereits eindrucksvoll gezeigt: Ein Auswahlprozess für Kandidat*innen, der vor allem auf (semi)bekannte Gesichter gesetzt hatte, führte zu einem politisch weitgehend diffusen Gewirr großer Egos. Einige tatsächlich ehrliche Linke, andere deutlich rechts angesiedelt, wieder andere wohl vor allem karrieregeil. Das Ergebnis: Eine Spielwiese der Ego-Charaktere. Dann der Zerfall.
Nach rechts schielen?
Im Vorfeld der Nationalratswahl 2017 hatte die Liste Pilz/Jetzt bewusst darauf gesetzt, FPÖ-Wähler*innen anzusprechen. Parteigründer Pilz hatte sich dazu mit Heimat-Propaganda deutlich rechts der Grünen positioniert. Das Ergebnis: Stimmen der FPÖ wurden nicht in sichtbarem Ausmaß gewonnen. Dafür flogen die Grünen 2017 aus dem Parlament.
Viele Wähler*innen der Grünen waren vom beliebigen Kurs ihrer Partei angewidert gewesen und hatten stattdessen als Denkzettel dem bekannten Ex-Grünen Pilz ihre Stimmen gegeben. Viele, wohl ohne beim Programm der Pilz-Getreuen genauer hinzusehen. Das kann natürlich wieder funktionieren. Doch ob das diesmal nachhaltiger wäre? Es darf bezweifelt werden.
Was könnte eine linke Partei im Parlament bringen?
Eine linke oder linksliberale Partei im Parlament könnte im besten Fall als Katalysator für bestimmte politische Ideen wirken. Auf einmal kommt der Druck nicht mehr nur von rechts. Auch linke Stimmen und Positionen werden in einer breiten Öffentlichkeit gehört und stehen damit zur Diskussion.
Über Jahre war die deutsche Linke bei all ihren Problemen ein gutes Beispiel für diese Möglichkeiten. Doch gleichzeitig zeigt die Linke in Deutschland in ihrem aktuellen Niedergang auch, welche Gefahren jedes linke Projekt auf unklarer Grundlage bietet.
Aktuell ist die Partei zerrissen zwischen verschiedenen Flügeln. Vor allem die Landesverbände im Osten sehen sich als staatstragendes Regierungsprojekt, wo auch Sozialabbau und Abschiebungen mitgetragen werden – das stellt allerdings gleichzeitig einen eindeutigen Widerspruch zu einer linken Protestpartei dar und stößt damit andere Wähler*innengruppen ab. Eine Gruppe rund um Sahra Wagenknecht will ein sozial-nationales Projekt, das sich auch an Wähler*innen der extremen Rechten und Corona-Verharmloser*innen anbiedert. Die Antikapitalist*innen in der Partei sind marginalisiert.
Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis es die Linke in Deutschland zerreißt. Etwas, was auch einer neuen Partei in Österreich sehr schnell passieren könnte, wenn sie nicht im Vorfeld sehr gut abklärt, wofür sie und ihre Kandidat*innen stehen. Auch hier lässt die Liste Pilz/Jetzt grüßen.
Und wenn die neue Partei in die Regierung kommt?
Gehen wir davon aus, dass ein neues Projekt gelingt, und die neue linksliberale Partei tatsächlich den Einzug ins Parlament schaffen würde. Und dann im nächsten Schritt auch ihr Ziel erreicht, die anderen Parteien in eine Vierer-Koalition zu zwingen. Sehr schnell würde sie sich wohl den sogenannten Sachzwängen unterwerfen. Und die neoliberalen Neos wären wohl jederzeit das Stimmenzünglein an der Waage.
Und damit könnte die extreme Rechte sich erst recht wieder als angeblich einzige Anti-System-Kraft positionieren. Diesmal noch mit dem Hinweis, dass ja auch „die Linken“ um nichts besser seien.
Langfristig wirkmächtiger wäre eine neue linke Partei wohl, würde sie in der Opposition bleiben und von dort aus Druck machen. Die FPÖ zeigt seit vielen Jahren, wie eine Partei auch aus der Opposition heraus tatsächlich die politische Agenda bestimmen kann.
Welche Themen brennen?
Damit eine neue linke Partei erfolgreich wäre, müsste sie die brennenden sozialen Fragen ansprechen: Teuerung, Armut, Mieten, Pflege und die Energiepreise. Viele Menschen haben Angst vor der Stromabrechnung, der nächsten Mieterhöhung und dem nächsten Wochenend-Einkauf. Und viele Menschen haben bereits Angst vor dem Herbst und dem Winter. Und sie haben recht damit.
Doch genauso haben viele Menschen Angst um die Zukunft der Gesellschaft und des Planeten. Zur DNA einer erfolgreichen linken Partei gehören also genauso die Klimakrise, die Rechte von Frauen und LGBTIQ und der Kampf gegen den Rassismus. In Klimafragen hat sich allerdings Thomas Walach, der jetzt #esreicht propagiert, bisher eher als Freund des Betons gezeigt.
Doch wer glaubt, 2022 mit einer solchen Politik eine linke Bewegung aufbauen zu können, wird vor allem unter jungen Menschen nicht viele Freund*innen gewinnen.
Kann das aufgehen?
In Österreich gibt es auf lokaler Ebene bereits linke Projekte, die auch eine gewisse Verankerung haben. In Graz ist das natürlich die KPÖ. Doch auch in Linz und Salzburg sitzt die KPÖ im Gemeinderat, in Linz ist dazu der Wandel bei der letzten Gemeinderatswahl neu eingezogen. In Innsbruck ist die linke Alternative Liste Innsbruck (ALI) im Gemeinderat vertreten. Dazu baut sich die KPÖ nach einem Generationenwechsel aktuell auch bundesweit neu auf.
Federführend dabei ist die Junge Linke – die ehemalige grüne Jugendorganisation „Junge Grüne“, die 2017 aus der Partei geworfen worden war. Und in der Bundeshauptstadt Wien gibt es mit LINKS ein durchaus erfolgreiches Wahlprojekt.
Es ist eher nicht anzunehmen, dass sich diese Parteien und Projekte einer neuen linksliberalen Plattform unter Führung von Personen aus dem Umfeld der SPÖ, der Grünen oder der gescheiterten Liste Pilz andienen würden. Doch damit würden der neuen Bewegung die Aktivist*innen fehlen – außer, es würde tatsächlich zu einem substantiellen Bruch in der SPÖ kommen.
Ob #esreicht sich tatsächlich als neue Bewegung aufstellt und wer dabei mitgeht, werden die nächsten Tage zeigen. Falls #esreicht nicht die neue Wahlplattform wird, wird sich zeigen, ob diese dennoch kommt und mit welchen Inhalten. Doch sicher ist: Falls eine solche linksliberale Wahlbewegung sich tatsächlich in Österreich politisch verankern will, liegt jedenfalls noch ein langer Weg vor den neuen Parteigründer*innen.
- Der Artikel wurde am 03.08. und 04.08. aktualisiert.
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